ArbG Berlin bejaht Urlaubsabgeltungsanspruch der Erben bei Tod des Arbeitnehmers

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 02.12.2015

Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zieht die Konsequenzen aus einer neueren Entscheidung des EuGH zum Urlaubsabgeltungsanspruch der Erben bei Tod des Arbeitnehmers. Der EuGH hatte bekanntlich in der Rechtssache Bollacke entschieden, Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) sei dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub untergeht, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers endet. (EuGH, Urt. vom 12.6.2014 - C-118/13 "Bollacke", NZA 2014, 651 – hierzu Blog-Beitrag vom 16.6.2014). Das BAG (Urteil vom 20.9.2011 – 9 AZR 416/10, NZA 2012, 326) hatte dies zuvor noch anders gesehen. Nunmehr hatte offenbar das ArbG Berlin (Urteil vom 7.10.2015 – 56 Ca 10968/15) als erstes Arbeitsgericht die Möglichkeit, auf diese – vielfach und zu Recht als fragwürdig empfundene – Entscheidung der Luxemburger Richter zu reagieren. In diesem Fall, hatte die Erblasserin im Zeitpunkt ihres Todes noch einen Erholungsurlaubsanspruch von 33 Tagen. Ihre Erben forderten von der beklagten Arbeitgeberin die Abgeltung dieses Urlaubsanspruchs. Das ArbG Berlin hat nunmehr im Einklang mit dem EuGH entschieden, dass sich ein Urlaubsanspruch mit dem Tod des Arbeitnehmers in einen Urlaubsabgeltungsanspruch der Erben umwandelt. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts ist der Urlaub nach § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) abzugelten, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Diese Voraussetzungen seien bei dem Tod des Arbeitnehmers gegeben. Soweit das BAG darauf abstelle, mit dem Tod erlösche die höchstpersönliche Leistungspflicht des Arbeitnehmers und damit auch ein (abzugeltender) Urlaubsanspruch, widerspreche dies Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie in der von dem EuGH erfolgten Auslegung; der Rechtsprechung des BAG sei daher nicht zu folgen.

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10 Kommentare

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Der Urlaubsanspruch soll doch zur Erholung und Erhaltung der der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers herangezogen werden.

Muss eigentlich jeder Punkt in finanzielle Gegebenheiten umgerechnet werden? So dass immer sich irgendjemand irgendwie die Taschen füllt, und seih es ein Erbe, der diesen Anspruch überhaupt nicht erwirtschaftet hat.
 

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@LeserII: Ich bearbeite gerade einen Fall, in dem es der ausdrückliche Wunsch des Erblassers war, dass sein Anspruch auf Urlaub, der sich nach seinem absehbaren Tod in Abgeltung verwandeln würde, seiner Familie, die sich intensiv um ihn gekümmert hatte, zu Gute kommt. In gewisser Weise hat er - sicherlich nicht juristisch, aber menschlich - einen von ihm "erwirtschafteten" Anspruch genutzt, um seiner Familie "die Tasche" zu füllen. Ein Arbeitnehmer nutzt seinen Urlaub, um seiner Familie etwas Gutes zu tun - daran nichts Falsches erkennen. Macht es wirklich einen Unterschied, ob er das zu Lebzeiten oder nach seinem Ableben macht?

 

Im Übrigen hat der Arbeitgeber Schutzpflichten gegenüber seinem Arbeitnehmer. Wenn er denn Urlaub nicht rechtzeitig gewährt, dann ist das, salopp gesagt, sein Problem. Ich sehe immer wieder, dass Urlaubsansprüche mit Krankheitstagen "verrechnet" werden oder darauf spekuliert wird, dass die Abgeltung verfällt ... auch hier füllt sich jemand die Taschen, der den Anspruch nicht erwirtschaftet hat - in der Hoffnung, der wirtschaftlich unterlegene und abhängige Arbeitnehmer werde sich nicht wehren.

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Meiner Meinung beißt sich die Katze da auch selber in den sprichwörtlichen Schwanz ...

Der von Ihnen erwähnte AN hat diesen Urlaub in angesicht seines nahenden Ablebens "aufgespart" ... wenn er sein Ableben schon absehen konnte, gehe ich davon aus, dass dieser bereits nicht mehr Arbeitsfähig war. Wie perfide ist es dann, dem AG einen Vorwurf zu machen, dass der AN seinen Urlaubsanspruch nicht mehr nehmen "konnte"!?

Ich sehe da keinen unterlegenen Arbeitnehmer, ich sehe da nur eine scharmlose Umgehung von Tatsachen ...

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@LeserII: Meine beiden Absätze enthalten unterschiedliche Argumente für den Umgang mit Urlaubsabgeltung. Die Überlegungen im zweiten Absatz gefallen Ihnen nicht. Damit kann ich leben.

 

Wie steht es mit dem ersten Absatz?

 

In letzter Konsequenz geht es vielleicht auch um eine Frage des (Gerechtigkeits-?)Empfindens: Soll der Arbeitgeber von dem Tod seines Arbeitnehmers profitieren, in dem er Geld für Urlaub spart, auf den der Arbeitnehmer bei seinem Ableben ein Recht hatte? Der Arbeitgeber hätte diese Ausgaben ohne den Tod doch in jedem Fall gehabt, in der einen oder anderen Form. Mir jedenfalls erscheint es etwas makaber, einen Todesfall zum Glücksfall für den Arbeitgeber zu machen.

 

Wo liegt der Unterschied, ob beispielsweise ein Arbeitnehmer einen Tag vor seinem Tod aus dem Unternehmen ausscheidet (samt vererblichen Zahlungsanspruch auf Urlaubsabgeltung) oder mit seinem Tod?

 

Anderes Thema: Wie wird die Urlaubsabgeltung im Todesfall berechnet? Gibt es den Anspruch nur für den vierwöchigen unionsrechtlichen/gesetzlichen Mindestanspruch oder auch für zusätzlichen (arbeitsvertraglichen, tarifvertraglichen) Urlaub? Inwieweit ist relevant, ob der Arbeitsvertrag für gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaub unterschiedliche Regelungen trifft?

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Anderer Leser schrieb:

Wo liegt der Unterschied, ob beispielsweise ein Arbeitnehmer einen Tag vor seinem Tod aus dem Unternehmen ausscheidet (samt vererblichen Zahlungsanspruch auf Urlaubsabgeltung) oder mit seinem Tod?

Wenn der AN am 1.4.16 verstirbt und nicht am 31.3.16 ist der Urlaub des Jahres 2014 verfallen. Es gibt manchmal rechtliche Unterschiede, die an Zeitpunkte gebunden sind - mit "wo ist der Unterschied" kommt man bei solchen Regelungen in der Argumentation nur schwer weiter.

 

Quote:
Anderes Thema: Wie wird die Urlaubsabgeltung im Todesfall berechnet? Gibt es den Anspruch nur für den vierwöchigen unionsrechtlichen/gesetzlichen Mindestanspruch oder auch für zusätzlichen (arbeitsvertraglichen, tarifvertraglichen) Urlaub? Inwieweit ist relevant, ob der Arbeitsvertrag für gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaub unterschiedliche Regelungen trifft?

Meiner Meinung nach unterliegt jeder nicht verfallene Urlaub grundsätzlich den gleichen Regeln. Dass bedeutet: auch der übergesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch ist erstmal vererblich.

Allerdings dürfte es zulässig sein, einen ausdrücklichen Verfall von übergesetzlichem Urlaub bei Tod des Arbeitnehmers im Tarifvertrag festzulegen, weil dieser Urlaubsanspruch nicht durch die Arbeitszeitrichtlinie "geschützt" wird.

Wenn das Gesetz für den Fall, dass Urlaub nicht genommen werden kann, eine Urlaubsabgeltung vorsieht, ist doch der Schritt, dass dieser Anspruch vererblich ist, nur normal. Ich sehe keinen Grund, das für falsch halten zu müssen...

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@I.S.:

 

"Wenn der AN am 1.4.16 verstirbt und nicht am 31.3.16 ist der Urlaub des Jahres 2014 verfallen. Es gibt manchmal rechtliche Unterschiede, die an Zeitpunkte gebunden sind - mit "wo ist der Unterschied" kommt man bei solchen Regelungen in der Argumentation nur schwer weiter."

 

Das ist wieder eine andere Fallkonstellation. Ihre Fallkonstellation betrifft die Frage, wie viel Urlaub offen ist. Die von mir genannten Fälle betreffen die Frage, wie mit offenem Urlaub bei Ende des Arbeitsverhältnisses umgegangen werden soll, insbesondere, ob es wertungsmäßig für die Urlaubsabgeltung einen Unterschied macht, ob Beendigungsgrund Tod oder Kündigung (Befristung, Aufhebungsvertrag, Anfechtung ohne Rückwirkung, Nichtverlängerung ... etc.) ist.

 

Die Argumentation "wo ist der Unterschied" ist unter dem Gesichtspunkt, das gleichartige Sachverhalte auf die selbe Weise behandeln werden sollten (nennen Sie es Gerechtigkeitsgefühl, Art.3 GG, Systematik, Rechtssicherheit, etc.), die zentrale Frage. Das Gegenteil wäre willkürliche Differenzierung. Ich sehe keinen Unterschied, bin daher für die Gleichbehandlung der beiden von mir genannten Fälle (Beendigung des Arbeitsverhältnis durch Tod einerseits, Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen mit anschließendem Ableben andererseits). Es gibt eine Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers bzw. der jüngeren Rechtsprechung bzgl der Monetarisierung von Urlaub. Es ist inkonsequent, diese auch auf Urlaubsabgeltung bei Tod des Arbeitnehmers anzuwenden.

 

Ich bin gespannt, wie das Arbeitsgericht argumentiert hat. Die Urteilsgründe werden den Parteien derzeit zugestellt, danach wird sicherlich zeitnah eine Veröffentlichung erfolgen.

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Falls es jemand interessiert: Laut Urteilsbegründung geht das ArbG Berlin davon aus, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nicht auf den unionsrechtlichen/gesetzlichen Urlaubsanspruch begrenzt ist, sondern den gesamten offenen Urlaub umfasst, sofern im Arbeitsvertrag / Tarifvertrag nicht zwischen dem gesetzlichen und dem übergesetzlichen Urlaub unterschieden wird. "Beendigung des Arbeitsverhältnisses" i.S.d. § 7 Abs.4 BUrlG erfasse bei unionsrechtskonformer Auslegung auch den Todesfall des Arbeitnehmers. Die entgegenstehende Rechtsprechung des BAG sei überholt.

 

Aus meiner Sicht zutreffend und im Einklang mit der sonstigen jüngeren Rechtsprechung zum Thema Urlaub/Urlaubsabgeltung.

 

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Stand: 10.12.2015).

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Frage: Welche Papiere  muss der Erbe vorlegen um den "Urlaubabgeltungsanspruch der Erben" zu beantragen?  Wenn es z.B. keinen Erbschein gibt.

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