Wie geht das eigentlich mit der TAGESSATZHÖHE?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.10.2015
Rechtsgebiete: OLG BraunschweigStrafrechtVerkehrsrecht|3201 Aufrufe

Damit musste sich das OLG Braunschweig befassen, nachdem die StA eine Revision eingelegt hatte, die nur noch auf die Frage der Tagessatzhöhe beschränkt war. Das OLG:

Nach wirksamer Beschränkung der Revision ist vom Senat nur die Frage der Tagessatzhöhe zu prüfen (§ 352 StPO). Die Bemessung der Höhe eines Tagessatzes ist ein abgrenzbarer Beschwerdepunkt, der in der Regel - so auch hier - losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt geprüft werden kann (BGH, Beschluss vom 3.11.1976, 1 StR 319/76, juris, Rn. 2, BGH, Urteil vom 10.01.1989, 1 StR 682/88 = NStZ 1989, 178; OLG Braunschweig, Beschluss vom 19.05.2014, 1 Ss 18/14, juris, Rn. 5 = NdsRpfl 2014, 258; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 40 Rn. 26).

Die konkrete Festsetzung der Tagessatzhöhe auf 12,- € begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar obliegt die Bemessung der konkreten Tagessatzhöhe (§ 40 Abs. 2 S. 1 StGB) als Akt der Strafzumessung grundsätzlich der Entscheidung des Tatrichters, die das Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen hat (BGHSt 27, 212, 215; BGHSt 27, 228, 230). Das angefochtene Urteil überschreitet indes diese Grenze, weil bei der Bemessung der Tagessatzhöhe "in der Regel" vom Nettoeinkommen auszugehen ist (§ 40 Abs. 2 S. 2 StGB) und etwaige Abweichungen vom Nettoeinkommensprinzip nachvollziehbar zu begründen sind (BGH, Urteil vom 10.01.1989, 1 StR 682/88 = NStZ 1989, 178 [Nettoeinkommen als "Richtlinie"]; OLG Hamm, Beschluss vom 21.11.2006, 3 Ss 356/06, juris, Rn. 4 = wistra 2007, 191 [OLG Hamm 21.11.2006 - 3 Ss 356/06]; Häger in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 40 Rn. 21, 53). Eine solche Begründung fehlt im angefochtenen Urteil, obgleich die festgesetzte Tagessatzhöhe von 12,- € nicht mit dem Nettoeinkommen korrespondiert:

Auf der Grundlage des Nettoeinkommens von 732,- € errechnet sich vielmehr eine Tagessatzhöhe von 24,- € (732,- € / 30), weil neben dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II in Verbindung mit der jeweiligen Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Höhe der Regelbedarfe) auch die Sachbezüge i.S.d. § 22 SGB II (Unterkunft und Heizung) zu berücksichtigen sind (OLG Braunschweig, Beschluss vom 19.05.2014, 1 Ss 18/14, juris, Rn. 7 = NdsRpfl 2014, 258 m.w.N.; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 40 Rn. 11).
Dass Empfänger von Leistungen nach dem SGB II als nahe am Existenzminimum Lebende durch das Nettoeinkommensprinzip "systembedingt härter getroffen werden als Normalverdienende" ist zwar ebenfalls zutreffend und kann durchaus Anlass sein, ein Absenken der Tagessatzhöhe sorgsam zu prüfen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 19.05.2014, 1 Ss 18/14, juris, Rn. 9 = NdsRpfl 2014, 258; OLG Hamm, Beschluss vom 02.02.2012, III-3 RVs 4/12, juris, Rn. 18; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 40 Rn. 11 a). Der bloße Hinweis auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II, worin sich die Zumessungsentscheidung der Kammer hier erschöpft, ersetzt indes nicht die nach der Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 10.01.1989, 1 StR 682/88 = NStZ 1989, 178; OLG Hamm, Beschluss vom 21.11.2006, 3 Ss 356/06, juris, Rn. 4 = wistra 2007, 191) bei einem Absenken der Tagessatzhöhe gebotene Darlegung der maßgeblichen Umstände. Denn ein Abweichen vom Nettoeinkommensprinzip kann nicht allein damit begründet werden, dass ein Angeklagter ein bestimmtes Nettoeinkommen - hier als Empfänger von Leistungen nach dem SGB II ein solches von 732, - € - erhält. Erforderlich ist vielmehr eine einzelfallorientierte Erörterung der Gesamtbelastung eines Angeklagten, die die konkrete Strafe mit den (vom Nettoeinkommen verschiedenen) übrigen wirtschaftlichen Verhältnissen eines Angeklagten (Vermögen, Verbindlichkeiten etc.) in Beziehung setzt (Häger in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 40 Rn. 53 m.w.N.). Daran fehlt es.

Die bisherigen Feststellungen der Kammer zwingen nicht zu einer Herabsetzung der Tagessatzhöhe. Denn der Angeklagte hat nach den Urteilsfeststellungen keine Kinder und lebt nicht in einer Bedarfsgemeinschaft. Auch sind weder bestehende Verbindlichkeiten des Angeklagten noch außergewöhnliche Belastungen, die ihre Ursache beispielsweise in der Krebserkrankung haben könnten, festgestellt.

III.
Aufgrund der fehlerhaften Berechnung des einzelnen Tagessatzes ist das Urteil im Ausspruch über die Höhe des Tagessatzes mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache insoweit gemäß 354 Abs. 2 StPO an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

Die neue Kammer wird für die gebotene Festsetzung der Tagessatzhöhe die aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse (Nettoeinkommen, Verbindlichkeiten, außergewöhnliche Belastungen, Vermögen) aufzuklären und bei der Ermittlung des Nettoeinkommens auch zu berücksichtigen haben, dass der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 399,- € beträgt (§ 20 SGB II in Verbindung mit der Nr. 1 der Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Höhe der Regelbedarfe vom 15.10.2014).

OLG Braunschweig, Beschl. v. 26.06.2015 - 1 Ss 30/15

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