BGH: Mal wieder nicht ausreichende Feststellungen zur konkreten Gefährdung iSd § 315c StGB

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.06.2015

Oftmals scheint ein Sachverhalt so deutlich eine konkrete Gefährdung aufzuzeigen, dass nicht mehr richtig darauf geachtet wird, ausreichende Feststellungen im Urteil zu treffen. Folge: Das Revisionsgericht kann sich kein eigenes Bild davon machen, ob tatsächlich die konkrete Gefährdung inhaltlich zutreffend bejaht wurde. Hierzu mal wieder der BGH:

Die im Fall II. 4 der Urteilsgründe auf § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a
StGB gestützte Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs
hat keinen Bestand, weil nicht belegt ist, dass durch die dem Angeklagten
angelastete Nichtbeachtung der Vorfahrt (zum Vorsatz siehe König in: Leipziger
Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 190) Leib oder Leben eines anderen
Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert (konkret) gefährdet
worden sind.

aa) Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr
innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt
haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv
nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten
Person oder Sache von bedeutendem Wert so stark beeinträchtigt war, dass es
nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht

(vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, NStZ 2012, 384; Urteil
vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f.; Urteil vom 4. September
1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315b StGB; SSW-StGB/
Ernemann, 2. Aufl., § 315c Rn. 22 ff.).

bb) Ob Leib oder Leben der Zeugin B. oder eine fremde Sache von
bedeutendem Wert durch das Fahrverhalten des Angeklagten tatsächlich in
diesem Maße gefährdet waren, lässt sich auf der Grundlage der getroffenen
Feststellungen nicht beurteilen.
Zwar teilt das Landgericht mit, dass das Ausbleiben
einer Kollision zwischen den Fahrzeugen des Angeklagten und der
Zeugin „nur dem Zufall geschuldet“ war. Offen bleibt aber, inwieweit im Fall
einer Kollision auch Leib und Leben der Zeugin bedroht gewesen wären. Hierzu
wären nähere Angaben zu den gefahrenen Geschwindigkeiten und zu der Beschaffenheit
des Fahrzeugs der Zeugin B. erforderlich gewesen (vgl. BGH,
Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289). Um eine
konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert bejahen zu
können, hätte es – da insoweit das vom Angeklagten geführte Fahrzeug nicht in
Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 663/98,
NStZ 1999, 350, 351; Urteil vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27,
40) – bestimmter Angaben zum Wert des Fahrzeugs der Zeugin und zur Höhe
des drohenden Schadens bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September
2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215, 216; Beschluss vom 29. April 2008
– 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289; zur maßgeblichen Wertgrenze siehe BGH,
Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215; zu den
Prüfungsschritten siehe BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009 – 4 StR 408/09,
NStZ 2010, 216, 217).

BGH, Beschluss vom 21.5.2015 - 4 StR 164/15 

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