Ver.di scheitert mit Verfassungsbeschwerde gegen Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 03.09.2015
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtBVerfGKircheStreikDritter Weg3|3508 Aufrufe

Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat in ihrem Kampf für ein Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen vor dem BVerfG eine Niederlage erlitten. Die von ihr eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des BAG wurde durch Beschluss des Zweiten Senats des BVerfG unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Voßkuhle aus formalen Gründen zurückgewiesen (Beschluss vom 15. Juli 2015 - 2 BvR 2292/13 -).

Auf der Grundlage des „Dritten Wegs“ werden die Arbeitsbedingungen eines Großteils der kirchlichen Mitarbeiter (ca. 1 Million) durch paritätisch mit Vertretern von Dienstgebern und Dienstnehmern besetzte Arbeitsrechtliche Kommissionen festgesetzt. Kommt in diesen Gremien keine Einigung zustande, so trifft ein Schlichtungsausschluss eine verbindliche Entscheidung. Arbeitskampfmaßnahmen sind ausgeschlossen. Im Ausgangsverfahren nahmen mehrere evangelische Landeskirchen und Einrichtungen der Diakonie Ver.di auf Unterlassung von Streiks und Streikaufrufen in ihren Einrichtungen in Anspruch. Vor dem BAG hatten die Kläger zwar letztlich keinen Erfolg (BAG 20.11.2012, NZA 2013, 448 – hierzu auch Beck-Blog Beiträge vom 20.11.2012 und 15.4.2013). In der Begründung bestätigte das BAG allerdings das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und das für den Dritten Weg geltende Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen; dies allerdings mit der Maßgabe, dass Gewerkschaften in das Verfahren des Dritten Weges organisatorisch eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich ist.

Die Verfassungsbeschwerde von Ver.di – formal die obsiegende Partei - richtet sich demgemäß auch nicht gegen den Tenor der BAG-Entscheidung, sondern gegen die in den Gründen getroffene Aussage zur generellen Rechtswidrigkeit von Streik bei entsprechender Ausgestaltung des Dritten Weges. Das genügt dem BVerfG jedoch nicht. Der Gewerkschaft fehle die erforderliche Beschwerdebefugnis. Sie sei weder durch den Urteilstenor beschwert noch folge ausnahmsweise aus den Urteilsgründen, dass sie gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten betroffen sei. Eine gegenwärtige Beschwer ergäbe sich insbesondere auch nicht daraus, dass sich die Beschwerdeführerin mit Blick auf künftige Streiks und Streikaufrufe dem Risiko ausgesetzt sähe, von kirchlichen Einrichtungen auf Unterlassung oder Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Soweit die Beschwerdeführerin behaupte, ihr sei eine verlässliche Planung gewerkschaftlicher Politik nicht möglich, bleibe offen, zu welchen irreversiblen Dispositionen sie genötigt sein soll. Jedes Gesetz und jeder von einem Gericht entwickelte Rechtssatz, der einem Beteiligten Handlungsoptionen eröffne, könne für andere Beteiligte mit Ungewissheiten und Unsicherheiten verbunden sein. Dies führe jedoch nicht dazu, dagegen Verfassungsbeschwerde erheben zu können, noch bevor fachgerichtlich entschieden ist, ob ordnungsgemäß von den Rechten Gebrauch gemacht wurde. Die Beschwerdeführerin sei im Übrigen auch nicht unmittelbar betroffen. Der potentielle Ausschluss des Streikrechts könnte sich vielmehr erst aus kirchenrechtlichen und satzungsmäßigen Regelungen ergeben, setze also zwingend weitere Maßnahmen der Kirchen und kirchlichen Einrichtungen voraus. Die vorherige Befassung der Fachgerichte sei der Beschwerdeführerin zumutbar und ermögliche es, dem BVerfG die Fallanschauung der Fachgerichte hinsichtlich der - inzwischen modifizierten - kirchenrechtlichen Vorschriften zu vermitteln.

Insoweit ist es denkbar und sogar nicht unwahrscheinlich, dass sich das BVerfG in den kommenden Jahren erneut mit der Problematik wird befassen müssen und dann auch in der Sache entscheiden wird. Andeutungen, wie eine solche Entscheidung aussehen könnte, lassen sich dem jetzt verkündeten Beschluss nicht entnehmen. Vielleicht mit einer Ausnahme. In Rz. 78 wird explizit das kirchliche Selbstbestimmungsrecht hervorgehoben: „Es steht den Kirchen frei, im Rahmen des ihnen zukommenden Selbstbestimmungsrechts kirchliches Recht eigenständig zu gestalten.“ Das liegt auf einer Linie mit der kirchenfreundlichen Entscheidung betreffend die Kündigung kirchlicher Mitarbeiter und die von ihnen zu beachtenden Loyalitätsanforderungen (BVerfG 22.10.2014, NZA 2014, 1387 – hierzu Beck-Blog Beitrag vom 23.11.2014).

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3 Kommentare

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Die Verfassungsbeschwerde von Ver.di – formal die obsiegende Partei - richtet sich demgemäß auch nicht gegen den Tenor der BAG-Entscheidung, sondern gegen die in den Gründen getroffene Aussage zur generellen Rechtswidrigkeit von Streik bei entsprechender Ausgestaltung des Dritten Weges. Das genügt dem BVerfG jedoch nicht. Der Gewerkschaft fehle die erforderliche Beschwerdebefugnis.

Das halte ich für richtig. Es wird Ver.di ja zuzumuten sein, eine unmittelbar beschwerende Entscheidung abzuwarten und den Gerichten die Möglichkeit zu geben, sich mit den anstehenden Fragen fachgerichtlich grundsätzlich und ausgiebig zu beschäftigen, bevor das BVerfG angerufen wird. Die evang. Kirche hält die Entscheidung des BVerfG lt. FAZ wohl für einen "Sieg".

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Zur Erinnerung: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes."

Da das Streikrecht in Art. 9 (3) garantiert ist und die Grundrechte unmittelbar geltendes, bindendes Recht sind, ist ein Versagen des Streikrechts verfassungswidrig. Gesetze, die Kirchen dahingehend eine arbeitsrechtliche Sonderstellung einräumen, ebenfalls. Und sog. "Tendenzbetriebe", die als Anbieter von Dienstleistungen an einem Markt auftreten (Gesundheitsleistungen, Kinderbetreuung), fallen erst recht nicht unter Art. 136 WRV. Denn sie sind keine Religionsgesellschaften.

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