Anrechnung von Zulagen auf den Mindestlohn

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 09.06.2015
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtMindestlohnMiLoGZulage1|4183 Aufrufe

Zu den Streitfragen des Mindestlohngesetzes zählt, welche Vergütungsbestandteile auf den Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro je Zeitstunde (§ 1 Abs. 2 MiLoG) angerechnet werden können. Einige Hinweise lassen sich der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der Entsenderichtlinie 96/71/EG entnehmen, die vergleichbare Probleme aufwirft. In Bezug auf sie hatte der EuGH 2013 erkannt:

Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. c der Richtlinie 96/71/EG ... ist dahin auszulegen, dass er der Einbeziehung von Vergütungsbestandteilen in den Mindestlohn nicht entgegensteht, wenn sie das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen und der Gegenleistung, die er dafür erhält, auf der anderen Seite nicht verändern. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergütungsbestandteilen der Fall ist. (EuGH, Urt. vom 7.11.2013 – C-522/12, NZA 2013, 1359 - Tevfik Isbir).

Konkreter ist der Gerichtshof dann in einem Urteil aus dem Februar 2015 geworden. Hier heißt es u.a.:

Art. 3 Abs. 1 RL 96/71/EG sei dahin auszulegen, dass

  • ein Tagegeld wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende unter den gleichen Bedingungen als Bestandteil des Mindestlohns anzusehen ist, wie sie für seine Einbeziehung in den Mindestlohn gelten, der einheimischen Arbeitnehmern bei ihrer Entsendung innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats gezahlt wird;
  • eine Entschädigung für die tägliche Pendelzeit, die den Arbeitnehmern unter der Voraussetzung gezahlt wird, dass ihre tägliche Pendelzeit mehr als eine Stunde beträgt, als Bestandteil des Mindestlohns der entsandten Arbeitnehmer anzusehen ist, sofern diese Voraussetzung erfüllt ist, was zu prüfen Aufgabe des nationalen Gerichts ist;
  • die Übernahme der Kosten für die Unterbringung dieser Arbeitnehmer nicht als Bestandteil ihres Mindestlohns anzusehen ist;
  • eine Zulage in Form von Essensgutscheinen, die an diese Arbeitnehmer ausgegeben werden, nicht als Bestandteil ihres Mindestlohns angesehen werden darf, und
  • die Vergütung, die den entsandten Arbeitnehmern für die Dauer des bezahlten Mindestjahresurlaubs zu gewähren ist, dem Mindestlohn entspricht, auf den diese Arbeitnehmer im Referenzzeitraum Anspruch haben. (EuGH, Urt. vom 12.2.2015 - C-396/13, NZA 2015, 245 - Sähköalojen ammattiliitto ry).

Eine erste Entscheidung des ArbG Düsseldorf liegt jetzt zu der Frage vor, ob eine "unspezifische" Zulage, also eine solche, die nicht für konkrete Arbeitserschwernisse (Staub, Lärm, Hitze etc.) gezahlt wird, bei der Berechnung des Mindestlohns zu berücksichtigen ist:

Die Klägerin erhielt von der beklagten Arbeitgeberin zunächst eine Grundvergütung in Höhe von 8,10 EUR pro Stunde. Daneben erhielt sie einen „freiwilligen Brutto/Leistungsbonus von max. 1,00 EUR, der sich nach der jeweilig gültigen Bonusregelung" richtete. Anlässlich des Inkrafttretens des MiLoG teilte die Beklagte der Klägerin mit, die Grundvergütung betrage weiter 8,10 EUR brutto pro Stunde, der Brutto/Leistungsbonus max. 1,00 EUR pro Stunde. Vom Bonus würden künftig allerdings 0,40 EUR pro Stunde fix gezahlt. Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Leistungsbonus nicht in die Berechnung des Mindestlohns einfließen dürfe, sondern zusätzlich zu einer Grundvergütung in Höhe von 8,50 EUR pro Stunde zu zahlen sei. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat die Klage abgewiesen. Ausweislich der Pressemitteilung hat das Gericht seine Entscheidung wie folgt begründet: Zweck des MiLoG sei es, dem oder der Vollzeitbeschäftigten durch eigenes Einkommen die Sicherung eines angemessenen Lebensunterhalts zu ermöglichen. Es komme – unabhängig von der Bezeichnung einzelner Leistungen - allein auf das Verhältnis zwischen dem tatsächlich an den Arbeitnehmer gezahlten Lohn und dessen geleisteter Arbeitszeit an. Mindestlohnwirksam seien daher alle Zahlungen, die als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung mit Entgeltcharakter gezahlt würden. Da ein Leistungsbonus, anders als beispielsweise vermögenswirksame Leistungen, einen unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung aufweise, handele es sich um „Lohn im eigentlichen Sinn", der in die Berechnung des Mindestlohns einzubeziehen sei. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden.

(ArbG Düsseldorf, Urt. vom 20.4.2015 - 5 Ca 1617/15).

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1 Kommentar

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Der Entscheidung des ArbG Düsseldorf ist - soweit die Pressemitteilung eine solche Einschätzung zulässt - zuzustimmen.

Ich hatte zunächst einen wesentlichen Unterschied zu den EuGH-Fällen darin vermutet, dass in Düsseldorf der Arbeitgeber eine vermutlich trotz der Bezeichnung "freiwillig" rechtsverbindliche Lohnkomponente just aus Anlass der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 0,40 € pro Stunde zur Verrechnung mit demselben umfunktionierte. Ich hatte mir daher in einer ersten - eher emotionalen - Einschätzung gesagt, das müsse dem Arbeitgeber zum Nachteil gereichen. Diesen Gedanken habe ich aber wieder verworfen, und zwar aus folgendem Grund:

 

In dem von Prof. Dr. Rolfs ziteirten EuGH-Fall "Sähköalojen ammattiliitto ry"* waren ausländische Arbeitnehmer in ein finnisches Atomkraftwerk entsandt worden. Sie hatten nach dortigen allgemeinverb. Tarifvorschriften u. a. einen Rechtsanspruch auf die oben im Beitrag von Prof. Dr. Rolfs erwähnte Pendlerpauschale. Diese rechnete der EuGH deshalb auf den Entsende-Mindestlohn an, weil sie (Rn. 56 der Entscheidung) "nicht als Erstattung von Kosten, die dem Arbeitnehmer infolge der Entsendung tatsächlich entstanden sind, gezahlt wird" (Hervorh. von mir). - Wollte man nun mutatis mutandis den Düsseldorfer Sachverhalt nach Finnland transponieren, müsste man den EuGH-Fall so abwandeln, dass die Tarifvertragsparteien auf die Idee gekommen wären, die Pendlerpauschale anlässlich einer Mindestlohnproblematik flugs abzuändern und zu deklarieren, dass sie auf den Mindestlohn anzurechnen sei. Das ist zwar eine abwegige Vorstellung, und der EuGH-Sachverhalt gibt dafür nichts her, man wird aber sagen dürfen, dass dies am rechtlichen Ergebnis nichts ändern würde. Selbst wenn nämlich die Maßnahmen, mit denen auf den Mindestlohn reagiert wird, völlig untauglich sind, weil sie sich zur Veränderung einer bestimmten, schon zuvor mit Rechtsanspruch vorhandenen Lohnkomponente nicht eignen, kann die Rechtslage richtigerweise nicht anders sein, als wenn (wie es ja im finnischen Fall tatsächlich war) an der bisherigen Vergütungsstruktur gar nichts geändert wird.

Mit anderen Worten: Hätte der Düsseldorfer Arbeitgeber den Bonus wie bisher ausgewiesen, müsste man ihn auf den Mindestlohn genauso anrechnen. Oder umgekehrt gesagt: die Prüfung, ob die Umdeklarierung und einseitige Verschiebung von Lohnbestandteilen, wie sie in Düsseldorf seitens des Arbeitgebers als Reaktion auf den Mindestlohn erfolgte, überhaupt wirksam war, kann man sich sparen.

 

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*) das heißt übrigens nichts anderes als "Verband der Elektrofacharbeitergewerkschaften"

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