Was für ein Zirkus

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 17.08.2015
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtKündigungArbeitnehmerZirkus1|3209 Aufrufe

"Arbeitsrecht im Zirkus" dürfte zu den schwarzen Flecken auf der Landkarte des deutschen Arbeitsrechts gehören. Mir ist bislang jedenfalls weder ein einschlägiges Handbuch noch ein Kommentar zum Zirkus-Arbeitsrecht untergekommen. Das ist vermutlich auch einer der Gründe, warum das BAG sich zu einer Pressemitteilung zu dem tatbestandlich ungewöhnlichen Fall veranlasst sah:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung und in diesem Rahmen über den Arbeitnehmerstatus der Kläger. Die Beklagte betreibt einen Zirkus. Die Kläger, eine Artistengruppe, verpflichteten sich in einem von den Parteien als „Vertrag über freie Mitarbeit“ bezeichneten Vertrag, im Rahmen der von der Beklagten veranstalteten Zirkusaufführungen eine von ihnen zuvor einstudierte „Hochseil- und Todesradnummer … gesehen wie auf dem Video bei Youtube“ darzubieten. Ein Kläger verunglückte während der Premierenveranstaltung. Als die übrigen Kläger in der Folgezeit erfuhren, dass die Beklagte sie nicht zur Krankenversicherung angemeldet hatte, weigerten sie sich aufzutreten. Die Beklagte nahm dies zum Anlass, das Rechtsverhältnis fristlos zu kündigen.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen, da kein Arbeitsverhältnis vorliege. Auf die Berufung der Kläger hat das LAG der Klage dagegen stattgegeben. Die Kläger seien Arbeitnehmer, daher hätte die Beklagte sie zur Krankenversicherung anmelden müssen. Ihnen stehe ein Leistungsverweigerungsrecht zu, daher sei die Kündigung unberechtigt. Die Revision hatte Erfolg.

Zur Überzeugung des Neunten Senats des BAG erbrachten die Kläger ihre Artistenleistung nicht als Arbeit-, sondern als freie Dienstnehmer. Ein Arbeitsverhältnis unterscheide sich von dem Rechtsverhältnis eines freien Dienstnehmers durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer sei, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Die Beantwortung der Frage, welche Art von Rechtsverhältnis vorliegt, erfordere eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls. Im Streitfall sah der „Vertrag über freie Mitarbeit“ ein für Arbeitsverhältnisse charakteristisches Weisungsrecht (§ 106 GewO) der Zirkusbetreiberin nicht vor. Tatsachen, die auf eine von dieser Vereinbarung abweichende Durchführung des Vertrages schließen lassen, hatte das LAG nicht festgestellt.

BAG, Urt. vom 11.8.2015 - 9 AZR 98/14, Pressemitteilung hier.

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