Fall Mollath - BGH verwirft Revision

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 09.12.2015

Mit seiner heute bekannt gemachten Entscheidung hat der 1. Senat des BGH die von Gustl Mollath gegen das Urteil des LG Regensburg vom 14. August 2014 eingelegte Revision verworfen, Pressemitteilung.

Die Entscheidung wurde sogleich mit Begründung im Wortlaut veröffentlicht.

Die Ausführlichkeit der Begründung und deren sofortige Veröffentlichung stehen im erstaunlichen Kontrast zur erstmaligen Revision des BGH im Fall Mollath, bei der ein außerordentlich fehlerhaftes und problematisches Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom selben Senat einfach ohne nähere Begründung zur Rechtskraft „durchgewunken“ wurde. Immerhin scheint auch der BGH insofern aus dem Fall Mollath „gelernt“ zu haben. Zunächst nur ein kurzer Kommentar, den ich je nach Diskussionsverlauf möglicherweise in den nächsten Tagen ggf. noch ergänzen werde:

Wie ich schon zuvor verschiedentlich geäußert haben, war tatsächlich kaum damit zu rechnen, dass der BGH seine grundsätzliche Linie, der Tenor eines Urteils selbst müsse eine Beschwer enthalten, damit zulässig Revision eingelegt werden kann, gerade bei diesem Fall ändert. Dennoch gab es natürlich auch bei mir die leise Hoffnung, der BGH werde sich mit den sachlichen Einwänden gegen das Urteil, die auch ich noch hatte, auseinandersetzen.

Immerhin kann man den Beschluss angesichts der ausführlichen Begründung nun auch juristisch nachvollziehen, selbst wenn man ihm im Ergebnis nicht zustimmt. Es findet insbesondere auch eine Auseinandersetzung mit dem auch hier im Beck-Blog diskutierten vom EGMR entschiedenen Fall Cleve ./. Deutschland statt: Dort war der EGMR von der Tenorbeschwer abgewichen. Der BGH meint nun, das Urteil im Fall Mollath sei mit Cleve ./. Deutschland nicht vergleichbar, weil im Mollath-Urteil anders als im Cleve-Fall kein direkter Widerspruch zwischen Tenor und  Begründung festzustellen sei.

Enttäuscht bin ich vom letzten Satz der Begründung des Beschlusses, der konstatiert, die Revision sei ohnehin unbegründet gewesen. Dieser Satz ist völlig verzichtbar und gibt dem Leser Steine statt Brot.

Abgesehen von der  Kritik am Urteil des LG Regensburg möchte ich aber noch einmal darauf hinweisen: Der gesamte Fall in seiner Entwicklung und Dynamik ist ein aus Sicht des Dezember 2012 riesiger persönlicher Erfolg für Herrn Mollath und ist auch in seiner langfristigen Wirkung auf die (bayerische) Justiz und den Maßregelvollzug nicht zu unterschätzen.. Das sollte man – bei aller Enttäuschung über die heutige Entscheidung des BGH – nicht vergessen.

Update (14.12.2015): Eine eingehendere sehr kritische Analyse hat nun Oliver Garcia im delegibus-Blog veröffentlicht.

Update 3.3.2016: Die Kommentarspalte ist nach mehr als tausend Beiträgen geschlossen.

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1041 Kommentare

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Kolos:

"Ich rede davon, dass die Unschuldsvermutung der MRK nicht vor Ausführungen schützt, die bewiesen sind."

 

Sie meinen demnach ernsthaft:

Bei einem Freispruch wegen erwiesener Unschuld dürfe - nein, müsse! - der Tenor lauten:

"Der Angeklagte wird freigesprochen, weil er den ihm vorgeworfenen Mord bewiesenermaßen nicht begangen hat."

DAS, meinen Sie, sei konform mit der Unschuldsvermutung gemäß MRK?

Ich glaube, das wäre so nicht richtig...  

Und darum gilt das für alle "Weil" oder "Wegen" im Freispruch-Tenor.

 

 

 

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@ WR Kolos
Vielen Dank für Ihre Erläuterungen und Korrekturen vom 5.1.16 in #47 zu meinen Gedanken in #45 auf Seite 4. Um den "Superman und Mickey Mouse"-Vergleich mal mit einem anmaßenden historischen Bezug zu unseren kleinen Differenzen zu ergänzen: Sie sagten " Es ist keine Scheibe" und ich folgerte "also dreht sie sich doch". Der Vergleich ist natürlich vollkommen übertrieben, aber trotzdem, der Kern der Erkenntnis liegt nicht im Beharren, sondern im Neudenken. Zwischen "keine Scheibe" und "dreht sich doch" fehlt natürlich noch eine Menge Substanz. Dass Sie zum Freispruch-ist-Freispruch-Dogma einen "anderen Ansatz" zu bisher auch von Ihnen Unhinterfragtem formulierten und daher noch ohne Belege dastehen, hatten Sie ja deutlich erklärt. Da Sie vermutlich auch kein Rechtsgelehrter sind, könnte also nur ein Rückgriff auf Meinungen von Rechtsgelehrten oder Rechtsprechung eine Rechtsmeinung etablieren. Ich bin angesichts der bisherigen Reaktion(en) gespannt.

@ MT
Ebenfalls vielen Dank für Ihre Erläuterungen zu Rechtsmeinungen und der Rechtsprechung. Zumindest ein grobes Verständnis dieser informellen bzw. auch hierarchisch organisierten Prozedur ist für die Diskussion wohl notwendig. Bei der Genese von Rechtsmeinungen handelt es sich also um ein informelles Prozedere unter veröffentlichenden Rechtsgelehrten, das auch bei Widersprüchen oder gegenseitigen Ausschlüssen keine Auflösung erzwingt, sondern im Grundsatz die (gefühlte) Mehrheit die herrschende Meinung bestimmt. Die Rechtsprechung greift darauf zurück, vorwiegend um komplexe Herleitungen abzukürzen, ohne jedoch an diese Meinungen gebunden zu sein. Zur "herrschenden Rechtsprechung" besteht für mich noch die Unklarheit in ihrer Erläuterung, wie "herrschend" in diesem Zusammenhang gemeint ist. Herrschend im Sinne von "mehrheitlich vertreten" oder von "nebeneinander existierend"?

@ Blogger
Einen gesetzlichen Ausschluss eines Zusatzes im Tenor konnte ich in §§ 260, 267 StPO nicht finden und auch dem Art.6 Abs.2 MRK kann ich das nicht entnehmen. Denn wenn der Zusatz gegen die Unschuldsvermutung verstossen würde, warum dann nur bei einer Angabe im Tenor und nicht im "Rest des Urteils"? Damit setzt man das Tenorbeschwer-Dogma voraus, womit sich die Katze wohl in den Schwanz beißt. Können Sie das klarstellen?

Dazu auch:
Auch mit den Literaturangaben ist es als Laie nicht ohne Weiteres möglich, Ihre Feststellung nachzuvollziehen. Zu KMR §260,36 stoße ich zwar auf C.-F. Stuckenberg, der auch Ihren Verweis auf § 267 Abs.5 Satz 2 auf S.159 wiedergibt: Er führt dazu aus: "Eine Belastung des freigesprochenen Angeklagten durch nicht ausgeräumte Verdachtsmomente ist rechtsstaatlich ..." (die Fortsetzung auf S.160 ist nicht frei verfügbar).
Warum sich eine Belastung aus Verdachtsmomenten nur aus der Urteilsformel ergeben soll und nicht aus der angehängten Liste und den Urteilsgründen, bleibt so für mich noch ungeklärt. Denn § 267 Abs.5 Satz 2 StPO lautet: "Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden." (Absatz 4 Satz 4 betrifft nur eine Ergänzungsmöglichkeit.)

Ich verstehe zwar die Folgerung: "wenn diese Angabe in Urteilsgründen erforderlich ist, dann ist sie in der Urteilsformel nicht notwendig oder üblich", aber einen gesetzlichen Ausschluss bzw. ein Verbot für eine entsprechende Tenorierung kann ich schon deshalb nicht erkennen, weil sich der Satz ausdrücklich auf den Fall des Verzichts von Rechtsmitteln bezieht. Vielmehr könnte man sogar annehmen, dass der Revisionsverzicht den Freigesprochenen bereits gesetzlich vor Belastungen durch Verdachtssmomente in den Urteilsgründen schützen könnte ("braucht nur"), ein Revisionsführer aber mit der (dauerhaften) öffentlichen Belastung durch Verdachtsmomente in den Urteilsgründen leben muss. Offensichtlich kann nur durch das weitere Berücksichtigen der Verdachtsmomente die Revision geklärt werden. Wegen des "Freispruch-ist-Freispruch"-Dogmas und des "Tenorbeschwer-Dogmas" wird dem Revisionsführer dann zwar die Belastung durch Verdachtsmomente tatsächlich zugemutet, aber eine Klärung dazu schon formal verweigert. Das überzeugt mich als Laie bisher überhaupt nicht. Die Begründung des BGH zur angestrebten Prozessökonomie dagegen vordergründig viel eher, aber die hat in dieser Situation mit der Unschuldsvermutung zugunsten des Freigesprochenen wohl gar nichts zu tun.

Im Übrigen ist es schade, dass jeder Student (Jura) das angeblich weiß, aber die Allgemeinheit von den Erkenntniswegen weitgehend ausgeschlossen wird. Vielleicht kann Prof. Müller dazu einen Hinweis geben, warum gegenüber den Laien hinter dem Berg gehalten wird, wo doch das Strafrecht grundsätzlich öffentlich ist.

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Lutz Lippke schrieb:

 Denn § 267 Abs.5 Satz 2 StPO lautet: "Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden." (Absatz 4 Satz 4 betrifft nur eine Ergänzungsmöglichkeit.)

Ich verstehe zwar die Folgerung: "wenn diese Angabe in Urteilsgründen erforderlich ist, dann ist sie in der Urteilsformel nicht notwendig oder üblich", aber einen gesetzlichen Ausschluss bzw. ein Verbot für eine entsprechende Tenorierung kann ich schon deshalb nicht erkennen, weil sich der Satz ausdrücklich auf den Fall des Verzichts von Rechtsmitteln bezieht. Vielmehr könnte man sogar annehmen, dass der Revisionsverzicht den Freigesprochenen bereits gesetzlich vor Belastungen durch Verdachtssmomente in den Urteilsgründen schützen könnte ("braucht nur"), ein Revisionsführer aber mit der (dauerhaften) öffentlichen Belastung durch Verdachtsmomente in den Urteilsgründen leben muss.


1. Auch bei einer Revision der StA würden Gründe geschrieben, der Verzicht auf die Revision bietet also keine automatischen Vorteil. Es geht wohl doch eher drum, auf das Abfassen einer schriftlichen Urteilsbegründung verzichten zu können, wenn die "nicht gebraucht" wird. Das ist halt Prozessökonomie.
2. Hier wird in den Kommentaren davon ausgegangen, dass bereits die Nennung des §20 ausreicht, um die "Belastung" herzustellen. Und diese Nennung entfällt auch nicht bei einem Revisionsverzicht, weil immer noch festzustellen ist, ob es sich um Freispruch aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen handelt.

 

Quote:

Im Übrigen ist es schade, dass jeder Student (Jura) das angeblich weiß, aber die Allgemeinheit von den Erkenntniswegen weitgehend ausgeschlossen wird. Vielleicht kann Prof. Müller dazu einen Hinweis geben, warum gegenüber den Laien hinter dem Berg gehalten wird, wo doch das Strafrecht grundsätzlich öffentlich ist.

Da nicht jedes Wort im Gesetz definiert ist (bzw. werden kann), gibt es Auslegungsfragen. (Beispiel s.u.) Im juristischen Studium lernt man zum einen die Techniken, wie man diese Auslegungen vornimmt, zum anderen auch, wie man am besten herausbekommt, wie andere die Auslegung vornehmen, und welche Auslegungsvariante von der Mehrheit vertreten wird (sogenannte "herrschende Meinung" - "herrschend" ist dabei die Kurzform von "vorherrschend", bedeutet also "am weitesten verbreitet".)

Rechtswissenschaft ist keine Naturwissenschaft, wo bei einer Gleichung bei einem identischen Eingabewert bei jedem das gleiche Ergebnis rauskommt. Es ist eine Geisteswissenschaft, deren Ergebnisse in erheblichem Maße davon abhängt, wie der Anwender nicht eindeutige Begriffe und Formulierungen auslegt. Zu diesen Anwendern gehören auch Richter - und das Wort von Richtern der jeweils obersten Gerichte hat ein nicht unerhebliches Gewicht, weil sie in der Lage sind, die Urteile ihrer Kollegen in den vorherigen Instanzen aufzuheben.

Aber: Jedem steht es frei, sich Kommentare zur StPO zuzulegen und diese Diskussionen nachzuvollziehen. Es ist keine Geheimwissenschaft.

Jedem steht es auch frei, eine eigene Meinung zu äußern und zu begründen. Inwieweit diese dann in (rechts)wissenschaftlichen Kreisen wahrgenommen wird, wenn man sie hier ins Beck-Block schreibt, anstatt einen Aufsatz in einer Fachzeitschrift zu veröffentlichen, kann sich aber jeder selber überlegen. ;)

 

Beispiel:

§ 1 BGB: "Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt."

Ein klarer deutscher Satz. Sogar deutlicher, als man ihn normalerweise wählen würde, weil er von "Vollendung der Geburt" spricht, nicht nur von Geburt. Aber wann ist die Geburt vollendet? Wenn das Kind komplett aus dem Mutterleib ist? Wenn die Nabelschnur durchtrennt ist?
Und was sind die Auswirkungen einer Totgeburt? Und anhand welcher Kriterien kann man unterscheiden, ob ein Kind bereits tot geboren wurde, oder erst unmittelbar nach der Geburt gestorben ist?

usw ...

Würde man versuchen, all solche Fragen im Gesetz selber zu beantworten, würde das der Übersichtlichkeit der Gesetze nicht weiterhelfen. Davon abgesehen, dass immer Fragen offenbleiben werden, auf die man im Vorfeld gar nicht kommt.

Ergänzung zum vorherigen Kommentar:

Vielmehr könnte man sogar annehmen, dass der Revisionsverzicht den Freigesprochenen bereits gesetzlich vor Belastungen durch Verdachtssmomente in den Urteilsgründen schützen könnte ("braucht nur"), ein Revisionsführer aber mit der (dauerhaften) öffentlichen Belastung durch Verdachtsmomente in den Urteilsgründen leben muss.

§ 267 (5) 2 StPO so verstanden, läge in der Angabe "ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist" keine Belastung des Freigesprochenen und auch keine Verletzung der Unschuldsvermutung.   

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Unter dem Titel "Grundrechtseingriffe ohne Rechtsmittel" gab es zum Thema Freispruch wegen Schuldunfähigkeit im Bundestag kleine Anfragen der Linken.
Anfrage vom 20.11.2008
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/16/110/1611011.pdf
Antwort der Bundesregierung vom 08.12.2008
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/16/113/1611316.pdf
Anfrage vom 19.06.2009
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/16/135/1613533.pdf
Antwort der Bundesregierung vom 08.07.2009
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/137/1613764.pdf

Den Dokumenten lässt sich entnehmen, dass sich die Bundesregierung in den Antworten nicht auf Gesetze beruft, sondern durchgehend auf die BGH-Rechtsprechung. D.h. zum Freispruch-ist-Freispruch-Dogma, der Erfordernis der Beschwer und zum Tenorbeschwer-Dogma führt die Bundesregierung selbst keine Gesetze und deren Genese als Begründung an, sondern (nur) die Auslegungen des BGH. Ersetzt Richterrecht hier die Gesetzgebungskompetenz oder liegt es am Alter der Regelungen? Zumal die BGH-Rechtsprechung sogar erklärtermaßen von der Regierung und dem BGH nicht uneigennützig präferiert wird. Denn das Argument der Prozessökonomie verhindert jedenfalls nach den Angaben der Protagonisten auf der einen Seite Haushaltskosten und auf der anderen Seite Mehraufwand beim BGH. Das Argument der Prozessökonomie kliegt mir aber sehr nach :"Du musst kaufen, um zu sparen!"

Nimmt man als Beispiel den Fall Mollath geht diese imaginäre Rechnung offensichtlich nicht auf. Die Agenda des Falls spricht nicht für Prozessökonomie durch Verkürzen von Klärungen, sondern für ein Abschleifen eines zwingend notwendigen Qualitätsanspruchs, der den Aufwand in die Höhe und die Reputation der Justiz in den Keller treibt. Man stelle sich dagegen nur fiktiv vor, dass allen Beteiligten bereits zu Beginn eines Prozesses klar wäre, dass die Justiz im Instanzenzug bis zum BGH die Tatsachen vollkommen unbeirrt und korrekt feststellen wird und dafür gegebenenfalls keine Kosten und Mühe scheut. Das würde doch Falschbeschuldigungen, falsche Zeugenaussagen, falsche Urteilsgründe und echte Fehlurteile ziemlich riskant und ggf. für Verursacher auch teuer machen. Geständnisse würden sicher so manches Verfahren verkürzen, weil kein Trick am Aufklärungswillen der Justiz vorbeiführt. Wie viele Anzeigen, Anklagen, Anträge, Prozesse, Beschwerden, Wiederaufnahmen, Revisionen würden durch diesen vorauseilenden Ruf gar nicht mehr bearbeitet werden müssen? Nach der Angabe der Bundesregierung vom 08.07.2009 waren im BZR 5.383 Freisprüche eingetragen. Auch damit sind eine Menge Verwaltungsvorgänge und ggf. weitere Verfahren verbunden.
"Du musst verwalten, um zu sparen?"            

 

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Aus BT-Druchs. 16/13764 hatte @Blogger schon wie folgt zitiert:

Das Strafverfahrensrecht kennt – als Bestätigung der Unschuldsvermutung – nur eine Art von Freisprechung, die in der Urteilsformel in der Formulierung "Der/die Angeklagte wird freigesprochen" zum Ausdruck kommt. Zusätze wie "mangels Beweises"oder "aus rechtlichen Gründen" oder Ähnliches sind schlechthin unzulässig. Dem Strafverfahrensrecht sind Differenzierungen von freisprechenden Urteilen nach dem "Grad der Makelhaftigkeit" fremd. Entsprechende Überlegungen zu graduellen Unterschieden eines "bemakelten" Freispruchs sind deshalb nicht angebracht.

Die Antwort der BR vom 8.07.2009 dürfte inzwischen überholt sein. Nach der Entscheidung des EGMR in Sachen Cleve steht jetzt fest, dass auch die Urteilsgründe sich an der Unschuldsvermutung messen lassen müssen. Der Antwort der BR liegt aber noch die Ansicht zugrunde, dass die Unschuldsvermutung sich nur auf den Tenor erstrecke. Durch die Einheitsfassung aller Freisprechungen im Urteilstenor konnte es danach keinen Widerspruch zwischen dem Urteilstenor und den Urteilsgründen bezüglich der "Makelhaftigkeit" geben. 

Freigesprochen wird der Angeklagte von dem Anklagevorwurf. Durch die Einheitsfassung wird er von dem gesamten Vorwurf der Anklage freigesprochen, ohne Wenn und Aber. Damit sollte ihm die Unschuldsvermutung gänzlich erhalten bleiben. Zwar steht das im Widerspruch zu den Urteilsgründen und der Liste der angewendeten Vorschriften, wenn § 20 angewendet wurde, weil darin ausdrücklich vorausgesetzt wird, dass der Unrechtsvorwurf erwiesen ist: "das Unrecht der Tat einzusehen". Aber die Frage, was für die Unschuldsvermutung schließlich gelte, der Tenor oder die Gründe, stellte sich damals noch nicht. Denn damals konnte man noch der Meinung des BGH folgen, dass die Unschuldsvermutung für die Urteilsgründe nicht gelte. Nach der Entscheidung des EGMR in Sachen Cleve geht das aber nicht mehr, so dass die Frage sich jetzt durchaus stellt.

Auf dieses Dilemma ist der BGH in seiner Revisionsentscheidung mit keinem einzigen Wort eingegangen. Müsste die BR heute eine ähnliche Anfrage beantworten, stünde sie auf dem Schlauch. 

 

Der Antwort der BR zugrunde liegende Ansicht, dass es unterschiedliche Freisprüche nicht gebe, dürfte kaum mehr vertretbar sein.

§§ 260 (5) und 267 (5) StPO scheinen mir ein Schlüssel zur Klärung der strittigen Dogmen zu sein.

zu "Freispruch ist Freispruch"
Die gesetzlichen Minimalanforderungen an ein Freispruchs-Urteil ergeben sich aus §§ 260 (5), 267 (5), 338 StPO.

§ 267 (5) StGB:
"Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden."

Ein Urteil "Der Angeklagte wird freigesprochen" entspricht schon gem. § 267 (5) StPO nicht den gesetzlichen Anforderungen. Es muss zumindest eine Unterscheidung nach Freispruch aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen erfolgen. Ein Freispruch-Urteil muss somit mindestens einen entsprechenden Zusatz (tatsächlich/rechtlich) in den Gründen enthalten.

Nach der Urteilsformel ist gem. § 260 (5) StPO die Liste der angewendeten Vorschriften gesetzlicher Teil des Urteils.

Ein Freispruch-Urteil in Anwendung von § 20 StGB muss in Urteilsformel, Liste und Gründen mindestens folgenden Inhalt haben: "Der Angeklagte wird freigesprochen. Angewendete Vorschrift § 20 StGB. Der Freispruch erfolgt aus rechtlichen Gründen."
Ein Freispruch-Urteil aus tatsächlichen Gründen muss dagegen in Urteilsformel, Liste und Gründen mindestens folgenden Inhalt haben: "Der Angeklagte wird freigesprochen. Der Freispruch erfolgt aus tatsächlichen Gründen."  

Ein Freispruch-Urteil aus tatsächlichen Gründen ist damit gesetzlich gem. den Mindestanforderungen nicht das Gleiche wie ein Freispruch-Urteil aus rechtlichen Gründen. Das Dogma müsste demnach zwingend "Freispruch-Urteilsformel ist Freispruch-Urteilsformel", womit der unmittelbare Bezug zur Partitionierung des Urteils, den Tenorierungsregeln und dem Dogma der Tenorbeschwer hergestellt wird.   

Tenor, Urteilsformel, Beschwer
Die Urteilsformel wird im Recht synonym als Tenor bezeichnet. Der gesetzliche Begriff ist gem. § 260 (4) StPO aber "Urteilsformel". Sind Tenor und Urteilsformel wirklich Synonyme und damit gegeneinander vollständig austauschbar?

Tenor - Allgemein: "der grundsätzliche Sinn einer Äußerung, der unabhängig von einzelnen Feinheiten der sprachlichen Formulierung ist." In der Musik: "die Hauptstimme, die die Melodie trägt." Im Strafrecht: "Bezeichnung von Qualifikationstatbeständen in der Urteilsformel" (BGH 3 StR 373/02, 28.Januar 2003) 

Urteilsformel
Die gesetzlichen Anforderungen an die Urteilsformel sind in § 260 (4) StPO festgelegt. Die Formel für einen Freispruch ist darin nicht explizit geregelt. Direkt aus dem Gesetz kommt somit aus § 260 (4) StPO nur der letzte Satz zur Anwendung: "Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts." Im Umkehrschluss kann allerdings aus § 260 (4) Satz 1 StPO gefolgert werden, dass bei einem Freispruch von der Benennung der vorgeworfenen Tat(en) in der Urteilsformel (§ 264 StGB) abgesehen werden sollte oder sogar muss. Ein Verbot der Angabe von Gründen des Freispruchs (tatsächlich oder rechtlich) ergibt sich aus § 260 StGB jedoch nicht.

Liste

Welche Funktion hat die Liste der angewandten Vorschriften gem. § 260 (5) StPO im Urteil?
Dazu der BGH: "Die Fassung des Urteilstenors gibt dem Senat jedoch Anlaß darauf hinzuweisen, daß sich die Urteilsformel durch Kürze und Deutlichkeit auszeichnen soll. Tatmodalitäten, die kein eigenes Unrecht darstellen oder die allein für die Strafzumessung von Bedeutung sind, brauchen im Tenor nicht erwähnt zu werden. Derartige Angaben finden ihren angemessenen Platz vielmehr im Verzeichnis der angewendeten Strafvorschriften nach § 260 Abs. 5 StPO." (vgl. BGH, Beschluss vom 06.10.1998 – 4 StR 391/98, SSW-StPO/Franke, § 260 Rn. 14). 

Die Liste dient also der Entlastung und Fokussierung der Urteilsformel und steht mit ihr in einem unmittelbaren Zusammenhang. Die Liste hat u.a. Bedeutung für die Strafzumessung, das BZR und ergänzt im Fall des Freispruchs aus rechtlichen Gründen die Urteilsformel um die Angabe der dafür angewandten Vorschriften. Die Auslagerung der Liste dient also nicht der vollständigen inhaltlichen Trennung von der Urteilsformel.

Tenorbeschwer

Um den Grundsatz der Tenorbeschwer zum "Dogma der formalen Urteilsformel-Beschwer" aufzurüsten, müsste also eine absolute sachliche Trennung von Urteilsformel und Liste in Bezug auf die Beschwer begründet werden.

Die Dogmen "Freispruch ist Freispruch" und Tenorbeschwer hängen somit elementar an der Partitionierung des Urteils in vollkommen getrennte Urteilsbestandteile. Dem steht entgegen, dass eine Urteilsformel allein zwar (vorläufig) wirksam werden kann, aber gem. §§ 260, 267, 338 StPO kein gesetzlich zulässiges Urteil ergibt.

Beschwer 

Wer wäre bei einem solchen nur auf die Urteilsformel verkürzten Freispruchurteil beschwert? Der Angeklagte nicht, weil mehr als einen Freispruch kann er nicht erlangen? Auch die STA nicht, wenn sie selbst einen Freispruch aus bestimmten (anderen) Grund erreichen will? Denn Freispruch ist doch Freispruch, oder? Was nun?

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Interessante Ausführungen zur Diskussion gibt es auch bei Carl-Friedrich Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung, Seite 123 ff. nachzulesen, die auch online verfügbar sind. U.a. schreibt er zu einer Entscheidung des BVerfG (E 25, 327):

Das Bundesverfassungsgericht hat die unterschiedlichen Freispruchsformen zwar für zulässig erklärt, aber auch zugestanden, daß der Verzicht auf Aussagen über fortbestehenden Verdacht der Unschuldsvermutung tendenziell besser gerecht werden.

Außerdem schreibt er:

Der in der Beschränkung des Freispruchs liegende Tadel sei außerdem ein zum Schutz der Gemeinschaft nicht notwendiger (Fn.)Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten.

Dem kann man doch zustimmen und sich dann fragen, wofür das dann gut sein soll. Mollaths Revision gibt die Antwort darauf: Um das Urteil auf Rechtsfehler überprüfen zu lassen und wegen der praesumtio boni viri. Das kann er nur dann erreichen, wenn von dem Anklagevorwurf nichts mehr bestehen bleibt. Dem könnte man entgegenhalten, das sei schon der Fall durch die uneingeschränkte Fassung des Tenors. Diesbezüglich hat der Tenor aber nur eine formelle Wirkung. Zwar wird das Urteil grundsätzlich nur mit dem Tenor rechtskräftig. Es ist aber allgemein anerkannt, dass ergänzend Rückgriff auf die Urteilsgründe genommen werden darf. 

Mollath wurde auch vom LG Nürnberg-Fürth mit einem tadellosen Tenor freigesprochen, um ihm die Unschuldsvermutung zu erhalten. Dennoch wurde und durfte ihm der in den Urteilsgründen enthaltene Unrechtsvorwurf sieben Jahre lang vorgehalten werden. Auch durch die Eintragung in das BZR bleibt der Vorwurf doch erhalten. Wie lässt sich das mit der angestrebten Erhaltung der Unschuldsvermutung mittels zusatzloser Tenorierung dann noch vereinbaren?

Mollath wurde auch vom LG Nürnberg-Fürth mit einem tadellosen Tenor freigesprochen, um ihm die Unschuldsvermutung zu erhalten. Dennoch wurde und durfte ihm der in den Urteilsgründen enthaltene Unrechtsvorwurf sieben Jahre lang vorgehalten werden.

Falsch! Mollath wurde im Tenor des Nürnberger Urteils nicht nur (unter 1.) freigesprochen. Vielmehr wurde im Tenor (unter 2.) - keineswegs "tadellos" - eben auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mollath wurde also nicht wegen eines "tadellosen Freispruchtenors" untergebracht, sondern wegen eines entscheidenden Unterbringungstenors. Im Regensburger Urteil fehlt jedoch jeglicher Unterbringungstenor; er ist nicht vergleichbar.

Wie lässt sich das mit der angestrebten Erhaltung der Unschuldsvermutung mittels zusatzloser Tenorierung dann noch vereinbaren?

Diese Frage basiert also auf völlig falschen Voraussetzungen.

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Um meine entscheidende Fragestellung aus #5 noch einmal zu fokussieren:

Wie würden die "Dogmatiker" den Sinn und Zweck der unterschiedlichen gesetzlichen Mindestanforderungen an ein Urteil aus §§ 260, 267, 338 StPO an tatsächliche und rechtliche Freisprüche auslegen?

"Der Angeklagte wird freigesprochen. Angewendete Vorschrift § 20 StGB. Der Freispruch erfolgt aus rechtlichen Gründen."

vs.

"Der Angeklagte wird freigesprochen. Der Freispruch erfolgt aus tatsächlichen Gründen."

 

 

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Lutz Lippke schrieb:

Um meine entscheidende Fragestellung aus #5 noch einmal zu fokussieren:

Wie würden die "Dogmatiker" den Sinn und Zweck der unterschiedlichen gesetzlichen Mindestanforderungen an ein Urteil aus §§ 260, 267, 338 StPO an tatsächliche und rechtliche Freisprüche auslegen?

"Der Angeklagte wird freigesprochen. Angewendete Vorschrift § 20 StGB. Der Freispruch erfolgt aus rechtlichen Gründen."

vs.

"Der Angeklagte wird freigesprochen. Der Freispruch erfolgt aus tatsächlichen Gründen."

Was den Effekt angeht, dass der Angeklagte den Gerichtssaal ohne Strafe verlässt, ist dieser identisch, deshalb wird in beiden Fällen auf "Freispruch" entschieden.

 

Aber es steht eine grundsätzlich andere Aussage dahinter.

Im zweiten Fall ist es ein "hat die Tat nicht begangen", im ersten Fall "hat die Tat zwar begangen, aber wird nicht dafür bestraft, weil ..."

 

Nicht zu bestrafen, obwohl die Tat begangen wurde, ist eine Ausnahme. Dieses "weil" muss daher dokumentiert und begründet werden und zwar auch in Form der angewandten Normen. Deshalb muss unter dem Tenor der §20 genannt werden, deshalb will man eine solche "begangene aber nicht bestrafte Tat" auch im Zentralregister eintragen. Aus dem Grund kann man auch argumentieren, dass der enthaltene Vorwurf "hat die Tat begangen" bereits eine Beschwer ist und deshalb bei jedem Freispruch aus rechtlichen Gründen Rechtsmittel zulässig sein müssen.

 

Geht man davon aus, dass nicht nur das "hat die Tat begangen" angegriffen werden kann, sondern auch das "weil" (also z.B. die Anwendung des §20), stößt man aber auf ein Problem:

Wird nur die Schuldunfähigkeit erfolgreich angegriffen, bleibt vom ursprünglichen "hat die Tat begangen, aber wird nicht bestraft, weil ..." nur noch "hat die Tat begangen" über!

 

Ein Freispruch aus tatsächlichen Gründen kommt in der Situation erstmal nicht in Frage, sondern es müsste entweder eine Bestrafung folgen oder eine andere Form von "hat die Tat begangen, aber wird nicht bestraft, weil ..."

Effektiv würde also erstmal nur ein Freispruch aus rechtlichen Gründen durch einen anderen ersetzt. Und da stellt sich tatsächlich die Frage, ob man (beispielsweise im Hinblick auf Prozessökonomie) so ein Ziel als legitimen Grund für eine Verfahrensfortsetzung ansehen muss/will.

Wie würden die "Dogmatiker" den Sinn und Zweck der unterschiedlichen gesetzlichen Mindestanforderungen an ein Urteil aus §§ 260, 267, 338 StPO an tatsächliche und rechtliche Freisprüche auslegen?

Im Tenor gibt es keine "tatsächliche und rechtliche Freisprüche". Es gibt nur Freisprüche. Was ist daran so schwer verständlich? Diese Frage basiert also auf völlig falschen Voraussetzungen.

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Im Regensburger Urteil fehlt jedoch jeglicher Unterbringungstenor; er ist nicht vergleichbar.

Die Unschuldsvermutung bleibt also nur bei Freisprüchen ohne Unterbringung erhalten, nicht dagegen bei Freisprüchen mit Unterbringung? Habe ich Sie richtig verstanden? Wollen Sie das wirklich ernsthaft behaupten?

Ich verstehe die Frage nicht. Die Unschuldsvermutung (bzw. auch die nachgewiesene Unschuld etc.) führt zum "Freispruch", d. h. es erfolgt keine Strafe. Die Unterbringung ist keine "Strafe", sondern eine Maßregel der Besserung und Sicherung.

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Ich habe die Urteile aus Nürnberg-Fürth und Regensburg an der Unschuldsvermutung miteinander verglichen und sehe keinen Unterschied. Sie meinten, sie wären nicht vergleichbar, wegen der Unterbringungsanordnung im Tenor. Das ist dann so zu verstehen. als meinten Sie, dass die Unschuldsvermutung bei Freisprüchen mit Unterbringung nicht erhalten bleibe.

Ich habe die Urteile aus Nürnberg-Fürth und Regensburg an der Unschuldsvermutung miteinander verglichen und sehe keinen Unterschied.

Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Der entscheidende Unterschied ist, dass im Nürnberger Urteil § 63 StGB bejaht wurde (also dass "die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist") und im Regensburger Urteil bekanntlich verneint wurde. Der Unterschied zwischen Ja und Nein liegt so offen zutage, dass ich Ihre Frage schon wieder nicht verstehe und deshalb zwangsläufig schon wieder auf eine Beantwortung verzichten muss...

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@Blogger

Sie haben auch meine Fragestellung nicht verstanden und mir Behauptungen untergeschoben, die ich nicht äußerte. So bezog ich mich in #9 auf ein Urteil gem. den ges. Mindestanforderungen für Freisprüche und nicht allein auf die Urteilsformel. O. Garcia beschrieb dieses Phänomen des Austausches der Fragestellung anhand des BGH-Urteils. 

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Sie haben auch meine Fragestellung nicht verstanden...

Genau. Das sage ich doch.

So bezog ich mich in #9 auf ein Urteil gem. den ges. Mindestanforderungen für Freisprüche...

Wegen der Unschuldsvermutung gibt es keine "ges. Mindestanforderungen für Freisprüche". Der "Freispruch", also die "Unschuld", ist der Normalfall ohne jegliche "Anforderungen". Es gibt sondern nur (Mindest-)anforderungen für Verurteilungen.

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@ Blogger

Ich glaube Lutz Lippke meint den von ihm in #5 angesprochenen

§ 267 (5) StGB:
"Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden."

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§ 267 Abs. 5 StPO betrifft die Urteilsgründe, nicht den Urteilstenor! Das steht ausdrücklich so im Gesetzestext der Vorschrift ("...müssen die Urteilsgründe ergeben...). Mit der Formulierung des Tenors hat diese Vorschrift nichts zu tun. Dieser lautet einfach auf Freispruch. Im Übrigen formuliert § 267 Abs. 5 StPO nur die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit ggf. ein Rechtsmittelgericht die Richtigkeit des Urteils vernünftig überprüfen kann und die Tragweite der Rechtskraft des Urteils festgestellt werden kann (vgl. insbes. "ne bis in idem").

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Blogger schrieb:

§ 267 Abs. 5 StPO betrifft die Urteilsgründe, nicht den Urteilstenor!

Die Unterscheidung macht Lutz Lippke auch soweit ich das erkennen kann. Er fragt dann (#9):

"Wie würden die "Dogmatiker" den Sinn und Zweck der unterschiedlichen gesetzlichen Mindestanforderungen an ein Urteil aus §§ 260, 267, 338 StPO an tatsächliche und rechtliche Freisprüche auslegen?"

Wobei ich schon nicht weiß wer die Dogmatiker sein sollen. Selbst der BGH sieht die Tenorbeschwer nicht als unumstößlich, weil er ja Ausnahmen zulässt.

Die Frage verstehe ich auch nicht. Der BGH schreibt es sei Aufgabe des Strafverfahrens zu prüfen, ob gegen den Angeklagten ein Strafanspruch besteht. Geht die Prüfung mit Freispruch und ohne Maßregel aus hat der Prozess grundsätzlich seine Aufgabe erfüllt. Davon gibt es eben Ausnahmen, wie der BGH weiter ausführt. Warum die "Dogmen", die ja eigentlich keine sind, "an der Partitionierung des Urteils in vollkommen getrennte Urteilsbestandteile" hängen sollen erschließt sich mir nicht. Selbst wenn man den Tenor im Sinn von Herrn Kolos formulieren würde, wäre mit Freispruch immer noch die Aufgabe des Strafverfahrens grundsätzlich erfüllt. Von den zu begründenden Ausnahmen eben abgesehen.

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Gast schrieb:

Selbst wenn man den Tenor im Sinn von Herrn Kolos formulieren würde, wäre mit Freispruch immer noch die Aufgabe des Strafverfahrens grundsätzlich erfüllt. Von den zu begründenden Ausnahmen eben abgesehen.

 

Ja, genau. So verstehe ich den BGH auch. Der BGH beschränkt die Beschwer nicht nur formell auf den Tenor, sondern auch materiell auf die Sanktion. Also auch wenn im Tenor stünde "Der Angeklagte wird aus rechtlichen Gründen freigesprochen." wäre das mangels Sanktion keine Beschwer i.S. der Tenorbeschwer. Auch die Ausnahmen sind im Grunde keine Ausnahmen von der Tenorbeschwer, sondern stellen eine isolierte Beschwer dar, die nicht dazu führt, dass das Urteil auf Rechtsfehler überprüft wird.

Angenommen, das LG Regensburg hätte § 20 StGB nicht angewendet. Dem hätte dann ein Schuldspruch ohne Strafausspruch folgen müssen, wegen Verschlechterungsverbots. Wäre Mollath dann im Sinne der Tenorbeschwer beschwert? Wohl nicht - da keine Sanktion. Aber wir sind uns doch hoffentlich einig, dass die Revision nicht unzulässig wäre. Müsste man die Tenorbeschwer in diesem Fall nicht anders erklären?

WR Kolos schrieb:

Angenommen, das LG Regensburg hätte § 20 StGB nicht angewendet. Dem hätte dann ein Schuldspruch ohne Strafausspruch folgen müssen, wegen Verschlechterungsverbots. Wäre Mollath dann im Sinne der Tenorbeschwer beschwert? Wohl nicht - da keine Sanktion. Aber wir sind uns doch hoffentlich einig, dass die Revision nicht unzulässig wäre. Müsste man die Tenorbeschwer in diesem Fall nicht anders erklären?

Ich verstehe nicht ganz. Es hängt doch davon ab, ob man dem BGH folgt oder die Tenorbeschwer abwandelt, oder nicht?

Der Fall liegt doch beinahe genauso wie der Fall Mollath jetzt. Das Gericht hat Unrecht festgestellt, nur es wird keine Sanktion verhängt. Nach BGH wäre auch dann keine Beschwer gegeben - es sei denn es gibt BGH, BVerfG, EGMR dazu, was ich nicht kenne. Wenn man, m.E. vorzugswürdig, im Ausgangsfall Mollath eine Ausnahme von der Tenorbeschwer bejaht, kommt man in Ihrem abgewandelten Fall dann ebenso zur Zulässigkeit.

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#5,9,16 sind hier unmittelbar verfügbar. Die Gesetze entweder zitiert oder unmittelbar im Web aufrufbar. Man muss also keine Bibliothek aufsuchen, um die Sache zu verstehen.

Ich bezog mich auf die inhaltlichen Mindestanforderungen für ein Freispruchurteil (Urteilsformel, Liste, Gründe) gem. §§ 260, 267, 338 StPO. Dafür hier vollständige Urteils-Muster mit den weiteren Bestandteilen zu entwerfen, halte ich für das Verständnis der Frage als nicht notwendig. Um jegliche Missverständnisse auszuschließen aber zur Deutlichkeit noch einmal etwas genauer als in #9:

"Urteilsformel: Der Angeklagte wird freigesprochen. Liste: Angewendete Vorschrift § 20 StGB. Gründe: Der Freispruch erfolgt aus rechtlichen Gründen."

vs.

"Urteilsformel: Der Angeklagte wird freigesprochen. Gründe: Der Freispruch erfolgt aus tatsächlichen Gründen."

 

Diese gesetzlichen Mindestanforderungen bestehen bei Verzicht beider Seiten auf eine Revision. Die Angaben sind also nicht für eine Rechtsmittelinstanz erforderlich. Welchen Sinn und Zweck erfüllen also die sichtbar verschiedenen gesetzlichen Mindestanforderungen für Anhänger des "Freispruch ist Freispruch"-Dogmas aus gesetzgeberischer Sicht? 

Genau das und nur das ist die Fragestellung, die wohl jeder Student des 1. Semesters jedes Studiengangs verstehen können sollte. 

 

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"... Urteilstenor! Das steht ausdrücklich so im Gesetzestext der Vorschrift"

Wo erscheint der Urteilstenor im Gesetzestext? Es gibt gesetzlich eine Urteilsformel.

Zu den Anforderungen an einen Tenor steht nichts im Gesetz. Beweisen Sie, das Tenor und Urteilsformel widerspruchsfreie Synonyme sind, dann können Sie in Bezug auf die Gesetze die Urteilsformel unbekümmert als Tenor bezeichnen. Ansonsten bewegen Sie sich im Bereich von schlichten Behauptungen außerhalb des Gesetzes. 

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Mal abgesehen von der Qualität des Zitates durch LL:

 

Lutz Lippke schrieb:

"... Urteilstenor! Das steht ausdrücklich so im Gesetzestext der Vorschrift"

Wo erscheint der Urteilstenor im Gesetzestext? 

 

Blogger schrieb:

§ 267 Abs. 5 StPO betrifft die Urteilsgründe, nicht den Urteilstenor! Das steht ausdrücklich so im Gesetzestext der Vorschrift ("...müssen die Urteilsgründe ergeben...). Mit der Formulierung des Tenors hat diese Vorschrift nichts zu tun.

 

Ein wenig an der Aussage von Blogger vorbei - aber dann immer solche Spitzen raushauen:

 

Lutz Lippke schrieb:

das ist die Fragestellung, die wohl jeder Student des 1. Semesters jedes Studiengangs verstehen können sollte. 

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@#21 Gast

Gut das Sie die Datengrundlage erfasst haben. Es geht bei der Frage aber nicht um die Tenorbeschwer oder eine Revision, sondern nur um "Freispruch ist Freispruch".

Die Frage ist konkret, warum fordert der Gesetzgeber bei Revisionsverzicht unterschiedlich abgefasste Freispruch-Urteile (tatsächlich vs. rechtlich), wenn diese eigentlich gleich sein sollen? 

In #5 hatte ich bereits die Abwandlung "Freispruch-Urteilsformel ist Freispruch-Urteilsformel" als neuen Schlachtruf angeboten, aber darauf hingewiesen, dass ein Freispruch-Urteil nur mit Urteilsformel gem. §§ 260 (5), 267 (5) StPO nicht den gesetzlichen Anforderungen an einen Freispruch entspricht. "Freispruch ist Freispruch" kann also nicht synonym für "Freispruch-Urteilsformel ist Freispruch-Urteilsformel" stehen und ist daher schon vom Gesetz her falsch. Aber ich lasse mich gern belehren, vorausgesetzt es wird mir tatsächliches und rechtliches Gehör gewährt.

Im Übrigen habe ich mir vorgenommen, das Wort Tenor erst wieder zu verwenden, wenn die Abgrenzung zu "Urteilsformel + Liste" klar ist. Das Jonglieren mit Tenor, Urteilstenor, Urteilsformel als Synonyme teilweise in einem Satz, spricht nicht für Durchdringung, sondern eher für Verwirrung. Dazu auch unter #5.

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@Arne A

Für Sie noch einmal aus #25

Im Übrigen habe ich mir vorgenommen, das Wort Tenor erst wieder zu verwenden, wenn die Abgrenzung zu "Urteilsformel + Liste" klar ist. Das Jonglieren mit Tenor, Urteilstenor, Urteilsformel als Synonyme teilweise in einem Satz, spricht nicht für Durchdringung, sondern eher für Verwirrung. Dazu auch unter #5.

Mein Zitat zu Blogger war korrekt, da es mir ausschließlich um die Teilaussage ging, dass im Gesetzestext ausdrücklich "Urteilstenor" stehe. Das Blogger zuvor bereits meine Frage gegen eine andere austauschte, hatte ich an anderer Stelle moniert.

Das Vorgehen hier irritiert mich nicht wirklich. Der Austausch von Begriffen, Tatbeständen und Fragestellungen ist eine wesentliche Taktik, um sich vor der Beantwortung der eigentlichen Sache zu drücken. O. Garcia hat es in seiner Analyse zum BGH sehr gut beschrieben. Vermutlich merken es die eingefleischten Taktiker schon gar nicht mehr. In manch anderen Lebensbereichen würde man am Ende mit Nichts dastehen. 

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@Blogger #28

Sie übergehen weiter meine eigentliche Fragestellung aus #25, auf die Sie angeblich schon mit #10, 17 geantwortet hätten.

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@ Lutz Lippke

Selbst Wikipedia liegt richtig.

https://www.google.com/search?tbm=bks&q=StPO+Tenor#tbm=bks&q=StPO+Entsch...

Was Verwirrung angeht, ich glaube Ihre Frage jetzt nach der 2. Klarstellung endlich verstanden zu haben. Da fragt man sich, wer eigentlich der eingefleischte Taktiker ist.

Sie gehen schon von der falschen Prämisse aus. Der BGH schreibt nichts von "Freispruch ist gleich Freispruch" oder "Freispruch-Urteilsformel ist Freispruch-Urteilsformel". Der BGH schreibt etwas zur Zulässigkeit, insbesondere zur Beschwer. Die Schlachtrufe, die Sie aufstellen, sind nicht der Kern der Sache.

Argumentieren Sie doch gegen den BGH, nicht gegen irgendwelche verkürzten Schlachtrufe.

Außerdem liegt es näher für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln mit dem 3. Buch StPO, wo es um Rechtsmittel geht, zu argumentieren, als mit Vorschriften aus dem 2. Buch StPO, wo das Verfahren im ersten Rechtszug geregelt ist. Immerhin geht es um die Zulässigkeit, nicht um die Urteilsgründe.

Im 3. Buch StPO findet sich zwar der von Ihnen angesprochene § 338 StPO. Zu dem haben Sie aber noch nicht dargelegt, was der für Ihre Argumentation hergeben soll.

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@#27 I.S.

Danke, dass Sie sich zur Sache einlassen. Ihre Argumentation kann ich im Wesentlichen nachvollziehen. Der Effekt bezüglich der Bestrafung lt. üblicher Urteilsformel ist bei beiden Freisprüchen gleich. Aber eine Urteilsformel: "Der Angeklagte wird aus rechtlichen Gründen gem. § 20 StGB freigesprochen" ist jedoch gesetzlich nicht verboten, sondern dem Gericht im Grundsatz freigestellt, so dass ein Revisionsführer, der einen Freispruch aus tatsächlichen Gründen beansprucht, daraus eine Urteilsformel-Beschwer ableiten könnte. Eine Argumentation von WR Kolos ist, dass die Kürzung der Urteilsformel auf das Gängige "Der Angeklagte wird freigesprochen" im Fall des § 20 StGB nur scheinbar zur Gleichheit mit dem tatsächlichen Freispruch führt. Ich hoffe, dass ich das richtig interpretiert habe. 

Mein ergänzender Einwand ist im Wesentlichen Folgender. Wenn der Zweck des Strafverfahrens bzw. des staatlichen Strafanspruchs allein mit dieser Urteilsformel erfüllt ist und keine Revision in Frage kommt (beidseitiger Verzicht), warum fordert der Gesetzgeber dann im Strafrecht zwingend eine Qualifizierung des Freispruches in tatsächlich oder rechtlich unter Angabe der angewandten Vorschrift?

Sie argumentieren nun mit dem Ausnahmecharakter des Freispruchs bei Tatbegehung, der den gesetzlichen Anspruch einer Dokumentation und eines BZR-Eintrag bewirkt. Dieser Feststellungsanspruch in Liste und Gründe ist somit n.m.M. genauso ein Zweck und Anspruch des Strafverfahrens wie die Urteilsformel.

"Hat die (Straf) -Tat begangen" steht im Freispruch-Urteil aus rechtlichen Gründen gemäß gesetzlicher Mindestanforderung also definitiv drin und im tatsächlichen Freispruch-Urteil eben nicht.

Würde man jede Tatfeststellung ohne Strafe als formal ohne Beschwer ansehen, könnte jeder, also auch jede staatliche Stellen, Jedem jederzeit (Straf-)Taten unterstellen, die derjenige aber erklärtermaßen nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben soll und daher nicht bestraft werden kann. Zu dieser Beliebigkeit der Tatzuweisung hatte f&f schon argumentiert.

Zu Ihren Fallbeispielen möchte ich einwenden, dass im hiesigen Fall wohl die Abänderung eines Freispruchs aus rechtlichen Gründen in einen Freispruch aus tatsächlichen Gründen beabsichtigt ist. Gemäß den gesetzlichen Mindestanforderungen an Freispruch-Urteile besteht zumindest zwischen diesen Freispruch-Arten ein Unterschied, der auch zu unterschiedlichen strafrechtlichen Wirkungen führt. Beim tatsächlichen Freispruch geht der Angeklagte offiziell ohne jeden strafrechtlichen Vorbehalt, wie die Klärungen zu Nachtret-Gründen bzw. auch die Unzulässigkeit von Revisionsanträgen zur Erlangung der bewiesenen Nichttat zeigt. In diesen Fällen kann ich dem Argument der Prozessökonomie folgen, wenn der vollständig entlastende Beweis schwer zu erreichen ist. 

Der Fall eines Austauschs von Freisprüchen aus rechtlichen Gründen unter sich, würde bei der gesetzlichen Mindestanforderung an Freispruchurteile eine Änderung der angewandten Vorschrift (Liste) bewirken. Das ist wohl eine andere Baustelle, als eine Abänderung in einen tatsächlichen Freispruch. Hierzu müsste man genauer hinschauen. Vielleicht führt für die Grundsatzfrage aber bereits folgendes Fallbeispiel zum Ziel. Angenommen es wurde in der Liste versehentlich eine falsche Vorschrift benannt, das Freispruch-Urteil lautet inhaltlich z.B. so:

"Urteilsformel: Der Angeklagte wird freigesprochen. Liste: Angewandte Vorschrift R 2D StPO. Gründe: Der Freispruch erfolgt aus rechtlichen Gründen."

Wie wäre damit umzugehen? Berichtigung? Einfach so tun als wäre R 2D ein BZR-Eintragungsgrund? Das könnte man sich überlegen.

Ich hatte bereits in #5 u.a. mit dem Zitat des BGH angedeutet, dass die Beschränkung des Begriffs Tenor auf die Urteilsformel nicht wirklich überzeugt. Ich stelle einfach mal die Hypothese in den Raum, dass der Tenor tatsächlich Urteilsformel und Liste umfasst.   

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Lutz Lippke schrieb:

Ich hatte bereits in #5 u.a. mit dem Zitat des BGH angedeutet, dass die Beschränkung des Begriffs Tenor auf die Urteilsformel nicht wirklich überzeugt. Ich stelle einfach mal die Hypothese in den Raum, dass der Tenor tatsächlich Urteilsformel und Liste umfasst.   

Lutz Lippke schrieb:

"Die Fassung des Urteilstenors gibt dem Senat jedoch Anlaß darauf hinzuweisen, daß sich die Urteilsformel durch Kürze und Deutlichkeit auszeichnen soll. Tatmodalitäten, die kein eigenes Unrecht darstellen oder die allein für die Strafzumessung von Bedeutung sind, brauchen im Tenor nicht erwähnt zu werden. Derartige Angaben finden ihren angemessenen Platz vielmehr im Verzeichnis der angewendeten Strafvorschriften nach § 260 Abs. 5 StPO." (vgl. BGH, Beschluss vom 06.10.1998 – 4 StR 391/98, SSW-StPO/Franke, § 260 Rn. 14).

Wenn die Tatmodalitäten nicht in den Tenor gehören, sondern in das Verzeichnis, gehört das Verzeichnis nicht zum Tenor.

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Lutz Lippke schrieb:

Würde man jede Tatfeststellung ohne Strafe als formal ohne Beschwer ansehen, könnte jeder, also auch jede staatliche Stellen, Jedem jederzeit (Straf-)Taten unterstellen, die derjenige aber erklärtermaßen nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben soll und daher nicht bestraft werden kann.

Dieser Pauschalierung steht schon §164 StGB (falsche Verdächtigung) entgegen. Da geht es nämlich nur um "rechtswidrige Tat", von schuldhaft steht da nichts. Und es reicht ein drohendes Verfahren, also kann man sich sich strafbar machen, selbst wenn man davon ausgeht, dass es wegen Schuldunfähigkeit des Verdächtigten nicht zur Verurteilung kommen wird.

 

 

Quote:
Angenommen es wurde in der Liste versehentlich eine falsche Vorschrift benannt, das Freispruch-Urteil lautet inhaltlich z.B. so:

"Urteilsformel: Der Angeklagte wird freigesprochen. Liste: Angewandte Vorschrift R 2D StPO. Gründe: Der Freispruch erfolgt aus rechtlichen Gründen."

Wie wäre damit umzugehen? Berichtigung? Einfach so tun als wäre R 2D ein BZR-Eintragungsgrund? Das könnte man sich überlegen.

'Versehentlich falsch benannte Vorschrift' dürfte sich berichtigen lassen.

Anders sieht es aus, wenn "Hat die Tat begangen, wird aber nicht bestraft, weil §20" ausgeurteilt ist und diese Norm da auch nicht versehentlich steht, sondern weil das Gericht aus diesem Grund freispricht und das auch begründet. Will der Täter stattdessen "hat die Tat begangen, wird aber nicht bestraft, weil Verschlechterungsverbot" im Urteil stehen haben, müsste das über Berufung/Revision geschehen. Und da stellt sich dann zunächst einmal aus prozessökonomischen Gründen die Sinnfrage, weil sich gar nicht viel ändern würde.

 

Das kann man so oder so beantworten. Dabei sollte man aber daran denken: Prozessrecht muss die Mehrzahl der Fälle abbilden. Auch wenn diese Diskussion hier das GM-Urteil als Grundlage hat: Bei der Gesetzgebung und der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe geht nicht nur um GM.

Man muss deshalb eventuell damit leben, dass Einzelfälle mit außergewöhnlichen Umständen (hier v.a. besonderes persönliches Interesse von GM an einer Klarstellung, dass er zur Tatzeit nicht 'verrückt' war, iVm. der starken Medienpräsenz des Verfahrens und seiner Vorgeschichte etc.), möglicherweise Lücken offenlassen, die nicht sinnvoll durch eine allgemeingültige Regelung geschlossen werden können.

Denn in den meisten Fällen des § 20 weiss doch außer den Beteiligten keiner, dass es zu diesem Freispruch kam. Auskunft über § 20-Eintragungen aus dem BZR gibt es doch in den meisten Fällen nicht, schon gar nicht für private Fragesteller.

Ich glaube, dass auch in diesem Fall keine Beschwer vorläge.

Interessant wird die Sache ja ggf. auch in anderen Richtungen: Angenommen, das LG Regensburg hätte die Ehefrau als "Betrügerin" entlarvt, hätte sie dann irgendein Rechtsmittel oder sonstigen Rechtsbehelf gegen das Urteil? Betrifft das nicht möglicherweise sogar alle Beteiligten, die von einem Urteil in ein "schlechtes Licht" gerückt werden? Also, Zeugen, die das Gericht als "unglaubwürdig" bezeichnet, Opfer, die das Gericht als "selbst schuld" oder gar als "Angreifer" bezeichnet, gegen die man Notwehr üben durfte, Vergewaltigungsopfer, die ein Gericht als "überaus entgegenkommend" oder gar als "käuflich" bezeichnet etc. pp.? Wenn man da einmal anfangen würde, jegliche außertenörliche "Beschwer" zu berücksichtigen, käme man schneller in Teufels Küche, als (hoffentlich) demnächst wieder Frühling wird und jeder Beteiligte würde den Tatbestand des Urteils in unzähligen Verfahrens irgendwie irgendwann über Jahrzehnte hinweg anfechten wollen. Warum sollte nur der Angeklagte ein solches Recht haben und nicht auch ein Zeuge oder ein Opfer? So geht das also nicht...

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Blogger schrieb:

Ich glaube, dass auch in diesem Fall keine Beschwer vorläge.

Interessant wird die Sache ja ggf. auch in anderen Richtungen: Angenommen, das LG Regensburg hätte die Ehefrau als "Betrügerin" entlarvt, hätte sie dann irgendein Rechtsmittel oder sonstigen Rechtsbehelf gegen das Urteil? Betrifft das nicht möglicherweise sogar alle Beteiligten, die von einem Urteil in ein "schlechtes Licht" gerückt werden? Also, Zeugen, die das Gericht als "unglaubwürdig" bezeichnet, Opfer, die das Gericht als "selbst schuld" oder gar als "Angreifer" bezeichnet, gegen die man Notwehr üben durfte, Vergewaltigungsopfer, die ein Gericht als "überaus entgegenkommend" oder gar als "käuflich" bezeichnet etc. pp.? Wenn man da einmal anfangen würde, jegliche außertenörliche "Beschwer" zu berücksichtigen, käme man schneller in Teufels Küche, als (hoffentlich) demnächst wieder Frühling wird und jeder Beteiligte würde den Tatbestand des Urteils in unzähligen Verfahrens irgendwie irgendwann über Jahrzehnte hinweg anfechten wollen. Warum sollte nur der Angeklagte ein solches Recht haben und nicht auch ein Zeuge oder ein Opfer? So geht das also nicht...

l

Ihr Wahrnehmungs- dann Denkfehler und anschließender Fehler in der Bewertung besteht  m.E. darin, die Rechtsfolgen

in den von Ihnen aufgeführten Fällen, die u.U. zu einer relativ geringen Strafe führen würden, mit der sehr viel größeren Beschwer von G.M. zu vergleichen: ihn herabzuwürdigen, unzurechnungsfähig gewesen zu sein, aufgrund einer schweren seelischen Abartigkeit und dies auch nur, weil lediglich nicht auszuschließen ist, dass diese seelische

Abartigkeit vorliegen könnte und dies auch noch vor 13 Jahren.....!

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Die Entscheidung des 1.Strafsenats des BGH: „Wein in alten Schläuchen?“

Oliver Garcia schreibt in seinem De-legi-bus Blog vom 14.Dez.2015

http://blog.delegibus.com/4330 :„Als Modellfall hatte ich den Wandel der strafprozessualen Rechtsprechung zu „erledigten“ Grundrechtseingriffen vorgeschlagen. Das Prozeßrecht ist nun einmal, wie jedes Rechtsgebiet, im Wandel. An Lösungen aus einer Zeit, in der die Grundrechte „laufen lernten“, um ihrer selbst willen festzuhalten, ist eine schwache Grundhaltung...... Wenn sich über die Jahrzehnte das Grundrechtsverständnis so ausdifferenziert, daß Interessen, die früher als tatsächliche gegolten haben, nun als (grund)rechtliche anerkannt sind, dann zieht das Strafprozeßrecht nach, ohne daß sich irgendetwas an seinen Grundsätzen ändern müßte.“

Nachdem Herr Kolos den anschaulichen Vergleich mit dem Superman und der Mickey mouse gebracht hat, kann vielleicht nachfolgender Vergleich uns deutlich vor Augen führen, wie widersinnig und überholt die diskutierte Rechtssprechung ist. Auch wird durch diese Analogie möglicherweise deutlicher, ob eine Tenorbeschwer vorliegt, der Zusatz „angewendete Vorschrift § 20 StGB“ doch zum Tenor gehört und tatsächlich eine Beschwer vorliegt:

Eine Kunde kauft eine Packung Käse mit der Aufschrift „Echter Landkäse“ hintenan, kleingedruckt steht dann der Zusatz: angewendetes Herstellungsverfahren künstlich hergestellter Käse.

Jeder Konsument würde sich betrogen und beschwert fühlen und die Lebensmittelaufsichtsbehörde würde dies als einen Verstoß gegen das Lebensmittelrecht und die Deklarierungsvorschriften ahnden.

Vor fünfundzwanzig Jahren, wäre dies u.U. legal gewesen. Mittlerweilen ist die Gesellschaft bewußter geworden, nicht nur was Lebensmittel anbetrifft, sondern auch hinsichtlich bei Verletzungen von Grund- und Menschenrechten. Schließlich haben sich die Lebensmittelvorschriften und sich auch die Rechtssprechung auf der EU-Ebene dem gesellschaftliche Wandel angepasst.

Der 1. Strafsenat des BGH hat die Gelegenheit und Chance verpasst zur Tenorbeschwer, insbesondere bei Anwendung des § 2O StGB eine neue, zeitgemäße Rechtsprechung zu setzen. Bei dem Beispiel mit dem Kunstkäse handelt es sich um Etikettenschwindel. Wie ist die Rechtsauslegung und die Entscheidung des BGH zu werten?

Schließlich ging es bei dem Antrag auf Zulässigkeit der Revision nicht um alten Käse, sondern um eine Rechtsauslegung, ob der Bürger Gustl Mollath durch die Anwendung des § 20 StGB, einer nicht ausschließbaren seelischen Abartigkeit, also einem möglichen Eingriff in seine Grundrechte beschwert ist.

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Wie es scheint, hat (neben MT) auch Blogger inzwischen den Krack gelesen (nicht ausschließbar: selbst logisch gedacht - Respekt!).

Alle anderen ganz offensichtlich nicht, darum noch einmal herzlich empfohlen, auch wenn Seiten fehlen, sehr nützlich zu lesen, da muß man noch nichteinmal in eine Bibliothek gehen oder Geld ausgeben. 

Natürlich kann man das auch nutzen, wenn man sich profilieren will, indem man den Leseunwilligen das häppchenweise als eigene Ansicht zufüttert.

Ein Selbstleseverfahren könnte jedoch die Diskussionsökonomie entscheidend fördern. :-)

 

https://books.google.de/books?id=D-gtMy_iEEAC&lpg=PA192&ots=m6zU6w90_g

 

 

 

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@Blogger #32

Auch wenn wir sicher nicht überein kommen, finde ich Ihre Fragestellung interessant.

Eine Abgrenzung zum hier eigentlich Relevanten bietet aber die Ausrichtung des Strafverfahren auf den (freigesprochenen) Angeklagten, der in diesem Strafverfahren nicht nur mit der Verdächtigung und Tatfeststellung bei falscher Beweiswürdigung umgehen muss, sondern trotz Freispruch sowieso nur lächerliche Rehabilitationsgesten des Strafstaates erfährt.

Die erste Frage wäre ja eigentlich, warum wurde ein letztlich Freizusprechender überhaupt verdächtigt, angeklagt und wie hier jahrelang der Freiheit beraubt? Gab es Schuldige, die das zu verantworten haben? Das sind echte Straffragen? Sie werden hoffentlich noch gestellt werden.

Zu Ihren weiteren Fallannahmen:

Wie entlarvt ein LG eine Betrügerin, die nicht einmal als Zeugin im Gerichtssaal anwesend ist? Mehr als Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Zeugen in der konkreten Sache gegen den Angeklagten kann und muss das Gericht doch gar nicht feststellen. Warum sollte das Gericht weitergehend einen Betrug behaupten, wenn dieser nicht erwiesen ist und verfolgt wird? Denken Sie doch an die Bankgeschäfte, die Erinnerungsschwächen vorheriger Beteiligter. Da wurde nichts festgestellt, was nicht unmittelbar die angeklagten Taten und Vorwürfe gegen den Angeklagten betraf. Genau so hat man die Unmöglichkeit von Ermittlungen in diesen Sachen begründet. Also wovon berichten Sie eigentlich?

Die Unglaubwürdigkeit eines Zeugen betrifft doch allein seine Zeugenfähigkeit in der Sache gegen den Angeklagten. Korrekt formuliert führt das nicht zum Vorwurf der Lüge oder des Betrugs, es sei denn es liegen Beweise dafür vor.

Wenn sich ein Gericht über Feststellungen zur Glaubwürdigkeit/Glaubhaftigkeit hinaus dazu hinreißen lässt, Beteiligte evtl. pauschal und ohne Beweise ins "schlechte Licht", "als "selbst schuld",  "Angreifer", "käufliche oder willige Opfer", "Lügner" oder "Betrüger" zu bezeichnen, dann hat das mit dem gesetzlichen Strafanspruch gegen den Angeklagten nichts zu tun und liegt außerhalb der Zuständigkeit des Gerichts. Damit ist genauso umzugehen, wie mit anderen Ehrverletzungen, Verleumdungen und Bezichtigungen von Straftaten. Da das Verfahren und das Urteil lt. Rubrum den Angeklagten betrifft, kann der Angeklagte in eigener Sache direkt intervenieren. Jeder andere Belastete kann natürlich selbst ein Verfahren einfordern, das dann den Beschuldiger oder ihn selbst betrifft. So sehe ich das. Wie sollte es denn sonst gehen?  

 

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Wie es scheint, hat (neben MT) auch Blogger inzwischen den Krack gelesen (nicht ausschließbar: selbst logisch gedacht - Respekt!).

Nein. Ich habe die Anregung zu meinen Gedanken nicht von "Krack" (welche Stelle, Seite?), sondern aus der BT-Drucksache 16/13764, S. 2, vgl.:

"Allgemein bemerkt der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang, dass der Richter häufig gezwungen sei, in der Begründung seiner Entscheidung Feststellungen über Personen zu treffen, denen überhaupt kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung zustehe, etwa Verletzte und Zeugen, obwohl die Feststellungen ihrem Ansehen sehr abträglich sein könnten."

Es geht also möglicherweise nicht nur um die Rehabilitation des Beschuldigten, sondern - viel weitergehend - um die mögliche Rehabilitation aller in einem Urteil ggf. in schlechtes Licht gesetzter Personen.

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Zweiter Teil: Die BGH Entscheidung „Der Wein in alten Schläuchen“

Der 1. Senat bezieht sich hauptsächlich auf die BGH-eigene Rechtsprechung von 1961 und führt aus:

„Auf den Fall der Freisprechung wegen Schuldunfähigkeit hat der Bundesgerichtshof diese Grundsätze in der Vergangenheit bereits angewendet und dem Angeklagten die Rechtsmittelbefugnis mangels Beschwer verwehrt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 376 ff.). l

In den 60-er Jahren war das gesellschaftliche und auch das Rechtsbewußtsein 15 Jahre nach dem Dritten Reich ! in Bezug auf Psychiatrie, Diskriminierung von tatsächlich oder angeblich psychisch kranken oder behinderten Bürgern nur rudimentär entwickelt und eine inhumane Stigmatisierung allgemein üblich. Psychisch Kranke wurden vielfach jahrzehntelang in psychiatrischen Krankenhäusern von der Gesellschaft ferngehalten. In diesem Kontext ist auch der § 2O StGB und die damaige Rechtssprechung zu verstehen. Die Gesellschaft wollte sich von unzurechnungsfähigen Straftätern s c h ü t z e n und sie nicht bestrafen, was durchaus im Prinzip human und nachvollziehbar ist.

In den 60-ern konnte man sich deshalb kaum bzw. nicht vorstellen, daß die Anwendung des § 20 StGB in vielen Fällen auch eine schwere existenzielle Belastung und Diskriminierung für den Betroffenen bedeuten kann. Eine damals obrigkeitsstaatliche Justiz hat rigoros Ihren Strafanspruch durchgesetzt.

Die Entscheidung des 1.Senats ist nach meinem Dafürhalten aus diesem Hintergrund zu verstehen, wenn sie sich maßgeblich auf einen überholten, nicht mehr zeitgemäßen BGH Beschluß von 1961 bezieht.

Offensichtlich war der 1.Senat sich 54 Jahre ! nach diesem Urteil von 1961 nicht bewußt bzw. wollte dies nicht wahrnehmen, dass die Anwendung des § 20 StGB in der heutigen Gesellschaft nicht nur einen Schutz für kranke Bürger, sondern auch eine extreme existenzielle und mentale Beschwer für das ganze Leben sein kann.

Dieser Lebenszusammenhang steht außer Frage und kann nicht abgetan und mit der rationalisierenden Argumentation „unbequeme Ausführungen“ würden für eine Beschwer nicht ausreichen.

Das Ignorieren dieser Lebenswirklichkeit, die fundamentatlisch anmutenden D o g m e n

„Freispruch ist Freispruch“ und das Erfordernis der Tenorbeschwer, ein prozessökonomischer Strafanspruch, weitere vornehmlich sophistischen juristische Rechtfertigungen und ….........haben dazu gedient, den begründeten Revisonsantrag für unzulässig zu verwerfen.

Wie der 1. Senat ausführt: „ in Entscheidungsgründe kann eine Grundrechtsverletzung dann erblickt werden, wenn sie – für sich genommen – den Angeklagten so schwer belasten, dass eine erhebliche, ihm nicht zumutbare Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Bereichs festzustellen ist, die durch den Freispruch nicht aufgewogen wird.

 

Diese schwerwiegende  Beeinträchtigung ist für Herrn Gustl Mollath und sehr viel betroffenen Bürgern in der gleichen Situation gegeben.

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Menschenrechtler schrieb:

Offensichtlich war der 1.Senat sich 54 Jahre ! nach diesem Urteil von 1961 nicht bewußt bzw. wollte dies nicht wahrnehmen, dass die Anwendung des § 20 StGB in der heutigen Gesellschaft nicht nur einen Schutz für kranke Bürger, sondern auch eine extreme existenzielle und mentale Beschwer für das ganze Leben sein kann... Diese schwerwiegende  Beeinträchtigung ist für Herrn Gustl Mollath und sehr viel betroffenen Bürgern in der gleichen Situation gegeben.

So etwas muss in einer Revisionsbegründung ausführlich dargelegt werden, was offensichtlich nicht der Fall war. Das war für den Bundesgerichtshof aus der insoweit offensichtlich viel zu dünnen Revisionsbegründung gerade nicht ersichtlich. Da liegt möglicherweise ein schwerwiegendes Defizit der Revisionsbegründung (die wir aber alle nicht kennen), vgl.:

"Aus welchen Feststellungen genau sich eine schlechthin unerträgliche Beschwer für den Angeklagten ergeben soll, legt auch die Revision nicht dar" (BGH, U. v. 14.10.2015 - 1 StR 56/15, Rn. 24).

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Blogger schrieb:

Menschenrechtler schrieb:

Offensichtlich war der 1.Senat sich 54 Jahre ! nach diesem Urteil von 1961 nicht bewußt bzw. wollte dies nicht wahrnehmen, dass die Anwendung des § 20 StGB in der heutigen Gesellschaft nicht nur einen Schutz für kranke Bürger, sondern auch eine extreme existenzielle und mentale Beschwer für das ganze Leben sein kann... Diese schwerwiegende  Beeinträchtigung ist für Herrn Gustl Mollath und sehr viel betroffenen Bürgern in der gleichen Situation gegeben.

So etwas muss in einer Revisionsbegründung ausführlich dargelegt werden, was offensichtlich nicht der Fall war. Das war für den Bundesgerichtshof aus der insoweit offensichtlich viel zu dünnen Revisionsbegründung gerade nicht ersichtlich. Da liegt möglicherweise ein schwerwiegendes Defizit der Revisionsbegründung (die wir aber alle nicht kennen), vgl.:

"Aus welchen Feststellungen genau sich eine schlechthin unerträgliche Beschwer für den Angeklagten ergeben soll, legt auch die Revision nicht dar" (BGH, U. v. 14.10.2015 - 1 StR 56/15, Rn. 24).

1. Um feststellen zu können, dass die Revisionsbegründung offensichtlich "so etwas" nicht ausführlich dargelegte, müsste die Revisionsbegründung vorliegen. Das Zitat aus dem Urteil legt nur nahe, dass der BGH die genaue Begründung einer "schlechthin unerträglichen Beschwer" aus konkreten Feststellungen des LG-Urteils erwartete und nicht fand. Was ist eine "schlechthin unerträgliche Beschwer" und warum ist diese Voraussetzung für eine Revisionszulassung? Lagen vielleicht sogar Ausführungen zu Feststellungen vor, die der BGH nur nicht genau der "schlechthin unerträglichen Beschwer" zuordnen konnte oder wollte? 

2. Neben der Frage der Täterschaft bietet die angewandte Vorschrift § 20 StGB zur Feststellung der Schuldunfähigkeit verschiedene Interpretationen an. Das LG legt sich aber "fest":

"Zwar ist die Kammer davon überzeugt, dass der Angeklagte eine gefährliche Körperverletzung rechtswidrig beging. Jedoch handelte der Angeklagte möglicherweise ohne Schuld, da nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig war, nach der vorhandenen Einsicht vom Unrecht der Tat zu handeln."

3. Seine Überzeugung von der Täterschaft hat das LG u.a. mit einer falschen Beweiswürdigung im Urteil gewonnen. Die Beweiswürdigung entspricht nachweislich nicht den Fakten der gerichtlichen Beweisaufnahme. Hinzu kommt, dass es bei der Beweiserhebung zumindest zum Komplex Attestschreiben/Praxissystem der Sorgfalt und Sachkenntnis entbehrte. War das LG bei seiner mangelhaften Beweiserhebung und falschen Beweiswürdigung schuldunfähig? Wenn ja, muss sich ein Angeklagter einem Strafgericht stellen, dass bzgl. einer falschen Würdigung der vorliegenden Beweise und fehlenden Sachkenntnis nicht einsichtsfähig oder nicht fähig ist nach dieser Einsicht zu handeln?

4. Der angewandte § 20 StGB bietet als Ursache für fehlende Einsicht oder Handlungsunfähigkeit verschiedene Gründe an, die sich in der Stärke der Zuweisung und ggf. "Unerträglichkeit" deutlich unterscheiden. So dürfte eine "tiefgreifende Bewusstseinsstörung" auch für einen ansonsten seelisch gesunden Menschen situativ nicht auszuschließen sein (z.B. ein Blackout, Affekt). Das hat das LG im Urteil jedoch formal ausgeschlossen. Eine krankhafte seelische Störung kann der konkreten Lebenssituation geschuldet sein und schließt eine vollständige seelische Gesundheit zu anderen Zeiten nicht aus. Aber auch darauf stellte das LG überwiegend nicht ab. Die Zuweisung eines "Schwachsinns" verbot sich für den Angeklagten bei Kenntnis seiner Vita und der Verfahrensagenda sowieso. Das LG schloss vielmehr im Urteil eine "schwere andere seelische Abartigkeit" nicht aus. Das ist als Diagnose zwar mit "andere" nicht genau definiert, steht neben der Abgrenzung zu den anderen Ursachen als Klassifikation "schwere Abartigkeit" aber für eine erhebliche Schwere der Zuweisung und ist als solche biologisch und soziologisch definiert. 

5. Biologisch bedeutet Abartigkeit abweichende Merkmale von Individuen einer Art (Mutation, Veränderung durch Umwelteinflüsse). Eine solche biologische Abartigkeit verschwindet nicht wieder und hat auch konkrete Ursachen. Eine schwere Abartigkeit, also schwere Abweichung von der Art, kann biologisch wohl nur durch Mutation aufgrund von Genveränderung und/oder langfristigen Umweltveränderungen entstehen. Mit der biologischen Einordnung kann man zumindest die Schwere und Konstanz einer solchen Zuordnung erfassen, auch wenn die nicht ausschließbare schwere Abartigkeit im Urteil nicht als eine Biologische begründet wurde. Soziologisch ist die Definition von Abartigkeit schwammiger und stark mit der gesellschaftlichen Entwicklung bzw. dem Zusammenhang der Verwendung verbunden. Als Klassifikation in Bezug auf Menschen oder Menschengruppen ist "Abartigkeit" geschichtlich mindestens mit einer Stigmatisierung, "schwere Abartigkeit" sogar mit erheblicher Diskriminierung, Rassismus bis hin zur Legitimierung von Massenmord verbunden.  

6. Das LG bezieht sich im Urteil hierzu auf eine mögliche "wahnhafte Störung", bei der das Denken "in ein geschlossenes System bezogen auf illegale Bankgeschäfte der Nebenklägerin eingeengt war" (S.11). Diese Überzeugung des LG beruht dem Urteil nach insbesondere, aber nicht nur, auf einem mündlichen Gutachten des Sachverständigen (S.69-80). Zur notwendigen zeitlichen Eingrenzung auch auf den 12.8.01 führt das LG eine "plausible Hypothese" ein, die zumindest informell auch einen biologischen Aspekt einer Vergiftung mit einbezieht (S.81), ohne hierzu Prüfungen vorzunehmen. Das LG legt sich auch zur Frage Einsichtsfähigkeit vs. Steuerungsfähigkeit zu Gunsten der fehlenden Steuerungsfähigkeit als Ausnahmefall im Zusammenhang mit einer "für den Angeklagten unerträglichen Situation" fest (S.81-84).

7. Den Ausnahmefall einer Unschuld bei fehlender Steuerungsfähigkeit trotz vorhandener Einsichtsfähigkeit durch eine "andere seelische Abartigkeit" hatte das LG gekannt (S.82). Ich mag es übersehen haben, aber eine Abgrenzung zu den in § 20 StGB aufgezählten "artgerechteren" Ursachen einer Schuldunfähigkeit wie "tiefgreifende Bewusstseinsstörung" oder "krankhafte seelische Störung" findet sich im Urteil nicht. Bei diesen Varianten wäre eine vollständige Selbstgenesung nicht unmöglich, denn eine Therapie erfolgte ja ganz offensichtlich nicht. Inwiefern eine nicht ausschließbare "andere schwere seelische Abartigkeit" jedoch jemals heilen kann und nicht erneut eine lebensbedrohliche, schwere Körperverletzung zu befürchten wäre, braucht das LG nicht zu kümmern. Denn eine Therapie oder Unterbringung scheidet aus rechtlichen Gründen wegen der verbleibenden Zweifel und des fehlendem Beweises für Vorliegen, Art und Ausmaß der "psychischen Störung"!!! aus (S.89). Heureka, so tauscht man Begriffe und Worthülsen nach Bedarf aus.  

        

  

 

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Ich verhehle nicht, dass ich der Ausführung von Menschenrechtler zur Lebenswirklichkeit nahestehe und mir wünschen würde, dass Juristen ihre Analytik (Gesetze, Rechtsmeinungen, Rechtsprechung) daraufhin häufiger überprüfen. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass das Recht wie auch andere Gesetz(mäßigkeiten) generische Qualität (Allgemeinverbindlichkeit) und damit auch Konstanz benötigt. Die wird heutzutage oft auch zu schnell aufgegeben. Formalismus und Systematik ist also kein Teufelszeug, solange es seine Funktion erfüllt: Allgemeinverbindlichkeit, Widerspruchsfreiheit und Sinnhaftigkeit!

Deswegen muss ich noch einmal mit radikalem Formalismus (Reduktion) quälen. Ich maße mir nicht an, die Lösung dafür zu kennen oder fehlerfrei zu folgern.

Voraussetzung: Der Angeklagte muss wegen des Verschlechterungsverbots freigesprochen werden.

Situation: Das Gericht entscheidet allein mit der Urteilsformel: "Der Angeklagte wird freigesprochen."

Folgen:

a) Es gibt keine Urteilsformelbeschwer (Manche oder Viele, nicht der Gesetzgeber, nennen es fehlende Tenorbeschwer)

b) Das Urteil entspricht nicht den Anforderung an Freisprüche gem. §§ 267 (5), 338 (7) StPO

c) Gem. § 337 StPO liegt ein Revisionsgrund vor, weil § 267 (5) StPO verletzt wurde. Gem. § 338 (7) StPO liegt damit sogar ein absoluter Revisionsgrund vor.

Fragen:

Wer darf in Revision gehen? Worauf basiert formal die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision? Auf den fehlenden Urteilsgründen?

1. Erweiterung des Falls:

Das Gericht begründet das Urteil schriftlich mit: "aus rechtlichen Gründen". Der absolute Revisionsgrund gem. § 338 (7) StPO entfällt damit. Es bleibt nun wegen § 260 (5) StPO der Revisionsgrund gem. § 337 StPO 

Fragen:

Wer darf in Revision gehen? Worauf basiert formal die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision?Auf den fehlenden angewandten Vorschriften?

2. Erweiterung des Falls:

Das Gericht entscheidet wie vor, gibt aber gem. § 260 (5) StPO angewandte Vorschriften an, die aber falsch oder für den Fall nicht zutreffend sind.

Fragen:

Wer darf in Revision gehen? Worauf basiert formal die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision?Auf den falschen Vorschriften?

Grundfrage: Wie lassen sich diese Fallgestaltungen generisch mit dem Erfordernis der Tenorbeschwer vereinbaren? 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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@ Lutz Lippke

In Ihrer "Voraussetzung: Der Angeklagte muss wegen des Verschlechterungsverbots freigesprochen werden" steckt schon ein häufiger Fehler, auf den Herr Garcia in früheren Diskussionen schon hingewiesen hatte. Das Verschlechterungsverbot bei einem Freispruch gebietet keineswegs einen erneuten Freispruch. Auch eine Verurteilung ist möglich und gegebenenfalls auch geboten. Nur darf es nicht zu einem Strafausspruch kommen. 

WR Kolos schrieb:

@ Lutz Lippke

In Ihrer "Voraussetzung: Der Angeklagte muss wegen des Verschlechterungsverbots freigesprochen werden" steckt schon ein häufiger Fehler, auf den Herr Garcia in früheren Diskussionen schon hingewiesen hatte. Das Verschlechterungsverbot bei einem Freispruch gebietet keineswegs einen erneuten Freispruch. Auch eine Verurteilung ist möglich und gegebenenfalls auch geboten. Nur darf es nicht zu einem Strafausspruch kommen. 

Danke für den Hinweis. Ist damit die Sache "schon" erledigt?

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@Blogger

Sowohl der Angeklagte als auch Dritte können durch beleidigende und herabsetzende Ausführungen im Urteil belastet oder gar in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt werden. In der Regel wird diese Belastung aber nur eine isolierte Beschwer darstellen, weil sie nicht den Gegenstand des Urteils betrifft und auch isoliert beseitigt werden kann, z.B. durch Streichung oder Widerruf. Diese Belastungen sind nicht auf erneute Sachprüfung gerichtet. Die Revision kann darauf beschränkt werden. Der isolierten Beschwer liegt quasi ein Folgenbeseitigungsanspruch zugrunde. Dritte (von der Nebenklage abgesehen) sind zwar nicht rechtsmittelbefugt. Aber auch sie dürften nicht völlig rechtlos dastehen und derartige Eingriffe dulden müssen. Möglicherweise können sie im Klagewege einen Folgenbeseitigungsanspruch (durch Widerruf) geltend machen. Auch ein Amtshaftungsanspruch käme in Betracht.

Ich glaube schon, dass in einem Schuldspruch ohne Strafausspruch eine Tenorbeschwer liegt. Jedenfalls wird das in der Literatur bejaht. Mir ist niemand bekannt, der das verneinen würde. Aus der Rechtsprechung habe ich dazu noch nichts gefunden. 

Aber angenommen, sie hätten recht und der BGH auch, indem er die Tenorbeschwer allein auf die Aufgabe des Strafverfahrens, den staatlichen Strafanspruch und damit auf (echte) Sanktionen beschränkt. Dann dürfte auch der Staatsanwaltschaft kein Rechtsmittel zustehen, wenn eine Sanktion wegen Verschlecherungsverbot nicht in Betracht kommt, sie aber z.B. anstatt eines Schuldspruchs wegen schwerer Körperverletzung einen Schuldspruch wegen versuchten Totschlags erreichen wollte. Denn die angebliche Aufgabe des Strafverfahrens hätte sich erledigt. Man kann aber nicht behaupten, dies sei nicht Aufgabe des Strafverfahrens. Zumal die Schuldfeststellung im Wiederholungsfall Strafzumessungsgrund ist (Argument von Krack). Der Unterschied der Schuld o.a. Delikte ist doch enorm. 

Da steht nicht, daß man die Schuldunfähigkeit abschaffen will. Sie sollten etwas genauer lesen.

@Foto biene, das müssen Sie erklären. Der Menschenrechtsrat fordert nach Ihren Angaben "Abschaffung des § 20 StGB, mit allen Konsequenzen". § 20 StGB betrifft die "Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen". Wenn Sie (oder der Menschenrechtsrat) § 20 StGB abschaffen, schaffen Sie also die "Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen" ab. Oder verfügen Sie einer um mehrere Qualitätssprünge höheren Logik als ich? Ich jedenfalls verstehe das so. Und "genau gelesen" habe ich, denke ich, auch...

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@ LL:

Vollste Zustimmung zu # 47.

Im Speziellen sollte hier der Punkt der schweren anderen seelischen Ab-ARTigkeit noch genauer beleuchtet werden.

Hier stellt sich u.a. die Frage, inwieweit die Bezeichnung nicht direkt auf der vorherigen faschistischen Denkweise (und Rechts-Sprechung!) der sogenannten Ent-ARTung fußt.

In dem Zusammenhang finden sich, wenn nicht hier wo sonst, sicherlich jemand, der den grundsätzlichen Unterschied zwischen ent-artet und ab-artig dar-legen kann.

Faktisch ist bei gesundem Menschen-Verstand weder soziologisch noch biologisch ein Unterschied zu treffen. EIn Individuum wird von den anderen seiner Art als auszuschließen, nicht zur Art zugehörig bezeichnet.

Leider wird es nur bezeichnet, die schwere seelische andere Abartigkeit ist ja noch nicht einmal d e f i n i e r t.

Sondern eine Sammel-Worthülse für alles, für das nicht einmal Psychiatern ein halbwegs eingrenzbares Störungsbild (noch nichtmal in der schwammigen Form eines sog. Syndroms) inklusive valider und wissenschaftlich abprüfbarer Symptomatik eingefallen ist.

Gäbe es eine aufgelistete, wissenschaftlich abprüfbare Symptomatik dieser sogenannten schweren anderen seelischen Abartigkeit, hätte sie GM ja wiederum nicht diagnostiziert werden können (noch nicht mal im Sinne einer Nicht -Auschließbarkeit) weil dazu hätte er, wissenschaftlich korrekterweise ja exploriert werden müssen.

In sich alles also logisch und schlüssig:

Das Gericht schließt nicht aus, dass jemand etwas, von dem keiner genau sagen kann, was es ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt hatte.

Stimmt, wer kann sowas schon ausschließen?

"Nichts" kann man ja noch schlechter ausschließen als "was".

Die Frage die (sieht man mal von der faschistischen Komponente der Bezeichnung an sich ab) übrigbleibt ist die, darf ein rechtlich dermaßen relevanter Paragraph wie der 20iger auf etwas begründet werden, von dem KEINER weiß, was es ist?

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Ich kann den vielen Postern hier, die vom Gesetz weniger als Null Ahnung haben und trotzdem wild drauflosdiskutieren als wären sie das Gelbe vom Ei wirklich nur raten, sich einmal mit einem (ggf. auch einzigen) Buch auszustatten, um sich die Grundbegriffe anzueignen! Die "schwere andere seelische Abartigkeit" hat nichts mit "Entartung", Hitler, Nazis oder mein Kampf zu tun, sondern ist ein terminus technicus (bitte im Buch nachlesen!), vgl.:

"Schwere andere seelische Abartigkeit ist eine Bezeichnung für die schwersten Erscheinungsformen der Psychopathien, Neurosen, und persönlichkeitsverändernden Triebstörungen" (vgl. http://goo.gl/My62vd)

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