Arbeitsgericht Aachen: Die Vergütung von Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst ist mit dem Mindestlohngesetz vereinbar

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 10.05.2015

Es dürfte sich um eine der ersten (vielleicht die erste) Entscheidung handeln, die sich zu dem seit Anfang des Jahres geltenden Mindestlohngesetz (MiLoG) verhält. Gemeint ist das Urteil des ArbG Aachen vom 21.4.2015, Az.: 1 Ca 448/15h (Pressemitteilung). Zu entscheiden war über folgenden Sachverhalt: Die beklagte Arbeitgeberin betreibt den Rettungsdienst in einem Landkreis. Der klagende Arbeitnehmer ist seit 2001 in diesem Unternehmen beschäftigt, auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes, TVöD-V, Anwendung. Der Arbeitnehmer erhält eine tarifliche Monatsgrundvergütung in Höhe von 2.680,31 EUR nebst Zulagen. Die tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt regelmäßig 39 Wochenstunden. Für Tätigkeiten im Rettungsdienst gilt die Besonderheit, dass Bereitschaftszeiten anfallen können, die nur zur Hälfte als tarifliche Arbeitszeit angerechnet werden. Dabei darf die Summe aus Vollarbeits- und Bereitschaftszeiten insgesamt durchschnittlich 48 Wochenstunden nicht überschreiten. Bereitschaftszeiten sind tarifvertraglich definiert als Zeiten, in denen sich der Arbeitnehmer an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit aufnehmen zu können und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen. Der klagende Arbeitnehmer vertrat nun die Auffassung, dass die tariflichen Regelungen des TVöD zur Vergütung von Bereitschaftszeiten nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes unzulässig geworden seien und ihm für jede Stunde Bereitschaftszeit eine zusätzliche Vergütung von 8,50 EUR zu zahlen sei. Demgegenüber vertrat die Arbeitgeberin die Meinung, durch die tarifliche Monatsgrundvergütung sei auch die Bereitschaftszeit abgegolten. Das ArbG Aachen schloss sich der letztgenannten Ansicht und verneinte einen Anspruch auf Zahlung weiterer Vergütung für Bereitschaftszeiten. Die tarifvertragliche Vergütungsregelung verstoße nicht gegen das Mindestlohngesetz. Selbst wenn entsprechend der Ansicht des Arbeitnehmers Bereitschaftszeiten wie Vollarbeitszeit zu vergüten wäre, wäre er nach der tarifvertraglichen Regelung maximal verpflichtet, 48 Stunden pro Woche und damit 208,7 Stunden pro Monat zu leisten. Die hierfür nach dem Mindestlohngesetz in Höhe von 8,50 EUR pro Stunde zu zahlende Vergütung würde 1.773,95 EUR (208,7 Stunden x 8,50 EUR) betragen. Diese werde bei einer Monatsgrundvergütung von 2.680,31 EUR gezahlt und überschreite damit die Vergütung nach dem gesetzlichen Mindestlohn. Die Entscheidung erscheint plausibel. Von einer grundsätzlichen Stellungnahme zur Bewertung von Zeiten des Bereitschaftsdienstes konnte die Kammer indes absehen. Im Schrifttum werden Zeiten des Bereitschaftsdienstes (nicht hingegen der Rufbereitschaft) als Arbeitszeit im Sinne der Stundenlohnvorgabe des § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG angesehen mit der Folge, dass auch insoweit der Mindestlohn bezahlt werden muss. Umstritten ist allerdings, ob sich eine grundsätzlich mögliche – und im vorliegenden Fall ja auch erfolgte - abweichende tarif- oder arbeitsvertragliche Regelung auch auf die Anerkennung als mindestlohnrelevante Arbeitszeit erstreckt (befürwortend ErfK-Franzen, § 1 MiLoG Rdnr. 5; ablehnend BeckOK-Greiner, § 1 MiLoG Rdnr. 73).

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