Warum ist der Fall Tugce zu dem geworden, was er ist?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 17.06.2015

Im Rahmen der Urteilsverkündung – drei Jahre Jugendstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge – äußerte der Vorsitzende Richter Jens Aßling zunächst sein Mitgefühl gegenüber den Eltern der getöteten Tugce Albayrak und bat um Verständnis für sein Vorgehen im Rahmen der Sachaufklärung in den vergangenen Wochen, das Fragen erfordert habe, die für Angehörige „vielleicht unangenehm“ gewesen seien. Danach sprach er aber auch die Frage an, die letztlich an uns alle gerichtet ist, nämlich „warum gerade dieser Fall zu dem geworden ist, was er ist“? Er kritisierte Medien (Bild-Zeitung „Killer“, „Koma-Schläger) aber auch die Politik, die lange vor Prozessbeginn von einem „brutalem Verbrechen“ gesprochen hatte (diese Formulierung findet sich im Brief des Bundespräsidenten Gauck an die Eltern des Opfers).

Die Rekonstruktion des Tatgeschehens ist nach Einschätzung des Gerichts erheblich durch massive Schuldzuweisungen vor Prozessbeginn erschwert worden. In der Urteilsbegründung ist von „vergifteten“Zeugenaussagen die Rede gewesen, weil Freundinnen des Opfers wie auch Freunde des Täters vor allem durch die Berichterstattung erheblich beeinflusst worden seien.

Dies sollten wir nicht vergessen, wenn demnächst wieder einmal über eine Straftat berichtet wird, bei der die Öffentlichkeit aufgrund der Medienberichterstattung sehr schnell eindeutig gegen den Täter Stellung nimmt.

Den Angehörigen der getöteten jungen Frau gehört unser stark empfundenes Mitgefühl. Mitgefühl kann sehr schnell in Empörung umschlagen – und beides erschwert einem den ausgewogenen Blick auf das Geschehen.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

45 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Wenn nur unsere ständig am Kochen gehaltene Mediengesellschaft nicht jeden Tag eine neue Kuh brauchen würde, die man durchs Dorf treiben kann, wäre vieles viel besser und man müßte sich nicht ständig bei Leuten wie Edathy, Kachelmann, Karl Dall und DSK entschuldigen und sich damit abfinden, daß ein Drittel aller Strafurteile Fehlurteile sind. Respekjt für dieses objektive Strafverfahren und die so sachkundigen wie pflichtbewußten Richter!

4

Die Justizminister tendieren wohl dazu den Massenmedien noch mehr Handlungspielraum und Beeinflussungspielraum zu eröffnen.

Siehe etwa hier: http://www.tagesschau.de/inland/tv-im-gericht-103.html

Wohl den meisten Politikern ist daran gelegen, sich mit den großen Massenmedien möglichst gut zu stehen.

Es ist damit zu rechen, daß die kriegen, was sie sich wünschen.

Egal, ob es sachgerecht und sachdienlich ist.

5

Warum entschuldigt sich ein Richter bei den Eltern des Opfers dafür, dass er seine Arbeit tut. Hat er sich auch beim Angeklagten dafür entschuldigt, dass er die Fragen gestellt hat, die er stellen musste? Und wer will beurteilen, dass dieses Strafverfahren "objektiv" war, wenn er die Akte nicht kennt und bei der Verhandlung nicht dabei war. Das Ergebnis könnte eher darauf deuten, dass der öffentliche Druck doch "durchgeschlagen" hat und es gerade kein "objektives" Verfahren war.

4

Das Verhalten von Gauck ist unwürdig und anmaßend, es zeigt sich ein unerträgliches Rechtsverständnis. Wie kann er es in seiner Position wagen, die Unschuldsvermutung aufzuheben und die Verurteilung in einem ordentlichen Strafverfahrens vorwegzunehmen? 

Und im Übrigen: Schreibt er solche Briefe häufiger? Nach welchen Kriterien werden die Adressaten ausgewählt?

Abtreten soll er!

4

Diese Vorverurteilung der Medien zieht sich doch durch sämtliche Verfahren der Republik, in der es in irgendeiner Form um einen Konflikt Mann/Frau geht. Männer werden als tumbe Gewalttäter und Stalker dargestellt, Frauen als Opfer. Das beginnt beim lauten Wort und endet beim tödlichen Streit. 

 

Hier endete eine Provokation und Demütigung eines Mannes vor seinen Freunden durch eine sich moralisch erhebende Frau nun tödlich. Eigentlich ein "Unfall". 

 

Das Drama passe jedoch in das "Bild", das oft schlichterweise von Männern und ihrem Rollenverhalten gezeichnet wird, und zeigt, welche Reflexe bis hin zum Bundespräsidenten in diesem Land bestehen. 

 

4

Richter: "Haben Sie mit anderen Zeugen über deren Aussagen gesprochen?"

Zeuge: "Nicht nötig, [Magazin] hat einen guten Liveticker."

Vor 20 Jahren wären

* Name und Hintergrund des Beschuldigten nicht sofort bekannt geworden, evtl. sogar bis zur Verhandlung
* nicht 50 Medien auf die Suche nach Zeugen gegangen, sondern viell. fünf
* die Zeugen kaum in der Lage gewesen, sich in de facto vollständigem Umfang über die Wahrnehmung der anderen zu informieren

Die Wahrheitsfindung wird in Zukunft nicht einfacher. Dazu kommt - in anderen Fällen - noch eine publicitysüchtige Staatsanwaltschaft, die in unzulässigem Maß Vorverurteilung durch Verrat von Amtsgeheimnissen betreibt.

Ob das vom Richter postulierte Erziehungsziel mit Haft wirklich erreicht werden kann, darf bezweifelt werden. Es wäre eine Schande für unser Rechtssystem, wenn nur in Verbindung mit Haft die erforderliche Disziplin und Bildung vermittelt werden könnten und nicht mit Bewährungsauflagen.

@Mein Name, Sie  schreiben:

Ob das vom Richter postulierte Erziehungsziel mit Haft wirklich erreicht werden kann, darf bezweifelt werden. Es wäre eine Schande für unser Rechtssystem, wenn nur in Verbindung mit Haft die erforderliche Disziplin und Bildung vermittelt werden könnten und nicht mit Bewährungsauflagen.

Dass die Jugendstrafe wegen "schädlicher Neigungen" der Erziehung dient, ist nun einmal Ausgangspunkt des Gesetzes. Zwar teile ich Ihre Zweifel, ob in der Jugendstrafanstalt dieses Ziel je erreicht werden kann, aber das ist ein generelles  Problem.  Die dem Gesetz (JGG) zugrundeliegende Annahme, Jugendstrafe diene der "Gesamterziehung", kann das Gericht nicht einfach ignorieren. Grundsätzliche Zweifel an der Jugendstrafe in diesem Fall geltend zu machen - das wäre ein bisschen viel verlangt vom Gericht. Von außen betrachtet hat das Gericht einen relativ guten Job gemacht. Die Dauer der Jugendstrafe wegen schädl. Neigungen wird nach der gesetzlichen "Theorie" ganz wesentlich durch den "Erziehungsbedarf" bestimmt, nicht durch den Vergleich zur Tat und deren schwere Folge, das übersehen viele Medienberichte.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

1/6607ZurückLogoutVon:"Mar­tin Deeg"   Beck20.06.15 15:55:06Zum Aktionsmenü

Heribert Prantl schreibt heute: 

..."Die alte Journalistenantwort auf die Frage, auf welche Geschichten die Leute am meisten anspringen, lautet: Sex, Haie und Hitler. Sie muss ergänzt werden um ein viertes: Geschichten über ideale Opfer. Die katholische Kirche braucht, um aus einem Menschen einen Heiligen zu machen, Jahre und Jahrzehnte. Die Medien brauchen dazu, wenn es pressiert, nur ein paar Stunden. Die Justiz, die nicht für Verklärung, sondern für Aufklärung zuständig ist, liegt zeitlich dazwischen."....

http://www.sueddeutsche.de/panorama/nach-dem-tue-urteil-angeklagt-die-oe...

Wo "ideale Opfer" sind, sind "ideale Täter" gefragt! 

4

Man kann die Presse, auch die Sensationspresse, ja nicht abschaffen. Wer heute öffentlich tätig ist, muß aber wissen, wie man damit umzugehen hat. Die Presse richtig zu lesen und zu verstehen, ist genau so wichtig, wie ein Gesetz richtig zu lesen und zu verstehen. Manche Richter und Staatsanwälte haben da viel zu wenig Distanz. Und so mancher Rechtsanwalt heizt arrogant-holzfällerhaft an wie Varoufakis in Person...

4

Dr. Heribert Prantl wird nach dem bekannten Online-Lexikon mit W am Anfang und a am Ende wie folgt (Zitat) bezeichnet:

"Nach dem Referendariat arbeitete er zunächst als Rechtsanwalt, von 1981 bis 1987 war er als Richter an bayerischen Amts- und Landgerichten sowie als Staatsanwalt tätig. Darüber hinaus war er Pressesprecher des Landgerichtes Regensburg.
1988 wechselte er den Beruf und wurde auf Betreiben der damaligen Chefredakteure der Süddeutschen Zeitung, Hans Heigert und Dieter Schröder, innenpolitischer Redakteur und Verfasser vieler Leitartikel bei der SZ. Darüber hinaus wurde er Autor zahlreicher politischer Bücher und Essays, politischer Kommentator bei öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern und häufiger Gast in Radio- und Fernsehdiskussionen. Von 1992 bis 1995 war er stellvertretender Chef des Ressorts Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, das er seit 1995 leitet."
 

Er war selber aber keine einzige Minute im Gerichtssaal 3 des Landgerichts Darmstadt. Aber er weiß, wie und woher auch immer, daß die Urteilsverkündung durch den Vorsitzenden Richter Jens Aßling nach der wundersamen Meinung des Dr. Heribert Prantl (Überschrift des Kommentars in der Sueddeutschen-Online vom 20. Juni 2015, 20:50 Uhr: "Angeklagt: die Öffentlichkeit") zu  einem "pfeifenden Ventil" geworden wäre und der Richter nicht "souverän", sondern "beleidigt" reagiert habe. Zitat aus dem Kommentar:

"Die Urteilsverkündungen sind, über ihren eigentlich Sinn und Zweck hinaus, ein pfeifendes Ventil geworden, eine Art Notwehr gegen echte oder vermeintliche Missachtung und Behinderung des Gerichts. Wenn dieses Ventil maßvoll eingesetzt wird, ist dagegen nicht viel zu sagen. Es darf nur kein Pfeifkonzert daraus werden.[...] Zur richterlichen Unabhängigkeit gehört es, sich ihre Gefährdungen bewusst zu machen und darauf souverän, und nicht beleidigt, zu reagieren."

Vorher hatte der Dr. Heribert Prantl die Vorsitzenden Richter "Aßling, Burghardt, Heindl, Rosenow und Seidling" gemeinsam in einen Topf geworfen, kräftig umgerührt, und nun hält er die bekannte Boulevard-Zeitung mit den 4 großen Buchstaben offenbar für "die Öffentlichkeit", die "angeklagt" wurde und er, der Herr Dr. Heribert Prantl hält sich wohl zusammen mit dieser Boulevard-Zeitung ebenfalls für "die Öffentlichkeit" und "angeklagt".
 
Wäre er aber im Prozeß am ersten Tag von Anfang an dabeigewesen, dann hätte er miterleben können, wie ein Pressevertreter vor dem Einlaß in das Gerichtsgebäude um 07:30 Uhr einen Justizbediensteten, der noch um etwas Geduld bat, als "Holzkopf" titulierte, ein anderer Pressevertreter entgegen einer mehrfachen genauen Anweisung an alle Prozeß-Beobachter im Sitzungssaal 3 während des Prozesses auch verbotener Weise Filmaufnahmen machte und Richter Aßling dafür sorgte, daß dieser Pressevertreter anschließend vor den Richter geholt wurde und er sein Tablet mit den verbotenen Filmaufnahmen während der Verhandlung abgeben mußte. Er durfte dann aber noch diesen Tag im Gerichtssaal bleiben, an späteren Tagen wurde er jedoch nicht mehr gesehen. Auch Demonstrationen im Gerichtssaal  wurden zu Recht nicht erlaubt.

Außerdem gab es mehrere unschöne Szenen im und außerhalb des Gerichtsgebäudes, die Stimmung war sehr gespannt und die Polizei war deshalb auch sehr präsent gewesen, um Zusammenstöße und Rangeleien zu verhindern.

Hätte der Dr. Heribert Prantl nur eine einzige Minute den Prozeß als Beobachter selber verfolgt gehabt, dann könnte ich vielleicht etwas Authentizität und etwas eigene Wahrnehmung in seinem Kommentar entdecken, aber so war eine eigene Wahrnehmung bei Herrn Dr. Heribert Prantl überhaupt nicht erkennbar, sondern alles vom vorherigen Gebräu einiger Medien überdeckt und damit reiht der Herr Dr. Heribert Prantl sich mit seinem Kommentar nahtlos in eine lange Reihe vieler geladener Zeugen ein, deren effektiver Aussagewert nahezu gegen Null tendierte, bis zur Falschaussage.

So verwundert es auch nicht mehr, daß der Herr Dr. Heribert Prantl folgende, wirklich  geniale(!) Konsequenz (Zitat) vorschlägt:

"wenn der Richter das Strafverfahren einstellen würde - mit der Begründung, ein faires Verfahren sei nicht mehr gewährleistet. Der Angeklagte Sanel M. im Tuğçe-Verfahren, von der Bild-Zeitung als "Koma-Schläger" verfolgt, wäre dann ohne Strafe aus dem Verfahren gegangen."

Anschließend können ja auch alle Richter wie "Aßling, Burghardt, Heindl, Rosenow und Seidling" dem ehemaligen Richter Dr. Heribert Prantl nachfolgen und nur noch von ferne als Zeitungskommentatoren arbeiten und bräuchten auch keinen einzigen Fuß mehr in den Gerichtssaal zu setzen, sondern könnten von nun an häufig in Talkshows im Fernsehen auftreten, genau wie der Herr Dr. Heribert Prantl.

So einfach kann das Leben doch sein und alle Probleme der Gerichte wären nach dieser genialen Idee doch schlagartig gelöst und die Ahndung der Kriminalität findet mangels Richter und auch mühseliger Strafprozesse nicht mehr statt. Aber was kommentiert dann der Herr Dr. Heribert Prantl eigentlich noch in der nächsten Zukunft? Das verrät er seinen staunenden Lesern und wirklichen Prozeß-Beobachtern sicherlich noch bei einem seiner nächsten Kommentare, oder in einer seiner nächsten Talkshows.

Chapeau, Herr Dr. Heribert Prantl!

Ein wirklicher juristischer Hochkaräter ist doch unbestreitbar der Herr Dr. jur. h.c. Gerhard Strate. Auf seiner Website kann der an schwieriger Materie Interessierte den höchst aufschlußreichen Aufsatz lesen:

Der Mordfall Weimar - Kraft und Gefahren des Sachbeweises

(aus: Kriminalistik 1997, 634 ff.), neben anderen Publikationen und Dokumentationen, wie dem Wiederaufnahmeverfahren im Fall des Gustl Mollath. Auch der Herr Dr. jur. h.c. Gerhard Strate hat Medienerfahrung und trat gelegentlich schon mal in einer Talkshow auf, aber zurückhaltend, überlegt und auch wirklich kenntnisreich.

Welcher Jurist schreibt denn nun noch "Der Fall Tugce - Kraft und Gefahren des Zeugenbeweises"?

Es ging hier ja "nur" um eine Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB (Zitat):

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Die Verteidiger von Sanel M. sind der Ansicht, daß der Absatz 2 zutrifft, haben auf 1 Jahr Jugendstrafe mit Bewährung plädiert und haben auch Revision angekündigt. Damit wird dieser Fall weiter in den Medien bleiben. Ob dem Verurteilten Sanel M., der nach dem Urteil noch mindestens 11 Monate Jugendstrafe vor sich hat, durch weiteren Presserummel damit wirklich geholfen ist, daran habe ich einige Zweifel nach diesem Prozeß, in dem die Darmstädter Justiz an Mühe und Aufwand alles aufgeboten hatte, was in irgend einer Form möglich war, um den Sachverhalt aufzuklären.
Das alles scheint dem Herrn Dr. jur. Heribert Prantl im fernen München aber bisher noch völlig entgangen zu sein.
Er ist ja auch nicht ein Alois Hingerl, Dienstmann Nummer 172, dem ein anderer Jurist und Rechtsanwalt in Dachau, der Ludwig Thoma, ein unsterbliches literarisches Denkmal gesetzt hatte. (An einem Sonntag wie heute wird der Alois mutmaßlich auf seiner Wolke wieder einmal tapfer frohlocken.)
Das hat Bestand, die Kommentare des Herrn Dr. jur. Heribert Prantl (weiter oben bereits verlinkt und zitiert) und der B. - Zeitung zum "Fall Tugce" (nach meiner unmaßgeblichen Meinung) wohl kaum.

 

#12

 

Prantl schreibt klar durchdacht, begründet und fokussiert das Kernthema: "Das Spannungsverhältnis zwischen Gericht und Medienöffentlichkeit ist spannungsgeladener als früher." 

  Die Umbrüche in der Medienwelt und die daraus resultierende Transparenz (Dokumentation in Sachen Mollath durch G. Strate ) sind - ganz offenkundig - ein gewaltiges Problem für das Selbstbild einer Justiz, die bisher im "Dunkeln" agieren konnte.    Die Zeiten andienerischer und distanzloser Gefälligkeitsberichterstattung, in der den Leser das devote Bücken des Journalisten vor der Herrlichkeit Vorsitzender Richter ("Herr Dr....") nicht nur zwischen den Zeilen ansprang, ist endgültig vorbei.    Heribert Prantl thematisiert nichts anderes auf als die Tatsache, dass sich Richter aufgrund gesteigerten Einflusses der Medienwelt - die sich nun nicht mehr auf ein Berichten über die mit zitterndem Stift herbeigesehnten "Urteile" beschränkt sondern sich als teilnehmende Öffentlichkeit selbst eine Meinung und ein "Urteil" bildet und auch "Vor"-Urteile schafft - in ihrer richterlichen Haltung beeinflussen lassen und defensiv agieren. Das ist deshalb peinlich, weil es zeigt, wie rissig die Fassade der "unabhängigen" Justiz und ihrer Richter ist, sobald sie selbst in Frage und zur Diskussion gestellt werden.    Richter, die z.B. kein Problem damit hatten, intimste und für die Wahrheitsfindung völlig irrelevante Details aus Jörg Kachelmanns Vita in öffentlicher Verhandlung ausbreiten zu lassen (offenkundig um Fehlentscheidungen zu kaschieren), wie Prantl anführt. 
2

Antwort auf RA MM vom 21.06.2015 (# 14):

Der Fall Kachelmann und andere Fälle werden von Prantl mit dem Fall Tugce zu einem hierbei doch undifferenzierten Einheitsbrei zusammengerührt.
Es fehlte die wahre analytische Schärfe und Differenziertheit, die doch angemessen wäre, oder man bleibt auf dem Niveau des Boulevards plus X, also kaum besser als die bunten Blätter mit den großen Schlagzeilen.
Das ist doch der Knack-Punkt, mit Verlaub.

Richter Aßling hatte eben gerade nicht "beleidigt" reagiert, sondern durchaus selbstkritische Töne anklingen lassen.

Der Bruder Dogus A. berichtete von richtigen "Belagerungen" durch Pressevertreter in seiner Aussage im Prozeß und machte einen Tag nach der Urteilsverkündung auch dem erkennenden Gericht keinerlei Vorwürfe, er hält das Strafrecht (Jugendstrafrecht) für zu milde ("Kuscheljustiz").

Die Ambivalenz ist aber auch hier gegeben, wenn man selber ebenfalls die Presse benützt.

 

Wenn demnächst mit Fernsehen etc. die medienöffentliche Hauptverhandlung kommt, was die Justizminister bekanntlich im Sinn haben, werden sich die Richter und Staatsanwälte noch weiter umgewöhnen müssen. Eine richterliche "Feststellung" und die richterliche "Überzeugung" wird dann zum einen öffentlich nachprüfbar und zum anderen reproduzierbar. Aus mit der richterlichen Selbstherrlichkeit und Gemütlichkeit! Man steht dann voll zu öffentlicher Diskussion. Aus "in dubio pro reo" wird aus Fassade wieder ein Gebäude.

"Man steht dann voll zu öffentlicher Diskussion."

Wozu dann noch ein Beratungszimmer? und ein Beratungsgeheimnis?? und ein Schwurgericht???

Werden dann nicht auch die Verteidiger sich "noch weiter umgewöhnen müssen", wenn alles aus dem Gerichtssaal live in alle Haushalte übertragen wird?

Die Gebärdendolmetscher und Lippenableser warten auch schon, das gibt es doch schon auf den Fußballplätzen und in den Stadien.

Vox populi oder gleich einen medialen Volksgerichtshof mit Abstimmung über die Fernbedienung, wäre das die Lösung der Zukunft?

Alles möglich .......  oder nicht?

Es ist doch wie im alten Rom: Das Volk will Brot und Spiele.

Ob nun beim Wagenrennen oder Gladiatorenkampf oder bei sonstigen Veranstaltungen im Zirkus.

Unter anderem die Gerichtssendungen im Fernsehen zeigen, wie sehr sich dieses Sujet als stimmungsvolle Unterhaltung eignet. 

Vielleicht sollte man dann demnächst professionelle Schauspieler als Richter, Staatsanwälte und Verteidiger engagieren.

Immerhin hat man in den USA ja professionelle Schauspieler auch schon zu Gouverneuren und Präsidenten gemacht - warum dann nicht auch zu Richtern?

 

2

Sehr geehrter Herr Rudophi,

Sie schreiben:

Welcher Jurist schreibt denn nun noch "Der Fall Tugce - Kraft und Gefahren des Zeugenbeweises"?

Es ging hier ja "nur" um eine Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB (Zitat):

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Die Verteidiger von Sanel M. sind der Ansicht, daß der Absatz 2 zutrifft, haben auf 1 Jahr Jugendstrafe mit Bewährung plädiert und haben auch Revision angekündigt.

Sie übersehen, dass im Jugendstrafrecht die Strafrahmen des StGB nicht gelten. Für die Dauer der Jugendstrafe gilt allein § 18 JGG.

Mit bestem Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Rudophi,

Sie schreiben:

Welcher Jurist schreibt denn nun noch "Der Fall Tugce - Kraft und Gefahren des Zeugenbeweises"?

Es ging hier ja "nur" um eine Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB (Zitat):

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Die Verteidiger von Sanel M. sind der Ansicht, daß der Absatz 2 zutrifft, haben auf 1 Jahr Jugendstrafe mit Bewährung plädiert und haben auch Revision angekündigt.

Sie übersehen, dass im Jugendstrafrecht die Strafrahmen des StGB nicht gelten. Für die Dauer der Jugendstrafe gilt allein § 18 JGG.

Mit bestem Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

 

Sehr geehrter Herr Professor Müller,

 

das kann man gar nicht oft genug klarstellen und vor diesem Hintergrund ist es durchaus befremdlich, wenn Vertreter der StA im Fernsehen zum Fall "Tugce" etwas von einer "Strafrahmenverschiebung im Jugendstrafrecht", nämlich 6 Monate bis 10 Jahre Jugendstrafe statt 3 bis 15 Jahre Freiheitsstrafe, erzählen. Einem (Schwerpunkt-)Studenten würde man hier an der Uni bei einer solchen Aussage zu Recht die Ohren lang ziehen, weil sie ein Fehlverständis vom JGG offenbart. Die Jugendstrafe ist ein "aliud" zur Freiheitsstrafe und das Rechtsfolgensystem des JGG im Übrigen so stark ausdifferenziert, dass von einer bloßen Verschiebung keine Rede sein kann. Als ob die Verhängung einer Jugendstrafe bei schweren Folgen automatisch wäre und sie allgemein nach den Strafrahmen des StGB zu bemessen wäre!   

Worauf die Verteidigung womöglich abzielte, war das Verbot der Schlechterstellung, wonach Jugendliche/Heranwachsende bei der Anwendung von Jugendstrafrecht nicht schlechter gestellt werden dürfen als Erwachsene nach StGB (wie es etwa von Eisenberg vertreten wird, § 18 JGG Rn. 4, 23). Allgemein anerkannt ist, dass die in den gesetzlichen Regelungen des StGB zum Ausdruck kommende Bewertung des Unrechts bei der Strafbemessung im JGG grundsätzlich zu berücksichtigen ist, was insbesondere für die Bewertung als minder schwerer Fall gelten soll. Ohne nähere Kenntnis der Akten und insbesondere der Person des Angeklagten kann ich es zwar nicht abschließend beurteilen, meine aber schon, dass die Annahme eines minder schweren Falles mit Blick auf die Vorgeschichte der Tat und den ungewöhnlichen Kausalverlauf, der zum Tode führte, zumindest nicht ausgeschlossen erscheint. Jedenfalls finde ich das Urteil für jugendstrafrechtliche Verhältnisse recht streng und ich kenne vergleichbare § 227er-Urteile, in denen es nach StGB noch eine bewährungsfähige Strafe gab.

 

Beste Grüße

Sebastian Sobota

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. H. E. Müller,

 

haben Sie vielen Dank für die rasche und kompetente Korrektur. Hier muß ich auch Selbstkritik üben, denn die Plädoyers der 3 Verteidiger hatte ich am Freitag Nachmittag leider nicht  mehr selber verfolgen können, darum habe ich auch ausnahmsweise nur geschlußfolgert.

Aber 1 Jahr auf Bewährung wurde gefordert,  laut Ihrem Hinweis offensichtlich nach dem § 18 JGG.

 

Beste Grüße und vielen Dank

 

Günter Rudolphi

Zur Vertiefung der Problematik der überbordenden medialen Präsenz bei Kriminalität verlinke ich diesen Artikel:

"Gesetzliche Beschränkung der Berichterstattung über Mordanschläge
Kein Podium für ruhmsüchtige Attentäter"

http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/nach-anschlag-bei-batman-premier...

Auch ein Straf-Prozeß kann die Basis für Ruhmsucht sein, das kann für alle Beteiligte gelten.

Und es war in dieser Hinsicht ein wirklich sehr interessanter Prozeß!

 

#21

 

Günter Rudolphi schrieb:

Auch ein Straf-Prozeß kann die Basis für Ruhmsucht sein, das kann für alle Beteiligte gelten.

 

Dies mag tatsächlich selten für Amokläufe und "Exempelstraftaten" gelten, soweit der Täter nicht Suizid begeht, wie in Winnenden der Fall. (Hier dürfte die "überbordende mediale Präsenz" mehr dem Mitgefühl für die unschuldigen Opfer und generellem Empathiebewusstsein entspringen als dem Interesse am Täter und den doch "musterhaften" Motiven für solche Taten!) 

 

Ganz auszuschliessen ist dieses "Motiv" Ruhmsucht jedoch, wenn wie im hier zur Debatte stehenden Fall Tugce, sowohl Opfer als auch Täter komplett "ungeplant" Thema eines Strafprozesses sind. Für  die Angehörigenfamilien verbietet sich so eine Unterstellung gänzlich, hier geht es vielmehr um Anerkennung vor allem des Leids. Das wird gerne mit Geltungssucht verwechselt, insbesondere von Juristen. 

 

Jedenfalls: bei Vermischungen "fehlt die wahre analytische Schärfe und Differenziertheit, die doch angemessen wäre"....wer hat's gesagt? 

 
0
#22 (RA MM vom 21.06.2015)

Verehrter Kommentator, Sie haben offensichtlich nicht genau genug gelesen.

"Auch ein Straf-Prozeß kann die Basis für Ruhmsucht sein, das kann für alle Beteiligte gelten."

Beteiligte an einem Strafprozeß sind doch auch die Verteidiger und die Öffentlichkeit, solange sie nicht ausgeschlossen ist, denn auch die gehört dann dazu.

Den Angehörigen und auch den Verteidigern unterstelle ich nichts, was sie nicht selber zum Teil auch in die Wege geleitet haben. Der tragische Sturz einer jungen Frau um ca. 04:15 nachts in Offenbach nach wüsten wechselseitigen Beleidigungen und nach dem Schlag mit der flachen Hand und der spätere Tod ist leider das Ergebnis eines banalen und auch alltäglichen Streits zweier Gruppen junger, auch alkoholisierter Menschen gewesen, einer Gruppe junger Männer und einer Gruppe etwas älterer - und auch etwas ausgebildeterer junger Frauen - die aber beide nicht mehr genügend deeskalieren konnten oder es wollten. Ganz genau war das nicht zu eruieren, auch wegen des von der B.-Zeitung veröffentlichten Videos, das die Erinnerungen der Zeugen überdeckte.
Daß diesem tragischen Tod auch ein höherer Sinn gegeben werden soll, auch über eine angestrebte Stiftung, das ist ja auch noch verständlich.

Aber was  die Rolle der Presse generell anlangt, darüber gehen die Meinungen auseinander, ebenso vielleicht über die von Ihnen gerade bemängelten "Vermischungen", die aber nur zur weiteren Vertiefung hier von mir gebracht wurden.
Nicht alle Prozeß-Beobachter allerdings halten Trauer, "Anerkennung vor allem des Leids" und Aggressionen in einer Warteschlange, oder im Gerichtsgebäude, oder außerhalb des Gerichtsgebäudes auch für Angehörige einer nun toten jungen Frau für geeignete Vermischungen.
Da Sie das alles aber nicht wissen können, da Sie ja offensichtlich nicht dabei waren und nur aus zweiter oder dritter Hand in der Presse über den Prozeß gelesen haben, verehrter Kommentator RA MM, bleibe ich auch dabei.

Beachten Sie auch bitte das "kann" und daß die jungen Frauen doch die höheren Bildungsabschlüsse hatten, was vielleicht etwas mehr Vernunft bedeuten sollte im Hinblick auf eine Deeskalation in dieser Situation am 15. November 2014.

Mit freundlichen Grüßen

GR

  PS: Zitate habe ich zwischen " " gesetzt und kursiv geschrieben, keine Wertung damit verbunden
 

Siehe dazu auch Bericht der Bundesregierung zum Thema: "Öffentliche Vorverurteilung" und "faires Verfahren" vom 27.12.1985

BT-Drucksache 10/4608, S.5 ff.

http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/10/046/1004608.pdf

Im Grunde geht es doch um die Sicherung der "Atmosphäre justizieller Sachlichkeit", der (auch so zu verstehenden) "Würde des Gerichts", des äußeren Ablaufs eines auf Wahrheitsfindung angelegten Strafverfahrens. Vor allem dafür allerdings stehen dem Gericht nicht wenige sitzungspolizeiliche Maßnahmen zur Verfügung - also nicht nur gegen einen während Urteilsverkündung sitzenbleibenden Angeklagten oder seinen Verteidiger, der keine weiße Krawatte trägt oder gegen eine Kopftuch tragende Muslimin. 

Ich denke, dass nicht nur Ordnungsmittel oder Anordnungen als Maßnahmen in Betracht kommen. Auch Richtigstellungen, Belehrungen und Appelle dürften doch möglich sein, und zwar nicht erst bei der Urteilsbegründung.

Es gab solche "sitzungspolizeiliche Maßnahmen" ja, die auch den Journalisten bekannt waren:
 

http://www.newsroom.de/news/detail/%24IWEQEOLTHNKO

leider jetzt nicht mehr aufrufbar.

Aber diese Reaktion ist noch aufrufbar:

https://www.djv.de/startseite/profil/der-djv/pressebereich-download/pressemitteilungen/detail/article/beschraenkungen-aufheben.html

Sehr geehrter Herr Rudolphi, 

 

dass Sie nicht nur den Prozess sondern auch alle im Vorfeld und drumherum erfolgten Ereignisse (außer den Plädoyers der Strafverteidiger) akribisch persönlich verfolgt und ausgewertet haben, was Sie authentischst berichten, ist nachdrücklich klar geworden. 

 

Es geht hier jedoch gerade um mediale Wahrnehmungen und Wirkungen, um Rückschlüsse, Fehlschlüsse, Manipulationen, Emotionen auch von einfachen Zeitungslesern, Nichtjuristen,  Beobachtern und potentiell Rechtsuchenden. 

 

Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel ist nicht unbedingt abhängig vom Bildungsgrad sollte aber Grundvoraussetzung für den Richterberuf sein - ein "Komplettwissen" darüber, wer sich in welcher Warteschlange wie verhalten hat, eher nicht....das taugt nur zur Bestätigung vorgefasster Meinung. 

 

Gerade auch die Öffentlichkeit projiziert Vorstellungen wie "Vernunft" auf Verfahrensbeteiligte. So wie Sie hier auch. Diese Beispiele sind lehrbuchmässig. 

5

Verehrter Kommentator RA MM,

Ihre Frage nach der "Fähigkeit zum Perspektivenwechsel" ist sicher für einen Richter wichtig, diese Hauptverhandlung alleine reicht m.E. aber nicht schon dazu aus, diese dem Vorsitzenden Richter Jens Aßling zu bescheinigen, abzusprechen oder sie auch nur in Frage zu stellen. Inzwischen habe ich ihn auch in anderen Verhandlungen erlebt btw.
Ein Ganzes ist sicher mehr als die bloße Summe seiner Teile, akribisches Sammeln von Teilen kann auch eine "Bestätigung vorgefasster Meinung" bedeuten, da sind wir uns ja völlig einig, bewußtes Weglassen von Teilen aber ebenso. Projektionen auf andere Menschen sind ja außerdem auch eines meiner eigenen Lieblingsthemen.

Nach meinem Eindruck hat sich die Perspektive von "einfachen Zeitungslesern, Nichtjuristen,  Beobachtern und potentiell Rechtsuchenden"  während der Hauptverhandlung aber wahrnehmbar verändert, auch wegen einer veränderten medialen Berichterstattung.

Meine eigene Perspektive zu dem verhandelten Fall Tugce hat sich nur durch die Hauptverhandlung  geändert, nicht durch die mediale Berichterstattung darüber, aber das sollten besser andere Menschen beurteilen.

Auch die Gefahr eine doch vorgefasste Meinung über Presseorgane zu haben - oder ihr unbewußt zu unterliegen - sehe ich nicht, bei aller Kritik, der Herr der Frankfurter Ausgabe der B.- Zeitung könnte es Ihnen vielleicht bestätigen. Fragen Sie Ihn doch einmal selber danach.

Beste Grüße

GR

Angenommen es bleibt bei 3 Jahren, kann man davon ausgehen, dass nach 1- 2 Jahren der Täter wieder auf freiem Fuß ist ?

Wieviel ist eigentlich ein Mensch noch wert ?

 

 

 

 

 

 

 

 

3

Was der Dr. Heribert Prantl im fernen München doch überhaupt nicht erkannt hatte in seinem Kommentar, war die m. E. wirklich gute Verfahrensstrategie der Strafkammer mit dem Vorsitzenden Richter Jens Aßling gewesen.

Das zeichnete eben diese Kammer aus, das strategisch und taktisch kluge Verfahren bzw. Verhalten bis auf wenige kleine Ausnahmen.

Das Folgende ist aber nur meine eigene Interpretation mit einigen militärischen Analogien:

Einige Medien setzten im Fall Tugce auf eine "Materialschlacht" mit ungezählten Artikeln. Die Darmstädter Kammer hat dieser "Materialschlacht" der Medien 10 Verhandlungstage und 60 Zeugen, sowie insgesamt 3 Rechtsmediziner als Gutachter entgegengesetzt, die solange reden bzw. befragen durften und befragt werden konnten, bis zur Ermattung aller Beteiligter. Weiteren begründeten Beweisanträgen hätte die Kammer sicher ebenfalls noch entsprochen (wenn´s der Wahrheitsfindung dient), bis alle Beteiligte das Ende mit der finalen Urteilsverkündung herbeigesehnt hatten.

Militärisch gesehen eine Anwendung der Zermürbungstaktik, das sich so als eigene Antwort auf die ständige Presseoffensive auszudenken und auch so durchzuziehen ist eben eine kluge Strategie der Kammer gewesen mit dem Vorsitzenden Richter Jens Aßling und den beiden beisitzenden Richtern m/w.

Eine solche Strategie ist aber im vorliegenden Fall keine vorherige Festlegung auf ein Ergebnis der Beweisaufnahme, sondern Ergebnis-offen gewesen.

Hätte die Kammer mit Richter Aßling sich dieser Verhandlung nicht gestellt, wie Prantl es vorschlug, dann hätte vielleicht Prantl selber eine militärische Analogie gebraucht, ich tippe mal auf "Fahnenflucht", oder so ähnlich .......

Sich selber als befangen zu erklären und abzutauchen wäre doch in diesem Verfahren keine wirkliche Lösung gewesen.

Der Verurteilte Sanel M. hätte mit einem anderen Schlusswort die vorherige Presseoffensive gegen sich vermutlich auch nachträglich noch entkräften können, aber dazu fehlte ihm wahrscheinlich die Reife und Weitsicht.

Im Westen nichts Neues (Erich Maria Remarque)

Eine vorläufige Zusammenfassung mit weiteren Links:

Rechtsprechung
LG Darmstadt, 16.06.2015 - 1340 Ks 95002/14

http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=LG%20Darmsta...

#Günter Rudolphi 

 

Die Medienschelte des Vorsitzenden Richters in der mündlichen Urteilsbegründung erfüllte mich persönlich sehr wohl mit Genugtuung. Die reflexhafte Dummheit und Schwarz-Weiß-Malerei bei jedweder Art von Auseinandersetzung dieser Art ist für denkende sensible Menschen oft nur schwer erträglich. Aber wie heißt es so schön: man kann sich zwar dümmer geben als man ist - aber nicht intelligenter. 

 

Allerdings hat diese "Schwarz-Weiß-Malerei" sehr viel mit der Justiz selbst zu tun! Solange Richter (im Ergebnis), Staatsanwalt und Öffentlichkeit in der Wertung von Taten "einig" sind, stören sich Richter kaum an medialer Vorverurteilung. 

 

In diesem Fall war dies dem Vorsitzenden Richter nicht möglich, weil die Vorverurteilung der Faktenlage nicht standhielt. Übrigens auch nicht im (durchaus vergleichbaren) Fall des A. Brunner, aber sei's drum. In Bayerns parteipolitisch geprägter Justiz zählt "Volkes Zorn" wohl mehr....

 

Wie man sieht, führt sie bei den Adressaten - die Bild titelte bereits am nächsten Tag wieder vom "Koma-Schläger" - zu keinerlei Selbstreflexion. 

 

Stattdessen kommt die Richterschelte von Heribert Prantl, den Richter Aßling wohl nicht gemeint hat. Anstatt also diese beiden gegenüberzustellen und auf die Person abzuheben könnte die Frage lauten: dürfen Richter in der Urteilsbegründung ihre Befindlichkeit so herausstellen, dass - hätten sie dies in einem früheren Stadium des Prozesses getan - dies unweigerlich die Frage einer Befangenheit aufwirft. 

 

Immerhin gibt es (fragwürdigste) Urteile - der sog. "Maskenmann-Prozess", Urteil vergangene Woche - in denen das Gericht (nicht nur lt. Verteidiger) quasi das Plädoyer der Staatsanwaltschaft in ein Urteil überführt, ohne "Zweifel", die die Medien, bspw. der Tagesspiegel zuvor mehrseitig und nachvollziehbar "aufzeigte", inkl. Ermittlungsfehler und alternativem Tatverdächtigen! Vielleicht ist das ja auch eine Form von "Medienschelte" bzw. eine richterliche Art, der Öffentlichkeit zu zeigen, wer "am längeren Hebel sitzt" und was man von den "Einflüssen" hält...? 

 

Insofern wäre es Richter Aßling tatsächlich zugutezuhalten, dass er dieser Logik folgend, nicht "trotzig" freisprach oder sich selbst als befangen ablehnte und "abtauchte" sondern sich geradeheraus äußerte! (....als "beleidigt" outete....?) 

 

Und Prantl ist zugutezuhalten, dass er diese Medienschelte juristisch weiterdachte und zum Weiterdenken inspirierte. 

1

Richter Aßling hat mit seinen Kollegen eine Tote gedemütigt.

Weder der (angeblich) vorangegangene Alkoholgenuß des Opfers noch seine gegen den Totschläger gerichteten Worte sind ansatzweise geeignet, Schwere der Tat oder der Schuld des Täters zu mindern.  Trotzdem haben die Richter hierzu ihr Amt missbraucht.

In dem für Tugce's wesentlichen Punkt, die Frage, ob sie Mitschuld an ihrer Tötung trägt, wollten weder Richter noch Staatsanwalt "Grautöne" erkennen. Der Tenor lautet: Sie war Mitschuld.

Das Recht auf Leben einer jungen Bürgerin, die sich mit Zivilcourage für bedrohte Mädchen eingesetzt und dies mit ihrem Leben bezahlt hat, so billig zu relativieren, ist die Tat von Richtern, die man keinem Rechtsstaat wünscht.

Und wenn ausgerechnet dieser Richter auch noch gegen Medien kachelt, hätte man ihm zumindest bei Durchführung des gegen ihn gerichteten Disziplinarverfahrens sein "Wertesystem" vorhalten können, welches es zuliess, das Handeln von Tugce posthum (unrechtmäßig) zu diskreditieren.

 

2

Justizopfer schrieb:

In dem für Tugce's wesentlichen Punkt, die Frage, ob sie Mitschuld an ihrer Tötung trägt, wollten weder Richter noch Staatsanwalt "Grautöne" erkennen. Der Tenor lautet: Sie war Mitschuld.

"Mitschuld" ist ein "Grauton". Es ist nicht schwarz, es ist nicht weiß, viel "grauer" geht es kaum. Und jeder Richter weiß, dass das Leben nicht aus schwarz und nicht aus weiß besteht, sondern meistens aus "grau". Und nur völlig uneinsichtige Dummheit weiss immer ganz genau, was "richtig" ist und hält es sogar für richtig, einem guten Richter per Disziplinarverfahren sein "Wertesystem" vorzuhalten. Ein Richter hat beruflich kein "Wertesystem" zu haben; ein Richter hat das Gesetz zu befolgen. So viel Sozialkunde sollte man in der Schule gehabt haben...

5

@ 31 (Justizopfer)

Ich nehme Ihre Meinung zur Kenntnis und respektiere sie auch, teile sie aber nicht, denn Richter Aßling ist an das gültige Recht und Gesetz gebunden, auch wenn die daraus resultierende Rechtsprechung nicht jedem Menschen gefallen mag.

Hier in Deutschland gilt m.W. Folgendes:

Deutsches Richtergesetz
§ 38 Richtereid

 

(1) Der Richter hat folgenden Eid in öffentlicher Sitzung eines Gerichts zu leisten:

"Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe."
(2) Der Eid kann ohne die Worte "so wahr mir Gott helfe" geleistet werden.   (3) Der Eid kann für Richter im Landesdienst eine Verpflichtung auf die Landesverfassung enthalten und statt vor einem Gericht in anderer Weise öffentlich geleistet werden.

 

@ 30 (RA MM)

Ein solches aufwendige Verfahren mit einer Anklage gemäß § 227 StGB und dieser doch relativ langen Verhandlungsdauer unter ständigem Polizeischutz, mit 60 Zeugen und 3 Rechtsmedizinern kann doch kaum zum Regelfall werden, oder die Gerichte geraten damit an die Grenzen ihrer personellen und räumlichen Kapazitäten. Vom Haushalt eines Bundeslandes ganz zu schweigen, angesichts der aktuellen politischen Debatten und der politischen "Großwetterlage".

Ihre Wortwahl ("daraus resultierende Rechtsprechung") suggeriert, dass aus dem Gesetz heraus abzuleiten wäre, dass Tugce Mitschuld trifft. Dies ist hinsichtlich der hier verhandelten Straftat nicht der Fall.

Abartig wird das Urteil dann dadurch, dass der toten Tugce staatsanwaltliche Hilfe gg Übergriffe des Richters versagt wird.

Man hätte Tugce gerne raten wollen, sich nicht auf eine weitere Auseinandersetzung mit dem Schläger einzulassen. Dass sie es aber trotzdem gemacht hat, entsprach wohl ihrer Natur und geschah in Wahrnehmung ihrer Rechte, die ihr nun - teilweise - durch Richter Aßling posthum genommen wurden.

Dass sich Richter Aßling nicht mehr unter Kontrolle hatte, zeigt im übrigen auch sein pauschaler Rundumschlag gegen die Medien und die anmassende Erwartungshaltung, dass Bürger nicht ein seiner Auffassung widersprechendes Urteil fällen.

Wieviel muss noch passieren, damit die Justiz aufhört, Opfern grundlos Schuld oder Mitschuld zu geben (und damit selbst Gewalt sät)?

 

2

Justizopfer schrieb:

Ihre Wortwahl ("daraus resultierende Rechtsprechung") suggeriert, dass aus dem Gesetz heraus abzuleiten wäre, dass Tugce Mitschuld trifft. Dies ist hinsichtlich der hier verhandelten Straftat nicht der Fall.

Von einer expliziten Schuld / Mitschuld (dolus) von Tugce, dem Opfer, habe ich nie gesprochen und auch das Gericht m. W. nicht.

Justizopfer schrieb:

Abartig wird das Urteil dann dadurch, dass der toten Tugce staatsanwaltliche Hilfe gg Übergriffe des Richters versagt wird.

Ergo gab es auch keine Übergriffe.

Justizopfer schrieb:

Man hätte Tugce gerne raten wollen, sich nicht auf eine weitere Auseinandersetzung mit dem Schläger einzulassen. Dass sie es aber trotzdem gemacht hat, entsprach wohl ihrer Natur und geschah in Wahrnehmung ihrer Rechte, die ihr nun - teilweise - durch Richter Aßling posthum genommen wurden.

Das wäre ein guter und angebrachter Rat gewesen, Sie sagen es. Wahrnehmung von Rechten? (Welche? Tugce hatte kein Hausrecht, weder unten in der Toilette noch oben im Lokal) geht aber auch generell besser in einem ruhigeren Ton, auch da macht der Ton die Musik, mit Verlaub. Das gilt auch für die Gruppe um Sanel.

Justizopfer schrieb:

Dass sich Richter Aßling nicht mehr unter Kontrolle hatte, zeigt im übrigen auch sein pauschaler Rundumschlag gegen die Medien und die anmassende Erwartungshaltung, dass Bürger nicht ein seiner Auffassung widersprechendes Urteil fällen.

Für Urteile der Richter sind die Art. 92 bis 104 GG zuständig, für Meinungsäußerungen der Bürger ist Art. 5 GG  zuständig.

Justizopfer schrieb:

Wieviel muss noch passieren, damit die Justiz aufhört, Opfern grundlos Schuld oder Mitschuld zu geben (und damit selbst Gewalt sät)?

Wiederholung: Von einer expliziten Schuld / Mitschuld (dolus) von Tugce, dem Opfer habe ich nie gesprochen und auch das Gericht m. W. nicht.

Es ging allein um die Schuld des Täters, dabei spielt aber auch die ganze Situation vor dem Schlag und das Verhalten auch von Tugce dabei eine Rolle und außerdem die Frage nach dem Vorsatz oder der Fahrlässigkeit und aller Abstufungen dazwischen beim Täter sowie die Kausalität zwischen Schlag und der Todesfolge, ebenso die Steuerungsfähigkeit des Täters in einem Affekt und / oder unter Alkoholeinfluß stehend. Das ganze Geschehen war eben sehr komplex gewesen und hatte eine verhängnisvolle Eigendynamik entwickelt, an der Tugce doch erheblich mitwirkte bis zum Schlag, danach wurde sie offenbar ohnmächtig.

Günter Rudolphi schrieb:
Für Urteile der Richter sind die Art. 92 bis 104 GG zuständig, für Meinungsäußerungen der Bürger ist Art. 5 GG  zuständig.

 

Erfolgte die fragliche Äußerung als Grundrechtsträger oder als Amtsträger?

Der Richter darf sich als Mensch und Bürger über Gott und die Welt äußern. In Robe am Richtertisch... fraglich, ob da wirklich Art. 5 GG die richtige Hausnummer ist.

Wobei ich damit nicht behaupten möchte, dass die fragliche Äußerung nicht auch in der Funktion als Richter angebracht war. Das aber wäre dann m. E. der richtige Maßstab.

 

0

Gast schrieb:
Erfolgte die fragliche Äußerung als Grundrechtsträger oder als Amtsträger?

Der Richter darf sich als Mensch und Bürger über Gott und die Welt äußern. In Robe am Richtertisch... fraglich, ob da wirklich Art. 5 GG die richtige Hausnummer ist.

Wobei ich damit nicht behaupten möchte, dass die fragliche Äußerung nicht auch in der Funktion als Richter angebracht war. Das aber wäre dann m. E. der richtige Maßstab.

Mißverständnis, mein Bezug war dieses Zitat:

Justizopfer schrieb:
Dass sich Richter Aßling nicht mehr unter Kontrolle hatte, zeigt im übrigen auch sein pauschaler Rundumschlag gegen die Medien und die anmassende Erwartungshaltung, dass Bürger nicht ein seiner Auffassung widersprechendes Urteil fällen.

Richter fällen Urteile, die "normalen" Bürger eher nicht, diese äußern Meinungen (nach Art. 5 GG), auch über Urteile der Richter, außerdem garantiert der Art. 5 GG ja auch noch die Pressefreiheit.
Der Begriff "Urteil" wurde hier aber als ein juristischer terminus technicus von mir erwähnt, wie "Beschluß" o.ä.

Was ein Richter in der Verhandlung alles äußern kann, war nicht mein Bezug, aber das wäre sicher auch mal interessant, was die ausgewiesenen Experten hier dazu meinen.

@ Rudolphi: Die Tötung von Tugce als Resultat einer "verhängnisvolle(n) Eigendynamik" zu bezeichnen ist blanker Zynismus, den man sich vielleicht von Mitgliedern von Justiz-Foren anhören muss, dessen sich aber Richter zu enthalten haben. Er ruft wohl nicht nur bei mir die Erinnerung wach an tausende Vergewaltigungsopfer, denen Richter deutscher Gerichte Mitschuld (wg Kleidung, Verhalten, ...) an ihrem Leid gegeben haben und die in diesem Sinne vor Gericht noch einmal vergewaltigt wurden.

Wie explizit die Justiz Tugce die Mitschuld gibt, ist auch belanglos. Wesentlich ist, dass sie es tut (wie Sie mit Ihren Beiträgen).

Tatsächlich ging es in dem Verfahren auch nicht allein um die Schuld des Täters, sondern vor allem darum, Tugce Mitwirkung an ihrem Schicksal "anzudichten". Dies ist der Justiz auch gelungen (wenn Sie das nicht dem Urteil entnehmen können, dann sollten Sie einige Beiträge der von Richter Aßling gescholtenen Medien zur Kenntnis nehmen).

 

 

2

Justizopfer schrieb:

Die Tötung von Tugce als Resultat einer "verhängnisvolle(n) Eigendynamik" zu bezeichnen ist blanker Zynismus, den man sich vielleicht von Mitgliedern von Justiz-Foren anhören muss, dessen sich aber Richter zu enthalten haben.

Das haben doch weder der Richter noch ich so gesagt, daß ist nur Ihre eigene, aber nicht korrekte Interpretation.

Justizopfer schrieb:

 Er ruft wohl nicht nur bei mir die Erinnerung wach an tausende Vergewaltigungsopfer, denen Richter deutscher Gerichte Mitschuld (wg Kleidung, Verhalten, ...) an ihrem Leid gegeben haben und die in diesem Sinne vor Gericht noch einmal vergewaltigt wurden.

Wie explizit die Justiz Tugce die Mitschuld gibt, ist auch belanglos. Wesentlich ist, dass sie es tut (wie Sie mit Ihren Beiträgen).


Sie vergleichen gerade ganz verschiedene Sachverhalte, rühren das zusammen  in einem undifferenzierten Rundumschlag als generelle Justizschelte.
Beim Thema der sexuellen Übergriffe bin ich ja bei Ihnen, da gibt es durchaus Kritik anzubringen und da tun Sie aber diesem Gericht mit den Beisitzern, zu denen auch eine jüngere Richterin gehörte, nach meinem eigenen Eindruck aber gerade Unrecht.
 

Justizopfer schrieb:

Tatsächlich ging es in dem Verfahren auch nicht allein um die Schuld des Täters, sondern vor allem darum, Tugce Mitwirkung an ihrem Schicksal "anzudichten". Dies ist der Justiz auch gelungen (wenn Sie das nicht dem Urteil entnehmen können, dann sollten Sie einige Beiträge der von Richter Aßling gescholtenen Medien zur Kenntnis nehmen).

Und Sie könnten auch andere Medien und vor allen Dingen Meinungen anderer Menschen zur Kenntnis nehmen, die auch eine eigene Lebenserfahrung haben und Prozesse selber beobachten.
Die 3 Jahre Jugendstrafe (natürlich ohne Bewährung) für Sanel sind aus meiner Sicht nicht zu kritisieren.

Günter Rudolphi schrieb:

Die 3 Jahre Jugendstrafe (natürlich ohne Bewährung) für Sanel sind aus meiner Sicht nicht zu kritisieren.

Vor allem wenn man bedenkt, dass die höchste Jugendstrafe 10 Jahre beträgt (§ 18 Abs. 1 S. 2 JGG). Da sind 3 Jahre für eine vorsätzliche Körperverletzung mit fahrlässiger Todesfolge ordentlich bemessen, wenn man im Auge behält, dass nach oben noch Platz etwa für vorsätzlichen Totschlag und Mord sein sollte.

0

Das Interesse an diesem Thema scheint ja nun deutlich abzuflauen, zur Dokumentation wie der Deutsche Journalisten-Verband DJV auch etwas übertrieben hatte in seiner eigenen Pressemitteilung, die damalige Mitteilung in newsroom.de hier zum Beleg:

-----------------------------------------------------------------------

Vermischtes vom 23.04.2015

Reporter dürfen im Tugce-Prozess ihren Laptop nicht im Saal nutzen

Beim Prozess um den tödlichen Schlag gegen die Studentin Tugce ist keine Berichterstattung direkt aus dem Gerichtssaal möglich.

Darmstadt (dpa) - Beim Prozess um den tödlichen Schlag gegen die Studentin Tugce ist keine Berichterstattung direkt aus dem Gerichtssaal möglich. Handys und Laptops dürfen in Saal 3 des Landgerichts Darmstadt während der Verhandlung nicht genutzt werden.

Längere Pausen für die Berichterstattung sind auch nicht möglich: "Grundsätzlich verlieren Medienvertreter und sonstige Zuhörer ihren Sitzplatz, wenn sie während der Hauptverhandlung den Saal verlassen", heißt es in der sitzungspolizeilichen Verfügung des Vorsitzenden Richters, Jens Aßling. Einzige später nachgeschobene Ausnahme: "Wird der unmittelbare Bereich vor dem Sitzungssaal (hinter der zweiten Einlasskontrolle) nicht verlassen, bleibt der Sitzplatz für ca. 10-15 Minuten erhalten!"

Die Plätze für Journalisten sind zudem begrenzt. Von den 52 Plätzen sind 25 für Medienvertreter reserviert. Da das Interesse größer war, musste ein Teil gelost werden, wie das Gericht mitteilt.

----------------------------------------------------

http://www.newsroom.de/news/detail/%24IWEQEOLTHNKO

Das LG Darmstadt hat leider keinen größeren Saal für einen solchen Andrang, auch auf den übrigen 27 Plätzen saßen aber manchmal nicht-akkreditierte Journalisten an einigen Tagen, deshalb auch die Warteschlangen, bei der Urteilsverkündung waren 4 Stunden Anstehen für die "normalen" Zuhörer  erforderlich.

Innen im Saal 3 funktionierten auch die Mikrophone und wurden sogar benützt, was leider in Darmstadt noch nicht selbstverständlich ist.

Ein Beitrag, der schön aufzeigt, dass sich Richter Aßling mit lauter für die Schuldfrage belanglosen Eigenschaften des Opfers auseinandersetzte und das Opfer Tugce dadurch diskreditierte:

http://blogs.faz.net/10vor8/2015/06/10/sie-heisst-tugce-albayrak-4749/

Wie kann man nur auf den Gedanken kommen, dass der Umstand, dass Tugce (vielleicht!) oft unterwegs zum Feiern war, Einfluss auf den Umfang der Schuld des Täters hatte?

Im günstigsten Fall (für die Justiz) kann man das Verhalten von Richtern und Staatsanwalt so deuten, dass das Gericht politisch agierte und über die unterstellte Mitschuld des Opfers versuchte das Versagen der Justiz (hier insbesondere beim Jugendstrafrecht) in einem international viel beachteten Fall zu kaschieren.

Im weniger günstigen Fall war es schlichtweg die Eitelkeit von Richter und Staatsanwalt, die beobachten mussten, dass eine "nicht-juristische" Öffentlichkeit sich (teilweise) viel differenzierter mit dem Problem auseinandersetze, dass eine sich rechtlich und tatsächlich einwandfrei verhaltende Bürgerin durch einen der Justiz-bekannten Straftäter getötet wird. Für den letzteren Fall spricht eben auch der pauschale Rundumschlag eines Richters, der es besser wissen müsste.

Justiz (und Polizei!) haben sich dabei selbst auch einen Bärendienst erwiesen, denn wenn Strafverfolgungsbehörden/Gerichte an "gesellschaftlich akzeptable" Zivilcourage Kriterien anlegen, deren Vorliegen nur mit dem zuständigen Richter abgeklärt werden kann, wird ihr offensichtlich ja nur eine geringe Bedeutung beigemessen.

Das Schlimmste an diesem Verfahren und an diesem Urteil bleibt, dass das es mit Tugce ein neues Justizopfer gibt.

 

2

@ Justizopfer

Diesen Blog der FAZ kenne ich, aber auch die Meinung des renommierten Strafverteidigers Ulrich Endres (Zitat):

(23. Juni 2015) "Der Rechtsanwalt Ulrich Endres spricht im Interview über den Tugçe-Prozess und den Einfluss der Medien auf das Urteil. Ohne die Berichterstattung wäre die Strafe ein Jahr geringer ausgefallen"

http://www.fr-online.de/rhein-main/tug-e-prozess--der-taeter-hatte-nie-e...

In der Urteilsbegründung hatte Richter Aßling übrigens seine eigene Ansicht deutlich anklingen lassen, daß Sanel M. bereits früher stärkere Signale in den vorherigen Verfahren hätte erhalten müssen, da er ja erkennbar zur Gewalt neigte, also "schädliche Neigungen" hatte. 

Ansonsten mußten im vorliegenden Fall durch die weitgehend unbrauchbaren Zeugenaussagen der Tatzeugen und das ebenfalls wenig brauchbare Überwachungsvideo vom Parkplatz die Dynamik des Geschehens auf dem Parkplatz und auch davor oben im Lokal und unten auf der Toilette verstanden werden.

Dazu zählen dann aber auch offensichtlich bereits verfestigte Verhaltensmuster von Beteiligten. Solche Verhaltensmuster aber entstehen nicht von gestern auf heute, wie jeder psychologische oder psychiatrische Gutachter bestätigen kann.

Damit das aber nun kein reines Zwiegespräch zweier Kommentatoren mehr wird, schlage ich vor, die Revision abzuwarten.

Damit wäre der BGH an der Reihe.

Auch im sog. "Tugce-Prozeß" hat der BGH inzwischen die Revision verworfen, nur wird das überhaupt nicht hier debattiert, anders als im Fall Mollath zur Zeit.
Aber auch da kann doch die Frage nach der Prozeßstrategie des Angeklagten und seiner Verteidiger gestellt werden, denn ohne die beantragte Revision (natürlich sein Recht) hätte der Verurteilte längst in der Jugendhaft die dortigen besseren Möglichkeiten nützen können, anders als in der U-Haft bisher. Da er den Schlag gegen Tugce A. im Prozeß selber als den "schlimmsten Fehler seines Lebens" bezeichnet hatte, muß doch das Einlegen der Revision nun faktisch als ein weiterer Fehler bezeichnet werden. Die Frage "cui bono" darf also m.E. gestellt werden.
Haben seine drei Strafverteidiger Kuhn, Borowski und Heinemann ihren Mandanten Sanel M. wirklich optimal dabei beraten?
Hätte Sanel M.  das Urteil nämlich angenommen, dann hätte auch die Öffentlichkeit gesehen, daß er seinen eigenen Worten auch Taten folgen läßt und schon eine gewisse Reife und Einsicht  im Verlauf und am Ende des Prozesses  gezeigt.
Wäre das nicht die bessere Strategie gewesen?

Kommentar hinzufügen