Ein Eigentor

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 13.05.2015
Rechtsgebiete: Familienrecht17|6567 Aufrufe

Wie unausgegoren die Neuregelung des vereinfachten Verfahrens zur Erlangung der elterlichen Mitsorge gemäß § 155 a III FamFG ist, zeigt m.E. beispielhaft der folgende Fall.

Der Vater beantragt die Mitsorge für sein nichteheliches Kind. Seiner Antragsschrift ist zu entnehmen, dass es in der Vergangenheit bereits zu Auseinandersetzungen der Kindeseltern über die gemeinsame Sorge für das Kind gekommen ist und die Kindesmutter die gemeinsame Sorge für das Kind ablehnt. Außerdem finde zwischen den Eltern schon nach dem Vortrag in der Antragsschrift kein Dialog über das Kind statt. So heißt es in dem Antrag, die Kindesmutter „weigere“ sich bisher, das Kind betreffende Fragen mit dem Kindesvater abzusprechen. Es ist von „Blockadehaltung“ der Kindesmutter die Rede, die durch eine praktizierte gemeinsame Sorge sich „auflösen“ werde.

Gleichwohl hat das FamG das vereinfachte Verfahren gewählt und ohne mündliche Anhörung der Beteiligten und des Kindes die gemeinsame elterliche Sorge angeordnet.

Die Beschwerde der Mutter führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Abgesehen davon, dass das FamGericht einen Schriftsatz der Mutter unberücksichtigt gelassen hat, kritisiert das OLG, dass bereits der Inhalt der Antragsschrift gegen die Durchführung des vereinfachten Verfahrens spreche. Bereits aufgrund der Ausführungen in der Antragsschrift ist ohne weitere Nachforschungen erkennbar, dass Gründe vorliegen, die der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen könnten.

OLG Bremen v. 01.04.2015 – 4 UF 33/15

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17 Kommentare

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Ohne Familienrechtler zu sein sieht mir das eher nach einem Fall unausgegorener Rechtsanwendung aus. Da der § 155a IV FamFG vom FamG nicht hinreichend berücksichtigt wurde, ist die gesetzliche Regelung doch ausreichend.

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"Unausgegoren" ist ein eigentümliches Wort im Zusammenhang mit dem Sorgerecht.

Kinder sind i.d.R. 18 Jahre lang unter dem "Schirm des Sorgerechts" und der Elternverantwortung.

Keine Frage, dass es Eltern gibt, die ihre Pflichten nicht kindeswohldienlich ausüben.

Bei Kindeswohlgefährdung muss der Staat regulierend und sichernd eingreifen. Das ist klar. Aber eben auch nur dann.

Das Sorgerecht zur staatlichen Vorwegbeschränkung von grundrechtlich geschützten Elternrechten und für die Regulierung außerfamiliärer Interessen zu nutzen, ist fragwürdig bis verwerflich.

Der EGMR musste schon mehrfach in dieses "Eingreifen des deutschen Staates" eingreifen, was das BVerfG zuvor mehrfach ablehnte.

Das BVerfG entwickelt mit einem Zeitversatz zur gesellschaftlichen Wirklichkeit von mehreren Jahren oder sogar Dekaden neue Erkenntnisse und Anforderungen zum Umgang der Justiz mit Familiensachen. Erinnert sei nur daran, dass die gesetzliche Elternzeit für unverheiratete Väter seit ca. dem Jahr 2000 genutzt wird, dem Betreuenden aber erst seit 2010 das Grundrecht und seit 2013 gesetzlich ein eigenständiges Recht auf Sorge zuerkannt wurde. Auch das zunächst nur formal und mit den Einschränkungen, die der Artikel hier aufzeigt.

Der Gesetzgeber folgt dem BVerfG also wiederum mit mehrjährigem Zeitversatz und die Richter an AG bis OLG passen über Jahrzehnte ihre eigenen Auslegungen an.

Es müsste eigentlich irgendwann mal ein funktionierendes Familienrecht entstehen, wenn alle nur das Beste für die Kinder wollen. Verbindliche, faire und kindeswohldienliche Regeln.

Nun. Die einfache Ablehnung der gemeinsamen Sorge durch die Mutter wurde ersetzt durch die "Notwendigkeit", die Kommunikation genau soweit zu belasten, dass weder ein gemeinsames Sorgerecht, noch ein Entzug der Alleinsorge zustande kommt. Das ist viel Futter für Kanzleien, juristischen und sozialpädagogischen Sachverstand und schafft Bedarf für die institutionelle Kindeswohlsicherung. Denn eine Kindeswohlgefährdung ist dann ja sicher. Damit sind dann alle staatlichen Optionen offen, um in jede Richtung eingreifen zu können. Und das, obwohl die Jugendämter bereits mit den "echten" Fällen überlastet sind.

Da wird gesellschaftlicher Fortschritt zum juristischen Rückfallzieher umfunktioniert, der letztlich familiäre Konflikte verschärft und eher die Gebührenkasse der Juristen füllt.

Was Juristen und Juristen als Politiker also unter Familienrecht verstehen, kann man in dieser Rechtspraxis bewundern.

Gegorenes zum Kindeswohl?

Wohl eher Prost auf die Selbstzufriedenheit und Geschäftstüchtigkeit.

 

 

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Zu Recht hebt Herr Burschel "könnten" hervor. Genau darauf kommt es im schriftlichen Verfahren an. Fehlende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern kann der Übertragung des Sorgerechts entgegenstehen, muss aber nicht. Wird sie aber bekannt, dann kann die Entscheidung nicht mehr im schriftlichen Verfahren erfolgen. Ist doch klar. Der Familienrichter muss in diesem Fall nachforschen, wo konkret die Ursache dafür liegt. Auch wird er den Eltern Mühen und Anstrengungen abverlangen dürfen, "um im Bereich der elterlichen Sorge zu gemeinsamen Lösungen im Interesse des Kindes zu gelangen" (Materialien). Dafür ist das schriftliche Verfahren nicht geeignet. Das heißt aber nicht, dass der Antrag deswegen unbegründet ist. Es wird nur in einem anderen Verfahren darüber entschieden.

Wenn man allein auf die vom Antragsteller genannte "Blockadehaltung" der Mutter abstellt, dann ist das allein kein Grund, der einer Übertragung des Sorgerechts entgegen stehen könnte. Zwar könnte man die einseitige "Blockadehaltung" grundsätzlich unter fehlende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern fassen. Soweit ich mich noch sinngemäß an die Gesetzesmaterialien erinnern kann, sollten gerade offensichtlich einseitige Blockadehaltungen der Mutter schon im schriftlichen Verfahren der Übertragung nicht entgegenstehen.

Wenn der Antragsteller aber schreibt, dass " in der Vergangenheit bereits zu Auseinandersetzungen der Kindeseltern über die gemeinsame Sorge für das Kind gekommen" sei, dann könnte darin möglicherweise schon etwas mehr stecken, als nur bloße "Blockadehaltung". Das OLG dürfte das jedenfalls so gesehen haben.

Die Ausführungen des Antragstellers beschreiben lediglich die Probleme die sich daraus ergeben, dass er eben NICHT am Sorgerecht teil haben darf.

Probleme, die sich aus der Ausübung des GSR ergeben, kann es noch gar nicht geben, da dieses eben noch nicht ausgeübt wird.

 

Und nach dem Willen des Gesetzgebers ist eben NUR ins mündliche Verfahren einzutreten, wenn die MUTTER Gründe gegen das GSR vorträgt. Das hat sie hier aber nicht getan.

Wenn also etwas unausgegoren ist, dann der Standpunkt des OLG Bremen.

 

 

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Gast schrieb:

 

Und nach dem Willen des Gesetzgebers ist eben NUR ins mündliche Verfahren einzutreten, wenn die MUTTER Gründe gegen das GSR vorträgt. Das hat sie hier aber nicht getan.

 

 

ich glaube, Sie irren sich

 

155a

  (4)  1Werden dem Gericht durch den Vortrag der Beteiligten oder auf sonstige Weise Gründe bekannt, die der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, gilt § 155 Absatz 2 mit der Maßgabe entsprechend, dass der Termin nach Satz 2 spätestens einen Monat...

 

@Lutz Lippke

In der Tat kann offensichtliche und einseitige Blockadehaltung sogar im mündlichen Verfahren ein unlösbares Problem sein. Gegen Sturheit und Beratungsresistenz ist eben kein Kraut gewachsen. Gemeinsamkeit - ein unverzichtbares Element des gemeinsamen Sorgerechts - lässt sich eben nicht verordnen. Egal, was der Gesetzgeber und die Gerichte dafür auch unternehmen, schließlich bleibt es nur bei einem Appell. Mündlichkeit verspricht dabei aber die größere Wirkung. Gibt es Anhalt dafür, dass die Gemeinsamkeit problematisch sein könnte, dann macht es keinen Sinn, das Sorgerecht im schriftlichen Verfahren auf Biegen und Brechen zu ändern. 

Es war nicht schon immer so, dass Eltern sich auf gemeinsames Sorgerecht überhaupt einigen durften. Scheidungseltern konnten sich (noch in den 80ern) nur darauf einigen, wer von beiden das Sorgerecht übernahm. Die Wende brachte das BVerfG. Das BVerfG hielt die Möglichkeit des gemeinsamen Sorgerechts für den Fall, dass die Eltern sich darüber einig waren, verfassungsrechtlich für geboten. Nachbesserung des Gesetzgebers folgte. Die Wende für nicht verheiratete Eltern brachte bekanntlich vor wenigen Jahren der EGMR. Dieser monierte die fehlende Möglichkeit für die Mitsorge der Väter ohne ausdrückliche Zustimmung der Mütter. Auch darin besserte der Gesetzgeber nach. Diese Entwicklung ändert aber nichts daran, dass für die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit in der Kommunikation erforderlich ist.

Es gibt einen Teilbereich des gemeinsamen Sorgerechts, der auch bei fehlender Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft ausgeübt werden kann. Das ist das Informationsrecht. Dies wird leider immer noch zu häufig übersehen. Gerade in problematischen Fällen von Halsstarrigkeit sollte man vielleicht schon im Vorfeld überlegen, ob das nicht der geeignete Einstieg in das gemeinsame Sorgerecht sein könnte. Die Erfolgsaussichten im vereinfachten Verfahren für einen Antrag auf Übertragung des direkten Informations- und Auskunftsrechts als Teil der elterlichen Sorge dürften in der Regel ungleich größer sein.

Vielleicht ist Herr Burschel so freundlich und teilt uns seine Ansicht und Erfahrung zu solchen Anträgen mit.

Sehr geehrter Herr Kolos,

seit meinen Erfahrungen mit der Justiz bin ich ein Freund der überlegten, konkreten Sprache, die ich dort so misse. Wenn Sie "unlösbares Problem" schreiben, dann meinen sie lösbar nur im eigentlich bevorzugten Sinne der Richter. Es ist faktisch ein Freibrief für beliebiges Entscheiden. Ich kenne auch keinen beteiligten Richter, der irgendwelche Beratungsfähigkeiten hätte oder anwenden wollte. Es wurde im konkreten Fall vom Kammergericht sogar explizit abgelehnt, sich mit Ursachen und möglichen Abhilfen zu beschäftigen.

Es reichte im Prinzip die inhaltsleere Floskel das "für die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit in der Kommunikation erforderlich ist", um weitreichende Entscheidungen zu treffen und "Kontinuität" steht offensichtlich allein für das, was das Gericht nicht ändern muss. Also jedenfalls steht es nicht für die Lebenszeit der Kinder vor und nach einer Entscheidung.

Haben Sie denn für diese "Kernthesen" des üblichen familiengerichtlichen Sorgeentscheidungsmodells irgendwelche belastbaren Merkmale oder Kennwerte? Was ist das "Mindestmaß an Gemeinsamkeit in der Kommunikation"? Warum sollte das Grundrecht auf Teilbereiche der Sorge, die nicht den unmittelbaren Alltag betreffen, von vornherein und ohne konkrete und an Tatsachen orientierter Begründung solchen Floskeln zum Opfer fallen?

Die Bezüge zu vergangenen Zeiten sind irrelevant, da sich die Lebensverhältnisse seither massiv verändert haben. Wer Kinder und Eltern auf "früher" verweist, hat im Familienrecht eigentlich nichts zu suchen. Es geht dabei auch nicht darum, ob es früher besser war oder schlechter. Das Familienrecht hat sich an den konkreten Realitäten der Familien zu orientieren. Sturheit und Beratungsresistenz ist z.B. ein Mittel, das häufiger erst im Streitfall von einer Seite zweckgerichtet eingesetzt wird, um angemessene Entscheidungen entbehrlich zu machen. 

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Sehr geehrter Herr Lippke,

Sie schreiben:

Was ist das "Mindestmaß an Gemeinsamkeit in der Kommunikation"? Warum sollte das Grundrecht auf Teilbereiche der Sorge, die nicht den unmittelbaren Alltag betreffen, von vornherein und ohne konkrete und an Tatsachen orientierter Begründung solchen Floskeln zum Opfer fallen?

Es ist das, was der BGH unter "tragfähige soziale Bindung" versteht. Darunter fällt u.a. die gegenseitige Wertschätzung, das gegenseitige Vertrauen, Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft, um auch in Konfliktlagen untereinander und mit dem Kind im Einvernehmen diejenigen Entscheidungen zu finden, die für das Kind das Beste sind.

Bei der Pflege und Erziehung ... Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an. (1626 II BGB)

Sie schreiben:

Das Familienrecht hat sich an den konkreten Realitäten der Familien zu orientieren. 

Etwas konkreter gehts schon:

§ 1697a
Kindeswohlprinzip

Soweit nichts anderes bestimmt ist, trifft das Gericht in Verfahren über die in diesem Titel geregelten Angelegenheiten diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Sie schreiben:

Wer Kinder und Eltern auf "früher" verweist, hat im Familienrecht eigentlich nichts zu suchen. Es geht dabei auch nicht darum, ob es früher besser war oder schlechter.

Sie übersehen dabei die maßgebliche Bedeutung des Kindeswohlprinzips in der Entwicklung des Sorgerechts. Dem Vater die Teilhabe an der elterlichen Sorge zu verweigern war deswegen verfassungswidrig, weil das Kindeswohlprinzip nicht berücksichtigt wurde, sondern ausschließlich die Zustimmung der Mutter.

Das ist jetzt anders.

Sie schreiben:

Sturheit und Beratungsresistenz ist z.B. ein Mittel, das häufiger erst im Streitfall von einer Seite zweckgerichtet eingesetzt wird, um angemessene Entscheidungen entbehrlich zu machen. 

Das ist nur zum Teil richtig. Wenn Sie von einer angemessenen Entscheidung sprechen, dann kann damit nur eine am Kindeswohl gemessene Entscheidung gemeint sein. Die Übertragung der Mitsorge an den Vater nach Antrag ist kindeswohlwidrig, wenn eine "tragfähige soziale Bindung" fehlt und daher nicht zu erwarten ist, dass die Eltern im gegenseitigen Einvernehmen und im Einvernehmen mit dem Kind - ohne Streit - diejenige Entscheidung finden werden, die für das Kind das Beste ist. Mag auch die "tragfähige soziale Bindung" nur an der Halsstarrigkeit der Mutter scheitern und mag ihr auch fehlende Bindungstoleranz vorzuwerfen sein, so dürfen ihre Verfehlungen gleichwohl nicht zu Lasten des Kindeswohls gehen. Natürlich leiden die betroffenen Väter darunter - das will ich keineswegs kleinreden. Aber sie leiden, damit das Kind nicht leiden muss. 

Sie schreiben:

Wenn Sie "unlösbares Problem" schreiben, dann meinen sie lösbar nur im eigentlich bevorzugten Sinne der Richter. 

Nein. Beratungsresistente Halsstarrigkeit der Mutter kann ein "unlösbares Problem" für die Vereinbarkeit von Mitsorge des Vaters und dem Kindeswohl sein. Wenn sie so wollen: Lösbar im Sinne des Kindeswohls und unlösbar im Sinne der Mitsorge. 

Sehr geehrter Herr Kolos,

mir ist das Supergrundrecht "Kindeswohl" aus der üblichen Argumentation bekannt. Nur fehlen mir sowohl die formal-juristischen als auch die inhaltlichen, logischen Quellen dazu.

Zunächst sind natürlich Kinder zu fördern und zu schützen. Das ist zuallererst Pflicht und Recht der Eltern. Nicht nur der verheirateten Eltern oder dazu noch der geschiedenen Eltern oder noch mal dazu der verlobten, zusammenlebenden, immer ausgeglichenen, aus dem Bildungsbürgertum stammenden, Juristenelternpaare oder welch einschränkende Erweiterung man noch finden möge, sondern DER ELTERN DES KINDES / DER KINDER.

Weder der BGH noch das BVerfG haben das übergeordnete Recht die Art dieser Pflichtausübung vorab zu definieren oder vorab einzuschränken. Deswegen wurde den deutschen Familienrechtlern vom EGMR jahrelange Grundrechtsverletzungen attestiert und Deutschland musste den nach langem Leidensweg beim EGMR erfolgreichen Geschädigten Schadenersatz leisten. Nichts von wegen Kindeswohl geschützt. Um das mal zu erwähnen.

Zuallererst muss also eine Kindeswohlgefährdung festgestellt werden, bevor der Staat überhaupt über die soziale Beziehung der Eltern nachdenken oder sogar in die elterlichen Grundrechte eingreifen darf. Dann müssen Bedingungen definiert werden, die diese Gefahr abwenden könnten. Dazu ist neben der konkreten Feststellung der Gefährdung, eine Ursachenermittlung unabdingbar. Eine Endentscheidung zum Sorgerecht ohne Ursachenermittlung ist regelmäßig sowohl kindeswohlgefährdend als auch grundrechtsverletzend. Es wird daher sicher zu weiteren EGMR-Fällen kommen und wieder werden die deutschen Familienrechtler aller Instanzen der Missachtung des Grundgesetzes überführt werden. Natürlich werden die gleichen Kandidaten hinterher auch wieder die "neuen" Praxis-Regeln definieren. Das ist ja im deutschen Recht so angelegt.

Ihre ganzen Definitionen der "tragfähigen sozialen Bindung" kehren die Sache faktisch um. Konfliktlagen wären demnach per Definition eigentlich schon ausgeschlossen. Es hieße nämlich jeder Streit, jedes Misstrauen, jede Blockade, jeder Fehlgriff ob real oder behauptet, könnte das elterliche Grundrecht außer Kraft setzen und selbst bei einer alltäglichen Situation einen Super-Entscheidungsvorbehalt zum Grundrecht an ihre "ehrenwerten" Institutionen übertragen. Das elterliche Grundrecht hätte faktisch keinen eigenen Wert, es sei denn, die Familie verhält sich mucksmäuschenstill, was gerade bei gravierenden Gefährdungen in Familien häufiger vorkommt, als ein offener Streit.  

Die derzeitige gesetzliche Lage bei Unverheirateten ist genau deshalb schon problematisch, weil man die Fälle, wo bei Geburt des Kindes noch unklar ist, ob der Vater überhaupt Verpflichtungen und Rechte ausüben will oder kann zum Maßstab des Regelfalls genommen hat. Darin liegt bereits eine Vorabverdacht, das wenig interessierte Väter ihr Sorgerecht ab Geburt des Kindes kindeswohlgefährdend missbrauchen würden. Wegen dieser Vorverdächtigung müssen Väter bei fehlender Übereinkunft mit der Mutter, zunächst öffentlich gegenüber Überwachungsinstanzen ihren Willen erklären und kommen nur durch Nachweis einer kaum definierten Konfliktfreiheit zum elterlichen Grundrecht. Nur wenn dem Grundrecht nach Ansicht dieser Überwachungsinstanz keine Kindeswohlgründe entgegen stehen, wird es im vereinfachten Verfahren zuerkannt. Also Juristen bewilligen positiv das elterliche Grundrecht. Bitte wie geht das denn?

Wenn die Mutter früher keine Zustimmung zum Sorgerecht erteilte, dann VERMUTETEN Ihre Prädikatsjuristen sogar pauschal bestehende Kindeswohlgründe als STANDARD-DEFINITION für die Ablehnung und schlossen das elterliche Grundrecht ohne jede Prüfung schon grundsätzlich aus. Also Ausschluss des Grundrechts wegen einer generalisierten Vermutung von Kindeswohlgefährdung vollkommen unabhängig vom Einzelfall. Soweit zur Achtung des Grundgesetzes durch Diejenigen, die es eigentlich schützen sollten und jahrelang verletzten.

Währenddessen versagt der Staat in unzähligen, gravierenden Problemfällen. Die Jugendämter sind in den helfenden Bereichen mit diesen "harten" Fällen häufig überfordert und Mitarbeiter oft ausgebrannt. Es fehlt auch Geld. Währenddessen stürzt sich die Justiz lieber auf viele eigentlich einfache und temporäre Fälle, bei denen die streitigen Interessen der Eltern auf Augenhöhe geklärt und ausgeglichen werden müssten. Stattdessen wird mit diesen alltäglichen Fällen noch so lange Mensch-Ärgere-Dich gespielt, bis dann ein hochkonfliktträchtiger Fall deklariert werden kann und das Eingreifen sich selbst rechtfertigt. Ich weiß, wovon ich schreibe.

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Sehr geehrter Herr Lippke,

es gibt leider zu viele Entscheidungen der Familiengerichte und -senate, mit denen ich nicht einverstanden bin. Aber dieser Fall eignet sich wirklich nicht sehr gut, um Missstände aufzuzeigen. Die neueste Entscheidung des BVerfG vom 25.04.2015 (1 BvR 3326/14 ) passt dafür schon besser.

Sie schreiben:

Zuallererst muss also eine Kindeswohlgefährdung festgestellt werden, bevor der Staat überhaupt über die soziale Beziehung der Eltern nachdenken oder sogar in die elterlichen Grundrechte eingreifen darf.

Das ist grundsätzlich richtig und betrifft nur amtswegige Eingriffe. Etwas anderes gilt, wenn der Staat von einem Elternteil im Antragsverfahren darum gebeten wird. Der Antrag des Vaters auf Übertragung der Mitsorge hat zugleich einen Eingriff in das Elternrecht der Mutter zur Folge. Den Eingriff in ihr Elternrecht muss die Mutter aber nur dann hinnehmen, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Das Interesse des Staates für die tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern begründet sich also aus dem Antrag des Vaters. Wenn es Anhalt für einen Dissens der Eltern gibt, dann wird sich das FamG jedenfalls mit der Frage befassen müssen, "ob bei den vorliegenden Begebenheiten eine Verständigung der Eltern über wichtige Sorgerechtsfragen überhaupt noch in einer Art und Weise möglich ist, die auch bei einem Dissens der Eltern eine dem Kindeswohl dienliche Entscheidung gewährleisten werde" (BVerfG - 1 BvR 1140/03). 

Es gibt mindestens zwei Gründe für die Zurückverweisung:

1. Das FamG hat sich mit der o.a. Frage nicht befasst.

2. Das vereinfachte Verfahren ist unter diesen Umständen nicht geeignet, "um eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen" (BVerfG s.o.).

An der Beantwortung der o.a. Frage gibt es also kein Vorbeikommen. 

Es gibt Familiengerichte und -senate, die dem gemeinsamen Sorgerecht gegenüber der Alleinsorge grundsätzlich Vorrang geben - woher sie auch immer diese Erkenntnis nehmen. Ihre Prognose für den Konsens leiten sie dann aus ihrem Vertrauen in die Elternverantwortung ab. Sie läuft in etwa darauf hinaus, dass der Konsens sich schon finden werde, weil die Eltern sich ihrer gemeinsamen Elternverantwortung bewusst seien. Das ist grundsätzlich denkbar und nicht schon von vornherein ausgeschlossen. Das sollte aber gut begründet werden, mit einer möglichst zuverlässigen Entscheidungsgrundlage (z.B. familienpsychologisches Gutachten) und nicht einfach so ins Blaue hinein. Sogar bei Scheidungseltern und getrennten Lebensgemeinschaften ist das nicht gar so einfach. 

Sehr geehrter Herr Kolos,

Ihr juristischer Sachverstand und auch Ihr gesunder Menschenverstand ist mir wichtig und ich erkenne ihn vorbehaltlos an. Trotzdem muss ich Ihnen vehement widersprechen. Weniger zur Frage, was es in der Realität alles so für Konstellationen geben könnte, die nicht einfach vom Tisch zu wischen sind, als vielmehr in der grundsätzlichen Herangehensweise.

Die Übertragung der Mitsorge ist nur das Nachholen der Gewährung des elterlichen Grundrechts. Es ist originär eigentlich kein bedingten Recht. Der Gesetzgeber blieb auch mit der Neuregelung noch immer hinter dem Willen des Grundgesetzes zurück.

Die Übertragung der Mitsorge auf den Vater ist aber auch insbesondere kein Eingriff in das Elternrecht der Mutter. Es gibt kein Elternrecht oder Grundrecht auf Alleinsorge. Es gibt überhaupt kein Recht auf Alleinsorge. Es gibt allenfalls eine konkret festzustellende Notwendigkeit der Versagung einer Mitsorge für ein Elternteil und damit die Alleinsorge des anderen Elternteils.

Ein familienpsychologische Gutachten ist, von einer solchen Grundlage ausgehend, genau dann heranzuziehen, wenn die gemeinsame Sorge konkret eine Kindeswohlgefahr darstellen könnte und nicht umgekehrt. Eine Belohnung für kindeswohlgefährdendes Verhalten zur Verhinderung der Mitsorge muss dabei ausgeschlossen sein. Es kann nicht sein, dass hochbezahlte "Fachkräfte", ein teurer Amtsapparat und studierte Therapeuten mit dumm-dreistem Elternverhalten auf einfachste Weise ausgebootet werden und Kinder dann ausschließlich unter einem solchen Machtanspruch und sozialen Einfluss heranwachsen. Das da was nicht stimmt, muss man wohl erkennen.

Perspektivisch gibt es keine Alternative zum GSR von Geburt an. Es ist dafür allenfalls noch erforderlich, Schutzrechte einerseits effektiv und andererseits gegen Missbrauch gesichert zu gestalten. Was z.B. als Gewaltschutz deklariert wird, ist für Gewalttätern wenig abschreckend, aber für die Kohorten der intriganten Ausgrenzung und des "Kinder als Machtinstrument einsetzen" ein perfektes Spielzeug. Bisher spielt die Familienrechtsjustiz überwiegend dieses schändliche Spiel mit. Es wird darüber hoffentlich bald in ähnlicher Weise gesprochen, wie über die dunklen Jahre des systematischen Kindesmissbrauchs verschiedener Institutionen. Dessen sollte man sich in der Familienjustiz bewusst werden. Ich wünsche mir gerade im Sinne der Kinder eine durchaus aufmerksame, aber auf die Sache und eine gerechte Grundhaltung festgelegte Justiz. Abgesehen von Ausnahmen sind wir davon aber weit entfernt.

 

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Sehr geehrter Herr Lippke,

Sie schreiben:

Trotzdem muss ich Ihnen vehement widersprechen. Weniger zur Frage, was es in der Realität alles so für Konstellationen geben könnte, die nicht einfach vom Tisch zu wischen sind, als vielmehr in der grundsätzlichen Herangehensweise.

Ich habe versucht, die Entscheidung des OLG Bremen und das Sorgerecht de lege lata zu erklären. Sie versuchen überwiegend, das de lege ferenda zu kritisieren. Das sind zwei grundverschiedene Ansätze. Zumal ich für eine rechtspolitische Diskussion über das Sorgerecht an sich keinen Bedarf erkennen kann. M.E. ist das Sorgerecht, so wie es jetzt gesetzlich geregelt ist, völlig o.k., von vielleicht wenigen kosmetischen Korrekturen abgesehen. 

Einen rechtspolitischen Wunsch hätte ich allerdings: Das ist die Wiedereinführung des Straftatbestandes für sogenannte inländische "Kindesentführung" durch einen sorgeberechtigten Elternteil. Dieser Straftatbestand wurde Ende der 80er abgeschafft (war damals auch nicht unproblematisch, weil es das Gewaltschutzgesetz noch nicht gab). Das ist ein großes Problem mit katastrophalen Folgen, das viele Familiengerichte bis heute zu lösen nicht in der Lage sind (Verkennung des Problems und der eilprozessualen Möglichkeiten) und damit die damalige Hoffnung des Gesetzgebers enttäuscht haben. Das verleitet immer wieder zum Missbrauch des gemeinsamen Sorgerechts, der schließlich zu Alleinsorge und Entfremdung des Kindes von dem verlassenen Elternteil (PAS) führt. Inzwischen machen auch Väter immer mehr davon Gebrauch. 

Solange das Problem und die Folgen bei inländischer "Entführung" nicht gänzlich beseitigt werden, habe ich schon zum Teil Verständnis für Mütter, die aus Angst u.a. davor, sich dem gemeinsamen Sorgerecht völlig verschließen. Überhaupt sind Ängste das grundsätzliche Übel in Sorgerechtsverfahren. Denn Vertrauen ist gefragt. Angst und Vertrauen passen aber denkbar schlecht zusammen.

Natürlich wird der Anwalt einer verängstigten Mutter sie im Verfahren auf Übertragung der Mitsorge mit den Mitteln des Streits, der Konfrontation mit begründeten, unbegründeten und erfundenen Vorwürfen und Verdächtigungen vertreten. Auf keinen Fall dürfen sich der nichteheliche Vater und seine anwaltliche Vertretung in diesen Sumpf runterziehen lassen. Das ist eben die besonders hohe Kunst in diesem besonderen Verfahren. Das erfordert in der Regel einer stoischen Grundhaltung (i.S.v. Seneca). Also absolute Selbstbeherrschung, Selbstkontrolle und Coolness sind gefragt. Hier gilt die Gleichheit des Mittels nicht. Keine Vorwürfe, keine Gegenvorwürfe, keine Unterstellungen und kein Beharren auf "das ist mein gutes Recht". Nicht unbedingt die andere Wange hinhalten, wenn auf die eine geschlagen wird, aber sie auch nicht verweigern. Mit ein bisschen Glück und Gespür für die richtige Dosierung kann man in problematischen Fällen dann vielleicht Vertrauen gewinnen. Aber ein Patentrezept ist das auch nicht. Es ist aber häufig die einzige Chance, zumindest eine Aussicht für die tragende soziale Beziehung zu begründen, wenn es auch schwerfällt, dem Kindeswohl zuliebe.

Ihr Verständnis von dem grundgesetzlichen Elternrecht und dem einfachgesetzlichen Sorgerecht ist nach geltendem Recht grundlegend falsch. Überlegen Sie nur Folgendes: Wenn durch Übertragung der Mitsorge nicht in das Elternrecht der Mutter eingegriffen werden sollte, weil sie angeblich dieses Recht nicht habe, dann könnte sie eine Verletzung ihres Elternrechts durch Übertragung der Mitsorge trotz Fehlens tragfähiger sozialer Beziehung auch nicht mit der VB rügen. Kann das denn sein? Tendenziell liegen sie aber auf der Linie einiger Interessenvertretungen und deren Foren im Internet. Man kann für die Antragsteller nur hoffen, dass sie sich in ihren eigenen Verfahren das nicht zu Eigen machen. Denn damit kann man keinen Blumentopf gewinnen.

Eine in vielerlei Hinsicht kritikwürdige Entscheidung über den Antrag des Vaters auf Übertragung der Mitsorge, insbesondere hinsichtlich des elterlichen Dissens im Lichte des Kindeswohls, des Kindeswillens (14-15 J.a.) in der gerichtlichen Kindeswohlprüfung, ist die Entscheidung des OLG Hamm vom 31.05.2012 (Az.: II-4 UF 8/12):

https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2012/II_4_UF_8_12beschluss2012...

Der grundrechtliche Anspruch des Vaters auf Zugang zum gemeinsamen Sorgerecht entfällt nur dann, wenn es dem Kindeswohl widerspricht. Das Kindeswohl ist keine statische, keine statistische und auch keine abstrakte Größe. Es ist von Fall zu Fall und von Kind zu Kind anders und bestimmt sich an den konkreten Umständen des Einzelfalls. Der Kindeswille ist dabei zu berücksichtigen und hat eine besondere Bedeutung. Im Sorgerecht gilt der Satz: Kein Kindeswohl gegen den Kindeswillen. Diesen Satz sollte man aber u.U. auch kritisch behandeln. Jedenfalls müssen sowohl Eltern bei ihren Entscheidungen zum Kindeswohl als auch das Gericht sich mit dem Kindeswillen auseinandersetzen, um so mehr, wenn das Kind über 14 Jahre alt ist und die Entscheidung dem Kindeswillen widerspricht. 

Das OLG Hamm hatte sich mit dem Kindeswillen wie folgt auseinandergesetzt:

Auch das Ergebnis der Anhörung des Kindes H durch den Senat rechtfertigt keine andere Entscheidung. Zwar hat H zum Ausdruck gebracht, dass sie sich eine gemeinsame elterliche Sorge vorstellen könnte, die Eltern müssten sich dann halt verständigen. Wie aber bereits dargelegt resultiert diese Einstellung daraus, dass H gelernt hat, die Kommunikationsprobleme ihrer Eltern zu ihren Gunsten auszunutzen, was – wie ausgeführt – gerade nicht dem Kindeswohl entspricht.

Was ist von diesem Verständnis zum Kindeswohl zu halten? Zu wessen Gunsten gilt das Kindeswohl, wenn nicht zu Gunsten des Kindes? 

Die Sache mit dem Handy: Es ist völlig unverständlich, warum die Versorgung der Tochter mit einem Handy durch den Vater dem Kindeswohl widersprochen haben soll. Nur weil die Mutter grundsätzlich gegen ein Handy war? Ist das eine so wesentliche Frage über die Erziehung und Entwicklung des Kindes? Zumal die Tochter sich zu diesem Zeitpunkt in der Obhut des Vaters befand. 

WR Kolos schrieb:

"Wenn durch Übertragung der Mitsorge nicht in das Elternrecht der Mutter eingegriffen werden sollte, weil sie angeblich dieses Recht nicht habe, dann könnte sie eine Verletzung ihres Elternrechts durch Übertragung der Mitsorge trotz Fehlens tragfähiger sozialer Beziehung auch nicht mit der VB rügen."

Verwechseln Sie da nicht die Folgerung mit der ursächlichen Feststellung? Auf welcher Grundlage könnte denn die Mutter die Übertragung der Mitsorge mit der VB rügen?

Artikel 6 des GG befasst sich mit dem Elternrecht:

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Da steht zunächst nichts von einem Alleinsorgerecht der Mutter als Elternrecht. Es gibt insoweit auch keine Unterscheidung zwischen Mutter und Vater, was ja auch Artikel 3 des GG gebietet:

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

 

Auch in Artikel 2 des GG kann ich vorab keine Einschränkung des väterlichen Elternrechts als immerhin wesentlichem Teil der Entfaltung der Persönlichkeit erkennen. Eigentlich sogar im Gegenteil.

Um zu den "erhofften" Einschränkungen des väterlichen Mitsorgerechts zu kommen, müsste entweder ein vorsorglicher Verdacht gegen Väter allgemein (evtl. Art.2 GG 2. Teilsatz) oder eine Überbetonung bzw. wohl eher Missdeutung von Artikel 6 (3) GG zum Anspruch auf Schutz und Fürsorge der Mutter herhalten.

Vielmehr erfasst m.E. Artikel 2 des GG die klar verschuldensabhängigen Fälle, die regelmäßig gegen Väter ausgelegt werden. Eine einseitige Kommunikationsverweigerung impliziert nicht automatisch eine dafür ursächliche Rechtsverletzung oder Verstösse gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder Sittengesetze des anderen Elternteils. Das müsste also geprüft und positiv festgestellt werden.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Ignoriert ein Gericht natürlich ein entsprechendes Verhalten (des Vaters oder der Mutter) und stellt trotzdem die Mitsorge fest oder versagt diese bei Verletzung durch den bisher Sorgeberechtigten, dann wäre das eine Verletzung des Grundrechts auf Sorge und auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, zu dem das Elternrecht wohl unzweifelhaft gehört.

Wenn Sie jetzt die Kinderrechte vermissen, dann stellen Sie sich einfach mal hypothetisch vor, dass Juristen im Allgemeinen keine besseren Väter sind als leibliche Väter. Es erscheint rätselhaft, warum Juristen sich verschuldensunabhängig die Entscheidung anmaßen, ob leibliche Väter das grundrechtlich geschützte Elternrecht und die Gleichstellung nach Artikel 3 erhalten oder eben nicht. Kriterium dafür ist jedenfalls offensichtlich nicht Artikel 2, 3 und 6 des GG.

 

 

 

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Sehr geehrter Herr Kolos,

ich möchte noch einmal nachhaken, wobei mir bewusst ist, dass Sie möglicherweise eine Mehrheitsmeinung der Juristen und diverser Interessenverbände vertreten. Der Verdacht, dass diese das Grundgesetz den eigenen Interessen unterordnen, ist für mich nicht ausgeräumt.

Sie schrieben am 21.05.:

"Etwas anderes gilt, wenn der Staat von einem Elternteil im Antragsverfahren darum gebeten wird. Der Antrag des Vaters auf Übertragung der Mitsorge hat zugleich einen Eingriff in das Elternrecht der Mutter zur Folge. Den Eingriff in ihr Elternrecht muss die Mutter aber nur dann hinnehmen, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht."

Mit dieser "Bitte an den Staat" beantragt das eine Elternteil (i.d.R. der Vater) das Grundrecht auf Ausübung seiner Elternschaft nach Artikel 6 des GG. Auch das uneheliche Kind hat nach Artikel 6 (5) GG Anspruch auf die väterliche Sorge als wesentliche Voraussetzung für seine leibliche und seelische Entwicklung und Stellung in der Gesellschaft. Korrespondierend dazu sind nach meiner Auffassung die Artikel 1, 2 und 3 des GG zur Würde, freien Entfaltung und Gleichberechtigung zu beachten. Artikel 1 (3) des GG verpflichtet den Staat auf die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht. Eine Einschränkung mit einfachem Recht ist dem Staat also eigentlich verwehrt. Die Wächterfunktion ist demnach kein Vorbehaltsrecht des Staates, sondern die Verpflichtung zur Genauigkeit und Fürsorge im Einzelfall.

Für mich ist nicht erkennbar, wie aus dem Grundgesetz ein unmittelbares Recht auf Alleinsorge der Mutter gewonnen werden kann. Damit verstehe ich auch nicht, wie die Ausübung der väterlichen Sorge im Grundsatz ein Eingriff in das Elternrecht der Mutter darstellen kann.

Etwas ganz Anderes ist die Frage der praktischen Realisierbarkeit und Sicherung des Kindeswohls. Grundsätzlich bestimmt Art. 6 (5) des GG auch den Schutz des unehelichen Kindes vor dem Ausschluss von der väterlichen Sorge. Dafür hat der Staat zu sorgen. Dem väterlichen Sorgerecht kann er allenfalls entgegenhalten, dass dieser konkret nach Art. 2 (1) 2.Teilsatz des GG gegen die Rechte der Mutter, des Kindes, die verfassungsmäßige Ordnung oder Sittengesetze verstößt. Nach ihrer Definition des mütterlichen Elternrechts ist demnach bereits die "Bitte um Mitsorge" ein solcher Verstoß. Dann erscheint es auch plausibel, dass die Familienjustiz die Gewährung des Mitsorgerechts von der deutlichen Unterordnung unter die Interessen und Forderungen des bisher Alleinsorgenden und des Staates stellt.

Wenn das in Juristenkreisen wirklich so verstanden wird, dann hat sich durch die Neuregelung des Sorgerechts nur für eine Interessengruppe etwas verbessert, nämlich die Juristen selbst.

Mit und gegen das einfache "Nein" der Mutter konnte man wenig prozessieren. Dem nichtverheirateten Vater blieb faktisch nur Umgang und Unterhalt. Er musste sich dem grundrechtsverletzenden Staat fügen. Die Hürden für einen Sorgewechsel wegen Kindeswohlgefährdung waren hoch. Solange die Mutter den Staat nicht verärgerte, konnte ihrer staatlich kontrollierten Allmacht nichts entgegen gesetzt werden. Auch zum Vorteil des Staates. Die Sicherung des Unterhalts hatte Vorrang, staatlich regulierter Umgang ggf. nur nach Bittstellung und vollständiger Unterwerfung des Umgangsberechtigten. Für das Recht um Kinder gab es Tabellen, klare Regeln und vorbestimmte Verlierer. Verhältnismäßig geringer Aufwand und wenig Haftungsrisiko für Juristen.

Die Lebensverhältnisse haben sich jedoch grundlegend geändert. Väter sind nicht mehr in Masse ausreichend potente Alleinverdiener und im Zuge der Gleichberechtigung mehr und mehr an der Betreuung ihrer Kinder interessiert und beteiligt. Auch wurde der deutschen Justiz die Beachtung des Rechts des Kindes auf Umgang mit dem Nichtsorgeberechtigten aufgezwungen. Damit musste auch dem "Prekariat" der Umgang mit ihren Kindern ermöglicht werden und dafür notfalls der Staat aufkommen. Das hat das staatliche Konzept der kostengünstigen Familienwacht wohl stattlich durcheinandergewirbelt und auch die Juristen auf den Plan gerufen. Denn einfach mit Tabelle und Absitzen im Saal ließen sich die Mandate nicht mehr abarbeiten. Die pauschale Vergütung deckt den Aufwand nicht mehr und die Unsicherheiten der Rechtsprechung bergen Haftungsrisiken.

Mit dem neuen Recht ist die ablehnende Mutter nun darauf angewiesen, die Mitsorge durch Glaubhaftmachung einer damit verbundenen Kindeswohlgefährdung zu verhindern. Dies kann durch Fehlverhalten des Vaters begründet oder durch eigenes sittenwidriges und rechtswidriges Verhalten erwirkt werden. Im Fall des Fehlverhalten des Vaters ist die Kindeswohlgefährdung schon formalistisch und ohne konkrete Prüfung für die Versagung der Mitsorge ausreichend, im Fall des Fehlverhaltens der Mutter reicht es wie ehedem nicht zur Überwindung der Eingriffshürden ins Sorgerecht. Es sei denn, die Mutter verscherzt es sich mit dem Staat oder misshandelt das Kind sichtbar und vollkommen unabhängig vom Konflikt um das Sorgerecht. Aber das sind auch wieder andere Zuständigkeiten. Also ist wieder ein klares Konzept gefunden, die Entscheidungsphrasen sind bestimmt, "Rechtssicherheit" hergestellt.

Worum geht es also? Geht es vielleicht um die Anpassung des weiterhin feststehenden, staatlichen Bevormundungsanspruchs an geänderte Bedingungen, um bessere Ausfinanzierung und Absicherung der juristischen und sozialpädagogischen Berufsgruppen und obrigkeitsabhängige Dauerbeschäftigung der Untertanen zur ihrer Vereinzelung?

Nein, nein es geht allein ums Kindeswohl. Das steht so sogar gar nicht direkt im Grundgesetz. Sondern es ist sozusagen ein Bonus der staatlichen Wächter über die Familien. Wie lieb.         

 

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Sehr geehrter Herr Lippke,

Sie irren sich, wenn sie schreiben:

Mit dem neuen Recht ist die ablehnende Mutter nun darauf angewiesen, die Mitsorge durch Glaubhaftmachung einer damit verbundenen Kindeswohlgefährdung zu verhindern. 

Nein, so ist das nicht geregelt. In 1626a II 1 BGB heißt es:

"... wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht."

Keine Rede von "Kindeswohlgefährdung". Stünde da "wenn die Übertragung das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen nicht gefährdet" (vgl. entspr. Formulierung in 1666 BGB), dann hätten Sie recht. Dann wäre die fehlende tragfähige soziale Beziehung der Eltern kaum ein Hindernis. Sie wäre in vielen Fällen möglicherweise auch dann kein Hindernis, wenn es stünde:  "wenn der Übertragung triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründen nicht entgegenstehen" (Vgl. entspr. Formulierung in 1696 BGB). Jedenfalls müssten dann die Nachteile der gemeinsamen Elternverantwortung wegen Fehlens einer tragfähigen sozialen Beziehung die Vorteile deutlich und nachhaltig überwiegen. 

Entspricht die Alleinsorge dem Kindeswohl am besten, also ist sie besser als Mitsorge bzw. gemeinsame Sorge, dann ist sie auf Antrag einem Elternteil zu Übertragen (1671 I BGB) oder der Antrag auf Übertagung der Mitsorge abzulehnen, wenn Alleinsorge schon besteht (1626a BGB). Denn in diesem Fall widerspricht die gemeinsame Sorge bzw. die Übertragung der Mitsorge dem Kindeswohl. Die Alleinsorge kann durchaus dem Kindeswohl am besten entsprechen, wenn den Eltern eine tragfähige soziale Bindung fehlt. 

Sie schreiben:

Nach ihrer Definition des mütterlichen Elternrechts ist demnach bereits die "Bitte um Mitsorge" ein solcher Verstoß.

Nein. Es ging mir um das mit dem Antrag verfolgte Ziel: Übertragung der Mitsorge. Es war auch nicht die Rede von Verstoß oder Verletzung des Elternrechts der Mutter, sondern von einem Eingriff in ihr Elternrecht. Ob in dem Eingriff auch eine Verletzung liegt, das ist davon abhängig, ob die Übertragung dem Kindeswohl widerspricht. 

Sehr geehrter Herr Kolos,

bei allem Respekt vor Ihrer Fähigkeit zur sprachlichen Genauigkeit, aber Ihre Folgerungen in #16 halte ich für eine grandiose Fehlleistung. "Wenn die Mitsorge dem Kindeswohl nicht widerspricht" bedeutet nach Ihrer Lesart "Wenn die Mitsorge dem Kindeswohl am Besten entspricht".

"Kein Widerspruch == entspricht am Besten" bedeutet also im Umkehrschluss "Alles was der Sache nicht dem Besten einspricht, steht im Widerspruch zur Sache". Die möglichen Deutungen der "Sache" trieft zudem nur so vor Auslegungsvarianten und persönlichen Vorlieben.

Damit wird Artikel 6 des GG für den Vater bestimmt!

Ihre Unterscheidung zwischen dem Antrag auf Mitsorge und dem damit verfolgten Ziel verstehe ich auch überhaupt nicht. Allenfalls Ihre Unterscheidung zwischen einem Eingriff und einer Verletzung ist mir im Prinzip klar. Aber bisher haben Sie sich zur (verfassungs-)rechtlichen Grundlage des von Ihnen propagierten Alleinsorgerechts und dessen Einschränkung (Eingriff oder Verletzung) durch eine Mitsorge nicht geäußert (dazu in #15).

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