LAG Düsseldorf: Auswechseln von Kündigungsgründen

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 13.08.2015

Nach Auffassung des LAG Düsseldorf ist es nicht zulässig, die soziale Rechtfertigung der Kündigung im Prozess auf einen anderen Lebenssachverhalt zu stützen als bei ihrem Ausspruch. Aus diesem Grunde hat das Gericht der Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin stattgegeben, ohne die von der beklagten Arbeitgeberin behaupteten betriebsbedingten Gründe näher in Betracht zu ziehen.

Die Klägerin ist seit 2006 als kaufmännische Angestellte in Teilzeit bei der Beklagten beschäftigt. Ihr obliegt vornehmlich die Personalverwaltung. Im Februar 2014 wurde ihr außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt. Der Hauptvorwurf lautete, sie habe die bislang auf einem firmeninternen Rechner gespeicherten Personaldaten ohne Kenntnis und Zustimmung des Geschäftsführers "ausgelagert" (wohl in eine Cloud) bzw. gelöscht. Im Prozess trug die Arbeitgeberin dann zusätzlich vor, die Kündigung (wohl nur die ordentliche) sei auch aus betriebsbedingten Gründen erfolgt. Man habe sich entschlossen, die Personalbuchhaltung künftig von einem externen Steuerberatungsbüro durchführen zu lassen.

Das LAG hat - wie schon zuvor das Arbeitsgericht - den Vorwurf der Auslagerung der Daten nicht für so schwerwiegend erachtet, dass er die ordentliche oder gar außerordentliche Kündigung rechtfertigen könne. Zu den behaupteten betriebsbedingten Gründen meint das LAG:

Ein Auswechseln der Kündigungsgründe erst im Prozess in dem Sinne, dass die Kündigung einen völlig anderen Charakter erhält, ist nicht zulässig. In einem derartigen Fall ist nur der Ausspruch einer neuen Kündigung möglich, denn es handelt sich insoweit nicht um den Fall des nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässigen Nachschiebens von zuvor nicht bekannten Kündigungsgründe, sondern um die Auswechselung bekannter Kündigungsgründe.

Allerdings ergibt sich aus dem mitgeteilten Tatbestand nicht deutlich, ob in dem Kündigungsschreiben bestimmte (verhaltensbedingte) Gründe angegeben waren oder nicht. Wenn die Kündigung - was ja zulässig ist - ohne Begründung erklärt wurde, kann der prozessuale Vortrag verschiedener Gründe schwerlich ein "Auswechseln" darstellen.

LAG Düsseldorf, Urt. vom 24.6.2015 - 7 Sa 1243/14, BeckRS 2015, 70201

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11 Kommentare

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Sehr seltsam. Muss nicht ein Gericht sämtliche vorgetragenen Tatsachen unter allen rechtlichen Gesichtspunkten beurteilen? Das Vorgehen des Gerichts scheint mir auf eine Verletzung rechtlichen Gehörs (= Verweigerung, den Tatsachenvortrag zur Verlagerung der Aufgaben nach den Vorgaben des § 1 Abs. 2 KSchG zu beurteilen) hinauszulaufen.

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@ Gast2015

Ich verstehe das Urteil auch nicht. Eine derartige Beschränkung gibt es eigentlich nur im Rahmen des § 102 BetrVG: Der dem Betriebsrat mitgeteilte Kündigungsgrund kann im Kündigungsschutzprozess zwar weiter substantiiert, aber nicht durch einen anderen Lebenssachverhalt ausgetauscht werden. Dafür bedarf es dann einer erneuten Anhörung des Betriebsrats. Individualrechtlich ist demgegenüber allein entscheidend, dass der Kündigungsgrund im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung objektiv vorlag. Er muss dem Kündigenden nicht einmal bekannt gewesen sein. Anders mögen die Dinge (nur) liegen, wenn der Arbeitgeber sich im Kündigungsschreiben auf einen bestimmten Grund in der Weise festgelegt hat, dass ihm die Kündigung "stehen und fallen" soll. Aber das ist ein seltener Ausnahmefall, und davon vermag ich im Tatbestand des Urteils nichts zu entdecken.

Ich halte die Entscheidung aus rechtsstaatlichen Gründen für richtig. Man einem Kläger nicht ansinnen, im Hinblick auf einen ganz konkreten angegebenen Kündigungsgrund Klage zu führen um diese Klage dann wegen eines ganz anderen Kündigungsgrundes, mit dem die "Kündigung einen völlig anderen Charakter erhält" zu verlieren. Das wäre das reine Glücksspiel und hat mangels Vorhersehbarkeit mit Rechtsstaat nichts zu tun.

Das Gericht hat die Problematik gesehen und die Revision zugelassen, vgl:

"Das Bundesarbeitsgericht hat in seinen bisherigen Entscheidung (Urteil vom 18.01.1980, 7 AZR 260/78; Urteil vom 24.03.1982, 7 AZR 956/79; Urteil vom 04.06.1997, 2 AZR 362/967; Urteil vom 06.09.2007, 2 AZR 264/06, jeweils zitiert nach juris) offen gelassen, ob ein Auswechseln der Kündigungsgründe im Prozess auch dann möglich ist, wenn die Kündigung dadurch einen völlig anderen Charakter erhält. Dieser vorliegend entscheidungserheblichen Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu."

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@Prof.Dr. Rolfs:

 

Es kann doch im Ergebnis auch gar nicht anders sein. Entweder liegen "verhaltensbedingte" oder eben "betriebsbedingte" Gründe vor. Wenn ein Arbeitgeber im laufenden Prozess die Kündigungsgründe auswechseln dürfte, dann wäre doch dem "Rechtsmissbrauch" Tür und Tor geöffnet. In der Arbeitsgerichtsbarkeit herrscht wie in anderen Zivilprozessen die prozessuale Wahrheitspflicht. Wenn ein Arbeitgeber seine Kündigung mit zwei ganz verschiedenen Gründen untermauert, um eine soziale Rechtfertigung zu schaffen, dann stünde gleichzeitig fest, dass der Arbeitgeber in einem Fall gelogen hat. Das Gericht müsste von Amtsg wegen die Akte an die Staatsanwaltschaft weiterleiten wegen des Verdachts des zumindest versuchten Prozessbetrugs.

 

Dieses Urteil ist auch in rechtspolitischer Hinsicht zu begrüßen. In Zeiten, in denen regelmäßig Schriftwerke und Anleitungen herausgegeben werden, wie ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter loswerden kann, muss doch klar sein, dass ein großer Prozentsatz der Kündigungsgründe vorgeschoben wurde.

 

Wie läuft denn das klassische Arbeitgebermandat in der Praxis ab? Der Mandant kommt zum Anwalt und erklärt, warum er gekündigt hat. Der Anwalt erkennt, dass dies kein tauglicher Kündigungsgrund im Sinne des KSchG ist. Er wird versuchen, die Kündigung betriebsbedingt oder verhaltensbedingt zu "basteln" um die Position seines Mandanten zu verbessern.

 

Im Prinzip sind derartige Arbeitgeber "Prozessbetrüger" und deren Anwälte Gehilfen bzw. Anstifter zum Prozessbetrug. Sie tragen einen nichtzutreffenden Sachverhalt vor, um sich vor den finanziellen Folgen einer Weiterbeschäftigung bzw. vor den Annahmeverzugslohnansprüchen zu schützen.

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@ Gast 79

Der Arbeitgeber muss bei der Kündigung überhaupt keine Gründe angeben. Der Arbeitnehmer hat bei der ordentlichen Kündigung nicht einmal hiterher Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber sie ihm mitteilt (anders nur bei der außerordentlichen Kündigung, § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB). Deshalb wird im Prozess auch nicht "nachgeschoben", sondern schlicht dasjenige vorgetragen, was - aus Sicht des Arbeitgebers - die Kündigung sozial rechtfertigen soll.

 

@Prof.Dr. Rolfs:

 

Das ändert aber nichts daran, daß der Sachvortrag des Arbeitgebers dann auch tatsächlich "wahr" sein muss. Da gilt zivilprozessual dasselbe wie für jeden anderen auch.

 

Es ist richtig, daß der Arbeitgeber materiell-rechtlich eine Kündigung nicht begründen muss. Ist jedoch das KSchG anwendbar, trägt er prozessual die volle Darlegungs -und Beweislast dafür, daß die Kündigung sozial gerechtfertigt war. 

 

Trägt er also zu den Kündigungsgründen nicht substantiiert vor, verliert er allein schon deswegen den Kündigungsschutzprozess.

 

@Gast79:

 

Interessannter und zutreffender Gedanke. Warum wird das denn in der Praxis nicht verfolgt? Will man hier von Staatsseite aus unseren Arbeitgebern eine bevorzugte Behandlung zu Teil werden lassen?

 

Jedenfalls stinkt die Sache bis zum Himmel, wenn ein Arbeitgeber die Kündigung zunächst personenbedingt begründet und dann plötzlich auf betriebsbedingte Grüne umschwenkt.

 

Daher: sehr gelungene Entscheidung des LAG Düsseldorf

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Im Zweifel wird doch jeder Arbeitgeber, der eine Kündigung aussprechen will und weiter als von 12 bis Mittag denkt ,überlegen, wie die Arbeit danach erledigt wird. Und wenn er sich entscheidet, diese in Zukunft von einem Steuerbüro erledigen zu lassen, dann liegt ein betriebsbedingter Kündigungsgrund vor. Das ist doch lediglich die andere Seite der Medaille der Unzufriedenheit mit dem bisherigen Arbeitnehmer. Insofern ist das kein Auswechseln der Kündigungsgründe, sondern ein völlig plausibler einheitlicher Lebenssachverhalt. Ich verstehe nicht, weshalb durch die Betonung der anderen Seite des Lebenssachverhalts die Kündigung einen völlig anderen Charkter bekommen sollte. Kündigungen haben sowieso keinen Charakter, sondern sind lediglich die Erklärung, ein Schuldverhältnis beenden zu wollen. Ob ein Recht dazu besteht, ergibt sich aus dem Sachverhalt.

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Ich sehe in der Entscheidung eher eine zivilprozessuale denn eine spezifisch arbeitsrechtliche.

 

Vor Inkrafttreten der ZPO im Jahr 1877 galt die sog. Eventualmaxime uneingeschränkt. Man konnte damals auch Tatsachenvobringen (!) hilfsweise unterbreiten, etwa als beklagter Darlehensschuldner den Abschluss des Darlehensvertrages bestreiten, hilfsweise den Erhalt des Geldes in Abrede stellen und abermals hilfsweise behaupten, man habe die Summe bereits zurückgezahlt. 

Nun geht das alles nicht mehr.

Widersprüchlicher Vortrag einer Partei ist grundsätzlich unbeachtlich, es sei denn es läge der seltene Ausnahmefall vor, in dem die Teile des Vorbringens, die einander widersprechen, zulässigerweise in ein Stufenverhältnis derart gebracht werden können, dass der eine Vortrag nur für den Fall erfolgen soll, dass sich der andere als unrichtig erweist (v. Selle, in: Beck’scher Online-Kommentar, Rn. 34 zu § 138 ZPO m. w. N.). Um eine solche Konstellation handelt es sich vorliegend ersichtlich nicht. Denn um den Eindruck widersprüchlichen und damit prozessual unbeachtlichen Vorbringens zu zerstreuen, reicht es nicht aus, dass die Beklagte – wie hier der Fall - Vortrag nebst den ihm zugrundeliegenden Tatsachenbehauptungen, womit die Kündigungsschutzklage zu Fall gebracht - d. h. womit die Kündigung gerechtfertigt - werden werden soll, nach freiem Belieben austauscht. Wenn jemand zunächst Hüh und sodann Hott vorträgt, so hat er wegen Widersprüchlichkeit im Ergebnis weder das eine noch das andere, sondern überhaupt nichts substantiiert vorgetragen.

 

@Martin Bender:

 

womit wir in zivilprozessulaer Hinsicht beim Ergebnis des LAG Düsseldorf wären. Unbeantwortet bliebe die Frage, ob das LAG Düsseldorf die Akte an die Staatsanwaltschaft geschickt hat wegen des Verdachts des versuchten Prozessbetrugs durch den Arbeitgeber.

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@Gast79: Für einen (versuchten) Prozessbetrug bedarf es des darauf gerichteten Vorsatzes. Da ein entsprechender Nachweis in der Praxis schwer zu führen ist, wird mit dem "scharfen Schwert" Prozessbetrug seltener gearbeitet, als der Laie meint. Im vorliegenden Fall sehe ich keinerlei Anhaltspunkte dafür.

@MartinBender: Warum muss denn zwangsläufig ein Widerspruch vorliegen? Es sind doch durchaus Konstellationen vorstellbar, in denen mehrere Kündigungsgründe vorliegen.

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@Fab:

 

Also wenn man einen Kündigungsgrund vorschiebt, denn es in wirklichkeit gar nicht gibt, dann dürfte es nicht schwerfallen, einen Vorsatz anzunehmen.

 

Warum sollte wohl ein Arbeitgeber Kündigungsgründe erfinden, wenn nicht deswegen, um einen Mitarbeiter vermeintlich rechtmäßig kündigen zu können.

 

Mir fielen auch kaum Argumente ein, die gegen eine vorsätzliche Begehungsweise sprechen würden.

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