OLG Rostock: "Versteckter Entbindungsantrag darf übersehen werden" oder "Veräppeln lassen muss sich das AG nicht"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.05.2015
Rechtsgebiete: OLG RostockEntbindungStrafrechtVerkehrsrecht25|5229 Aufrufe

Der Verteidiger hatte es offenbar darauf angelegt, das AG reinzulegen: 53 min vor dem Termin faxt er einen 5-seitigen Schriftsatz mit jeweils 50 (!) Zeilen pro Seite. Den Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Erscheinenspflicht bringt er erst am Ende des Schriftsatzes im Fließtext unter. Das AG übersieht diesen Antrag und verwirft den Einspruch des nicht erschienenen Betroffenen. "Gut so!"....meint das OLG Rostock:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 05.12.2014 wird auf seine Kosten (§ 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.
Mit seiner auf die Verletzung formellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, wendet sich der Betroffene gegen das Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 05.12.2014, durch das sein Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Landrates des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte vom 18.06.2014 (Az.: 524800374330 - Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von 70,00 € wegen Überschreitens der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit) verworfen worden ist.

II.

Die mit Beschluss des Einzelrichters vom 14.04.2015 gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassene Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der vorgebrachte Verfahrensfehler (Verletzung des rechtlichen Gehörs infolge gesetzeswidriger Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG) liegt nicht vor.

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist in einem Fall wie diesem nur dann verletzt, wenn die erlassene Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in pflichtwidrig unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages einer Partei (hier: eines Entbindungsantrages nach § 73 Abs. 2 OWiG) hat.

2. Das ist hier nicht der Fall. Der Entbindungsantrag als solcher ist nicht rechtzeitig und in ordnungsgemäßer Form gestellt - weswegen ihn das Amtsgericht offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen und deshalb nicht beschieden hat.

a. Der - auch den gegenständlichen Entbindungsantrag enthaltene - Schriftsatz des Verteidigers vom 05.12.2014 ist am selben Tage um 10:37 Uhr - mithin lediglich 53 Minuten vor dem Termin um 11:30 Uhr - beim Amtsgericht Neubrandenburg eingegangen. Er umfasst insgesamt 5 eng beschriebene (rund 50 Zeilen/Blatt) Seiten. Zwar enthält er eingangs unter „eilt“ die Bitte um sofortige Vorlage an den Abteilungsrichter und einen Hinweis auf die Terminsstunde um 11:30 Uhr desselben Tages; schon hier ist allerdings auffällig, dass - im Unterschied zu anderen Stellen des Schriftsatzes - kein Fettdruck, Vergrößerung o.ä. Verwendung findet. Sodann beginnt das Schreiben - in Fettdruck hervorgehoben - mit einer Beschwerdeeinlegung gegen die nicht erfolgte Terminsverlegung sowie dem Antrag auf umgehende Vorlage der Verfahrensakte an das Beschwerdegericht, und führt hierzu näher aus. In der zweiten Hälfte der 4. Seite münden die Ausführungen allmählich in die Besorgnis der Befangenheit des zuständigen Richters und einen entsprechenden, abgesetzten und durch Fettdruck hervorgehobenen Antrag. Im Zuge dieser Ausführungen, ohne dass dies an dieser Stelle notwendig oder zu erwarten gewesen wäre, ohne jedweden Absatz oder Hervorhebung im Text, wird erstmalig - in etwa 2 1/2 Zeilen - und eher beiläufig erwähnt, dass der Betroffene am Hauptverhandlungstermin berufsbedingt ortsabwesend sei, an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen wolle, einräume, der verantwortliche Fahrzeugführer zu sein (nachdem er zuvor seine Fahrereigenschaft vehement bestritten und sogar die Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens beantragt hatte) und beantrage, ohne ihn in der Sache zu verhandeln.

b. Die Ausführungen der Verteidigung sind zwar - auch - als Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG zu werten. Dieser Antrag ist jedoch nicht ordnungsgemäß vorgebracht worden.

aa. Hinsichtlich der Frage, wann ein Entbindungsantrag als noch „rechtzeitig“ bei Gericht eingegangen anzusehen ist, dürfte sich zwar jede schematische Lösung verbieten. Soweit die Obergerichte hier bestimmte Zeitspannen nennen (nach OLG Bamberg - Beschluss vom 25.03.2009 - 3 Ss OWi 1326/08 [unveröffentlicht] - soll es einem ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb entsprechen, dass ein erst 30 Minuten vor dem Beginn der Hauptverhandlung per Fax übermittelter Schriftsatz mit einem Antrag des Betroffenen auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen dem zuständigen Tatrichter noch zur Kenntnisnahme vorgelegt wird und der Antrag damit rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist; OLG Hamm - Beschluss vom 22.06.2011 - DAR 2011, 539 - hält dies bereits bei einem eineinhalb Stunden vor dem Hauptverhandlungstermin per Fax gestellten Entbindungsantrag für fraglich), ist dies nur ein Aspekt der Betrachtung. Es kommt es nach Auffassung des Senats stets auf alle Umstände des Einzelfalles an.
Ein Entbindungsantrag ist so rechtzeitig und in einer solchen Aufmachung anzubringen, dass das Gericht - angelehnt an den Zugang von Willenserklärungen im Zivilrecht - unter gewöhnlichen Umständen bei üblichem Geschäftsgang und zumutbarer Sorgfalt ihn als solchen erkennen, von ihm Kenntnis nehmen kann und muss und ihn deshalb einer Bearbeitung zuzuführen hat.

bb. Das ist hier nicht geschehen. Vorliegend geht der Senat angesichts der Zusendung des Schriftsatzes am Terminstag per Fax erst 53 Minuten vor dem Termin, der optischen Hervorhebung sowohl der Beschwerdeeinlegung als auch der Richterablehnung, nicht aber des - zudem verklausulierten - Entbindungsantrages, der gewählten Formulierungen sowie des Aufbaus und des hierdurch erzielten optischen Eindrucks davon aus, dem Tatrichter habe die Kenntnisnahme vom Entbindungsantrag des Betroffenen gerade nicht ermöglicht, sondern im Gegenteil - erfolgreich - gezielt erschwert bzw. unmöglich gemacht werden sollen. Der Entbindungsantrag wird in keinster Weise optisch hervorgehoben, gleichsam versteckt in rund 2 1/2 Zeilen eines fünfseitigen, eng beschriebenen Schriftsatzes und eingebettet in Ausführungen zur angeblichen Befangenheit des Vorsitzenden. Es fehlt auch an einer konkreten Antragstellung auf Entbindung; verwendet werden nur die eher schwammigen Formulierungen „ ... der Betroffene ... will an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen ..., räumt ein, der verantwortliche Fahrzeugführer zu sein und beantragt, ohne ihn in der Sache zu verhandeln ...Es war dem Tatrichter in vorliegender Sache kaum möglich, jedenfalls aber nicht zuzumuten, den verklausulierten und versteckten Antrag in dem umfangreichen Schriftsatz überhaupt zu finden, zumindest nicht in der kurzen Zeitspanne zwischen Eingang des Schriftsatzes bis zum anberaumten Termin, allzumal bei einer auf 11:30 Uhr anberaumten Hauptverhandlung üblicherweise auch zuvor schon verhandelt wird und der Richter hiermit beschäftigt ist.

3. Nach alledem liegt für den Senat ein Fall arglistigen Verteidigungsverhaltens vor, bei dem ein Entbindungsantrag ohne ersichtlichen Anlass erst ganz kurz vor der Terminsstunde in unlauterer Art und Weise angebracht wird in der (begründeten) Erwartung, dieser werde deshalb dem Tatrichter nicht rechtzeitig vorgelegt werden oder ihm nicht auffallen, um dann auf diesem Versehen eine Verfahrensbeanstandung aufzubauen. Das kann hier nicht zum Erfolg führen. Insoweit unterscheidet sich diese Sache einerseits von der von der Verteidigung vorgelegten Entscheidung im Verfahren 2 Ss (OWi) 50/11 I 63/11 (Senatsbeschluss vom 27.04.2011), in dem immerhin frühzeitig und mehrfach eine als Entpflichtungsantrag auszulegende Erklärung abgegeben worden ist, andererseits ist hier wie dort ein verklausuliertes, auf Irreführung der Gerichte angelegtes Verteidigungsverhalten zu konstatieren.

OLG Rostock, Beschluss vom 15.04.2015 - 21 Ss OWi 45/15 [Z]

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25 Kommentare

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Es ist immer wieder eine Freude, wenn man der Wirklichkeit des Lebens entsprechende Entscheidungen lesen kann. Schön, wenn Gerechtigkeit vor Erbsenzählerei und Formalismus kommt.

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Ein Gericht urteilt darüber, wie sorgfältig ein anderes Gericht den Schriftsatz eines Anwalts zu lesen hatte. Ergebnis: nicht besonders sorgfältig. Eine Passage im Fließtext könne man schon übersehen, zumal wenn nicht fett gedruckt.

 

Gilt derselbe Sorgfaltsmaßstab für den Anwalt? Den "normalen" Bürger? Wenn nein, wieso nicht?

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Es ist ja wohl auch völlig nachvollziehbar, dass von einem Richter nicht erwartet werden darf, dass er einen auf ein Verfahren bezogenen Schriftsatz vor seiner Entscheidung in der Sache, aufmerksam und sorgfältig liest.

 

Künftig werden Schriftsätze also komplett in unterstrichenem, kursiven Fettdruck eingereicht, wobei jeder Absatz nur aus einem Satz besteht.

 

Das der Halbsatz: "und beantragt, ohne ihn in der Sache zu verhandeln" ein verklausuliertes, auf Irreführung des Gerichtes angelegtes Verhalten sein soll, erschließt sich mE auch nur dann, wenn man Richter ist und darauf zählen kann, dass das Obergericht unaufmerksame Arbeit deckt.

 

Wer Sarkasmus findet, darf den behalten.

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"Der Verteidiger hatte es offenbar darauf angelegt, das AG reinzulegen" -  das kann ja wohl nur ein Richter eines AG schreiben.

Denn der weiß, dass alle pösen Verteidiger nichts anderes im Sinn haben als den Richter "reinzulegen". Mit pösen, pösen Verlegungsanträgen, gegen deren Ablehnung dann auch noch eine pöse Beschwerde eingelegt wird. Und ganz pöse: der pöse Angeklagte hat offensichtlich die Schnauze voll, kann eben an diesem Tag nicht erscheinen (deshalb wohl vorher Verlegungsantrag), räumt nun die Straftat ein und möchte, dass ohne ihn verhandelt wird, weil er eben an diesem Tag nicht kommen kann. Pöse, pöse. Und schreibt das nicht einmal in Fettdruck.

Und wer dann solche Anträge auf Entbindung in der letzten Minute (oder den letzten 53 Minuten, auch nicht viel besser) stellt, der hat mit seiner pösen Reinlegemasche eben Pech gehabt. Soll sich der Verteidiger das nächste Mal eben auf einen Antrag beschränken, auf einer halben DIN-A4 Seite, dann kann das ein normaler AG-Richter auch noch lesen (man ist ja schließlich AG-Richter und kein Schnell-Lese-Weltmeister). Zwei Anträge gleichzeitig, wo gibt es das denn ...

 

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Wie kann man denn bitte etwas im Text verstecken, wenn es darin steht? Ich dachte zuerst an "Zaubertinte" oder eine Art "rechnungsähnliches Schreiben", musste bei Lektüre der Entscheidung dann aber zu meinem Erstaunen feststellen, dass der böse Rechtsanwalt seinen Schriftsatz lediglich ein- statt zweizeilig formatiert und  auf den Fettdruck verzichtet hat. Das ist natürlich eine Frechheit und Rechtsmissbrauch - wie soll man als Richter denn 5 Seiten in 50 Minuten lesen, wenn die Anträge nicht hervorgehoben sind? Also das wäre mir als Richter peinlich!

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@Ein Leser: 
Sie haben aber schon gelesen, dass der Richter wahrscheinlich keine 50 Min Zeit hatte, da es ein Hauptverhandlungstag war und der Schriftsatz eben 53 Min vorher gefaxt wurde. D.h. er geht an die Geschäftsstelle, die normalerweise nicht derart unterbeschäftigt ist, dass sie sofort bei einem Faxeingang Freudentänze aufführt.  Die legt sie dann dem Richter vor. der an einem Terminstag ggf. mit den Verteidigern und Betroffenen deran diesem Tag zu verhandelnden Sachen im Sitzungssaal sitzt und u.a. eben auch seine angesetzten Termine verhandeln will statt wegen "eilt sehr- sofort vorlegen"-Faxe zu unterbrechen. Und dann sticht ins Auge auf S.1 die Beschwerde und das Ablehnungsgesuch. und irgendwo in der Begründung des Ablehnungsgesuchs (wo es zumindest bei einigermaßen geordneten Denk- und Argumentationsstrukturen nix zu suchen hat und nicht zu erwarten ist - steht dann, dass man ja die Fahrereigenschaft einräumt und nicht erscheinen möchte. Sowohl der Zeitpunkt des Faxes als auch der Aufbau sind klar darauf ausgerichtet, einen Fehler zu produzieren. 

Ebenso wie die Gewerberegister-Telefaxe an Unternehmer und die "Gratis-Software" (aber kostenpflichtiges Abo laut AGB) - Angebote an Hinz und Kunz.

 Und das geltende Recht ermöglicht es, derartigen Zauberkunststücken zu begegnen.  Fragen Sie mal einen Anwalt, der in Zivilsachen tätig ist, wie sehr er sich schon über manche  "Kollegen" gefreut hat, denen angeblich ein Versäumnisurteil laut Empfangsbekenntnis erst nach 3 Monaten zugestellt wurde, obwohl er es eine Woche nach Erlass auf dem Tisch hatte....Es gibt leider auch in der Anwaltschaft die überzeugten Trickser, denen man gelegentlich aber doch beikommt.

 

 

 

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gaestchen schrieb:

@Ein Leser: 
Sie haben aber schon gelesen, dass der Richter wahrscheinlich keine 50 Min Zeit hatte, da es ein Hauptverhandlungstag war und der Schriftsatz eben 53 Min vorher gefaxt wurde.

 

Als ernst gemeinte Frage:

 

Wäre es dem Richter möglich gewesen, den Anwalt vor Eröffnung der Verhandlung einfach zu fragen, was in dem Schriftsatz steht, und ob da vielleicht irgendwelche Anträge d'rin stecken, die auf den ersten Blick nicht zu sehen sind?

 

Falls ja, sehe ich persönlich da wenig Grund weder für Anteilnahme noch für Nachsehen bzgl. des "versteckten" Antrages.

 

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Schön finde ich aber, dass das Gericht hier ein ansprechendes Layout unter Nutzung von Zeilenabstand und Fettdruck quasi zur Pflicht für Rechtsanwälte erhebt. Denn wer diese nicht nutzt, handelt arglistig.

Das ist zwar, bei allem Respekt vor den Beteiligten, von der Begründung her gequirlte Kacke, aber im Ergebnis sehr zu begrüßen. Ich persönlich hasse es auch, wenn einem krumm und schief formatierte Texte vorgelegt werden, die so grauenvoll gestaltet sind, dass man zum Wortlaut, geschweige denn dem Inhalt kaum vordringen kann.

Wenn, ja wenn, nur alle Personen und Einrichtungen dieser Welt die Möglichkeit hätten, optisch unansprechende Schreiben wegen Arglist zu ignorieren. Allein die Steuerbescheide der Finanzverwaltung... vom Layout her in einem Zeitalter verhaftet, das ich nicht einmal benennen kann - denn so schrecklich wird auch bspw. 1950 kein guter Drucker seine Texte gesetzt haben. Man kann nur hoffen, dass sich diese Linie der Rechtsprechung, bei allen Zweifeln an der Begründung, im Ergebnis durchsetzen wird. Hässliche Texte gehören in den Papierkorb.

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@gaestchen

Ich kenne das Spiel aus dem Zivilrecht, wenn ein Anwalt in der mündlichen Verhandlung erst einmal einen 10-seitigen Schriftsatz überreicht, den er leider, leider nicht mehr vorher schicken konnte, und dann die gesamte Vorbereitung Makulatur ist. Aber dann lese ich halt erstmal und entscheide dann, was zu tun ist. Ich habe schließlich Zeit und lasse die Beteiligten dann halt warten...

Auch wenn hier vorher Termine stattfanden, muss der Richter den Schriftsatz des Verteidigers doch vollständig lesen, bevor er verwirft - eben weil da alles mögliche drin stehen kann. Ich kenne es so, dass Faxe am Sitzungstag immer direkt vorgelegt werden. Auf die 50 Minuten kommt es deshalb m.E. nicht wirklich an.

Was die EBs angeht: das macht man in unserem Bezirk einmal und dann gibts nur noch ZU.

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@ Ein Leser #8

Nicht dass ich Ihre Art die überreichten 10-Seiten Schriftsätze zu handhaben schlecht fände, aber bringt das den Terminplan nicht gehörig durcheinander?

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Schon wieder (vgl. http://blog.beck.de/2015/04/28/olg-hamm-verwirrung-um-die-zustelladresse...) so ein Fall, in dem Richter ihre Fälle nicht rechtsstaatlich mit Recht und Gesetz, sondern bauchstaatlich mit "Rechtsmißbrauch" samt "Unredlichkeit" und "Arglist" lösen! Wer sich nicht nach der lex scripta, sondern nach seiner privaten "lex venter" richten will, sollte in unserem Rechtsstaat nicht zum Richterberuf greifen. Das Gegenstück zu dem von Richtern ständig bemühten "Rechtsmißbrauch" ist nämlich die "Rechtsbeugung", die allerdings von Richtern in eigener Sachen bekanntlich ignoriert wird, wohingegen der "Rechtsmißbrauch" im Gegenzug fröhliche Urständ feiert.

 

Und ein Richter, der binnen 53 Minuten keine 250 Textzeilen lesen kann, hat seinen anspruchsvollen akademischen Beruf ohnehin verfehlt...

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@ Ein Leser:
Im Zivilrecht können Sie einem Anwalt, der erst  im Termin einen Schriftsatz auf den Tisch knallt, auch aufgeben, das Ganze mündlich vorzutragen und ihm die Bezugnahme und das Vorlesen nicht gestatten...ein echter Stimmungsaufheller in der Verhandlung, abgesehen davon, dass ja  auch und vor allem die Gegenseite den Schriftsatz lesen muss/sollte und von deren Reaktion dann der weitere Verlauf abhängt. Da kann sich der Richter meist zurücklehnen und auf den Antrag Schriftsatznachlaß etc. warten.

Das mit der PZU bei "EBliegenlassern" geht  erst, wenn Sie wissen, dass ein Anwalt so arbeitet, also das erste monatealte EB zurückbekommen haben.  Da mag es vielleicht die eine oder andere Sumpfblüte im eigenen Bezirk geben, bei der man vorsichtshalber gegen PZU zustellt. Praktiziert wird Derartiges aber wohl eher gegenüber Gerichten, mit denen der jeweilige vergessliche  Anwalt eher weniger zu tun hat, denn den Ruf beim "Heimatgericht" wollen sich vermutlich die meisten Anwälte nicht verderben.

 

@Leser:
Das OLG macht gar keine Vorgaben zum Layout, sondern schreibt nur, dass dann, wenn zwei Anträge deutlich abgesetzt und hervorgehoben im Schriftsatz stehen,mit denen man den Termin offenbar ganz verhindern will,  und der dritte Antrag, der darauf gerichtet ist, den Termin ohne Mandanten stattfinden zu lassen,  dann in einer vermeintlichen "Begründung" eines der beiden anderen Anträge steht, dies ein deutliches Indiz für gezieltes Verstecken dieses dritten Antrags ist.

Die Beträge und die Rechtsbehelfsbelehrung finden Sie im Steuerbescheid meist klar und deutlich abgesetzt, da sehe ich nichts Verwirrendes.
Der Rest: Nun ja, die optisch unschönen Erläuterungen sind teilweise dem Gesetzgeber und der Rechtsprechung geschuldet, was so alles unter VdN oder vorläufig festgesetzt oder nicht oder nicht in voller Höhe  anerkannt wird bis das BVerfG  oder der BFH dereinst mal entscheidet...

 

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gaestchen schrieb:

Die Beträge und die Rechtsbehelfsbelehrung finden Sie im Steuerbescheid meist klar und deutlich abgesetzt, da sehe ich nichts Verwirrendes.

Da haben Sie schon Recht.
Was aber in der Praxis bei dem Steuerbürger häufig zu Verwirrungen führt ist der oftmals zu findende erste Satz des Bescheids "Dieser Bescheid ist nach § [...] vorläufig." direkt auf der ersten Seite im oberen Drittel. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Relevanz der auf die letzte Seite verbannten Rechtsbehelfsbelehrung vom Nicht-Fachmann verkannt wird, zumal auch noch die Frist in einem längeren Fließtext erst im letzten Absatz erwähnt wird.
Aber vom Steuerbürger kann man schließlich verlangen, dass er mehrseitige Bescheide aufmerksam und vor allem auch vollständig liest - und dann auch noch versteht, dass ein vorläufiger Bescheid trotzdem bestandskräftig wird.

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gaestchen schrieb:
Das OLG macht gar keine Vorgaben zum Layout, sondern schreibt nur, dass dann, wenn zwei Anträge deutlich abgesetzt und hervorgehoben im Schriftsatz stehen,mit denen man den Termin offenbar ganz verhindern will,  und der dritte Antrag, der darauf gerichtet ist, den Termin ohne Mandanten stattfinden zu lassen,  dann in einer vermeintlichen "Begründung" eines der beiden anderen Anträge steht, dies ein deutliches Indiz für gezieltes Verstecken dieses dritten Antrags ist.

 

Ich sehe da einen gewissen Widerspruch zwischen der These (keine Vorgabe zum Layout) und der Begründung (Vorgabe zu gleichem Layout von Anträgen).

Es ist, wie mein Beitrag mit einer vielleicht nicht bemerkten Überspitztheit zeigen sollte, doch tatsächlich so: Das Gericht leitet eine Arglist hier aus der bloßen drucktechnischen Gestaltung des Schriftsatzes her.

Man mag dem Gericht zustimmen oder auch nicht - aber man muss sich vor Augen führen, dass einem Bürger ein Antrag ohne inhaltliche Prüfung nicht etwa aufgrund Fristversäumnis, Formunwirksamkeit o. ä. abgelehnt wurde, sondern wegen fehlenden Fettdruckes und zu geringen Zeilenabstandes.

Das geht dann doch, wie man wohl kaum ernsthaft bestreiten kann, sehr weit. Kennt jemand eine Entscheidung, in der ein Bescheid wegen schlechten Layouts oder ein Urteil wegen Wahl einer hässlichen Schrift wurde?

Es drängt sich die Frage auf, ob hier vielleicht mit zweierlei Maß gemessen wurde. Die "Obrigkeit" darf schreiben, wie sie lustig ist (bzw. die knappen Personalschlüssel in den Servicestellen und Schreibstuben erlauben), aber der Bürger hat bitte einen Rechtsanwalt zu beauftragen, der auch bei sehr kurzfristig einzureichenden Schriftsätzen piekfeine, wohl strukturierte Schreiben einreicht.

Und das bitte mit einem ansprechenden Zeilenabstand.

Wir sind ja nicht bei den Hottentotten hier.

Ernsthaft.

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Dem (anwaltlich vertretenen) Bürger wurde kein Antrag abgelehnt, denn das Amtsgericht hat eben nicht über den Entbindungsantrag entschieden. Und auf diesen Verfahrensfehler (bzw. laut OLG eben "Nicht-Fehler") kann er  kein erfolgreiches Rechtsmittel stützen.

Der Bürger, der plötzlich entbunden werden wollte, weil ihm am Terminstag eine berufliche Verhinderung eingefallen ist und der laut OLG, bevor er plötzlich die Fahrereigenschaft einräumen ließ, großen Zinnober mit Antrag auf Sachverständigengutachten veranstaltet hatte, hatte eben Pech mit seiner Taktik.

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Man hätte ja darauf abstellen können, dass der Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen zu spät gestellt wurde. Oder die Einlassung widersprüchlich war. Oder der Antrag mangels glaubhaftem Grund ohnehin abgelehnt worden wäre. Oder oder oder. Die Begründung aber beruht nun einmal auf der "arglistigen" Formatierung und einem "angeblich schwammigen Wortlaut" in den Worten "beantragt, ohne ihn in der Sache zu verhandeln", die ich in ihrer Unverständlichkeit nur wörtlich wiedergeben kann. Was damit gemeint gewesen sein soll, ist wirklich kaum zu erklären.

Man mag die Entscheidung in der Sache ja gut finden. Man mag - wie ich im Übrigen auch - frustriert sein von formal fehlerhaften und unansprechenden, vielleicht sogar wirren Schreiben. Vielleicht regt man sich sogar noch mehr auf, dass der Rechtsanwalt des Bürgers ein Doofie ist der lange Schreiben schickt - und das auch noch kurz vor knapp, wie gemein. Dafür den Bürger zu bestrafen, ist zwar knackig ungerecht, aber menschlich verständlich, und auch Richter sind Menschen wie Sie und ich und müssen gelegentlich ihre Ellenbogen zeigen.

Aber bitte: Es ist doch gute Tradition, seine Vorbehalte dann nicht offen auszusprechen, sondern irgendeinen aalglatten Vorwand zu bringen, wieso der Bürger an allem Schuld ist. Da schreibt man doch nicht rein, dass Anträge mit schlechtem Schriftbild nicht bearbeitet zu werden brauchen. Wo kommen wir denn da hin. Demnächst sagt noch jemand offen, er habe einen Einspruch verworfen, weil der Antragsteller Türke sei. Für so etwas finden wir doch bitte eine schönere Formulierung - sonst begibt man sich noch auf eine Ebene mit den Bittstellern auf der anderen Seite des Schreibtischs.

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@ Leser:

 

Sie schreiben:

"Man hätte ja darauf abstellen können, dass der Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen zu spät gestellt wurde. Oder die Einlassung widersprüchlich war. Oder der Antrag mangels glaubhaftem Grund ohnehin abgelehnt worden wäre"

Das hätte man nciht, die Rechtspsrechung ist klar: Wenn die Fahrereigenschaft eingeräumt wird und sonst keine Angaben gemacht werden, MUSS entbunden werden. Ob die Einlassung vorher ("Ich war´s nicht") widersprüchlich war oder nicht.

Und es schient ja nciht "Doofheit" des Anwalts zu sein, wie sie schreiben, sondern Kalkül.

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Richterlein a.D. schrieb:
Und es schient ja nciht "Doofheit" des Anwalts zu sein, wie sie schreiben, sondern Kalkül.

Und das sagt Ihnen Ihre Glaskugel?

Und auch wenn es Kalkül ist - bis wann Schriftsätze einzureichen sind, hat doch wohl der Gesetzgeber zu entscheiden. Wenn es in der StPO nicht untersagt ist, 53 min vor der Verhandlung einen Schriftsatz einzureichen, dann ist es eben erlaubt, auch wenn es unbequem ist. Und wenn in der StPO nicht festgelegt ist, dass Anträge in Fettdruck und abgesetzt darzustellen sind, dann muss das auch nicht sein. Solche Schriftsätze richten sich an den ja vielleicht ach so überlasteten, aber doch hoffentlich fachkundigen und sorgfältigen Bearbeiter. Wenn er erkennt, dass er einen Schriftsatz nicht in 15 min durcharbeiten kann, muss er darauf halt durch Verlegung, Anruf beim Verteidiger oder auf andere angemessene Weise reagieren. Aber ihn einfach nicht zu bearbeiten, ist doch einfach keine ordnungsgemäße Pflichterfüllung. Dann später auf ein "arglistiges" Schriftbild abzustellen, kaschiert doch bloße Schlamperei ("Bin nicht doof. Du bist doof!").

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Richterlein a.D. schrieb:

Und es schient ja nciht "Doofheit" des Anwalts zu sein, wie sie schreiben, sondern Kalkül.

 

Selbst wenn es Kalkül gewesen sein sollte, warum sollte das verboten und rechtsmissbräuchlich sein? Das Kalkül geht doch nur auf, wenn der Richter schlampig arbeitet; es ist sozusagen eine Einladung zum Verfahrensfehler. Daran kann ich nichts Rechtsmissbräuchliches erkennen. Vielmehr gehört es zum Handwerkszeug des Verteidigers, dem Gericht in geeigneten solche Fallen zu stellen. So habe ich (zum Glück) noch nichts davon gelesen, dass Verteidiger keine komplizierten bedingten Beweisanträge mehr stellen dürfen (werden schließlich oft genug nur für die Revision gestellt und nicht wegen des Auflärungsinteresses) oder dass es verboten wäre, in einem Antrag nicht kenntlich gemachte BGH-Rechtsprechung zu verwenden, auf die man nach Ablehnung dann genüsslich verweist. Das gehört m.E. zum "Kampf ums Recht". Dass mancher Richter wegen Überlastung besonders anfällig für solche Tricks ist, steht auf einem anderen Blatt.

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Ein Leser schrieb:

Richterlein a.D. schrieb:

Und es schient ja nciht "Doofheit" des Anwalts zu sein, wie sie schreiben, sondern Kalkül.

 

Selbst wenn es Kalkül gewesen sein sollte, warum sollte das verboten und rechtsmissbräuchlich sein? Das Kalkül geht doch nur auf, wenn der Richter schlampig arbeitet; es ist sozusagen eine Einladung zum Verfahrensfehler. Daran kann ich nichts Rechtsmissbräuchliches erkennen. Vielmehr gehört es zum Handwerkszeug des Verteidigers, dem Gericht in geeigneten solche Fallen zu stellen. So habe ich (zum Glück) noch nichts davon gelesen, dass Verteidiger keine komplizierten bedingten Beweisanträge mehr stellen dürfen (werden schließlich oft genug nur für die Revision gestellt und nicht wegen des Auflärungsinteresses) oder dass es verboten wäre, in einem Antrag nicht kenntlich gemachte BGH-Rechtsprechung zu verwenden, auf die man nach Ablehnung dann genüsslich verweist. Das gehört m.E. zum "Kampf ums Recht". Dass mancher Richter wegen Überlastung besonders anfällig für solche Tricks ist, steht auf einem anderen Blatt.

 

Wenn es wirklich Kalkül war, meine ich nicht, dass das absichtsvolle Verstecken eines Antrages und das nachfolgende Berufen auf eben jenen Antrag (die OwiG Rechtslage gibt das eben her) vom viel zitierten "Kampf ums Recht" gedeckt ist.

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Mir scheint die Realität an einem amtsgerichtlichen Sitzungstag hier nicht bekannt zu sein (wie es im OLG Fall war, wissen wir natürlich nicht).

Normalerweise hat der Richter eben keine 53 Minuten Zeit, den Schriftsatz zu lesen, sondern vielleicht 15 Minuten (diese 15 min wartet man meistens ab bis zur Verwerfung, aber was, wenn der Vortermin überzogen wurde und gleich verworfen wurde?).

Er konnte auch den Anwalt vor der Sitzung nicht fragen, was drin stand, wie ein Kommentator empört fragt: Es ist ja niemand erschienen.

Ich glaube, man muss das Verfahren kennen, um sich ein Urteil bilden zu können...

 

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Richterlein a.D. schrieb:

Mir scheint die Realität an einem amtsgerichtlichen Sitzungstag hier nicht bekannt zu sein (wie es im OLG Fall war, wissen wir natürlich nicht).

Normalerweise hat der Richter eben keine 53 Minuten Zeit, den Schriftsatz zu lesen, sondern vielleicht 15 Minuten (diese 15 min wartet man meistens ab bis zur Verwerfung, aber was, wenn der Vortermin überzogen wurde und gleich verworfen wurde?).

Darauf zielte meine Frage in #9 ab, wie "Ein Leser" die durch übergebene Schriftsätze verursachte Verschiebung/-verspätung handhabt. Aber eins ist doch wohl klar: Die Terminvorstellungen des Gerichts können nicht als Grund dafür herhalten, dass ein Antrag nicht beschieden wird.

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Ja, das kann durchaus den Terminplan aus den Fugen bringen (aber weniger, als wenn ich den Anwalt "frei" reden lasse @#12?). Aber man weiß ohnehin nie, was am Sitzungstag passiert: manches dauert länger, manch einer kommt gar nicht usw. Klar ist das blöd insbesondere für die Anwälte, die dann auf dem Flur warten müssen, aber dank mobilen Arbeitsmitteln gibt es meist Nützliches zu tun (so zumindest die Rspr., die dem RA die Pausenzeit abzieht). Mündliche Verhandlung ist eben nicht 100% planbar - wer da im 15-min-Takt terminiert, muss mit den Folgen leben. In diesem Zusammenhang finde ich es im Übrigen schon bemerkenswert, wenn manche Strafrichter in einfachen Fällen erst gar keine Zeugen laden ("Der gesteht eh!").

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Sie meinen das vielleicht.

Andere meinen das nicht.

Auch wenn Sie an Ihrer Meinung festhalten: Sehen Sie vielleicht den Konflikt zwischen dieser Entscheidung und dem Rechtstaatsprinzip?

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Quote:
"...vom Richter mittlerer Art und Güte darf (und muss) erwartet werden, dass er verfahrensrelevante Korrespondenz von 5 Seiten zur Kenntnis nimmt und den – weder „schwammigen" noch auslegungsbedürftigen – Antrag auf Entbindung vom Erscheinen iSd § 73 II OWiG auch ohne eine zusätzliche optische Hervorhebung erkennt... Macht dies Schule – man denke nur an handschriftlich verfasste Anträge in einer laufenden Hauptverhandlung –, dann wäre missbräuchlichen Ablehnungen („das konnte das Gericht nun aber wirklich nicht sehen") Tür und Tor geöffnet. Man darf gespannt sein, ob die mit ordentlichen Rechtsmitteln unanfechtbare Entscheidung wegen Verstoßes gegen Art. 103 I GG (ggf. sogar Art. 3 I GG) ihren Weg zum Bundesverfassungsgericht findet."

http://rsw.beck.de/aktuell/meldung/UrteilsanmerkungFDStrafR10

 

Dem kann man sich nur anschließen. Im übrigen gilt:

Quote:
"Krasse Fehlurteile haben keine Folgen - für den Richter. Dessen Unabhängigkeit ist auch in der Ignoranz geschützt."

Rieble, Der Richterkönig lebt!, FAZ 27.5.2015

 

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