Kein Anspruch auf bezahlte Raucherpausen kraft betrieblicher Übung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 06.10.2015
Rechtsgebiete: Arbeitsrechtbetriebliche ÜbungRaucherpausen10|4039 Aufrufe

Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, Raucherpausen zu vergüten; eine betriebliche Übung des Inhalts, dass Raucherpausen vergütet werden, entsteht nicht, wenn der Arbeitgeber über eine lange Zeit die Raucherpausen zeitlich nicht erfasst und deshalb einen Lohnabzug nicht vorgenommen hat. Das hat das LAG Nürnberg entschieden.

Bis Ende 2012 war es im Betrieb der Beklagten gestattet, an bestimmten gesondert ausgewiesenen „Raucherinseln“ zu rauchen. Die Arbeitgeberin duldete dies auch während der Arbeitszeit, ein Aus- und Wiedereinstempeln durch die Arbeitnehmer war nicht erforderlich. Dauer und Häufigkeit der Raucherpausen wurden ebenso wenig erfasst wie die Namen der Arbeitnehmer, die davon Gebrauch machten. Zum 1.1.2013 trat eine mit dem Betriebsrat ausgehandelte Betriebsvereinbarung in Kraft, die u.a. bestimmte: „Beim Entfernen vom Arbeitsplatz zum Rauchen sind die nächstgelegenen Zeiterfassungsgeräte gem. Anlage zum Ein- und Ausstempeln zu benutzen“.

Der Kläger verlangt Vergütung für 111 Minuten Raucherpausen im Januar 2013, 251 Minuten im Februar und 253 Minuten im März 2013. Zu seiner Überzeugung ergibt sich der Anspruch auf Vergütung der Raucherpausen aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung. Die Beklagte habe seit Anfang der 1970er Jahre in wiederholter und gleichförmiger Weise die Raucherpausen (jeweils 4 bis 10 Minuten) vergütet. Daran müsse sie sich auch in Zukunft festhalten lassen.

Das LAG Nürnberg hat die Klage abgewiesen. Eine betriebliche Übung sei nicht entstanden:

Es war für den Kläger und seine ebenfalls rauchenden Kollegen ohne weiteres feststellbar, dass die Beklagte die Pausenzeiten nicht erfasste und daher ein Lohnabzug nicht durchführbar war. Daraus ergibt sich bei redlicher Betrachtungsweise gleichzeitig, dass die Raucher objektiv dadurch privilegiert waren, dass sie die Raucherpausenzeiten vergütet erhielten. Da selbst die gesetzlichen Ruhepausen grundsätzlich nicht zu vergüten sind und auch bei der Beklagten nicht bezahlt werden, war die Erkenntnis zwingend, dass die Raucher Leistungen, auf die sie keinen Anspruch hatten, nur deshalb erhielten, weil der Arbeitgeber wegen der fehlenden Zeiterfassung daran gehindert war, entsprechende Einwendungen zu erheben. Darauf, dass dies in Zukunft so bleiben würde, konnten die betroffenen Arbeitnehmer bei vernünftiger Betrachtungsweise nicht vertrauen.

LAG Nürnberg, Urt. vom 21.7.2015 – 7 Sa 131/15, BeckRS 2015, 71717

(ebenso LAG Nürnberg, Urt. vom 5.8.2015 – 2 Sa 132/15, BeckRS 2015, 71725 in einer Parallelsache)

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10 Kommentare

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Der Kläger verlangt Vergütung für 111 Minuten Raucherpausen im Januar 2013, 251 Minuten im Februar und 253 Minuten im März 2013.

Zehn Stunden soll der Arbeitgeber für das Nichtstun bezahlen. So lässt sich die Raucherei nebst Sozialbeiträgen schön durch den Arbeitgeber bezahlen. Das ist wahrlich frech...

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Da gibt es nur ein Hilfsmittel: Komplette Überwachung der Mitarbeiter in privaten Arbeitsverhältnisse sowie der Angestellten und Beamten öffentlichen Diensts. Man müsste dann auch erfassen, wenn ein Arbeitnehmer gerade privat Im Internet surft, aufs Klo geht, mit den Kollegen über die Fussballbundesliga quatscht oder etwa gerade erotische Gedanken hat. Dies alles ist keine Arbeitszeit und wäre daher nicht zu vergüten.

 

Sobald sich dann nach Auswertung der Aufzeichnungen ergeben sollte, dass einer der Angestellten bzw. Beamten nicht arbeitet, aber trotzdem Lohn bezieht, müsste Folgendes passieren:

 

1. Strafanzeige wegen Arbeitszeitbetrug, denn der Arbeitnehmer oder Beamte beansprucht ja Lohn/Beamtenbezüge, obwohl er nicht arbeitet oder keine Dienste verrichtet und dies auch weiß.

 

2. Abzug des Lohns für die nicht geleisteten Dienste jeweils am Monatsende.

 

Konsequenz: Einen öffentlichen Dienst bzw. Beamte gibt es nicht mehr, weil diese zwischenzeitlich ihre Haftstrafen verbüßen oder aber alle Hartz-IV-Aufstocker sind.

 

Würde man den Arbeitszeitbetrug konsequent verfolgen, so wären sämtliche Arbeitnehmer und Beamte in Deutschland kriminell. Es dürfte keinen Arbeitnehmer geben, der in der Arbeitszeit nicht schon mal private Dinge verrichtet hat und hierfür Arbeitslohn beansprucht hat.

 

 

 

 

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Früher hieß es mal in der Reklame "Ich geh' meilenweit für Camel Filter". Einen solchen meilenweiten Gang hätte man sich hier auch gewünscht, und zwar nach Erfurt zum BAG. Denn selbst als Nichtraucher überzeugt mich die Nürnberger Entscheidung nicht.

Die betriebliche Übung ersetzt den Rechtsbindungswillen des Arbeitgebers, nicht aber seinen Leistungswillen.

Nach der Vertragstheorie des BAG (Urt. v. 16. Juni 2007, Az.: 5 AZR 849/06) unterbreitet der Arbeitgeber das für den Vertragsschluss erforderliche Angebot ausdrücklich oder konkludent durch regelmäßige Wiederholung einer bestimmten gleichförmigen Verhaltens, und zwar unabhängig von einem Verpflichtungswillen. Denn auch wenn dem Arbeitgeber das Erklärungsbewusstsein (Rechtsbindungswille, Geschäftswille) fehlt, liegt eine Willenserklärung des Arbeitgebers vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte. Der Arbeitnehmer, dessen Annahme nach § 151 BGB erfolgen kann, muss unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte den Schluss ziehen dürfen, dass der Arbeitgeber sich binden wollte. - Ein Leistungswille des Arbeitgebers muss allerdings vorliegen.

Das LAG Nürnberg ist nun in der von Prof. Rolfs vorgestellten Entscheidung der Ansicht, es habe hier am Leistungswillen des Arbeitgebers gefehlt, weshalb keine betriebliche Übung vorliege. Das wird so erklärt: Eine willentliche Leistung des Arbeitgebers, die sich durch betriebliche Übung eingebürgert habe, könne nicht im bloßen Unterlassen des Lohnabzugs liegen. - Das ist leider bei näherem Hinsehen keine Begründung, sondern nur eine rhetorisch andere Darstellung des zur Entscheidung gestellten Sachverhalts. Davon kann aber die richtige arbeitsrechtliche Lösung nicht abhängen. Der Arbeitgeber hat im konkreten Fall durch aktives Tun Raucherecken eingerichtet und das Gehalt immer unbeschadet der Raucherpausen bezahlt. Sind hieraus Rechtsansprüche kraft betrieblicher Übung entstanden? Das ist die Frage. Sie beantwortet man nicht dadurch, dass man den Sachverhalt einfach so darstellt, dass daraus ein Unterlassen wird à la  "Der Arbeitgeber hat ja lediglich Lohnabzüge unterlassen". Am Rande bemerkt: Die Hoffnung von Zahlungsverpflichteten, man könne ihr Tun in ein Unterlassen umformulieren oder ihr Unterlassen in ein Tun umgekehrt, únd schon gelange man zu unterschiedlichen Rechtsfolgen, ist im Deliktsrecht schon seit RGZ 102, 375 (Verkehrssicherungsopflichten) gestorben. Es würde mich wundern, wenn so etwas im Arbeitsrecht ginge!  

Das LAG hat aber auch noch eine Hiflsüberlegung:  Es meint, selbst wenn ein Leistungswille anzunehmen sei, liege dennoch begrifflich keine betriebliche Übung vor, und zwar wegen des Vertrauensmoments. Die Arbeitnehmer hätten nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Gepflogenheiten unverändert bleiben würden, wonach die Raucherpausen nicht von der Arbeitszeit abgezogen werden. Warum dieses Vertrauensmoment hier fehlen soll, begründet das LAG so: Der Arbeitgeber habe lediglich die Abwesenheit der Raucher zeitlich nicht erfasst und die so entstandenen Fehlzeiten dennoch bezahlt. Da aber selbst die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen nicht bezahlt werden müssten, könne sich es bei nicht vorgeschriebenen Raucherpausen erst recht kein im Sinne des Begriffs der betrieblcihen Übung schützenswertes Vertrauen entwickelt haben. - Das überzeugt mich aus zwei Grünen nicht. Erstens: Leistungen, auf die gesetzlich kein Anspruch besteht, können immer rechtsgeschäftlich gewährt werden, natürlich auch im Wege der betriebklichen Übung. Diese Erkenntnis ist trivial. Dass nach dem Gesetz die zwingenden Pausen nicht bezahlt werden, ist daher kein Argument. Zweitens: Der Gedankengang der LAG-Richter tritt nnur im äußeren Gewande dessen auf, man prüfe hier einen Vetrauenstatbestand, in der Sache sind das jedoch Erwägungen, mit denen man bezweifeln könnte, ob ein Rechtsbindungswille des Arbeitgebers vorliegt. Eben dieses bedarf es aber, wie das LAG selbst feststellt, bei einer betrieblichen Übung nicht.  

Sehr geehrter Herr Bender,

Ihre Argumentation mag bei einer einseitigen Änderung/Anordnung des AG greifen. Hier handelt es sich aber um eine mit dem BR ausgehandelte BV. Somit haben die AN, vertreten durch den BR, den Rechtsbindungs- und Geschäftswillen gezeigt, die bisherige Übung abzuändern.

Ansonsten ließe sich ja gar nichts mehr durch eine BV ändern oder einführen.

In diesem Zusammenhang auch interessant:
LAG Hamm, 6.8.2004, 10 Ta BV 33/04

Ich halte die Entscheidung für richtig.

Wenn eine solche Regelung für Raucher zulässig wäre, müsste man vor dem Hintergrund der Gleichbehandlung Nichtrauchern die gleichen bezahlten Pausenzeiten zugestehen. Außerdem sollte man keinen Anreiz für die Mitarbeiter bieten, mit dem gesundheitsschädlichen Rauchen anzufangen.

Die Rechtsprechung wird m.E. auf der Linie der LAGs verweilen.

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Martin Bender schrieb:
... liegt eine Willenserklärung des Arbeitgebers vor, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werden durfte.
Und daran scheitert der Anspruch des Klägers: es ist nun mal allgemeine Verkehrssitte, dass nur Arbeitszeit vergütet wird und Nichtarbeitszeit wie Pausen nicht. Diese Verkehrssitte ist auch jedem Arbeitnehmer bekannt, auf Treu und Glauben konnte sich der Kläger daher nicht berufen und darum auch nicht auf einen Leistungswillen des Arbeitgebers. Siehe auch den o.g. Beschluss des LAG Hamm. Wundert mich eigentlich, dass das LAG Nbg. darauf nicht abgestellt hat.

Zur (fehlenden) Regelungskompetenz der Betriebsparteien für die Einführung vergütungspflichtiger Raucherpausen: LAG SH - 4 TaBV 12/07

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Zustimmung für die Ausführungen von Herrn Bender, aber....

ich habe wie das LAG äußerste Probleme mit der "Gleichförmigkeit des Verhaltens".

Wenn ich ein Verhalten der Arbeitnehmer nicht beanstande, dann muss es doch um ein gleichförmiges Verhalten der Arbeitnehmer gehen. Nun geht Arbeitnehmer A einmal am Tag rauchen und Arbeitnehmer B 10 Mal. Das Verhalten (Entgeltfortzahlung) stellt sich danach gegenüber jedem Arbeitnehmer anders da (ggü. Nichtrauchern im Übrigen gibt es gar kein Verhalten). Da habe ich überhaupt keinen Maßstab, wie ich den für alle Mitarbeiter geltenden Vertragsinhalt feststellen soll.

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