Basiswissen StGB/JGG: Strafe bei mehreren Taten in verschiedenen Altersstufen => "Wo liegt das Schwergewicht?"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.07.2015

Das LG hatte 11 Taten abgeurteilt. Leider hatte es übersehen (oder dies jedenfalls nicht erörtert), dass der Angeklagte nur 9 der Taten als Erwachsener, 2 aber als Heranwachsender begangen hatte. Der BGH hat dazu mal wieder grundsätzlich dargelegt, wie mit "altersgemischten" Taten umzugehen ist. Ein schöner Einschub für die lose Reihe "Basiswissen":

Der Strafausspruch hat keinen Bestand.

a) Die allgemeine Strafkammer hat nicht erkennbar bedacht, dass der
Angeklagte die in den Fällen II. 9 und 11 der Urteilsgründe abgeurteilten versuchten
schweren Bandendiebstähle im Alter von 19 bzw. 20 Jahren und damit
als Heranwachsender (§§ 1, 105 JGG) begangen hatte. Das Landgericht hätte
deshalb prüfen müssen, ob der Angeklagte zur Zeit dieser Taten nach seiner
sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, sodass
an sich Jugendstrafrecht anzuwenden wäre.

b) Auch die für die übrigen Taten verhängten Einzelstrafen können nicht
bestehen bleiben. Zwar ergeben die Feststellungen zu den weiteren vollendeten
oder versuchten schweren Bandendiebstählen, dass der Angeklagte bei
Begehung dieser Taten das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Sollte die nun entscheidende
Jugendkammer in den Fällen II. 9 und 11 der Urteilsgründe zur Anwendung
von Jugendstrafrecht gelangen, so würde die Verurteilung teils zu
Jugend- teils zu Erwachsenenstrafe gegen § 32 i.V.m. § 105 Abs. 1 JGG verstoßen.
Danach ist es nicht statthaft, bei gleichzeitiger Aburteilung von Taten,
auf die teils Jugendstrafrecht, teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre,
sowohl auf Jugendstrafe als auch auf Erwachsenenstrafe zu erkennen (vgl.
BGH, Urteil vom 17. Juli 1979 – 1 StR 298/79, BGHSt 29, 67; Beschluss vom
7. Oktober 1997 – 4 StR 389/97, BGHR JGG § 32 Schwergewicht 4); vielmehr
ist entsprechend dem Schwergewicht der Taten entweder nur nach Jugendstrafrecht
oder nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen.

Welches Recht einheitlich auf mehrere in verschiedenen Altersstufen begangene
Taten anzuwenden ist, richtet sich danach, wo deren Schwergewicht
liegt.
Dies hat der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden
(BGH, Urteile vom 8. Januar 1986 – 3 StR 457/85, NStZ 1986, 219,
vom 22. Juni 1988 – 3 StR 93/88, BGHR JGG § 32 Schwergewicht 1, vom
31. August 1999 – 1 StR 268/99 und vom 18. Juni 2009 – 3 StR 171/09; Beschluss
vom 7. Dezember 1999 – 1 StR 570/99). Lässt sich nicht eindeutig erkennen,
dass das Schwergewicht bei den vom Angeklagten als Heranwachsender
begangenen und nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Straftaten
liegt, so ist für alle Taten allgemeines Strafrecht anzuwenden (vgl. BGH, Beschlüsse
vom 7. Oktober 1997 – 4 StR 389/97, BGHR JGG § 32 Schwergewicht
4 mwN, vom 7. Dezember 1999 – 1 StR 570/99 und vom 27. Mai 2008
– 4 StR 178/08, NStZ-RR 2008, 324). Werden – wie hier – entsprechende
Überlegungen deshalb nicht angestellt, weil der Tatrichter übersehen hat, dass
die Anwendbarkeit des Jugendgerichtsgesetzes überhaupt im Raum steht, können
nicht eigene Erwägungen des Revisionsgerichts an deren Stelle treten
(BGH, Beschluss vom 18. März 1996 – 1 StR 113/96, NStZ-RR 1996, 250).

BGH, Beschluss vom 18.6.2015 - 4 StR 59/15

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