Beifahrerin auf Messfoto: Verwertbar?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.06.2015

"Ja, zumindest dann, wenn sie bei der Identifizierung hilft." Das meint das OLG Oldenburg:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bersenbrück vom 03.11.2014 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bersenbrück zurückverwiesen.

Gründe
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen fahrlässigen Nichteinhaltens des erforderlichen Abstandes zu einem vorausfahrenden Fahrzeug zu einer Geldbuße von 150,00 Euro verurteilt. Das Amtsgericht hat sich davon überzeugt gezeigt, dass der Betroffene der Fahrer des Fahrzeuges gewesen sei. In den Urteilsgründen heißt es u. a.:

„Das Gericht hat ebenfalls berücksichtigt, dass die Beifahrerin des Betroffenen, auf dem Foto Bl. 39 d. A., auf das gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 46 OWiG verwiesen wird, zu erkennen, mit großer Wahrscheinlichkeit die Tochter des Betroffenen ist ….“

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit einem näher ausgeführten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Der ursprünglich zuständige Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

Die Rechtsbeschwerde ist deshalb gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG zulässig.

Sie führt zu einem zumindest vorläufigen Erfolg.

Klärungsbedürftig ist die Frage, ob es einem Verwertungsverbot unterliegt, wenn aus der Person eines Beifahrers, die auf einem bei einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme gefertigten Foto erkennbar ist, Schlüsse auf den Fahrzeugführer gezogen werden.

Der Betroffene hat insoweit gerügt, dass ein Beweisverwertungsverbot bestehe, da das Persönlichkeitsrecht der Beifahrerin tangiert sei.

Das Bundesverfassungsgericht (NJW 2010, 2717 f) hat es als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden angesehen, dass die Gerichte als Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Bildaufnahmen § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO angesehen haben. In diesem Zusammenhang hat es ausgeführt, dass bei einer Bildaufnahme, bei der Fahrer und Kennzeichen identifizierbar seien, allerdings ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliege. Die Maßnahme ziele aber nicht auf Unbeteiligte, sondern ausschließlich auf Fahrzeugführer, die selbst Anlass zur Anfertigung von Bildaufnahmen gegeben hätten, da der Verdacht eines bußgeldbewehrten Verkehrsverstoßes bestehe.

Zwar bestand hier kein Verdacht gegen die Beifahrerin. Bereits das Bundesverfassungsgericht hat aber auf § 100h Abs. 3 StPO verwiesen, wonach andere Personen nur betroffen sein dürfen, wenn dies unvermeidbar sei.

Da es nach Auffassung des Senates unvermeidbar ist, dass bei Anfertigung eines Fotos im Rahmen einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme auch der Beifahrer mit abgebildet wird, sieht er die Anfertigung des Lichtbildes als durch § 100h Abs. 3 StPO gedeckt an (so auch bereits Amtsgericht Herford, DAR 2010, 592 f).

Der Senat lässt offen, ob es zulässig ist, das so gefertigte Lichtbild ohne Unkenntlichmachung der Person des Beifahrers in die Akte der Verwaltungsbehörde und später des Gerichtes zu übernehmen. Geschieht dies, führt dieses zumindest nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn das Amtsgericht Schlüsse von der Person des Beifahrers auf den Fahrer zieht.

Das Bundesverfassungsgericht (NJW 2009, 3293 f) hatte bei einem Sachverhalt, in dem von einem Fahrzeugführer eine verdachtsunabhängige Videoaufzeichnung gefertigt worden war und die Fachgerichte als Rechtsgrundlage einen Ministerialerlass herangezogen hatten, es (nur) als zumindest möglich angesehen, dass die Fachgerichte einen Rechtsverstoß annähmen, der ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehe.

Im Beschluss vom 07.12.2011 (2 BvR 2500/09) hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass ein Beweisverwertungsverbot eine begründungsbedürftige Ausnahme darstelle und insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden seien, geboten sein könne (juris Rn. 117).

Von einer derartigen Eingriffsintensität ist die Vorgehensweise des Amtsgerichts weit entfernt.

Das Lichtbild ist zunächst aufgrund einer ausreichenden Rechtsgrundlage gefertigt worden. Es ist dann im Rahmen des Verfahrens, das sich gegen die Person richtete, von der verdachtsabhängig ein Lichtbild gefertigt worden ist, verwertet worden. Die Rechtsbeschwerde macht auch (lediglich) geltend, dass das Persönlichkeitsrecht der Beifahrerin tangiert sei. Demgegenüber ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen durch die Auswertung des Lichtbildes der Beifahrerin nicht in einem Maße berührt, dass insofern von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen werden müsste.

Der BGH (St 11, 213 ff) hatte in einem Fall, in dem ein Zeuge nicht über sein Auskunftsverweigerungsrecht belehrt worden war, darauf abgestellt, dass diese Vorschrift ausschließlich auf der Achtung vor der Persönlichkeit des Zeugen beruhe. Durch den Konflikt des Zeugen werde der Rechtskreis des Beschuldigten nicht so berührt, dass ihm wegen unterbliebener Belehrung ein Revisionsrügerecht zugestanden werden könne.

So liegt es auch hier: Dass der Rechtskreis des Betroffenen hier dadurch berührt wäre, dass durch Bekanntwerden der Person der Beifahrerin seine Interessen verletzt sein könnten, macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend. Darüberhinaus gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass „planmäßig oder systematisch“ (BVerfG vom 7.12.2011, s.o.), Fotos der Beifahrer, auf denen diese erkennbar sind, zum Zwecke der indirekten Identifizierbarkeit des Fahrers zum Gegenstand der Bußgeldakten gemacht werden.

Gleichwohl kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben.

Das von dem Amtsgericht im Rahmen der Beweiswürdigung herangezogene Lichtbild Bl. 39 d. A. ist nämlich nicht Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen. Ausweislich des Protokolls ist lediglich die „Auswertung Bl. 39 d. A.“ verlesen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Zwar heißt es im Protokoll weiter, dass auf das bei der Messung entstandene Foto des Fahrers/in Bl. 41, 39 d. A. gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 46 OWiG verwiesen werde. Diese Formulierung besagt aber nichts darüber, dass das Lichtbild in Augenschein genommen worden ist, da sich § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO lediglich auf die Abfassung der Urteilsgründe bezieht. Darüber hinaus ist nur die Rede von einem Foto des Fahrers bzw. der Fahrerin, nicht aber von einer Beifahrerin.

Damit bleibt auch schon unklar, welches der vier Lichtbilder auf Blatt 39 d.A., von denen zwei keine Personen, eines nur die Person des Fahrers und eines den Fahrer und die Beifahrerin erkennen lassen, gemeint ist. Auf Blatt 41 d.A. ist die Person des Beifahrers sogar unkenntlich gemacht worden.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil auch, da das Amtsgericht seine Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen u. a. auch damit begründet hat, dass die Beifahrerin „mit großer Wahrscheinlichkeit die Tochter des Betroffenen“ sei.

Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass er die weitere Rüge des Betroffenen, das Amtsgericht habe ein anthropologisches Sachverständigengutachten einholen müssen, nicht für durchgreifend erachtet. Darüberhinaus sollte das Amtsgericht prüfen, ob es für seine Überzeugungsbildung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen auf die Auswertung des Fotos der Beifahrerin überhaupt angewiesen ist.

OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.02.2015 - 2 Ss (OWi) 20/15

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5 Kommentare

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Wie kann denn die Identität der Beifahrerin (auch) der Identifizierung des Beifahrers dienen? Es könnte doch die Mutter oder der Onkel oder sonst irgendjemand mit dem Auto des Betroffenen seine Tochter gefahren haben. Für die Identifizierung des Fahrers kann es doch nur auf dessen Foto ankommen. Entweder man erkennt ihn darauf ausreichend, oder eben nicht.

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Korrektur: "Wie kann denn die Identität der Beifahrerin (auch) der Identifizierung des Fahrers dienen?"

Bitte vorherigen Korrekturbeitrag löschen, "Beifahrer" sollte dort durchgestrichen sein.

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Die Schlussfolgerung von Tochter auf Vater ist so für mich auch nicht nachvollziehbar.

Bedenklich erscheint mir, dass die theoretische Existenz von Beweisverwertungsverboten zwar anerkannt ist, sie in der Praxis dann aber doch scheinbar immer abgelehnt werden. Man muss sich fragen, ob das nur noch ein Lippenbekenntnis ist, und darf sich vor diesem Hintergrund nicht wundern, wenn der Gesetzgeber eine Totalüberwachung zur Verhinderung Raubkopien und anonymer, öffentlicher Regierungsrkritik, ähm, bitte um Entschuldigung, Terrorismus und Verbreitung von Kinderpornographie einführt.

Ein weiter Bogen von der Verwendung eines Lichtbildes für ein OWi-Verfahren, ja. Aber würde dasselbe Gericht statt des Bildes auch anerkennen, wenn das Mobiltelefon der Tochter sich in dem fraglichen Auto befunden hätte? Wäre wohl konsequent. Beweisverwertungsverbot, weil diese Daten eigentlich nur zur Verhinderung von Raubkopien - äh - Terrorismus verwertet werden sollen? Naja, irgendwie sind Geschwindigkeitsüberschreitungen ja auch so etwas wie Terrorismus. Und vollkommen unverantwortlich, wenn man sogar ein Kind im Auto hat. Tz, tz, tz.

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Beginnt hier nicht eine bedenkliche Schnüffelei im Privatleben der Betroffenen?

Was ist, wenn die Fahrerin verheiratet ist, und auf dem Beifahrersitz ihr Liebhaber sitzt - wird dieses Foto dann womöglich dem Ehemann und Nachbarn zu "Identifizierungszwecken" zugeschickt oder vorgehalten?

Was ist, wenn der Fahrer verheiratet ist, und auf dem Beifahrersitz seine Geliebte (oder gar ein Geliebter) sitzt - wird dieses Foto dann dem Ehemann und Nachbarn zu "Identifizierungszwecken" vorgelegt?

Solche Eingriffe mögen vielleicht zur Aufklärung besonders schwerer Verbrechen (Terrorismus, Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub, schwerer Raub, schwere Brandstiftung, Vergewaltigung, evt. auch noch gewerbsmäßiger bandenmäßiger bewaffneter Wohnungseinbruchdiebstahl) gerechtfertigt sein, aber doch wohl kaum zur Aufklärung bloßer Vergehen, Massendelikte, Bagatelldelikte, oder gar Ordnungswidrigkeiten.

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Die Freihändigkeit der Rechtsanwendung durch das "Gerichtspersonal ohne Eigenverantwortung" selbst bei Owi's müsste bereits eine ganz andere Art der Diskussion hervorrufen. Im nächsten Atemzug wird wieder der Ausschluss von Übergriffen des Staates mit dem vorgesehenen Richtervorbehalt behauptet. Als wenn da kein Grund für Zweifel bestehen würde. Da es im Grundsatz keine Unterscheidung zwischen einem Owi-Richter und andererseits einem Haft-Richter oder "Überwachungsmaßnahmen-Genehmigungsrichter" gibt, offenbart die Owi-Verfahrensweise, was von der Richterschaft als unabhängiger Kontrollinstanz und Rechtsgaranten zu halten ist. Wären z.B. bedürftige Hausfrauen und Rentner hierfür nicht in Minjob-Anstellung gleichermaßen qualifiziert und deutlich günstiger?

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