Suizidprophylaxe oder Folter? Zum Fall Middelhoff

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 08.04.2015

Die Anwälte von Thomas Middelhoff haben vorgestern öffentlich beklagt, Herr Middelhoff sei als derzeitiger Untersuchungshäftling über mehrere Wochen hinweg mittels ständiger Sichtkontrollen tags und nachts am Schlaf gehindert worden und aufgrund dessen schwer erkrankt. (Bericht: Süddeutsche, Bericht Wirtschaftswoche vom Dezember 2014)

Die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, Renate Künast (Grüne), und andere Politiker haben bereits Stellung genommen. (Berliner Zeitung)

Die Praxis wird mit der Folter in Guantánamo und Abu Ghraib verglichen, oder mit Methoden der DDR-Staatssicherheit. In Law-Blogs ist ebenfalls von „Faktischer Folter“ die Rede. (law-blog) (blog der kanzlei hoenig)

Der Anstaltsleiter der JVA Essen, in der die Untersuchungshaft vollzogen wird, hat den Sachverhalt bestätigt: Herr Middelhoff sei als suizidgefährdet eingestuft worden, weshalb rund um die Uhr ca. alle 15 Minuten eine Kontrolle stattgefunden habe. Offenbar wurde dazu nachts auch das Licht eingeschaltet, um einen Suizidversuch Middelhoffs auszuschließen (Quelle: WDR)

Suizidprophylaxe ist in Haftanstalten, speziell bei erstmaliger Inhaftierung, unverzichtbar. Dazu gehört in der Praxis meist (auch in anderen Ländern) die besondere Überwachung von Gefangenen, bei denen anhand gewisser Merkmale ein erhöhtes Suizidrisiko angenommen wird (vgl. wikipedia: suicide watch). Diese Praxis – engmaschige zeitliche „Sichtkontrollen“ bzw. Lebendkontrollen“, nachts einhergehend mit Decken- oder Taschenlampenlicht –  wird auch für andere Anstalten bestätigt. Auch Gustl Mollath hatte in der Unterbringung darunter zu leiden, dasselbe twittert Jörg Kachelmann von seiner U-Haft 2010 in Mannheim. Man geht davon aus, dass der Rückgang der Selbsttötungsrate in Vollzugsanstalten auch mit der systematischen Suizidprophylaxe zusammenhängt, die man in den vergangenen Jahrzehnten implementiert hat. Allerdings ist auch die Kritik an dem speziellen Überwachungsregime über (vermutet) Suizidgefährdete nicht abgerissen, denn diese Art Überwachung ist stark belastend (siehe auch schon mein früherer Beitrag zum Thema Suizid in der Haft).

Ein absichtliches viertelstündiges „Aufwecken“ des Überwachten ist für die Kontrolle nicht erforderlich und ist - schon nach wenigen Tagen - offensichtlich gesundheitsschädlich; solche Maßnahmen dürften eindeutig rechtswidrig sein. Dass dies im Fall Middelhoff geschehen sei, wird auch bestritten bzw. nicht bestätigt:

Berichte, wonach Beamte den Raum betreten hätten und Middelhoff während der Überwachung auch geweckt worden sei, wollte das Ministerium nicht bestätigen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Strafvollzug in NRW, Peter Brock, hält dies allerdings für so gut wie ausgeschlossen. "Um nachts eine Zelle zu öffnen, braucht man drei Justizbeamte, das ist Vorschrift. Der Aufwand ist viel zu groß." In einer Anstalt von der Größe der JVA Essen würden ständig zwischen 20 und 30 U-Häftlinge wegen Suizidgefahr überwacht. Middelhoff sei kein Ausnahmefall. In der Regel reiche auf Grund der Erfahrung der Beamten der Blick durch den Gucker in den erleuchteten Raum. (Quelle: Bericht in der "Welt")

Aber auch für jemanden, der bei solchen Kontrollen durch Licht oder Geräusche regelmäßig aufwacht, obwohl er nicht absichtlich geweckt wird, kann ein langfristiger gesundheitsschädlicher Schlafentzug die Folge sein, wie ihn jetzt die Verteidiger Middelhoffs beklagen. Zwar ist dies mit einem absichtlichen Schlafentzug als verbotene Vernehmungsmethode oder Folter nicht gleichzusetzen, kann aber auf den Betroffenen ganz entsprechende Auswirkungen haben.

Zudem wird von Insidern ein möglicher Missbrauch der Kategorisierung „suizidgefährdet“ zur Sanktionierung missliebiger Gefangener beklagt.

Es erscheint fraglich, ob eine effektive Überwachung nicht auch anders durchführbar ist. Denkbar wären modernere Überwachungstechniken (Kontrolle bei abgedimmtem Licht, Videoüberwachung, Kreislaufmonitor), die allerdings ihre eigenen Nachteile aufweisen können, vgl. Interview mit einem Gefängnispsychologen auf Zeit-Online.

Update (09.04.2015): Herr Garcia hat auf einen Artikel in der Zeit hingewiesen, demzufolge Frau Bennefeld-Kersten, eine ausgewiesene Expertin für Suizidprävention im Strafvollzug die Version der Anwälte in Frage stelle. Auch die Süddeutsche Zeitung meint jetzt, das Justizministerium widerspreche den Anwälten. Im Moment sehe ich keinen Anlass, aufgrund dieser Information meine Einschätzung des Falls zu ändern. Ich verweise auf meinen Kommentar unten (Kommentar #34).

Update (14.04.2015): Mich hat heute eine Presseerklärung der Verteidigung Herrn Middelhoffs (RAe Sven Thomas/Udo Wackernagel) erreicht. Der Sachverhalt wird darin so dargestellt:

Alle 15 Minuten sei bei jeder Kontrolle von Herrn Middelhoff ein Lebenszeichen erwartet worden ("Rufen", "Heben des Kopfes oder eines Armes"). In Einzelfällen sei der Haftraum betreten worden, wenn Herr Middelhoff kein Lebenszeichen gegeben habe. Im Regelfall sei er schon durch die ("taghelle") Neonbeleuchtung oder Geräusche beim Öffnen der Sichtluke geweckt worden. Der Mandant habe stundenlang wachgelegen oder sei in 15-minütigen Abständen geweckt worden. Man bleibe daher beim Vorwurf des massiven Schlafentzugs. Der Mandant habe keine Bemerkunegn gemacht, die auf eine Suizidgefahr hinwiesen, im Gegenteil habe er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man sich um ihn diesbezüglich keine Sorgen machen müsse. Die "angebliche" Erklärung von Frau Middelhoff datiere - "unabhängig davon, ob sie überhaupt erfolgte"  - aus dem März 2015, sei also nicht Anlass für diese Maßnahmen gewesen.

Update (23.04.2015): Zum Fall Middelhoff  ist nun eine Bericht des NRW-Justizministeriums veröffentlicht worden. Entscheidend für die Bewertung soll danach sein, dass weder Herr Middelhoff noch seine Verteidiger sich während der laufenden Maßnahme dagegen beschwert hätten. Im Übrigen entspreche die Maßnahme der Standard-Suizidprophylaxe, wie sie überall praktiziert werde und wogegen es - soweit dem Minister bekannt - bislang kaum Beschwerden gegeben habe.

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183 Kommentare

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Lieber Herr Garcia,

ja, es ist richtig zu erkennen, dass es nicht nur diesen einen prominenten Gefangenen betrifft. Und weil dieselbe Methode in Deutschland gleichzeitig bei wahrscheinlich hunderten Gefangenen angewendet wird (allerdings wohl nicht immer 30 Tage lang), ist das Thema so enorm wichtig: Es geht doch darum, Suizidprophylaxe auf eine Art und Weise zu betreiben, die nicht zugleich eine enorme psychische und physische Belastung des überwachten Betroffenen selbst bedeutet. Und deshalb ist auch wichtig, dass sich Politiker dieses Themas annehmen und sich nicht hinter bequemen Zuständigkeitsfragen verstecken. Der Vorwurf (an "die" Medien? an "die" Politiker? an "die" Blogger? an "die" Öffentlichkeit?) sich um das Thema bisher nicht oder nicht genügend gekümmert zu haben, erscheint mir hingegen eher unwichtig. Damit würgt  man die wichtige Debatte eher ab, genauso wie mit dem Vorwurf von "Mein Name", die Anwälte im Fall Middelhoff würden nur das Anliegen ihres Mandanten betreiben (ja, was denn sonst?). Über solche Fragen kann man in einer "Diskursanalyse" sinnieren, wenn die Debatte vorbei ist.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller
 

Wenn ein prominenter Fall auf Missstände aufmerksam macht, ist das zu begrüßen, ihnen muss nachgegangen werden, das ist gar keine Frage. Aber es ist größte Zurückhaltung geboten, will man den Ausbruch einer Krankheit mit diesen begründen. Dies gilt insbesondere für Erkrankungen des Immunsystems, die durch ganz unspezifische Reize ausgelöst werden können. Beispielsweise durch Schlaflosigkeit oder Stress ganz allgemein. Das kann ein Transatlantikflug genauso sein wie eine Scheidung, gewiss eine Verhaftung. Im konkreten Fall ist es praktisch unmöglich, zwischen dem durch die Verhaftung ausgelösten Stress und dem Einfluss der Schlaflosigkeit zu unterscheiden, es gibt schlicht keine Untersuchung, die hier eine Differenzierung leistet. Insofern ist es auch müßig, schon im Vorfeld die Fairness möglicher Untersuchungen anzuzweifeln. Und was die Anwälte angeht: es verwundert schon sehr, dass sie eine Strategie verfolgen, die medizinisch keinerlei Substanz hat.

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Gast schrieb:

Wenn ein prominenter Fall auf Missstände aufmerksam macht, ist das zu begrüßen, ihnen muss nachgegangen werden, das ist gar keine Frage. Aber es ist größte Zurückhaltung geboten, will man den Ausbruch einer Krankheit mit diesen begründen. Dies gilt insbesondere für Erkrankungen des Immunsystems, die durch ganz unspezifische Reize ausgelöst werden können. Beispielsweise durch Schlaflosigkeit oder Stress ganz allgemein. Das kann ein Transatlantikflug genauso sein wie eine Scheidung, gewiss eine Verhaftung. Im konkreten Fall ist es praktisch unmöglich, zwischen dem durch die Verhaftung ausgelösten Stress und dem Einfluss der Schlaflosigkeit zu unterscheiden, es gibt schlicht keine Untersuchung, die hier eine Differenzierung leistet. Insofern ist es auch müßig, schon im Vorfeld die Fairness möglicher Untersuchungen anzuzweifeln. Und was die Anwälte angeht: es verwundert schon sehr, dass sie eine Strategie verfolgen, die medizinisch keinerlei Substanz hat.

 

Sie haben vermutlich nicht ganz die Problematik verstanden.

Es geht nicht darum, ob nun durch das Lichteinschalten im Viertelstundentakt tatsächlich der Lupus ausgelöst wurde oder diese Krankheit eine andere Ursache hat, z.B. den Stress der Haft allgemein.

Es geht vielmehr darum, ob Herr M. aufgrund dieser Krankheit haftunfähig geworden ist. Und das dürfte m.E. gegeben sein.

 

 

Im übrigen sind Ihre Argumente äußerst schwachbrüstig: Eine monokausale Ursache gibt es bei vielen Immunkrankheiten nicht. Aber auch bei anderen Krankheiten wäre die von Ihnen geforderte Beweisführung kaum zu erbringen, aber auch nicht erforderlich: Nehmen Sie den Fall des Nichtrauchers, der jahrelang zusammen mit kettenrauchenden Kollegen in einem Büro sitzen musste und jetzt an Lungenkrebs erkrankt ist. Natürlich kann der Lungenkrebs auch durch den Smog und die Abgase der Großstadt entstanden sein, oder durch eine Kombination der verschiedenen Noxen. Aber ich denke nicht, dass der Geschädigte das in einem solchen Fall beweisen muss.

Im Fall des Herrn Middelhoff kommen ebenfalls mehrere Noxen zusammen: der Stress der U-Haft allgemein, die psychischen Belastungen durch seine weiteren Prozesse, und maßgeblich - da extrem - eben die künstlich und vorsätzlich erzeugten Schlafstörungen. Letztere sind wohl sogar entscheidend, das wird vermutlich jeder Gutachter auch so darlegen.

Die Strategie der Verteidiger hat sehr wohl Substanz. Warum zweifeln Sie daran? Keinerlei Substanz?

Aufgrund Ihres gezeigten medizinischen Halbwissens glaube ich nicht, dass Sie Arzt und damit Kollege sind.

 

 

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gast2 schrieb:

Die Strategie der Verteidiger hat sehr wohl Substanz. Warum zweifeln Sie daran? Keinerlei Substanz?

Naja, streng genommen hat die Verteidigung diese Argumentation schon beim Prüfungstermin am 17.3.2015 vorgetragen und damit Schiffbruch erlitten.

 

Soweit der Angeklagte einen "permanenten Schlafentzug über einen Zeitraum von mindestens 4 Wochen" beanstandet, ist festzustellen, dass nach seinem eigenen Vortrag die Anordnung einer laufenden Überwachung des Angeklagten (wegen vermeintlicher Suizidgefahr) seit Mitte Dezember 2014 nicht mehr umgesetzt wird. Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der angeführte Schlafentzug ursächlich für eine schwerwiegende Erkrankung des Angeklagten geworden sein könnte, liegen nicht vor. Sie können auch dem vorläufigen Arztbrief des Universitätsklinikums T2 vom 06. März 2015 sowie allen anderen überreichten ärztlichen Unterlagen nicht entnommen werden.

 

http://goo.gl/mLNPld 

 Von hier sieht es so aus als wolle man den Vortrag einfach nochmal führen. Dieses Mal unter der Begleitmusik der öffentlichen Empörung.

 

Ob man damit -insbesondere unter diesen Begleitumständen- durchdringt, ist fraglich.

 

Die wollen den schlicht und ergreifend nicht rauslassen. Anders kann man sich solche Sprüche nicht erklären:

Weder die bislang erlittene Schädigung seiner Reputation noch etwa die Tatsache, dass - worauf der Angeklagte selbst mehrfach hingewiesen hat - "sein Gesicht international bekannt" sein mag, könnten den Angeklagten ernsthaft an einen Versuch hindern, sich auf der Grundlage früherer Bekanntschaften, Freundschaften oder sonst fortbestehender Geschäftskontakte eine neue wirtschaftliche Existenz aufzubauen.

e.d.

 

 

Wenn das Gericht folgende Feststellung trifft, wird der Irrsinn doch verdeutlicht:

Schließlich steht die bisher gegen den Angeklagten vollzogene Untersuchungshaft weiterhin nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs und der Höhe der erstinstanzlich verhängten Strafe. Hierbei hat der Senat erneut bedacht, dass der Angeklagte - wie oben ausgeführt - um seine berufliche wie finanzielle Existenz kämpfen muss und daher in besonderem Maße haftempfindlich erscheint. Die besondere Haftempfindlichkeit resultiert daneben auch aus der nunmehr schon seit vier Monaten andauernden Trennung des Angeklagten von seiner Familie. Gleichwohl ist die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft zur Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung noch verhältnismäßig. 

Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich eine Verurteilung in Höhe des festgesetzten Strafrahmens nächstinstanzlich verwirklicht, so kommt Middlehof bald in einen Bereich der Haftzeit, die sich bei ihm als Ersttäter trotz Verurteilung nie in der Form verwirklicht hätte.

 

Wenn nicht Bewährung, dann doch mittlerweile schon Freigänger.

Was sollen die Anwälte angesichts der zur Schau getragenen Boshaftigkeit der Kammer denn tun?

Und dass die Kammer von niederen Beweggründen geleitet wird, sieht man ja plastisch hier:

Andererseits hat der Angeklagte als Vorstandsvorsitzender der L/B AG ebenfalls ein besonderes Vertrauen in Anspruch genommen, und zwar in einem krisengeschüttelten Unternehmen, in dem bekanntermaßen ein Großteil der Mitarbeiter aus Angst um den Arbeitsplatz seit Jahren existentiellen Sorgen ausgesetzt ist und auf die Integrität gerade auch des Vorstandsvorsitzenden vertraut. Diese Vertrauensposition hat der Angeklagte ausweislich der getroffenen Feststellungen des Landgerichts über Jahre hinweg massiv verletzt. Vor diesem Hintergrund belegen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen auch aufgrund der Höhe des eingetretenen Vermögensschadens zugleich eine deutliche Geringschätzung fremder Vermögenswerte.

e.d.

 

oder hier:

Letzteres gilt nach den Urteilsfeststellungen auch hinsichtlich der Veruntreuung eines weiteren Betrages in Höhe von annähernd 180.000,00 EUR für die vom Angeklagten zum Nachteil der B AG veranlasste Kostentragung für die Festschrift zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. X. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Vorgehensweise des Angeklagten - namentlich im Zusammenhang mit den Kosten der Festschrift - von einer besonders geschickten Ausnutzung seiner Vertrauensstellung geprägt war und er hierdurch ein erhöhtes Maß an krimineller Energie an den Tag gelegt hat. 

e.d.

 

Verwirrend sind natürlich dann auch derartige Festlegungen der Kammer, die eine Trennung zwischen Boshaftigkeit und schlicht kindlicher Vorstellungswelt von Gerichten nicht immer klar ziehen lassen:

 

Für den Fall, dass es dem Angeklagten auch nur annähernd gelingen sollte, an diese Verdienstmöglichkeiten durch den Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz im Ausland anzuknüpfen, könnte er alle Sicherungsgeber binnen kürzester Zeit schadlos stellen. Unabhängig hiervon erscheint der psychische Druck, der dadurch entsteht, dass der Angeklagte für den Fall einer Flucht die Altersversorgung der Schwägerin gefährden würde, ohnehin nicht ausreichend, um eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu rechtfertigen. Dies gilt auch in Ansehung des Vermögens- und Vertrauensschadens, der bei den übrigen Sicherungsgebern bei Kautionsverfall eintreten würde. 

e.d.

 

Tja, was soll ein Anwalt denn nun tun, wenn er es mit solchen Strolchen in Robe zu tun hat?

Man kann den Käse halt nur nochmal vortragen, diesmal halt mit Medieninteresse... 

#3

Haftunfähigkeit aufgrund einer schweren Erkrankung ist das eine, der Haftanstalt vorzuwerfen, sie trage Schuld an der Erkrankung, eine ganz andere Sache. Abgesehen davon: es gibt in der Tat gute Gründe für eine engmaschige Überwachung, Stichwort Bilanzsuizid, dann die Statistik, nach der die meisten Suizide in der frühen Phase der Haft verübt werden. Wie die Überwachung genau erfolgt ist, ob und wie weit sie unangemessen war, wird hoffentlich geklärt werden. Und ob die Haft aus ganz anderen Gründen bereits unverhältnismäßig ist, ist noch einmal eine andere Frage. Dann ist die Verteidigungsstrategie ein wenig besser nachzuvollziehen.

4

Die von Max Mustermann zitierten Stellen aus dem OLG-Beschluß zeigen, warum das LG Essen mit Händen und Füßen die Veröffentlichung des Urteils vom 14. November 2014 (meine Besprechung vom Dezember 2014: http://blog.delegibus.com/4054) unter Vorschiebung von Persönlichkeitsrechten zu verhindern suchen wird - ebenso wie das LG Koblenz das Untreue-Urteil gegen Ex-Minister Ingolf Deubel (http://goo.gl/lKW8kw).

Es mag angehen, in einem Urteil von einem "erhöhten Maß an krimineller Energie" zu sprechen, aber in dies zu tun in einem Verfahren, in dem der Schwerpunkt die Frage ist, ob die Handlungsweise überhaupt strafbar ist, ist irrwitzig und grenzt an klassenkämpferischer Verblendung.

Das ist so, als würde man nicht nur - hypothetisch! - den Beschluß des OLG Hamm als Rechtsbeugung beurteilen, sondern auch noch sagen, die Richter hätten mit ihm ein erhöhtes (!) Maß an krimineller Energie gezeigt und besonders schlimm sei es, weil sie das besondere Vertrauen, das die Öffentlichkeit in die Gerechtigkeit von Richtern setzt, enttäuscht hätten.

Es ist mir ohnehin schleierhaft, warum die Anwälte Middelhoffs den Stein bei den selben Richtern immer wieder von neuem hochrollen statt sich an das einzige Gericht zu wenden, von dem Hilfe zu erwarten ist, das BVerfG. Daß es bis zum 17. März 2015 eine erfolglose Verfassungbeschwerde gegeben hätte, ist nicht anzunehmen, denn sonst wäre dies im Haftbeschwerdebeschluß genüßlich angesprochen worden. Daß sich andererseits das BVerfG in einer Haftsache mit einer Verfassungsbeschwerde, verbunden mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung, über Monate Zeit läßt, ist auch unwahrscheinlich.

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Gerade in NRW und RLP habe ich noch nie Schlechtes erfahren, wenn es um Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidung ging bzw. um Erteilung von Abschriften. Ich hatte bis jetzt den Eindruck, dass diese beiden Bundesländer die Rechtsprechung des BVerwG hervorragend umsetzten. Deshalb kann ich das noch nicht so richtig glauben, dass die Justizverwaltung in den Verfahren Middelhoff und Deubel ein Problem damit hat. Wenn es wirklich so sein sollte, dann kann ich mir das nur mit einer entsprechenden Weisung des Justizministeriums erklären. Denn Richter, die in der Regel diese Entscheidung treffen, sind im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Justizverwaltung an Weisungen gebunden.

Gerade Untreue-Entscheidungen sind von besonderem Interesse, weil der Untreue-Tatbestand - wie er in Gerichtspraxis verstanden wird - in einigen Konstellationen sehr problematisch und verfassungsrechtlich bedenklich ist.

 

Nachtrag: wie ich soeben vom LG Essen erfahren habe, läuft derzeit die Anonymisierung des Urteils. Weil das Urteil 400 Seiten umfasst, bittet das LG um Verständnis, dass die Veröffentlichung etwas Zeit in Anspruch nimmt. Sobald die Anonymisierung abgeschlossen wird, wird das Urteil in der Entscheidungsdatenbank veröffentlicht werden. Na, bitte! 

@Waldemar Robert Kolos

Danke für die Klärung. Dann stellt sich meine Spekulation über die Nichtveröffentlichung durch das LG Essen als falsch heraus. Das Verhalten des LG Essen ist vielmehr anerkennenswert.

Zur Klarstellung: Die Nichtveröffentlichung im Fall des LG Koblenz unter Berufung auf Persönlichkeitsrechte ist keine Spekulation, sondern durch die verlinkte Pressemitteilung belegt.

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@Herr Garcia, wenn Sie tatsächlich Herr Garcia aus dem delegibus-blog sind:
Wenn Sie bei Ihren Beiträgen etwas weniger hyperventilieren und z.B. dem LG Essen und Frau Bennefeld-Kersten nicht sofort Obstruktion beim Informationsanspruch  bzw. falsche Unterstellungen gegenüber der Verteidigung attestieren würden, wäre das der Diskussion sehr zuträglich. 

 

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@MaxMustermann:
Wenn Sie die Möglichkeit einer Flucht und des Untertauchens eines einigermaßen bekannten Menschen  als "Slapstick" durchgeknallter OLG-Richter bezeichnen, sollten Sie vielleicht mal nach Holger Pfahls  googeln. Oder, das ist allerdings etwas länger her, nach Udo Proksch. Und vor Kurzem ist sogar ein schweizerischer Banker, den polnische Behörden gegen eine Kaution von satten 250.000 €  auf freien Fuß gesetzt haben, ist wieder in die Schweiz gereist, um einer Auslieferung nach Deutschland zu entkommen.

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@gaestchen

Wenn Sie mir ein, zwei Beispiele für das Hyperventieren nennen, bin ich gerne bereit, meinen Stil zu überdenken. Ich möchte Ihnen aber zu bedenken geben, daß ich mit einem Blogbeitrag keinen Arbeit abliefere, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen soll. In einem Blogbeitrag haben auch zuspitzende und plakative Darstellungen ihren Platz, die in die NJW sicherlich nicht hingehören würden.

Frau Bennefeld-Kersten habe ich gar nichts unterstellen wollen. Ich gebe aber zu, daß ich mich schlecht ausgedrückt habe. Insofern ist Ihre Kritik berechtigt. Ich wollte mit meinem gestrigen Kommentar sagen, daß ich von den Hinweisen von Frau Bennefeld-Kersten als zutreffend ausgehe und deshalb entweder die Darstellung der Anwälte oder die der Justizverwaltung falsch sein müsse. Prof. Müller hat dazu zutreffend angemerkt, daß dieser Schluß falsch ist, weil die Presse zwar einen bestimmten Vortrag der Anwälte behauptet, man aber nicht weiß, ob dies zutrifft.

Mein Verdacht, daß beabsichtigt war, die Urteilsgründe nicht zu veröffentlichen, war offen spekulativ und damit die Einladung, eines Besseren belehrt zu werden. Ich finde es erstaunlich, daß Sie meinen, der Kommentar müßte mir peinlich sein. Ich bin gespannt, ob von Ihnen entsprechende Vorwürfe kommen, wenn das nächste Mal jemand, den ein Gericht mit dem Brustton der Überzeugung verurteilt hat (im Unterschied zur Verdachtsäußerung), im weiteren Verlauf wegen erwiesener Unschuld freigesprochen wird.

Daß Gerichte oftmals unter Berufung auf Persönlichkeitsrechte Urteile nicht veröffentlichen, ist keine Erfindung von mir, sondern eine Realität, die ich belegt habe.

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@OGarcia

Danke für Ihren Hinweis auf die Entscheidung der Präsidentin des LG Koblenz über die Nichtveröffentlichung des Deubel-Urteils. Die Begründung ist schockierend und zeigt eine rein politische Handschrift. Da muss sich unbedingt was machen lassen, ohne gleich den Rechtsweg bemühen zu müssen. Dafür ist die Entscheidung des BVerwG einfach zu überzeugend - auch für die Politik, will ich jedenfalls hoffen.

http://www.bverwg.de/entscheidungen/entscheidung.php?ent=260297U6C3.96.0

@gaestchen

Natürlich könnten wir vom Prinzip der Einzelfall-Betrachtung abrücken und Äpfel mit Birnen vergleichen, um sogleich freudig zu unterstellen, es wären alles Orangen.

Nur wozu?

Die Auslassungen des Gerichts zur Haftprüfungsentscheidung enthalten derart erfrischende Kontradiktionen, dass man geneigt ist, dem Gericht, wenn nicht Boshaftigkeit, so doch mangelndes Gespür nicht nur für das praktische Leben, sondern auch eine Pflichtvergessenheit gegenüber dem rechtlichen Prüfungsmassstab zu unterstellen.

Es kann nicht Aufgabe des Gerichtes sein, bei dem in Aussicht gestellten (möglichen) Strafmass dafür zu sorgen, dem Beschuldigten jegliche Anknüpfungsmöglichkeit in einen beruflichen Wiedereinstieg möglichst lange zu verunmöglichen.

Abgestellt hat sich die Richterschaft auf die Überlegung, dass die körperliche Konstitution des Beschuldigten noch ausreichend wäre, flink das nächste Erdloch aufzusuchen, um dort seinen Wiederaufstieg als Multimillionär vorzubereiten.

Demgemäss haben Sie natürlich Recht. Der Ausdruck "Slapstick" entsprang meiner Frohnatur und ist dem Sachverhalt nicht angemessen. "Furor" wäre treffender.

Vielleicht fehlt es mir auch an solch tiefgreifenden juristischen Erfahrungen, wenn mir die gewaltige, kriminelle Energie eines CEO nicht ins Auge springt, wenn er im Marketing-Budget mal ein Buch sponsert. Welch Vorteile muss er sich dadurch erschlichen haben...welch Schaden auf Kosten der Firma, da das Logo nicht drauf zu pappen.

Nun ja, wenn das die Massgabe ist, dann ist Hoenneß seiner Saalverhaftung wohl nur entgangen, weil da ordentliche Bayern-Fans den Hammer geschwungen haben. (Und der hat sich noch nicht mal bemüht, Revision einzulegen)

Aber da sind wir wieder bei den unpassenden Vergleichen.

Wo sitzt Pfahls eigentlich heute?

Vielleicht machen Sie bei Ihrem nächsten Rundgang mal bei ihm das Licht an und teilen ihm mit, dass ich immer noch darauf warte, dass er endlich auspackt. Hat er mir doch hoch und heilig versprochen.

Oder war das Schreiber? 

#9:...."Schlafentzug in U-Haft:Middelhoff selbst informierte Richter über Suizidgedanken"....

 

So, so. Nach meiner Erfahrung werden Unmutsbekundungen und flapsige Aussagen wie "da kann ich mich ja gleich aufhängen"....etc. von Juristen gerne gezielt "missverstanden", wenn es der eigenen Argumentation/Intention dient. 

 

Demnach war das Auftauchen dieser Spiegel-"Meldung" erwartbar. Was  tatsächlich dahinter steckt, wird man in diesem speziellen "Fall" ja vielleicht erfahren dürfen....

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@M. Deeg

Viel trägt die Spiegel-Meldung ohnehin nicht bei, denn die Diskussion kreist ja nicht um das Ob, sondern das Wie der Suizidprävention.

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In NRW gibt es die elektronische Fußfessel. Verwendung findet sie als Bewährungsauflage (68b I 1 Nr. 12 StGB). Bei der Entscheidung über die U-Haft und der Abwägung zwischen den widerstreitenden Belangen, dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch, scheint die elektronische Fußfessel keine Rolle zu spielen. Sie könnte aber u.U. ein geeignetes Mittel sein. Sie sollte m.E. daher mit in die Verhältnismäßigkeitsprüfung eingestellt werden.

Am Rande noch eine möglicherweise etwas nervige Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Gem. 112 StPO ist Fluchtgefahr eine Gefahr, "dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde". Strafverfahren ist aber nicht Strafvollstreckung. Wenn also die Annahme besteht, dass der Angeklagte sich der Strafvollstreckung entziehen werde, dann dürfte das nach der Legaldefinition keine Fluchtgefahr und damit kein Haftgrund sein. 

Wenn der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte sich weder dem Ermittlungs- noch dem Hauptverfahren entzogen hatte und erst nach Urteilsverkündung wg. "Fluchtgefahr" in U-Haft genommen wird, dann spricht das dafür, dass der Haftgrund in der Sicherung der Strafvollstreckung liegt. Ist das denn zulässig? 

@Herr Kolos

 

Solange das Verfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, läuft doch noch das Strafverfahren. Vgl. im Übrigen § 457 Abs. 2 StPO für das Vollstreckungsverfahren.

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Ich empfinde Herrn Kolos Fragestellung keineswegs als lästig.

Vielmehr eröffnet sich durch sie das Blickfeld für das eigentlich ins Auge zu fassende Problem dieses Haftbefehls.

 

§112 StPO wird genau dadurch ja zweckwidrig angewandt.

Nach meiner Ansicht kann der Verweis auf das noch laufende Verfahren diesen Umstand auch nicht entkräften.

Herr Middlehof kann sich dem weiteren Verfahrenablauf durch Flucht realiter gar nicht entziehen. Seine Anwesenheit vor dem BGH ist als Schriftverfahren gar nicht angezeigt. Durch sein Beisein in der HV hat er den Voraussetzung der Unmittelbarkeit und Einhaltung der Verfahrensgrundsätze schon genüge getan.

 

Genau darum scheint es mir ja insbesondere zu gehen: Eine vorzeitige Haftvollstreckung!

 

Ich fühle mich mit meiner Interpretation zwar sehr alleine, aber die Ausführungen des OLG zur Haftempfindlichkeit des guten Mannes lassen doch m.E. gar keinen anderen Schluss zu.

Die antizipieren durch die Aufrechterhaltung der U-Haft ja gerade die Scheu des Angeklagten beruflich und privat aus der Bahn geworfen zu werden.

Dass die Überlegungen dazu lebensfremd sind, brauche ich hoffentlich niemandem zu erklären. 

Dieser unbedingte Strafwille, der gegenüber einem (noch) Beschuldigten an den Tag gelegt wird, vermag sicherlich zu einer hoffnungslos erscheinenden Lebenwirklichkeit zu führen.

Ich habe sogar den Eindruck zwischen den Zeilen lesen zu wollen, dass das OLG ausser Suizid auch keinen praktischen Ratschlag zur Hand hat.

@Waldemar Robert Kolos, @Max Mustermann

Unabhängig von der Frage, ob mit dem Haftgrund des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO auch die Strafvollstreckung gesichert werden soll, geht es hier in jedem Fall noch um die Sicherung des Erkenntnisverfahrens. Auch wenn sich bei manchen praxiserfahrenen Staatsanwälten die Vorstellung eingeschleift hat, die Revision des Angeklagten sei ein grundsätzlich unbegründetes Rechsmittel (das geht so weit, daß der an das BMJ abgeordnete Staatsanwalt für ein aktuelles Gesetzgebungsverfahren den § 349 StPO - https://dejure.org/gesetze/StPO/349.html - mit der amtlichen Überschrift "Verwerfung ohne Hauptverhandlung" versehen hat, obwohl die Norm auch die Stattgabe der Revision des Angeklagten regelt), kann Middelhoffs Revision dazu führen, daß eine neue Hauptverhandlung vor einer anderen Strafkammer durchgeführt werden muß.

Das ist meiner Meinung nach auch der wahrscheinlichste Fortgang des Verfahrens. Wenn der BGH in ein paar Monaten über die Revision entscheidet und Middelhoff bis dahin immer noch in U-Haft ist, dann wird der BGH, wenn er die Strafbarkeit auch nur eines der Teilvorwürfe verneint und für die übrigen zurückverweist, mit Sicherheit selbst gemäß § 126 Abs. 3 StPO den Haftbefehl aufheben.

Daß U-Haft keine antizipierte Strafhaft sein darf, ist eigentlich so selbstverständlich, daß man meinen müßte, es nicht besonders erwähnen zu brauchen. Doch die Praxis hält das oft fröhlich anders. So kommt es, daß das BVerfG ab und zu pampig werden muß und an die Adresse der Strafgerichte schreibt:

Untersuchungshaft ist keine antizipierte Strafhaft. Sie steht dieser weder in ihren Wirkungen noch in ihren Voraussetzungen gleich. Der Begünstigte einer Haftverschonungsentscheidung hat grundsätzlich Anspruch, die Rechtskraft des Urteils in Freiheit zu erwarten. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe ist auch für die Fachgerichte bindend; sie kann nicht unter Berufung auf eine wie auch immer geartete "richterliche Überzeugung" außer Kraft gesetzt werden.

(http://dejure.org/2007,1670)

Zu meiner Argumentation, daß die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Haftverschonung auch für die Konstellation des erstmaligen Erlasses eines Haftbefehls bei Urteilsverkündung gelten muß, siehe http://hiesige-meinung.de/2014/11/herr-m-eine-saalverhaftung-und-die-flu...

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@OG 

Auch wenn die von Ihnen dargestellte Zurückverweisung zu erwarten ist, kommt es darauf m.E. gar nicht an.

In diesem Falle bricht die Argumentation der Fortdauerentscheidung des OLG sowieso in sich zusammen.

Hält der BGH, ist der Verstoss gegen Art. 2 momentan immanent.

So oder so, das OLG hat geradezu klassisch Unvertretbares entschieden.  

Und obendrein noch expressis verbis klar Flagge gezeigt:

 

Gleichwohl ist die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft zur Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung noch verhältnismäßig.

 

Ich kann mir ja nur vorstellen, dass der eigentliche Zweck darin liegt, Middlehoffs Möglichkeiten bezüglich der Nebenverfahren möglichst effektiv zu beschränken. Aber das ist VT spekulativ... 

In erster Linie geht es hier um Schlafentzug in U-Haft und Strafvollstreckung als vermeidbare oder unvermeidbare Begleiterscheinung der Lebendkontrolle. Ob es sich dabei um eine Suizidprophylaxe oder um eine Ungehorsamprophylaxe handelt, darüber kann man trefflich streiten. 

Klar ist, dass offizielle Stellen die Lebendkontrollen mit Fürsorgepflicht und der Garantenstellung des Staates begründen, Selbsttötungen zu verhindern und auf den statistischen Erfolg verweisen. Aber eben so klar ist, dass die Kritik darin apokryphe Gründe sieht. Möglich ist, dass die Maßnahmen der Suizidprophylaxe den Häftling im konkreten Einzelfall von einer Selbsttötung abhalten. Möglich ist, dass die Maßnahme weder ihrer Dauer noch ihrer Intensität nach den Häftling in gesundheitsschädigender Weise vom Schlaf abhält. Möglich ist aber auch das Gegenteil. Zum einen wird man Schlafentzug als Ursache für eine aufgetretene Gesundheitsschädigung kaum nachweisen können. Zum anderen muss es nicht unbedingt zu einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung kommen, um den Häftling durch Schlafentzug zu brechen, gefügig zu machen und ihn zum Gehorsam zu zwingen. 

Apokryphe Haftgründe sind schon bei der Anordnung der U-Haft keine Unbekannte. Eine mögliche Verbindung zwischen U-Haft und Ungehorsamstrafe hatte schon Lutz Eidam dargestellt.

Aber unter welchen Umständen und mit welcher Begründung ist Herr Middelhoff in U-Haft genommen worden. Der SPIEGEL schrieb dazu:

 Das Gericht nehme bei dem in Frankreich wohnenden Manager "derzeit" Fluchtgefahr an, sagte Richter Jörg Schmitt. Ausschlaggebend dafür seien die Höhe der verhängten Freiheitstrafe, der Wohnsitz im Ausland und die unklare berufliche Situation des Managers. Middelhoff wurde noch im Gerichtssaal verhaftet. Der Richter trat aber sogleich in Verhandlungen mit ihm über das weitere Vorgehen.

Schmitt kündigte an, dass sich das Gericht unmittelbar nach dem Ende der Urteilsverkündung im Gespräch mit Middelhoff und seinen Verteidigern um eine "mildere Maßnahme" bemühen wolle.
Auch ein Gerichtsprecher sagte, dass der Haftbefehl nach weiteren Gesprächen unter den Verfahrensbeteiligten möglicherweise noch im Laufe des Tages wieder außer Vollzug gesetzt werden könne.

Wie wir heute wissen, wurde der Haftbefehl nicht außer Vollzug gesetzt und die Kaution abgelehnt. Was kann also Jörg Schmitt gemeint haben? Hatte er die von ihm angesprochene "mildere Maßnahme" nur unter gewissen Bedingungen mit apokryphen Charakter in Aussicht gestellt? Natürlich kann man darüber spekulieren, ob ein möglicher Verzicht auf die Revision eine Rolle gespielt habe. Man kann es aber auch sein lassen. Denn, wenn es so war, dann wären die Verteidiger aufgefordert, sich dazu öffentlich zu äußern.

Jedenfalls ist unverständlich, dass die Umstände, mit denen die Kammer die Annahme von Fluchtgefahr begründete, die offensichtlich schon während des Strafverfahrens vorlagen und der Angeklagte sich dem Verfahren trotzdem nicht entzogen hatte, ausgerechnet nach Urteilsverkündung ein Haftgrund sein sollten. Die U-Haft sollte wegen ihres belastenden Eingriffscharakters in der Regel die Ausnahme sein. Wer aber eine große Strafkammer von innen kennt, der weiß, dass sie die Regel und keine Ausnahme ist. 

Das OLG begründete die Fortdauer der U-Haft ausdrücklich, wie das Zitat von Max Mustermann belegt, mit der Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung. Eine gesetzliche Grundlage dafür ist mir nicht bekannt. Es wird zwar die Meinung vertreten, dass U-Haft auch der Sicherung der Strafvollstreckung diene. Das kann aber nur so gemeint sein, dass das Erkenntnisverfahren als Voraussetzung des Vollstreckungsverfahrens u.U. durch U-Haft gesichert werden soll. D.h. die Sicherung der Strafvollsteckung ist auf das Strafverfahren beschränkt und nur insoweit in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellen.

@Waldemar Robert Kolos

Der Sinneswandel der Kammer unter Vorsitz von Jörg Schmitt kann an dem Auftauchen eines Reisepasses mit einem China-Visum liegen. Die Kammer könnte sich (zu Recht oder zu Unrecht) belogen gefühlt haben. Das mag sie gar nicht. Schon in seiner mündlichen Urteilsbegründung hob Schmitt hervor, daß Middelhoff die Kammer belogen habe. Vielleicht ist das (behauptete) Lügen strafschärfend berücksichtigt worden.

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@ Oliver Garcia

An Lügen generell stört man sich nicht. In Geständnissen hat man nichts dagegen. Aber wenn "halsstarrige und verschlagene Verbrecher" sich durch "freche Lügen und Erdichtungen" oder "durch verstocktes Leugnen oder gänzliches Schweigen (...) der verdienten Strafe zu entziehen" glauben, dann gehören sie in Ungehorsamshaft. Dann sollen sie erst einmal den Knast von innen sehen. So was Dreistes kann man ihnen nicht durchgehen lassen. So etwas mögen einige Staatsanwälte und Richter überhaupt nicht. Das ist wahr.

(Zitat der Preußischen Criminalordnung von 1805 nach Lutz Eidam und Wessels)

@Max Mustermann
Gegen Hoeneß gab es einen Haftbefehl, der gegen eine Sicherheitsleistung von 5 Milionen € außer Vollzug gesetzt war. Von daher lag eine überraschende  "Saalverhaftung" eher fern.

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Zwei Mal hat nun der BSBD-NRW (Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands) Stellung genommen zum Fall Middelhoff.
Im ersten Artikel wird relativ sachlich darauf hingewiesen, dass die Suizidpräventionsmaßnahmen im Fall Middelhoff geltendem Recht und Gesetz entsprachen. Mit Folter habe das nichts zu tun.

http://www.bsbd-nrw.de/aktuelles/aktuelles-bsbd/401-was-geschah-mit-thom...

Die JVA Essen hat sich für die Beobachtung des Herrn Middelhoff in kurzen zeitlichen Abständen ohne technische Hilfsmittel entschieden, einer Maßnahme mit deutlich geringerem Eingriffscharakter als die Unterbringung im besonders gesicherten Haftraum. Was die konkreten Gründe für diese Entscheidung waren, wissen weder wir noch die Journalisten und Politiker. Die Einrichtung wird aber ihre Absichten mit dem Betroffenen erörtert und eine ärztliche Stellungnahme eingeholt haben, um dann eine Sachentscheidung zu treffen.

Selbstverständlich führt eine Beobachtung für den jeweils Betroffenen zu unvermeidbaren Einschränkungen, weil diese zwangsläufig mit Vitalkontrollen verbunden ist. Allerdings von permanentem Schlafentzug für die Dauer von 672 Stunden zu sprechen und Vergleiche mit Guantanamo anzustellen, wie es die Verteidiger Middelhoffs offenbar tun, geht an der Realität deutlich vorbei. Untersuchungsgefangene sind nicht zur Arbeit verpflichtet. Sie können auch während der Tagesstunden ruhen oder schlafen, ohne dass sie durch das Anschalten des Lichtes aus Anlass der Beobachtungen gestört werden.

Im zweiten Artikel wendet man sich mit starken Worten gegen Middelhoffs Anwälte und Renate Künast:

http://www.bsbd-nrw.de/aktuelles/aktuelles-bsbd/402-middelhoffs-taktisch...

Erst jetzt, unmittelbar vor einem weiteren Haftprüfungstermin, wird die JVA Essen durch die Verteidigung Middelhoffs mit Foltervorwürfen überzogen, um die zweifellos vorhandene Autoimmunerkrankung des Ex-Managers durch den medizinischen Nachweis seiner Haftunfähigkeit zu instrumentalisieren. Dies ist ein wahrlich taktischer Umgang mit den Fakten und der Wahrheit, der deutlich macht, dass für Middelhoff nur eines wichtig zu sein scheint: Dr. Thomas Middelhoff.

(...)

Richtig bedenklich ist aber die Berichterstattung der Medien, die bei der Ausübung ihrer Sorgfaltspflicht in diesem Fall einmal fünfe gerade sein ließen. Die Prominenz des Untersuchungshäftlings war offenbar zu verlockend, so dass man den Foltervorwurf der Verteidigung begierig aufgriff und medial verbreitete.

Noch gravierender aber war das Verhalten der Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Renate Künast (Grüne), die im Fall Middelhoffs Menschenrechtsverletzungen ausgemacht haben wollte. Wahrscheinlich war für eine vernünftige Recherche keine Zeit, als sie vermutlich durch Medienvertreter über den Foltervorwurf der Middelhoff-Anwälte informiert und um eine Stellungnahme gebeten worden war.

(...)

Die Kolleginnen und Kollegen in Essen haben sich, wie zwischenzeitlich immer deutlicher wird, an Recht und Gesetz gehalten. Man kann mit den gesetzlichen Regelungen, nach denen gehandelt worden ist, nicht einverstanden sein, dann muss man sich aber um eine Veränderung bemühen. Wer wüsste das besser als Renate Künast? Stattdessen aber die Strafvollzugsbediensteten als Menschenrechtsverletzter zu diffamieren, das geht gar nicht!

Die eigentliche Problematik kommt in  beiden Artikeln zu kurz.

 

 

 

@gaestchen

Würde man die Logik des OLG im Falle Middlehoff auf den Fall Hoenneß übertragen, dann wäre dort eine Saalverhaftung geradezu zwingend gewesen. 

Hoenneß konnte nicht nur mal eben 5 Millionen hinterlegen, sondern schien auch noch genug Luft zu haben kurzfristig eine Steuernachzahlung von 30 Millionen zu tätigen. Der Fluchtanreiz wäre wohl mehr als gegeben. Gerade wenn man sich vor Augen hält, wie dringend sich manche Schurkenstaaten danach sehnen eine Erfolgsgeschichte wie die des FC Bayern zu kopieren.

 

Es bleibt dabei, solche Vergleiche bringen nichts.

Festzuhalten ist, dass der Erlass des Haftbefehls schwer, bzw. gar nicht nachvollziehbar ist.

Herr García hat das als Verstoss gegen das Vertrauensprinzip juristsich konsequent und auch elegant herausgearbeitet.

Was die Suizidprophylaxe angeht, so wäre dieser schon gedient, wenn der Staat sich selber erst einmal "vernünftig" verhält und nicht groteske Lebenswirklichkeiten schafft, deren Aufarbeitung die Leidensfähigkeit der Betroffenen auf die Probe stellt.

 

Das Risiko eines Suizids verringert sich natürlich gewaltig, wenn einer "freiwillig" den Haftantritt vollzieht, als dass man ihn unter hahnebüchernen Überlegungen an den Ohren aus dem Gerichtssaal schleift.

 

Die Obhutspflicht bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung entfällt dann auch. Einen Kapitalverbrecher hat man im Falle Middlehoff ja nicht vor sich. Eher einen "Kapital"-Verbrecher.

 

Und da sind die Urteilsbegründungen, wie wir sie aus dem Fortdauerbescheid ersehen können, natürlich ein Witz für jeden verständigen Menschen.

Ein Schaden von 500`000 Euro verteilt auf 27 Fälle ist in der Relation eines Unternehmens wie arcondor nichts. Über solche Summen denkt man in den Vorstandsetagen nicht mal ernsthaft nach. Für so einen Kleinkram fehlt schlicht die Zeit.

 

Nun zu behaupten, man hätte  der Verantwortung für solch einen "Gescheiterten", dessen Probleme ganz wo anders zu lokalisieren sind, nur so gerecht werden können, über 21(!) Tage alle 15 Minuten das Licht anzumachen, ist leicht schräg.

Aber zu behaupten, man hätte ja nur Nachts das Licht angemacht, dafür tagsüber grosszügig darauf verzichtet, ist geradezu niveaulos.

 

Eines hat man bisher nämlich nicht gehört, dass eine fachliche Expertise in diesem Einzelfall zu dieser Massnahme geführt hat.

 

Sehr geehrter Herr Professor Müller,

Dass der BSBD-NRW (Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands) seine Mitglieder in Schutz nimmt, das ist nicht anders zu erwarten. Dass er aus der generellen Regelung für Suizidpräventionmaßnahmen auf den konkreten Einzelfall schließt, das ist auch nicht anders zu erwarten. Bemerkenswert daran aber ist, dass der BSBD-NRW überhaupt nicht darauf eingeht, ob es generell üblich sei, dass bei Durchführung der Maßnahmen der Häftling über ihre subjektive Wirkung angehört wird, ob er z.B. trotz der Maßnahmen ausreichend Schlaf finden konnte. Wie die Maßnahmen im konkreten Fall bei dem davon Betroffenen ankommen, scheint im Vollzug wohl generell niemanden zu interessieren. Das wäre aber nicht zu viel verlangt. Dafür braucht man kein Gesetz zu ändern. Das weiß nicht nur Frau Künast. Das sollte auch der BSBD-NRW wissen.

Wie einfach wäre es denn, bei maßlosen Vorwürfen der Verteidigung auf die während der Dauer der Maßnahme eingeholten und protokollierten Auskünfte des Betroffenen zu verweisen?

Besten Gruß

Waldemar Robert Kolos

Die Geschichte geht ja auch weiter.

100% sicher bin ich mir ja nicht, aber nehmen wir mal an, der BGH befleissigt sich Ende des Spätsommers das Urteil zu halten, dann hätte Middlehoff von seiner 3 Jahres Strafe ja schon fast ein Jahr konsumiert.

Regelmässig würde im ordentlichen Vollzug doch über Hafterleichterungen nachgedacht. Bspw. Hafturlaub und Freigängertum.

Wie soll denn das dann logisch gehen?

Erst wird jemand aufgrund erhöhter Fluchtgefahr ein Jahr in U-Haft festgesetzt und dann soll er als erstes Erleichterungen kriegen?

Geht doch gar nicht. Die aufrecht zu erhaltende Annahme, dass der Kerl gleich abhaut, wird durch ein rechtskräftiges Urteil ja gerade nicht perforiert, sondern zementiert.

Na an diesen Überlegungen werden die Gutachter Freude haben...

@Max Mustermann

 

Ganz richtig: Je nachdem, ob konkrete Anhaltspunkte für die Fluchtgefahr sprechen und weiterhin vorliegen, können sie auch der Lockerungseignung entgegenstehen (sog. Flucht- und Missbrauchsgefahr, vgl. § 11 Abs. 2 StVollzG-Bund; ist in den Landesgesetzen meist identisch geregelt). Angesichts der rigiden Haltung der Justiz halte ich den Offenen Vollzug im Fall Middlehoff keinesweigs für einen Selbstläufer - vielmehr eignet sich dieses Feld aufgrund der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung im Vollzugsverfahren wunderbar für Retourkutschen, die wegen der öffentlichen Foltervorwürfe nicht ganz fernliegend sind. Hat es alles schon gegeben...

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@ Max Mustermann @ Ein Leser

Die Übernahme der Fluchtgefahr aus dem Haftbefehl ist nicht möglich. Nach der wohl h.M. endet mit Rechtskraft des Urteils die U-Haft automatisch und der Haftbefehl wird gegenstandslos. Der dringende Tatverdacht entfällt und die Fluchtgefahr ("Strafverfahren"!) auch. 

Aber für Retourkutschen gibt es dennoch Spielraum genug. 

WR Kolos schrieb:

@ Max Mustermann @ Ein Leser

Die Übernahme der Fluchtgefahr aus dem Haftbefehl ist nicht möglich. Nach der wohl h.M. endet mit Rechtskraft des Urteils die U-Haft automatisch und der Haftbefehl wird gegenstandslos. Der dringende Tatverdacht entfällt und die Fluchtgefahr ("Strafverfahren"!) auch. 

Aber für Retourkutschen gibt es dennoch Spielraum genug. 

 

Ich habe nichts von einer Übernahme geschrieben. Für das Vollstreckungsverfahren gibt es § 457 Abs. 2 StPO. Und im Vollzugsverfahren ist die Fluchtgefahr ein Ausschlusskriterium für Lockerungen. Mag der rechtliche Maßstab unterschiedlich und der Zeitpunkt ein anderer sein, bleibt es aber dabei, dass Umstände wie ein etwaiger konkreter Fluchtplan auch im Vollzugsverfahren berücksichtigt werden. Die Gründe des Haftbefehls können daher schon rein tatsächlich die Gefahr einer Perpetuierung schaffen. Ich kenne einen Fall, in dem die besonderen Sicherungsmaßnahmen anlässlich des Erkenntnisverfahrens auch nach Rechtskraft des Urteils im Vollzug beinahe 15 Jahre beibehalten wurden... Da hat sich niemand die Mühe gemacht, das Fortbestehen der Gefahr erneut zu prüfen.

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@ Max Mustermann: solche Vergleiche bringen in der Tat nichts. Anders als von Ihnen behauptet, ist da überhaupt nichts vergleichbar. Middelhoff ist pleite und hat eine EV abgegeben, die Kaution kommt nicht aus eigenem Vermögen, er hat keine berufliche Perspektive in Deutschland, ist mit Wohnadresse im Ausland gemeldet und hat ein gültiges Visum für China. Hoeneß ist vermögend, die Kaution kam aus eigenem Vermögen, er hat eine berufliche Perspektive (eigene Wurstfabrik, Zusage des FC Bayern ihn nicht fallen zu lassen), wohnt in Deutschland (eigener Grundbesitz) und hatte keine Reisepläne ins Ausland. Ein größerer Gegensatz zu Middelhoff ist kaum denkbar.

Das Medienecho, wenn Middelhoff sich wie Pfahls damals nach Fernost abgesetzt hätte, kann man sich vorstellen. Jede Publikation hätte das China-Visum als Fluchtvorbereitung gewertet und dem Gericht Unfähigkeit oder gar Komplizenschaft vorgeworfen.

Folterqualifikation hängt nicht von Gesetzen ab, sondern von psychologischen Tatsachen

Alle 15 Minuten wecken, erlaubt keinerlei ungestört-notwendigen Schlaf und Traum. Das ist über einen längeren Zeitraum sachlich auch dann Folter, wenn ein Gesetz festlegt, dass es keine ist. Die Wirklichkeit ist nicht das, was Gesetze festlegen, sondern letztlich, im Streitfall, WissenschaftlerInnen feststellen, wenn dazu der gesunde Menschenverstand nicht reicht.

Solche Maßnahmen sind überdies uneignet und daher nicht sinnvoll, weil der Siuzidwillige ja nur abzuwarten braucht, bis das Licht wieder aus ist, die Luke geschlossen, um dann zur Tat zu schreiten.

Ich wundere mich, dass bei der allgemeinen Gutachtenwut, noch keine eingeholt wurden. Ist ja rechtlich kein Problem: man beauftragt so lange, bis das gewünschte Ergebnis dabei ist, und das wählt man dann aus, auch 11 wenn es sein muss: http://www.sgipt.org/politpsy/recht/KapRech0.htm#Verfahrenseinstellungen

So was nennt man Rechtsstaat.

 

Der Pass mit dem Chinavisum wird (kann) als Haftgrund gesehen (werden)!?

Und in einem solchen Fall ist dann U-Haft die geeignete Maßnahme, um eine eventuelle Flucht zu verhindern? 

Pass abgeben wäre zu teuer, zu umständlich?

 

Aha. 

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@ Ein Leser

Danke für Ihre detaillierte Erklärung. Daran erkennt man jetzt deutlich besser, dass die Annahme von Fluchtgefahr wegen der scharfen Trennung im Gesetz (112 II 2, 457 II StPO und 11 II StVollzG) mit der Unschuldsvermutung noch vereinbar sein kann. Faktisch aber ist diese Trennen aufgehoben, weil die Attestierung der Fluchtgefahr für das Strafverfahren zugleich schon eine negative Vorentscheidung über Vollzugslockerung ist, die wiederum in Rückkopplung eine Begründung für Fluchtanreiz liefert. Damit erklärt sich auch, warum das OLG seiner Fortdauerentscheidung eine noch zu verbüßende Haft von 20 Monaten zugrunde legt und mit keinem Wort auf grundsätzlich mögliche Vollzugslockerung eingeht.

http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/...

 

Unter dem Deckmäntelchen "Suizidprophylaxe" wird so manche Folter in deutschen Gefängnissen betrieben. Dazu gehören auch Demütigungen, wie die Wegnahme der Kleidung als "Suizidprophylaxe". Beschämend, dass die deutsche Justiz nicht einmal erkennt, wie hiermit die Grundrechte mit Füßen getreten werden. Ausnahmsweise hat das Bundesverfassungsgericht hier einmal klare Worte gefunden. Und die Kasseler Richter zutiefst beschämt.

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Die Vollzugsbeamten hätten alle 15 Minuten eine Sichtluke geöffnet und das grelle Neonlicht angeschaltet. Bei jeder Kontrolle habe Middelhoff ein "Lebenszeichen" abgeben müssen. Entweder sei dies das "Heben des Kopfes oder eines Armes" gewesen (...)

Exakt so kenne ich das von den Berichten Inhaftierter. Das ist doch absoluter Standard in Deutschland, keine Sonderbehandlung gegen Herrn Middelhoff. Seit Jahren auch bekannt, bisher hat sich noch niemand darüber aufgeregt. Außer diesem empfindsamen Herrn Middelhoff. Und Frau Künast fällt voll auf ihn herein.

/Zynismus und Ironie Ende.

 

0

Ich habe bisher ungeprüft angenommen, dass die Suizidprophylaxe gesetzlich geregelt sei, d.h. dass für die Anordnung der besonderen Sicherungsmaßnahmen der Verdacht einer abstrakten Gefahr für Selbstverletzung ausreichend sei. So habe ich jedenfalls die bisherigen Stellungnahmen verstanden, u.a. auch die des BSBD-NRW, da von abstraktem Sachverhalt die Rede ist, der sich aus allgemeiner oder möglicherweise auch fachkundiger Erfahrung ergibt:

Für jeden Menschen ist eine Inhaftierung mit der einschneidenden Veränderung der individuellen Lebensumstände verbunden. Menschen, die im fortgeschrittenen Alter mit der "Welt hinter Gittern" konfrontiert werden und deren bislang als sicher empfundene Lebenswirklichkeit aus den Angeln gehoben wird, reagieren auf eine Inhaftierung meist überaus sensibel. Dies gilt besonders für die Untersuchungshaft, in der sich Dr. Middelhoff bis gestern befand. Es ist eine vielfach belegte Erfahrung von Vollzugspraktikern, dass gerade solche Gefangene, deren berufliches, finanzielles und soziales Umfeld wegbricht, in der besonderen Gefahr stehen, eine Lebensbilanz zu ziehen und dann zum Suizid neigen, wenn diese Bilanz für sie nach ihrer subjektiven Einschätzung negativ ausfällt.
[...]
Beobachtungen werden als Maßnahmen mit minderschwerem Eingriffscharakter relativ häufig angeordnet. Die Maßnahmen der Suizidprophylaxe sind gesetzlich zulässig und können in jedem Einzelfall gerichtlich überprüft werden.

http://www.bsbd-nrw.de/aktuelles/aktuelles-bsbd/401-was-geschah-mit-thom...

 

Nach einem Blick ins Gesetz kann man darüber zweifeln, ob eine abstrakte Gefahr für die Anordnung von besonderen Sicherungsmaßnahmen im Strafvollzug von der Ermächtigungsgrundlage des § 69 StVollzG und in Untersuchungshaft von der Ermächtigungsgrundlage des § 42 UVollzG NRW gedeckt sein kann.

StVollzG - NRW:

§ 69
Besondere Sicherungsmaßnahmen
(1) Gegen Gefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem Verhalten oder auf Grund ihres seelischen Zustandes in erhöhtem Maße die Gefahr ... der Selbstverletzung besteht.

(2) Als besondere Sicherungsmaßnahmen sind zulässig: 

2. die Beobachtung von Gefangenen, auch mit technischen Hilfsmitteln,

 

UVollzG NRW:

§ 42 Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Gegen Untersuchungsgefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden,.... Besondere Sicherungsmaßnahmen sind insbesondere ... zur Verhinderung von Selbstverletzungen zulässig.

(2) Besondere Sicherungsmaßnahmen sind:

2. die Beobachtung von Untersuchungsgefangenen, auch mit technischen Hilfsmitteln,

 

Der Strafvollzug regelt die konkrete Gefahr ("wenn nach ihrem Verhalten oder auf Grund ihres seelischen Zustandes in erhöhtem Maße die Gefahr") und der Untersuchungsvollzug regelt überhaupt keine Gefahrenlage. Besondere Sicherungsmaßnahmen können zur Verhinderung von Selbstverletzungen angeordnet werden. Können! Das ist alles! Aber kann denn diese auf Kann reduzierte Ermächtigungsgrundlage für besondere Sicherungsmaßnahmen in Untersuchungshaft noch mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot (Art. 20 III GG) vereinbar sein?

 

Ergänzend (Hervorhebung von mir):

UVollzG NRW:

§ 42 Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Gegen Untersuchungsgefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden,  wenn eine erhebliche Störung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht auf andere Art und Weise vermieden oder behoben werden kann. Besondere Sicherungsmaßnahmen sind insbesondere ... zur Verhinderung von Selbstverletzungen zulässig.

Die Ermächtigungsgrundlage des § 42 UVollzG NRW stellt also nicht auf eine Gefahr, sondern auf eine Störung ab. Die Gefahr muss sich demnach bereits verwirklicht haben. Der Schaden für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt durch Selbstverletzung muss also bereits eingetreten sein. Die Anordnung einer besonderen Sicherungsmaßnahme ist dennoch insofern eine Präventivmaßnahme als weitere Selbstverletzungshandlungen verhindert werden sollen. Voraussetzung aber ist, dass der Untersuchungsgefangene eine Selbstverletzungshandlung bereits vorgenommen hat.

Sehr geehrter Herr Kolos, 

wäre Ihre Interpretation des § 42 UVollzG NRW zutreffend, müsste vor einer suizidpräventiven Sicherungsmaßnahme immer erst ein Suizidversuch abgewartet werden. M. E. lässt das Ermessen im Zusammenhang mit der gesetzlichen Funktionszuweisung, es solle eine "Störung vermieden" werden, durchaus  zu, bei konkreten Anhaltspunkten im Einzelfall präventive Sicherungsmaßnahmen einzuleiten, bevor sich eine Gefahr verwirklicht hat. Ob dies im Fall Middelhoff richtig entschieden wurde (sowohl was den Beginn, als auch was die Art und Weise der Sicherungsmaßnahme, als auch, was die Dauer über 30 Tage angeht), steht  allerdings zur Debatte. Und hinsichtlich der 15-minütigen Lebendkontrolle als eine Art Standardmaßnahme gilt dies auch in den vielen Fällen, in denen andere Gefangene betroffen sind.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Professor Müller,

bei Störung stellt sich immer die Frage der Vermeidbarkeit. Ist eine Schädigung eines Schutzgutes eingetreten und kann diese weder beseitigt werden noch ist weitere Schädigung möglich oder zu erwarten, dann bedarf es keiner Präventivmaßnahme. Der NRW-Landesgesetzgeber umschreibt damit also nur eine stets mit einer Störung erforderliche Bedingung. 

Natürlich kann man sich fragen, ob die Haftanstalt wirklich erst abwarten muss, dass der Untersuchungshäftling einen Suizidversuch vornimmt und damit scheitert. M.E. lässt aber der Gesetzeswortlaut und die Unterscheidung zwischen Gefahr und Störung im Recht der Gefahrenabwehr keine andere Auslegung zu. Wäre Ihre Auslegung zutreffend, dann wäre der Unterschied zwischen Gefahr und Störung aufgehoben. Dann stellte sich auch die Frage, warum der Landesgesetzgeber nicht den Wortlaut der Eingriffsermächtigung aus dem Strafvollzug (§ 69 StVollzG-NRW) übernommen habe, so wie das einige andere Bundesländer getan haben. Denn darauf läuft Ihre Auslegung ja hinaus.

Besten Gruß

Waldemar Robert Kolos

@Waldemar Robert Kolos

Der Gesetzeswortlaut von § 42 UVollzG NRW ist klar: "erhebliche Störung der Sicherheit oder Ordnung ... vermieden oder behoben werden kann." Das Vermeiden der Störung ist die Abwendung der Gefahr.

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@OGarcia

Ja, aber doch für einen noch nicht eingetretenen Schaden. Der bereits eingetretene Schaden, der bei einer Störung zwingend erforderlich ist, lässt sich in der Regel nicht mehr abwenden.

Wenn z.B. die Polizei wegen Lärmbelästigung gerufen wird, die in der Nacht von der lauten Musik einer Party ausgeht und die Lautsprecher sicherstellt, dann wird sie dadurch die bereits eingetretene Lärmbelästigung nicht mehr abwenden können. Eine Sicherstellung wird auch nicht mehr erforderlich sein, wenn sich bei Eintreffen der Polizei die Party aufgelöst hat und die Gastgeber bereits im Bett liegen.

Sehr geehrter Herr Kolos,

Sie haben ja Recht, dass im Verwaltungsrecht/Polizeirecht normalerweise streng zwischen "Gefahr" und "Störung" unterschieden wird.  Aber in Satz 2 der Norm (den Sie unvollständig zitieren!) ist ja nun ausdrücklich auch von "Gefahr" die Rede. Hier einmal vollständig:

§ 42 Besondere Sicherungsmaßnahmen

(1) Gegen Untersuchungsgefangene können besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden, wenn eine erhebliche Störung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt nicht auf andere Art und Weise vermieden oder behoben werden kann. Besondere Sicherungsmaßnahmen sind insbesondere zur Abwehr der Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen sowie zur Verhinderung von Selbstverletzungen zulässig.

Wir haben also eine Unklarheit. In Satz 1 ist allgemein vorgesehen, dass erst eine Störung vorliegen muss. Satz 2 geht offenbar darüber hinaus, oder wie soll dieser Satz sonst verstanden werden? Da jedenfalls eine Auslegung erforderlich ist, würde ich die Norm so auslegen, dass schon die (konkrete) Suizidgefahr Maßnahmen gestatten soll und man nicht erst einen Suizidversuch abwarten muss.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Sehr geehrter Herr Professor Müller,

es ist auch nicht so, dass mir das Ergebnis Ihrer Auslegung nicht gefallen würde. Es erscheint mir sogar sinnvoller. Nur weiß ich nicht, wie ich am Wortlaut vorbei dahin kommen soll.

Ich habe die Vorschrift deswegen unvollständig zitiert, weil nach meinem Verständnis sich die Gefahrenabwehr nur auf  "Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen" beschränkt und eben nicht auf "Selbstverletzungen".

Besten Gruß

Waldemar Robert Kolos

@ Waldemar Robert Kolos: wenn Sie die Abwehr von Gefahren rausstreichen, bleibt immer noch Folgendes übrig:

Besondere Sicherungsmaßnahmen sind insbesondere […] zur Verhinderung von Selbstverletzungen zulässig.

@Mein Name
Ja, so lese ich den Satz auch. Dabei liegt die Betonung auf "insbesondere". Also kann es sich nur um eine Konkretisierung des 1. Satzes handeln. 

Wollte man den 2. Satz so und unabhängig von dem 1. Satz lesen, dann müsste man das erklären und man müsste noch die Vereinbarkeit mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot erklären, die sehr problematisch, wenn nicht unmöglich sein dürfte.

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