Fall Mollath - BGH verwirft Revision

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 09.12.2015

Mit seiner heute bekannt gemachten Entscheidung hat der 1. Senat des BGH die von Gustl Mollath gegen das Urteil des LG Regensburg vom 14. August 2014 eingelegte Revision verworfen, Pressemitteilung.

Die Entscheidung wurde sogleich mit Begründung im Wortlaut veröffentlicht.

Die Ausführlichkeit der Begründung und deren sofortige Veröffentlichung stehen im erstaunlichen Kontrast zur erstmaligen Revision des BGH im Fall Mollath, bei der ein außerordentlich fehlerhaftes und problematisches Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom selben Senat einfach ohne nähere Begründung zur Rechtskraft „durchgewunken“ wurde. Immerhin scheint auch der BGH insofern aus dem Fall Mollath „gelernt“ zu haben. Zunächst nur ein kurzer Kommentar, den ich je nach Diskussionsverlauf möglicherweise in den nächsten Tagen ggf. noch ergänzen werde:

Wie ich schon zuvor verschiedentlich geäußert haben, war tatsächlich kaum damit zu rechnen, dass der BGH seine grundsätzliche Linie, der Tenor eines Urteils selbst müsse eine Beschwer enthalten, damit zulässig Revision eingelegt werden kann, gerade bei diesem Fall ändert. Dennoch gab es natürlich auch bei mir die leise Hoffnung, der BGH werde sich mit den sachlichen Einwänden gegen das Urteil, die auch ich noch hatte, auseinandersetzen.

Immerhin kann man den Beschluss angesichts der ausführlichen Begründung nun auch juristisch nachvollziehen, selbst wenn man ihm im Ergebnis nicht zustimmt. Es findet insbesondere auch eine Auseinandersetzung mit dem auch hier im Beck-Blog diskutierten vom EGMR entschiedenen Fall Cleve ./. Deutschland statt: Dort war der EGMR von der Tenorbeschwer abgewichen. Der BGH meint nun, das Urteil im Fall Mollath sei mit Cleve ./. Deutschland nicht vergleichbar, weil im Mollath-Urteil anders als im Cleve-Fall kein direkter Widerspruch zwischen Tenor und  Begründung festzustellen sei.

Enttäuscht bin ich vom letzten Satz der Begründung des Beschlusses, der konstatiert, die Revision sei ohnehin unbegründet gewesen. Dieser Satz ist völlig verzichtbar und gibt dem Leser Steine statt Brot.

Abgesehen von der  Kritik am Urteil des LG Regensburg möchte ich aber noch einmal darauf hinweisen: Der gesamte Fall in seiner Entwicklung und Dynamik ist ein aus Sicht des Dezember 2012 riesiger persönlicher Erfolg für Herrn Mollath und ist auch in seiner langfristigen Wirkung auf die (bayerische) Justiz und den Maßregelvollzug nicht zu unterschätzen.. Das sollte man – bei aller Enttäuschung über die heutige Entscheidung des BGH – nicht vergessen.

Update (14.12.2015): Eine eingehendere sehr kritische Analyse hat nun Oliver Garcia im delegibus-Blog veröffentlicht.

Update 3.3.2016: Die Kommentarspalte ist nach mehr als tausend Beiträgen geschlossen.

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1041 Kommentare

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@ Dr. Sponsel

Das wurde hier auch schon diskutiert. Ob's auf Tenor oder Gründe ankommt, hängt davon ab welcher Meinung man folgt. Der BGH stellt entscheidend auf den Tenor ab, lässt aber Ausnahmen zu. Für den Tenor gibt es sehr genaue BGH Rechtsprechung, der ist immer sehr kurz zu halten. Wurde hier auch schon drüber geschrieben. Da gibt es kaum - eigentlich keine - Möglichkeiten für ein Gericht, davon abzuweichen ohne einen Rüffel in der Revision zu riskieren.

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Entscheidungsbaum unklar - Was ist eigentlich eine "Beschwer" genau?

Gast schrieb:

@ Dr. Sponsel

Das wurde hier auch schon diskutiert. Ob's auf Tenor oder Gründe ankommt, hängt davon ab welcher Meinung man folgt. Der BGH stellt entscheidend auf den Tenor ab, lässt aber Ausnahmen zu. Für den Tenor gibt es sehr genaue BGH Rechtsprechung, der ist immer sehr kurz zu halten. Wurde hier auch schon drüber geschrieben. Da gibt es kaum - eigentlich keine - Möglichkeiten für ein Gericht, davon abzuweichen ohne einen Rüffel in der Revision zu riskieren.

Danke, aber das glaube ich nicht. Es scheint, als ob hier ziemlich viel Durcheinander und Willkür (Ausnahmen) im Spiel ist. Die Regeln scheinen unklar und Leitsätze zu den differenzierten Fällen liegen nicht vor.

Ich werde mir den gesamten Entcheidungsbaum zu den verschiedenen Fragestellungen noch einmal genauer anschauern und ihn dann hier vorstellen.

Bei dieser Gelegenheit: was ist eigentlich eine "Beschwer" genau? Vielleicht kann dies eine Kundige ja gut erklären, so dass ich mir eine Recherche in beck-online sparen kann.

Man stelle sich vor - denn solche Fälle betrifft die Revisionsentscheidung auch, ein Lehrer wird von dem Vorwurf freigesprochen, mit der 14-jährigen Schülerin seiner Klasse sexuell verkehrt zu haben, weil das Gericht in Anwendung des § 20 StGB nicht ausschließen konnte, dass er von einem unbeherrschbaren Geschlechtstrieb krankhaft gesteuert war. Er bestreitet den Vorwurf. Auch Triebgestört will er nicht sein. 

Das Urteil anfechten kann er nicht. Berufung und Revision sind mangels Beschwer nicht zulässig. 

Jetzt muss man dem Lehrer nur noch erklären, dass er mit dem Freispruch doch zufrieden sein muss und die Begründung keine Bedeutung hätte. Den besorgten Eltern erklärt dann ein Magier den Rechtsfrieden. Und alles ist gut.

WR Kolos schrieb:

Man stelle sich vor - denn solche Fälle betrifft die Revisionsentscheidung auch, ein Lehrer wird von dem Vorwurf freigesprochen, mit der 14-jährigen Schülerin seiner Klasse sexuell verkehrt zu haben, weil das Gericht in Anwendung des § 20 StGB nicht ausschließen konnte, dass er von einem unbeherrschbaren Geschlechtstrieb krankhaft gesteuert war. Er bestreitet den Vorwurf. Auch Triebgestört will er nicht sein. 

Das Urteil anfechten kann er nicht. Berufung und Revision sind mangels Beschwer nicht zulässig. 

Jetzt muss man dem Lehrer nur noch erklären, dass er mit dem Freispruch doch zufrieden sein muss und die Begründung keine Bedeutung hätte. Den besorgten Eltern erklärt dann ein Magier den Rechtsfrieden. Und alles ist gut.

Dann wiederhole ich in dem Zusammenhang nochmal meine Frage aus #33, Seite 7:

Gibt es andere rechtliche Möglichkeiten außerhalb der Berufung/Revision, mit der gegen eine solche ehrverletzende Aussage wirksam vorgegangen werden kann?

Strafrechtlich, zivilrechtlich? Oder, im Beispielsfalle des Lehrers, der aus diesem Grund eventuell nicht weiterbeschäftigt werden soll, sogar arbeitsrechtlich?

@Waldemar Robert Kolos

 

Man wird Ihnen entgegenhalten können, daß der von Ihnen gebildete Fall noch einmal der Fall Mollath in neuer Verpackung ist. Aber das Gute an dieser Zuspitzung ist, daß sie an die Allgemeingültigkeit des Problems erinnert und vom konkreten Mollath-Sachverhalt wegführt. Über diesen Fall hat man ja irgendwann einmal genug gesprochen ("es muß auch mal Schluß sein"), was nicht auf das allgemeine Problem abfärben sollte.

 

Der Gute an Ihrer Versuchsanordnung ist auch, daß sich die schon diskutierte Rechtsschutzlücke (BZRG) hier noch einmal schärfer zeigt: Denn disziplinarrechtlich sind die Feststellungen zu Tatbegehung und krankhafter Störung bindend (§ 14 LDG, http://goo.gl/tYNnRs; für den Bundesbereich: § 23 BDG, http://www.buzer.de/gesetz/5384/a74025.htm). Auch hier wird der 1. Strafsenat des BGH natürlich - ohne nähere Begründung - sagen: "Geht uns nichts an. "

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Das mit den übergeordneten Rechten ist alles ganz richtig und wichtig, aber nicht in der Frage Freispruch aus rechtlichen Gründen. Denn bereits §§260 (5), 267 (5) StPO erklären die Angaben: "wird freigesprochen" "§ 20 StGB" und "aus rechtlichen Gründen" zum gesetzlich vorgegebenen Bestandteil des Freispruchs. Ohne diese Angaben handelt es sich nicht um eine justizmäßige Prüfung des Strafanspruchs. Diesen gesetzlichen Tatbestand im Rechtsmittelverfahren zu übergehen, steht auch einem BGH nicht zu.

Anders sieht es vermutlich aus, wenn der wegen Mangels an Beweisen Freigesprochene einen Freispruch wegen erwiesener Nichttat beansprucht. Denn hier sind die gesetzlichen Anforderungen an den Freispruch identisch. Daraus lässt sich aber eben keine Allgemeingültigkeit einer Tenorbeschwer ableiten. Die Tenorbeschwer ist ein Konzept der Prozessökonomie und hat selbst keine Gesetzeskraft. Grundlage der Beschwer müssen zumindest die gesetzlichen Anforderungen an den Freispruch sein. Alles andere ist willkürliche Abänderung von Gesetzen und keine Auslegung.

Ich gehe davon aus, dass sich die Tenorbeschwer irgendwann rechtlich verselbstständigt hat, die gesetzliche Bindung verlor und nun als quasi BGH-Gesetz im rechtsfreien Raum baumelt.

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Sehr geehrter Herr Kolos,

danke für Ihr wirklich passendes Beispiel, das auch die oben diskutierte Ehrenfrage noch einmal nachvollziehbar  pointiert.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Ergänzend zu #26

Im Freispruchurteil müssen die angeklagten Taten und die Gründe des Freispruchs benannt werden. Ein Freispruch "Der Angeklagte wird freigesprochen" ist entweder ein "immer" oder ein "nichts". Ein solcher Freispruch wäre also unbestimmt. WR Kolos hat dies mit dem Verweis auf den Strafklageverbrauch deutlich gemacht. Dass beim Freispruch diese notwendigen Angaben zum Prozessgegenstand nicht in der Urteilsformel erscheinen, verändert den Prozessgegenstand des Strafverfahrens nicht. Durch das Dogma der Tenorbeschwer wird beim Freispruch der Prozessgegenstand in der Revision zu einem Freispruch "immer" oder von "nichts" willkürlich verfälscht. Die Tenorbeschwer kann also nur ein Unterfall der Beschwer (Teilmenge) sein, wenn der Prozessgegenstand im Tenor vollständig benannt ist. Das ist z.B. bei einer Verurteilung der Fall.

Dass nicht jedes Wort des Urteils eine Beschwer rechtfertigen kann, lässt sich in anbetracht von Prozessökonomie und Prozessgegenstand leicht nachvollziehen. Die Feststellungen "hat die Tat begangen" und/oder "ist schuldunfähig" betreffen unmittelbar den Prozessgegenstand und stellen eine Beschwer dar. Die Feststellung "nicht beweisbar" Täter oder schuldfähig sind nicht unmittelbar Prozessgegenstand. Die Feststellung, dass die nicht erwiesene Tat nicht ausschließbar schuldunfähig begangen worden sein könnte, ist nicht Gegenstand des Strafprozesses und gehört nicht in ein Freispruch-Urteil. Wurde jedoch im Prozess ein erreichbarer Beweis zu Tat oder Schuldfrage unbegründet übergangen, liegt ein unfaires Verfahren vor. Denn der Angeklagte wurde mit dem Tatvorwurf und dem Verdacht der Schuld konfrontiert. Er hat somit ein Recht darauf, dass erreichbare Beweise seiner Nichttat oder Unschuldigkeit nicht grundlos übergangen werden.

Im hiesigen Fall ist der Freigesprochene mit der Tatzuweisung beschwert, andernfalls wäre die Feststellung zur nicht ausschließbaren Unschuld als prozessfremd anzusehen. Im Extremfall der "lebenden Leiche", die ja diskutiert wurde, liegt ein möglicherweise erreichbarer und grundlos übergangener Entlastungsbeweis vor. Ein Verweis auf die notwendige Prozessökonomie schlägt jedenfalls fehl, da der Prozess der Überführung von Tätern dient und nicht der Tatzuweisung an Nichttäter (fehlende Effektivität, Zielverfehlung). Die Fülle der Möglichkeiten von Ursachen lässt dafür kein einfaches Schema zu, so dass hier sicher übergeordnete Rechte (Fairness, Unschuldsvermutung, Persönlichkeitsrechte) eine (erweiterte) Beschwer rechtfertigen können.

 

 

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@ I.S.

Strafrechtlich wird ein Vorgehen gegen eine Kammer oder einen Senat wohl stets am Schweigerecht der Beschuldigten in Verbindung mit dem Beratungsgeheimnis, § 43 DRiG, scheitern (s. Fall Görgülü https://de.wikipedia.org/wiki/Fall_G%C3%B6rg%C3%BCl%C3%BC#Nichter.C3.B6f... ). Wenn alle Richter schweigen, und man deshalb nicht weiss wer wie gestimmt hat, wird der Tatnachweis zu Beleidigung oder Rechtsbeugung kaum zu führen sein.

Ein zivilrechtliches Vorgehen gegen die Richter dürfte dementsprechend regelmäßig an dem Richterprivileg, § 839 Abs. 2 BGB, scheitern.

Ich sehe das so ähnlich wie beim BZR-Eintrag: Die Grundlage dürfte gar nicht da sein, deshalb darf der Betroffene nicht auf Schadensminimierung bei den Folgen verwiesen werden.

 

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Entschuldigung, mir ist noch ein Gedanke zum Thema "staatlicher Strafanspruch und Beschwer" aufgekommen, für den mein Wissen zur Auflösung nicht ausreicht. Für den BGH ist das Thema wohl ein entscheidendes Argument für die lieb gewonnene Tenorbeschwer. Deshalb nur eine Hypothese zum vergnüglichen Verreißen ;-)

Ein (juristischer) Anspruch folgt aus einer Rechtsbeziehung. Im Zivilen z.B. aus dem BGB, im Strafrecht aus dem StGB usw.. Im Zivilen regelt z.B. die ZPO die Rollen und Rechte bei der gerichtlichen Durchsetzung ziviler Ansprüche, im Strafrecht die StPO die Rollen und Rechte bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Im Zivilen muss der Anspruchsberechtigte seinen Anspruch durch Klage bei Gericht geltend machen, im Strafrecht macht dies für den Staat die STA durch Anklageerhebung bei Gericht. Das unabhängige Zivilgericht entscheidet den Streitgegenstand zwischen Kläger und Beklagtem, das unabhängige Strafgericht den Prozessgegenstand zwischen STA (als Vertreter des Staats) und dem Angeklagtem. Gegenstand ist: "Anspruch oder kein Anspruch, Tat oder Nichttat, Schuld oder Nichtschuld?" Das Strafgericht und der Strafprozess hat somit mittels StPO einen Prozessgegenstand gem. StGB zu entscheiden und nicht selbst den staatlichen Strafanspruch zu verwirklichen. Denn sonst könnte auch gleich der Strafrichter die Anklage erheben. Ohne Anklage der STA (Strafanspruch) aber kein entsprechendes Strafverfahren (Prozessgegenstand). Analog im Zivilen ohne Klage (Anspruch) kein Zivilverfahren (Streitgegenstand).

Rechtsmittel richten sich gegen die möglicherweise fehlerhafte Entscheidung des Gerichts über den Prozessgegenstand. Beschwert ist eine für die Partei nachteilige Entscheidung des Gerichts. Denn nicht die Anklageerhebung oder Klage wird beschwert, sondern die Entscheidung des Gerichts zum Prozessgegenstand. Also die Entscheidung zu "Anspruch oder kein Anspruch, Tat oder Nichttat, Schuld oder Nichtschuld?" und nicht der Anspruch (Klage, Anklageerhebung) selbst sind Grundlage der Beschwer und der Prozessgegenstand des Rechtsmittelverfahren.  

Wenn das so zutrifft und ernstzunehmen ist, dann liegt zur Aufgabe des Strafverfahrens bzw. des Rechtsmittelverfahren möglicherweise eine Fokusverschiebung in der herrschenden Meinung zur Beschwer vor. Der staatliche Strafanspruch gegen Täter, den die STA mit der Anklageerhebung geltend macht, wird implizit zum Prozessgegenstand des gerichtlichen Strafverfahrens erklärt und damit die Frage der Beschwer allein auf den staatlichen Strafanspruch (Anklage) beschränkt. Nun fehlt mir allerdings das Wissen, um dieses Phänomen analog mit der Behandlung im Zivilrecht zu vergleichen.

        

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Lutz Lippke schrieb:

Entschuldigung, mir ist noch ein Gedanke zum Thema "staatlicher Strafanspruch und Beschwer" aufgekommen, für den mein Wissen zur Auflösung nicht ausreicht. Für den BGH ist das Thema wohl ein entscheidendes Argument für die lieb gewonnene Tenorbeschwer. Deshalb nur eine Hypothese zum vergnüglichen Verreißen ;-)

Ein (juristischer) Anspruch folgt aus einer Rechtsbeziehung. Im Zivilen z.B. aus dem BGB, im Strafrecht aus dem StGB usw.. Im Zivilen regelt z.B. die ZPO die Rollen und Rechte bei der gerichtlichen Durchsetzung ziviler Ansprüche, im Strafrecht die StPO die Rollen und Rechte bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Im Zivilen muss der Anspruchsberechtigte seinen Anspruch durch Klage bei Gericht geltend machen, im Strafrecht macht dies für den Staat die STA durch Anklageerhebung bei Gericht. Das unabhängige Zivilgericht entscheidet den Streitgegenstand zwischen Kläger und Beklagtem, das unabhängige Strafgericht den Prozessgegenstand zwischen STA (als Vertreter des Staats) und dem Angeklagtem. Gegenstand ist: "Anspruch oder kein Anspruch, Tat oder Nichttat, Schuld oder Nichtschuld?" Das Strafgericht und der Strafprozess hat somit mittels StPO einen Prozessgegenstand gem. StGB zu entscheiden und nicht selbst den staatlichen Strafanspruch zu verwirklichen. Denn sonst könnte auch gleich der Strafrichter die Anklage erheben. Ohne Anklage der STA (Strafanspruch) aber kein entsprechendes Strafverfahren (Prozessgegenstand). Analog im Zivilen ohne Klage (Anspruch) kein Zivilverfahren (Streitgegenstand).

Rechtsmittel richten sich gegen die möglicherweise fehlerhafte Entscheidung des Gerichts über den Prozessgegenstand. Beschwert ist eine für die Partei nachteilige Entscheidung des Gerichts. Denn nicht die Anklageerhebung oder Klage wird beschwert, sondern die Entscheidung des Gerichts zum Prozessgegenstand. Also die Entscheidung zu "Anspruch oder kein Anspruch, Tat oder Nichttat, Schuld oder Nichtschuld?" und nicht der Anspruch (Klage, Anklageerhebung) selbst sind Grundlage der Beschwer und der Prozessgegenstand des Rechtsmittelverfahren.  

Wenn das so zutrifft und ernstzunehmen ist, dann liegt zur Aufgabe des Strafverfahrens bzw. des Rechtsmittelverfahren möglicherweise eine Fokusverschiebung in der herrschenden Meinung zur Beschwer vor. Der staatliche Strafanspruch gegen Täter, den die STA mit der Anklageerhebung geltend macht, wird implizit zum Prozessgegenstand des gerichtlichen Strafverfahrens erklärt und damit die Frage der Beschwer allein auf den staatlichen Strafanspruch (Anklage) beschränkt. Nun fehlt mir allerdings das Wissen, um dieses Phänomen analog mit der Behandlung im Zivilrecht zu vergleichen.

        

Die Ausführungen von Lutz Lippke kann man m.E. sehr kurz mit der Aussage zusammenfassen: Der staatliche Strafanspruch in Verbindung mit den Dogmen Freispruch ist Freispruch und der Tenorbeschwer beruht geistesgeschichtlich und auch psychologisch auf einem überholten obrigkeitsstaatlichen Bewußtsein.

In etwa vergleichbar mit der katholischen Kirche, bei der der Strafanspruch und die Beichte, der Ablaß, eine Art von Freispruch darstellt bzw. dargestellt hat. Damit möchte ich nicht aussagen, dass dem Staat nicht eine starke Autorität und ein Strafanspruch zukommt. Nur die überkommenen, obrigkeitsstaatliche Tendenzen sind m.E. das Problem: aus diesem nicht mehr zeitgemäßen Bewußtsein stellt sich der 1.Senat nicht der R e a l i t ä t , dass Bürger durch die Anwendung des § 20 StGB existenziell schwer belastet sein können und verwehrt aus einer obrigkeitsstaatlichen, autoritären Tendenz in nicht rechtsstaatlicher Weise betroffenen Bürger den Rechtsweg, der in einer Demokratie grundgesetzlich garantiert ist.

Dies kann auch nicht mit juristischen Umwegen, wie in den vorangegangenen Kommentaren ausgeglichen werden, sondern die Rechtssprechung des BGH müsste sich bezüglich dieser Dogmen ändern und in der heutigen Zeit ankommen. Dann würde die Rechtsprechung klarer, einfacher, nachvollziehbarer und nicht in dieser Weise verkompliziert, wie bei der diskutierten Problematik.

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Beschwer in Wikipedia

Dort wird u.a. ausgeführt: "Ein Freispruch, unabhängig aus welchen Gründen er erfolgte, ist niemals eine Beschwer für den Angeklagten; für die Staatsanwaltschaft besteht dann aber eine Beschwer, wenn das Gericht hierbei falsch entschieden hat. Daher ist die Staatsanwaltschaft berechtigt, Rechtsmittel auch zu Gunsten des Angeklagten einzulegen."

"Zu Gunsten" oder muss es nicht heißen "zu Ungunsten"?

Bei Freispruch "niemals eine Beschwer?"

 

@R.Sponsel #33

Die Rechtsmittelberechtigung der STA zu Gunsten des Angeklagten ist in §296 (2) StPO geregelt. Die gibt es also gesetzlich.

Interessant ist, dass aus dieser Regel im Umkehrschluss die Erforderlichkeit einer Beschwer impliziert wird, die sonst gesetzlich gar nicht geregelt ist.

Auffällig ist, dass fast alle Ausführungen zur h.M. in diesem Zusanmenhang auf "so ist es eben und war es schon immer", also Dogmen außerhalb der Gesetze angewiesen sind.

Es wäre interessant eine möglichst widerspruchsfreie Regelung auf unmittelbarer Gesetzesgrundlage zu versuchen, die weitgehend auf Auslegungen und Ausnahmen verzichten kann. Nun bin ich schon zum staatlichen Strafanspruch vorgedrungen. Diverse Quellen behaupten, dass dieser Anspruch des Staates vom Strafgericht durch Strafprozess durchgesetzt wird. Damit habe ich ein Problem. Der Richter ist nach GG unabhängig und unparteiisch, jedenfalls kein Vollstrecker einer Seite. Auch wenn es der Staat ist. Das justizförmige Verfahren verfolgt grundsätzlich nicht nur die Ansprüche der (an)klagenden Partei, sondern bearbeitet gleichberechtigt auch die der verklagten Partei. Dazu sollte wohl der Anspruch auf eine vollständige Zurückweisung der (An)-Klage, die negative Feststellung der Anspruchsgründe und ggf. auch eine "Widerklage" zählen.

Möglicherweise besteht bereits im Verständnis zur Rolle des Strafgerichts ein Widerspruch zum GG.

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Lutz Lippke schrieb:

@R.Sponsel #33

Die Rechtsmittelberechtigung der STA zu Gunsten des Angeklagten ist in §296 (2) StPO geregelt. Die gibt es also gesetzlich.

Interessant ist, dass aus dieser Regel im Umkehrschluss die Erforderlichkeit einer Beschwer impliziert wird, die sonst gesetzlich gar nicht geregelt ist.

Auffällig ist, dass fast alle Ausführungen zur h.M. in diesem Zusanmenhang auf "so ist es eben und war es schon immer", also Dogmen außerhalb der Gesetze angewiesen sind.

Es wäre interessant eine möglichst widerspruchsfreie Regelung auf unmittelbarer Gesetzesgrundlage zu versuchen, die weitgehend auf Auslegungen und Ausnahmen verzichten kann. Nun bin ich schon zum staatlichen Strafanspruch vorgedrungen. Diverse Quellen behaupten, dass dieser Anspruch des Staates vom Strafgericht durch Strafprozess durchgesetzt wird. Damit habe ich ein Problem. Der Richter ist nach GG unabhängig und unparteiisch, jedenfalls kein Vollstrecker einer Seite. Auch wenn es der Staat ist. Das justizförmige Verfahren verfolgt grundsätzlich nicht nur die Ansprüche der (an)klagenden Partei, sondern bearbeitet gleichberechtigt auch die der verklagten Partei. Dazu sollte wohl der Anspruch auf eine vollständige Zurückweisung der (An)-Klage, die negative Feststellung der Anspruchsgründe und ggf. auch eine "Widerklage" zählen.

Möglicherweise besteht bereits im Verständnis zur Rolle des Strafgerichts ein Widerspruch zum GG.

# Lutz Lippke

Der Hinweis auf § 296 (2) StPO, dass der Staatsanwalt auch zugunsten des Angeklagten intervenieren kann, also

eine Beschwer vorliegen muss, ist sicherlich nachdenkenswert und auch in Bezug zu setzen mit dem Blog-Thema und dem Fall Mollath. Im Wiederaufnahmeverfahren hat der Oberstaatsanwalt in einem ungewöhnlich langen viereinhalbstündigen Plädoyer, nahezu unzumutbar m.E. ausschließlich den "Strafanspruch" des Staates, der Anklagebehörde vertreten. Mir ist nicht in Erinnerung, dass der Staatsanwalt seiner Aufgabe im Sinne des § 296 Abs.2

zumindest teilweise gerecht geworden wäre, auch Entlassendes zugunsten von G.M. mit einzubringen. Dies hängt sicherlich mit dem Rollenverständnis der Anklagebehörde, also der S t a a t s anwaltschaft

und dem Strafanspruch zusammen. Der § 296 StPO spricht dafür, dass die Staatsanwaltschaft an sich zunächst eine neutrale Rolle einnehmen könnte oder sogar die Verpflichtung dazu besteht. Ist dies die R e a l i t ä t ?

Dies kann ich mir schwerlich vorstellen. In der Regel nimmt der Staatsanwalt ausgesprochen vorrangig, die Interessen des Staates, des Rechts und der Ordnung e i n s e i t i g wahr. Die Fälle, in denen der Staatsanwalt zugunsten des

Angeklagten sich einsetzt, dürften sich eher auf Ausnahmen beschränken. Diese Rolle und Verantwortung die Interessen des Angeklagten, die Unschuldsvermutung zu vertreten, wird defakto den Richtern überlassen. Im WA-Verfahren gegen G.M. entstand durch die Präsenz des Staatsanwalts der Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft den Ausgang des WA-Verfahrens nachhaltig bestimmt hat. Ist dies ein Teil der Realität in der deutschen Rechtsprechung auch in vielen anderen Strafprozessen?

Diese von Lutz Lippke thematisierten Fragen, sind hoch interessant und von grundsätzlicher Bedeutung, können jedoch nach meinem Dafürhalten zu stark  "rechtsphilosophisch und -wissenschaftlich" werden und den direkten Bezug zu dem Thema: " BGH verwirft die Revision" verlieren.

Zu meinem Bedauern wurde auf meine Kommentare # 11  und # 28 vom 11.1.2016 bis auf eine teilweise

Berichtigung durch Prof. Müller nicht eingegangen. Darin hatte ich auf den Psychiatrisierungsmißbrauch, u.a. durch die

Anwendung des § 20 StGB, die anschließende Verweigerung des Rechtsweges und die einschlägigen UN-Erklärungen versucht aufmerksam zu machen. Diese juristischen und gesellschaftspolitischen Fragen um das brisante Thema Psychiatrisierung ist für die vielen Betroffenen und auch für die Gesellschaft von großer Bedeutung  und wird weitgehend in der gesellschaftlichen Diskussion und insbesondere auch in den Medien jahrzehntelang tabuisiert und nach der  Erledigung des Falles Mollath ebenfalls wieder verdrängt.

 

 

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@ Menschenrechtler

Mir ist bewusst, dass ich das brennende Thema § 20 StGB und die Behandlung des Angeklagten im Verfahren ein wenig verdränge, aber ich denke es muss zuvor Grundsätzliches zur einfachrechtlichen Zulässigkeit der Revision klargestellt werden, um über diese wichtigen Themen weiter diskutieren zu können. Sie sind selbst "mitschuldig" wie ich hier kurz aufzeigen will, um dann meinen einfachrechtlichen Recherchestand zur Zulässigkeit der Revision darzulegen.

Also zuerst etwas zur Genese der vorläufigen Erkenntnis:  
O.Garcia hatte bereits im delegius-Blog die zentrale Begründung des BGH für die unbedingte Geltung des Prinzips der Tenorbeschwer in der Beschränkung des Strafverfahren auf den staatlichen Strafanspruch erkannt und dies einerseits für überzeugend, aber in der konkreten Sache für verfehlt gehalten (Link im hiesigen Artikel Update vom 14.12.2015).

Menschenrechtler verwies in der Diskussion am 15.12.2015 (S. 1, #35) erstmals auf die Folgen einer Begrenzung des Strafverfahren auf den staatlichen Strafanspruch, die nicht gesetzlich bestimmt, sondern richterrechtlich entwickelt wurde.

Am 22.12.2015 (S.2, #40) vermutete ich, dass der BGH den staatlichen Strafanspruch möglicherweise gegenüber der Allgemeinheit beansprucht und nicht auf tatsächliche Straftaten beschränkt.

Am 01.01.2016 (S.4, #46) kommt WR Kolos dem Problem sehr nahe.

"Die Aufgabe des Strafverfahrens - wie der BGH schreibt - liegt in der justizförmigen Prüfung des staatlichen Strafanspruchs. Gewiss. Nur ist das nicht die einzige Aufgabe des Strafverfahrens."

Mit einigen Kommentaren von Menschenrechtler, WR Kolos und Anderen bleibt die Begrenzung des Strafverfahren auf den staatlichen Strafanspruch in der Diskussion entweder kritisch oder hinnehmend präsent, wird aber vorwiegend an den Folgen und an möglichen Ausnahmen diskutiert Das bereits erkannte Kernproblem bleibt außen vor.

Am 10.01.2016 legt WR Kolos (S.7 #9) mit dem Verweis auf Krack noch einmal nach:

"Die so verstandene Aufgabe eines Strafverfahrens offenbart eine ganz besondere Rückständigkeit, die nicht nur in die vorkonstitutionelle Zeit reicht, sondern gar bis zu der Zeit des Inqusitionsprozesses."

WR Kolos hatte wohl einen geistig wachen Start ins neue Jahr ;-). Durch diese Anregung befasste auch ich mich dann ab dem 12.01.2016 intensiver mit dem Zweck des Strafverfahren, ohne die BGH-Rechtsprechung als gegeben anzunehmen. Ich dringe langsam zur Ur-Ursache der Ursache der Verwerfung der Revision vor, nämlich die Sicht des BGH auf die Rolle des deutschen Strafrichters und des Strafverfahrens.

Recherche zum Strafanspruch, dem Gegenstand und der Zulässigkeit der Revision

Zuallererst führt die Suche zum Strafanspruch selbst in der StPO ins Leere. Es geht also ins Detail. Die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung ist durch die Erhebung einer Klage bedingt (§ 151 StPO). Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen (§ 152 StPO). Der Umfang der gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung erstreckt sich auf die in der Klage bezeichnete Tat und beschuldigten Personen. Innerhalb dieser Grenzen sind die Gerichte zu einer selbstständigen Tätigkeit berechtigt und verpflichtet; insbesondere sind sie bei Anwendung der Strafgesetze an die gestellten Anträge nicht gebunden (§ 155 StPO).
Hier relevant ist noch § 264 StPO - Gegenstand des Urteils. Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Gemäß § 296 StPO stehen dem Beschuldigten die zulässigen Rechtsmittel, hier gem. § 333 StPO die Revision, gegen gerichtliche Entscheidungen zu. Gemäß § 449 StPO sind Strafurteile nicht vollstreckbar, bevor sie rechtskräftig geworden sind. Die STA ist gem. § 451 StPO Vollstreckungsbehörde.

Vorläufiges Fazit:
Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens (Hauptverhandlung) ist die Untersuchung der in der Klage der STA bezeichnete Tat und beschuldigten Personen. Gegenstand des Urteils ist die angeklagte Tat.

Ein zulässiges Rechtsmittel gegen das LG-Urteil besteht zumindest zum Gegenstand des Urteils, nämlich die angeklagte Tat! Die angeklagte Tat gilt bei Freispruch aus rechtlichen Gründen als dem Beschuldigten nachgewiesen. Der Freigesprochene ist nach dem Urteil der Täter. Der Freispruch aus rechtlichen Gründen bezieht sich nicht auf den Gegenstand des Urteils, sondern auf den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Dies ist offensichtlich durch die asymmetrische Struktur der StPO in Bezug auf Verurteilung/Freispruch sowie Verfahrensgegenstand/Urteilsgegenstand bedingt. Spielt an dieser Stelle für die vorhandene Beschwer gegen die Tatfeststellung im Urteil jedoch keine Rolle. 

Der BGH liegt also grundsätzlich falsch, wenn er den staatlichen Strafanspruch zum Zweck und Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens und zur Aufgabe des Richters in diesem Verfahren macht. Gegenstand des Verfahrens und des Urteils ist in jedem Fall die angeklagte Tat. Diese gilt laut dem Urteil als erwiesen, egal wo das im Urteil hingeschrieben wurde. Der Revisionsführer rügte, soweit bekannt, mit dem Revisionsantrag statthaft, form- und fristgerecht zumindest die gerichtliche Feststellung der angeklagten Tat (Gegenstand des Urteils). Die Beschwer liegt also damit tatsächlich vor und der Revisionsantrag ist bereits einfachrechtlich zulässig und vollständig auf seine Begründetheit zu prüfen.

 

   

 

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Lutz Lippke schrieb:

Vorläufiges Fazit:
Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens (Hauptverhandlung) ist die Untersuchung der in der Klage der STA bezeichnete Tat und beschuldigten Personen. Gegenstand des Urteils ist die angeklagte Tat.

Ein zulässiges Rechtsmittel gegen das LG-Urteil besteht zumindest zum Gegenstand des Urteils, nämlich die angeklagte Tat! Die angeklagte Tat gilt bei Freispruch aus rechtlichen Gründen als dem Beschuldigten nachgewiesen. Der Freigesprochene ist nach dem Urteil der Täter. Der Freispruch aus rechtlichen Gründen bezieht sich nicht auf den Gegenstand des Urteils, sondern auf den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Dies ist offensichtlich durch die asymmetrische Struktur der StPO in Bezug auf Verurteilung/Freispruch sowie Verfahrensgegenstand/Urteilsgegenstand bedingt. Spielt an dieser Stelle für die vorhandene Beschwer gegen die Tatfeststellung im Urteil jedoch keine Rolle. 

Der BGH liegt also grundsätzlich falsch, wenn er den staatlichen Strafanspruch zum Zweck und Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens und zur Aufgabe des Richters in diesem Verfahren macht. Gegenstand des Verfahrens und des Urteils ist in jedem Fall die angeklagte Tat. Diese gilt laut dem Urteil als erwiesen, egal wo das im Urteil hingeschrieben wurde. Der Revisionsführer rügte, soweit bekannt, mit dem Revisionsantrag statthaft, form- und fristgerecht zumindest die gerichtliche Feststellung der angeklagten Tat (Gegenstand des Urteils).

Die Beschwer liegt also damit tatsächlich vor und der Revisionsantrag ist bereits einfachrechtlich zulässig und vollständig auf seine Begründetheit zu prüfen.

 

   

 

@LL:

Volle Zustimmung zu diesem Beitrag und auch Ihren anderen Beiträgen.

Da ich Vollzitate optisch und inhaltlich immer etwas "erschlagend" und daher letztlich kontraproduktiv finde, habe ich nur das Fazit zitiert.

Da von juristisch fachkundiger Seite keinerlei Widerspruch erfolgte, gehe ich davon aus, dass in der Sache alles konkludent und fakten-konform gefolgert wurde.

Da trifft die Aussage: "Keine Antwort ist auch eine Antwort", brutal ins Mark, ich denke, an der Stelle wird eben auch klar, dass man lieber nichts dazu sagt, bevor man dem Offensichlichen einfach mal zustimmt und die daraus entstehenden Widersprüche (als Ausübender ebendieser Profession) dann entsprechend aushält bzw umsetzt.

An der Stelle noch zum § 20, wiewohl ich selbst einer derjenigen bin, der den Finger ganz bewußt in (u.a.) diese Wunde gelegt hat, denke ich (inzwischen, gerade durch die Erfahrungen hier!) doch, dass ein Juristen Blog einfach nicht geeignete Stelle sein KANN, um das fachlich durchdringend zu diskutieren, da es in der Sache den Juristen ja per definitionem an der Sachkunde fehlt (sonst bräuchten sie ja keine psychiatrischen Sachverständigen ;-)

Daher mein Appell an (z.B.) Meschenrechtler:

Einfach mal den Fokus auf EINE Sache halten, LL hat hier hervorragend (und offenkundig n i c h t widerlegbar) zur (juristischen) Sache argumentiert.

Davon sollte man mal gerade N I C H T ablenken, und so einen Schritt nach dem anderen gehen können.

Zu viele Nebenschauplätze (die hier ohnehin immer und immer wieder mal eben aufgemacht werden) verhindern ja letztlich nur, dass e n d l i c h mal ein wichtiger, ganz grundlegender Punkt, sachlich aus-diskutiert wird.

Hier im Blog perfekt zu verfolgen.

Zu Ungunsten der Sache an sich.

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[/quote] @LL: Volle Zustimmung zu diesem Beitrag und auch Ihren anderen Beiträgen....................................... Daher mein Appell an (z.B.) Menschenrechtler: Einfach mal den Fokus auf EINE Sache halten, LL hat hier hervorragend (und offenkundig n i c h t widerlegbar) zur (juristischen) Sache argumentiert. Davon sollte man mal gerade N I C H T ablenken, und so einen Schritt nach dem anderen gehen können. Zu viele Nebenschauplätze ..... verhindern ja letztlich nur, dass e n d l i c h mal ein wichtiger, ganz grundlegender Punkt, sachlich aus-diskutiert wird. Hier im Blog perfekt zu verfolgen. Zu Ungunsten der Sache an sich.[/quote]

Auch ich störe mich an Nebenschauplätzen gestört, auch wenn ich nur teilweise dazu beigetragen habe. Die tiefgehende systemkritische Analyse von Lutz Lippke steht tatsächlich im Vordergrund und es ist notwendig diese tatsächlich, konsequent auszudiskutieren.

Dazu möchte ich den nachfolgenden inhaltlich wichtigen Kommentar # 6 vom 13.1.2016 von Herrn Lutz Lippke

ebenfalls in den Zusammenhang und Fokus stellen.
 

 

 

Was sich doch hier herauskristallisiert hat, ist die relative Unbestimmtheit des Zulässigkeitskriteriums "erforderliche Tenorbeschwer". Dieses Kriterium ist nicht unmittelbar aus dem Gesetz abgeleitet, sondern Ergebnis von mehrstufiger Gesetzesauslegung durch den BGH. Der BGH kämpft selbst mit der "richtigen" Verortung seiner Tenorbeschwer im Gesetz, weswegen er ergänzend auch pauschale Aussagen zu den Urteilsgründen anbringt. Sollte also ausnahmsweise die erforderliche Tenorbeschwer nicht als formales Kriterium der Zulässigkeitshürde zureichen, dann ergibt sie nach Ansicht des BGH in gleicher Weise auch bei der summarischen Prüfung der Begründetheit keine Beschwer. Der Revisionsführer könne nicht mehr als einen Freispruch erreichen. Ansonsten seien die Urteilsgründe notwendiges Beiwerk, ohne Relevanz für den eigentlichen Zweck des Strafverfahren und die Beschwer. Würde der BGH jedoch eine formale Zulässigkeit der Revision bejahen, dann müsste die Prüfung ihrer Begründetheit deutlich intensiver ausfallen. Es hängt also an den Dogmen "Freispruch ist Freispruch" und "erforderliche Tenorbeschwer", das eine vollständige Prüfung der Begründetheit der Revision unter vollständiger Beachtung des Revisionsantrags unterblieb. Das hat mit der Qualität des Revisionsantrags also wenig zu tun.

Was weiterhin übergangen wird, ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber einen Freispruch nicht auf die Urteilsformel beschränkt hat. Ein Freispruch aus rechtlichen Gründen gem. §20 StGB besteht nach dem Strafgesetz aus Feststellungen in der Urteilsformel, der Liste und den Urteilsgründen. Diese Feststellungen sind originärer Bestandteil der justizförmigen Prüfung des staatlichen Strafanspruchs und eben kein Beiwerk. Die Verkürzung des Freispruchs auf die Urteilsformel widerspricht dem Gesetz. Die Gleichmachung von Freisprüchen basiert auf dieser willkürlichen Beschränkung.

Der Hebel gegen das Dogma der erforderlichen Tenorbeschwer liegt also in der StPO selbst. Mir scheint es so, als traue sich Keiner diese Feststellung, weil damit eine Verstoß gegen Gesetze und eine langjährige, willkürliche Auslegungspraxis offenbar würde. Der Umweg über eine ausnahmsweise Beschwer wegen Verletzung von Grundrechten soll diese Offenbarung vermeiden. Das ist vielleicht gut gemeint, aber verhindert auch die Klarstellung, wer eigentlich über das Gesetz herrscht - der Gesetzgeber oder Richter. Es ist also in dieser Sache eine Grundlage unserer demokratischen Ordnung berührt und nicht nur ein juristisches Problem zu lösen.

 

 

4

Ja sicherlich, Schweigen ist Zustimmung. Das ist so, nach allgemeinen Regeln, wie jeder weiss.

Bei so einer Diskussionskultur lohnt es sich wohl nicht darauf hinzuweisen, dass § 267 StPO keinesfalls zwingend gegen eine Tenorbeschwer spricht. Man kann das da durch Auslegung herauslesen, ja. Aber da wird weder explizit noch logisch zwingend auf die Beschwer verwiesen. Im Gegensatz zu § 296 StPO und den ganzen anderen Paragraphen dazu (s. Krack), wo wenigstens die Existenz einer Beschwer vorausgesetzt wird. Man kann § 267 StPO genauso als Formvorschrift für den ersten Rechtszug sehen, die nur regelt wie das Ergebnis der justizförmigen Prüfung darzustellen ist. Die Rechtsmittelinstanz ist da unmittelbar für die Beschwer gar nicht vom Gesetz angesprochen.

Aber die Gegenmeinung ist gesetzeswidrig und willkürlich. Na klar.

Und Prozessökonomie soll der StPO fremd sein? Dann ist § 349 StPO wohl der Gipfel der inhaltlich-materiellen Prüfung. Oder die Einstellungsregeln in §§ 153 ff. StPO. Oder die strafprozessualen Vorschriften über die Verbindung und die Trennung anhängiger Strafsachen (§§ 2, 4, 237 StPO). Oder die Regelungen zum "Deal", z.B. § 257c StPO. Jaja, Prozessökonomie kennt die StPO also vollkommen unbestreitbar nicht. Und daraus lässt sich natürlich überhaupt nicht ableiten, dass der Gesetzgeber positiv zu einer prozessökonomischen Erledigung steht. Nein nein.

Denn die Gegenmeinung ist ja gesetzeswidrig und willkürlich.

Um es ganz deutlich zu sagen, wenn hier keiner mehr mit Ihnen diskutieren möchte, liegt das einzig und allein an dem Alleingeltungsanspruch der wohl einzig gesetzmäßigen Meinung, die hier bei positivster Auslegung in Unkenntnis gegenteiliger Argumente vertreten wird.

Das Schweigen dazu ist sicherlich vieles, aber keine Zustimmung.

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Sehr geehrter Her Kolos,

Quote:

Waldemar Robert Kolos

14.01.2016

Man stelle sich vor - denn solche Fälle betrifft die Revisionsentscheidung auch, ein Lehrer wird von dem Vorwurf freigesprochen, mit der 14-jährigen Schülerin seiner Klasse sexuell verkehrt zu haben, weil das Gericht in Anwendung des § 20 StGB nicht ausschließen konnte, dass er von einem unbeherrschbaren Geschlechtstrieb krankhaft gesteuert war. Er bestreitet den Vorwurf. Auch Triebgestört will er nicht sein. 

Das Urteil anfechten kann er nicht. Berufung und Revision sind mangels Beschwer nicht zulässig. 

Jetzt muss man dem Lehrer nur noch erklären, dass er mit dem Freispruch doch zufrieden sein muss und die Begründung keine Bedeutung hätte. Den besorgten Eltern erklärt dann ein Magier den Rechtsfrieden. Und alles ist gut.

Danke für dieses Beispiel.

Was mir darin noch fehlt bzw. unklar ist: hat das Gericht analog zum Fall Mollath die angeklagte Straftat als geschehen eingestuft?

Das ist für mich (als absoluter Laie) schon wichtig, denn in diesem Fall wäre die Beschwer ja eher in der Befindlichkeit des Angeklagten zu sehen, der mit dem Freispruch tatsächlich glimpflich davon kommt. Dem Mädchen oder den Erziehungsberechtigten und auch dem Arbeitgeber wird es dann einerlei sein, aus welchen Gründen die intime Beziehung zu einer Schülerin entstanden ist.

Ist die Tat tatsächlich nicht passiert sieht die Sache natürlich völlig anders aus.
Dann hat entweder das Gericht falsch geurteilt (weil es abweichende Feststellungen getroffen hat) oder aber die Begründung ist völlig unerheblich, da eh kein Tatnachweis erbracht wurde und ein Freispruch schon deshalb erfolgen hätte müssen. Im letzteren Fall wäre dann die Beschwer durch die Begründung natürlich vorhanden und würde dem Freigesprochenen als Makel zu unrecht anhaften.

Gruß

4

@ Neuer Gast

Der Punkt ist doch gerade, ob die Tatbegehung nochmal überprüft werden kann. Der problematische Fall ist der, wenn das Gericht die Tat für gegeben hält, das aus an sich rügbaren Gründen möglicherweise nicht stimmt und dem Angeklagten der Weg in die Revision durch die Tenorbeschwer, so wie der BGH sie sieht, verbaut ist.

4

Die Rechtslage zur Mollath-Revision erscheint mir eindeutig - aber unerträglich falsch

Ich habe noch einmal zur "Beschwer" - die nirgendwo klar definiert wird - und ihrer Bedeutung für die Revision in beck-online Material (180 Seiten) gesammelt. Daraus ergibt sich, dass der Urteilstenor im Mollath-Urteil* - für mich als Vertreter des gesunden Menschenverstandes und der Wissenschaft - tatsächlich keine erkennbare Beschwer enthält, wodurch, wenn man akzeptiert, dass Beschwer immer Tenorbeschwer bedeuten muss, die Revision abzuweisen war.

Dennoch ist es für mein Verständnis von Recht tatsächlich grobes und nicht hinnehmbares Unrecht. es ist ein perfides - auf fränkisch-bayerisch hinterfotzig - und sophistisch verdrehtes "Recht", das darauf abzielt, Menschen - auch massivst - zu beschweren, ohne dass sie sich mit Rechtsmitteln  dagegen wehren können, weil man die Beschwer in den Urteilsgründen versteckt. So etwas kann und darf nicht rechtens sein und es sollte mit allen Mitteln dagegen vorgegangen werden.

 

*"Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil:

  1. Im Umfang der durch Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 6. August 2013 angeordneten Wiederaufnahme wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 08.08.2006, Aktenzeichen 7 KLs 802 Js 4743/03 aufgehoben.
  2. Der Angeklagte wird freigesprochen.
  3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich des wiederaufgenommenen Verfahrens des Landgerichts Nürnberg-Fürth, Aktenzeichen 7 KLs 802 Js 4743/03, die Kosten der Revision, die Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens einschließlich des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
  4. Der Angeklagte ist für die Zeiträume der Unterbringung zur Beobachtung vom 30.06.2004 bis 07.07.2004 und 13.02.2005 bis 21.03.2005, dem Zeitraum der einstweiligen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vom 27.02.2006 bis 12.02.2007 und dem Zeitraum der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 08.08.2006 vom 13.02.2007 bis 06.08.2013 aus der Staatskasse zu entschädigen." [Doku PDF]

 

  1. Der Begriff des Urteils und seiner Bestandteile nach Meyer-Goßner

    I. Rubrum:
       • Mitwirkende/ Betroffene
       • Betreff: Straftat(en)
       • Tag der Urteilsverkündung
     II. Tenor
          • Ergebnis der Verhandlung (Schuld- oder Freispruch)
          • Rechtsfolgenausspruch
          • Kosten
     III. Liste der angewendeten Vorschriften (§ 260 StPO Abs V 1)
     IV Gründe
         Die Gründe sind die Rechtfertigung des Urteilstenors. Das bedeutet, daß

         sich aus ihnen im wesentlichen eine Antwort auf die folgenden 5
         Fragen ergeben soll:
               1. Wer ist der Angeklagte (= persönliche Verhältnisse)?
               2. Was hat er getan (= Sachverhaltsschilderung)?
               3. Woher weiß das Gericht das (= Beweiswürdigung)?
               4. Gegen welche Strafbestimmungen hat er verstoßen (= rechtliche

                   Würdigung)?
               5. Welche Rechtsfolgen wurden verhängt und warum (=

                   Strafzumessung und angeordnete Maßnahmen)?
      V. Unterschriften

@Gast #14

Also weder die Erforderlichkeit einer Beschwer, noch Prozessökonomie, noch das Konzept der Tenorbeschwer wurde in #10 grundsätzlich ausgeschlossen. Die Beschwer ergibt sich vielmehr unmittelbar aus der Feststellung zur angeklagten Tat als gesetzlichen Gegenstand der Urteilsfindung (§ 264 StPO). Der (nachfolgende) Freispruch des vom Gericht festgestellten Täters aus rechtlichen Gründen betrifft zumindest den Gegenstand des Verfahrens (§ 155 StPO):

Der Umfang der gerichtlichen Untersuchung und Entscheidung erstreckt sich auf die in der Klage bezeichnete Tat und beschuldigten Personen. 

Da die in § 155 StPO genannte gerichtliche Entscheidung nicht zwingend das Urteil sein muss, baut die Argumentation in #10 zur vorhandenen Beschwer nicht auf § 155 StPO, sondern auf § 264 StPO. Auch die Frage einer Beschwer im Zusammenhang mit der Feststellung zum Beschuldigten gem. § 20 StGB wurde in #10 deswegen vorerst noch ausgeklammert.

Die richterrechtliche Anwendung einer Erforderlichkeit der Tenorbeschwer (genauer Urteilsformelbeschwer) wirft nach meiner Auffassung zumindest in der vorliegenden Fallgruppe unlösbare Widersprüche mit dem Gesetz auf. Das betrifft wohl alle Freisprüche trotz einer Tatfeststellung. Die Tenorbeschwer kann demnach nur ein Unterfall der Beschwer sein, der hier nicht anwendbar ist. Denn

1. Der Gegenstand des Urteils, die angeklagten Tat ist in der Urteilsformel beim Freispruch nicht explizit benannt, sondern ergibt sich entsprechend den gesetzlichen Mindestanforderungen gemäß § 267 (5) StPO aus den Angaben in den Urteilsgründen. Durch das Dogma der Tenorbeschwer würde der gesetzlich in § 264 StPO definierte Gegenstand des Urteils aus dem Urteil wieder ausgeschlossen.  

2. Wäre die Feststellung der angeklagten Tat für den Zweck des gerichtlichen Strafverfahren und Strafurteils unwesentlich ("Freispruch ist Freispruch"), dann könnte aus dem Urteil nicht bestimmt werden, ob für "Alles" oder für "Nichts" freigesprochen wurde. Das Argument, dass nur der Tenor Rechtskraft erlangt, würde unmittelbar auch zur fehlenden Rechtskraft der Feststellung der Täterschaft führen. Welche Folgen könnte das haben?

3. Das Argument der Prozessökonomie kann nach h.M. offensichtlich nur durch den Austausch des gesetzlichen Gegenstands des strafrechtlichen Verfahrens und des Urteils ins Feld geführt werden. Im Widerspruch zu §§ 155, 264 StPO wird nach h.M. als Zweck/Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens und Urteils ein staatlicher Strafanspruch behauptet. Ein staatlicher Strafanspruch besteht jedoch nur bei einer tatsächlichen Tat und gegen einen tatsächlichen Täter. Die Verurteilung oder Freisprechung mit Feststellung der Tat und Täterschaft eines Nichttäters verletzt die Effektivität des Verfahrens und Urteils, weil gegen den Nichttäter kein staatlicher Strafanspruch besteht. Ohne Effektivität des Prozesses ist aber auch keine Prozessökonomie existent. Unter dem Mantel des ausgetauschten Zwecks des Strafverfahrens und der Erforderlichkeit der Tenorbeschwer wird im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung tatsächlich eine unbestimmte und verkürzte Prüfung der Begründetheit vorgenommen. Es handelt sich damit also um eine materiell-rechtliche Prüfung unter Ausschluss des gesetzlichen Gegenstands des Urteils und nicht um die gesetzlich bestimmte formalrechtliche Prüfung gem. §§ 296, 333 StPO. Das hat mit Prozessökonomie nichts zu tun.

4. Mit dem Vorgehen nach h.M. könnte in freisprechenden Urteilen die Verübung von Straftaten gegen Jedermann festgestellt werden, ohne das Derjenige dagegen regulär das eigentlich zulässige Rechtsmittel einlegen kann, weil er ja freigesprochen wurde. Ohne das "ausnahmsweise" Wohlwollen des Rechtsmittelgerichts kann somit Jedermann in Strafverfahren neben Straftaten auch eine schwere Abartigkeit oder Schwachsinn zugewiesen werden. Die Zielrichtung und den Anspruch, den sich die Justiz nach h.M. damit selbst zumisst, sollte genau durchdacht werden.

Darüber ist unbedingt zu reden, ohne Fristsetzung, aber mit Substanz und ohne Umwege und Verzögerung.

4

@ Lutz Lippke

Sie mögen aus einigen StPO Vorschriften herauslesen, dass die Tenorbeschwer dem Gesetz widerspricht.

Der BGH dagegen führt für seine Meinung im Urteil von 1961 (http://dejure.org/1961,186) StPO-Vorschriften an, die für seine Meinung sprechen.

Zum einen den § 203 StPO, wonach gegen den Angeklagten das Hauptverfahren nicht eröffnet wird, selbst wenn er ein Interesse daran haben sollte, sich öffentlich von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu reinigen. Man stelle sich dazu nur vor, im Fall Kachelmann wäre das Hauptverfahren nicht eröffnet worden.

Zudem argumentiert der BGH noch mit § 244 StPO, wonach ein Beweisantrag u.a. abgelehnt werden kann, wenn die zu beweisende Tatsache "für die Entscheidung ohne Bedeutung ist"

Außerdem zum mehrfach wiederholten Male: Es gibt kein Dogma. Ein Dogma ist unumstößlich. Selbst der BGH lässt Ausnahmen vom Grundsatz der Tenorbeschwer zu.

Eine Ausnahme von der Tenorbeschwer hat auch nichts mit Wohlwollen zu tun. Wenn die Ausnahme einmal als BGH-Rechtsprechung etabliert ist, gilt sie.

Was sonst der Zweck des Strafprozesses sein soll, außer festzustellen, gegen wen ein Strafanspruch besteht, erschließt sich mir nicht. Darauf sind alle Regeln des Strafrechts ausgelegt, inkl. der §§ 155, 264 StPO. Aus einer Regel wie § 267 Abs. 5 StPO zu folgern, dass für die Beschwer zwingend die Urteilsgründe heranzuziehen sind ist natürlich möglich. Aber eben nicht zwingend. Dafür befasst sich die Norm mit einer zu verschiedenen Materie, für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln regelt sie unmittelbar nach dem Wortlaut nichts.

Letzendlich kann man für eine Zulässigkeitsvoraussetzung, die im Gesetz nicht explizit genannt ist, viel vertreten. Der Streit ist aber rein akademisch, wenn man sich nur noch darum streitet, ob man auf diesem oder jenem Weg zum gleichen Ergebnis kommt. Wir sind uns darüber einig, dass der BGH auf dem Holzweg ist. Meiner Meinung nach ist der Grundsatz der Tenorbeschwer aber zulässig durch Auslegung aus dem Gesetz ableitbar. Auf keinen Fall ist sie "gesetzeswidrig und willkürlich".

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Gast schrieb:

@ Lutz Lippke

Sie mögen aus einigen StPO Vorschriften herauslesen, dass die Tenorbeschwer dem Gesetz widerspricht.

Der BGH dagegen führt für seine Meinung im Urteil von 1961 (http://dejure.org/1961,186) StPO-Vorschriften an, die für seine Meinung sprechen.

Außerdem zum mehrfach wiederholten Male: Es gibt kein Dogma. Ein Dogma ist unumstößlich. Selbst der BGH lässt Ausnahmen vom Grundsatz der Tenorbeschwer zu.

Eine Ausnahme von der Tenorbeschwer hat auch nichts mit Wohlwollen zu tun. Wenn die Ausnahme einmal als BGH-Rechtsprechung etabliert ist, gilt sie.

Lieber Gast,

Ihrer Auffassung, dass es sich bei der Tenorbeschwer um kein Dogma handelt, kann ich nicht nachvollziehen.

Es kann ja kein Zufall sein, dass sich der umgangssprachliche  Ausdruck Dogma in der Rechtsauslegung eingebürgert hat und verwendet wird.

Tatsächlich dürfte es in der Rechtssprechung  bei diesem "Grundsatz" äußerst selten Ausnahmen und möglicherweise seit 1961 keine Ausnahmen gegeben haben. Oder können welche benannt werden? Der BGH spricht selbst davon , dass von der Tenorbeschwer nur in extremen Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Wenn deshalb von diesem von Ihnen gewerteten "Rechtsgrundsatz" nur in extremen Ausnahmefällen Abweichungen möglich sind, kommt diesem Grundsatz die Bedeutung eines Dogma zu oder ist dieser Grundsatz faktisch ein Dogma. Die Anwendung des § 20 StGB, die nicht ausschließbare schwere seelische Abartigkeit nicht als eine extreme Beschwer anzuerkennen und von dem "Grundsatz" nicht abweichen zu wollen, zu können, weist auf die Vorhandenseins dieses Dogmas hin. Oder einem dogmagleichen Grundsatz zu.  Der Ausdruck Dogma ist bei der katholischen Kirche genauer definiert. Dieser Ausdruck dürfte in der Rechtsauslegung eher im umgangssprachlichen Sinn benützt werden.

 

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@ Gast #19

Ich möchte Ihnen nichts unterstellen. Sie sollten das auch nicht tun.

So habe ich nicht behauptet, dass die Tenorbeschwer dem Gesetz widerspricht. Ich habe nur festgestellt, dass die Tenorbeschwer im Fall des Freispruchs bei festgestellter Täterschaft aus diesen Gründen nicht anwendbar ist. In anderen Fallgruppen könnte die Tenorbeschwer ja anwendbar sein und keinen Widerspruch zum Gesetz darstellen. Dann wäre die Tenorbeschwer eben ein Unterfall der Beschwer für diese andere Fallgruppe. Das hat mit den Ausnahmen aber nichts zu tun, denn Ausnahmen bestätigen dogmatische Regeln, die dann eben nur ausnahmsweise im Sonderfall nicht gelten. Sie bestätigen damit also sogar selbst Ihren Anspruch an ein allgemeines Dogma. 

Ich hatte Ihnen in #10,18 aus den StPO-Vorschriften und Sachverhalten die (für mich) entscheidenden Gründe für den unlösbaren Widerspruch zwischen gesetzlichen Vorgaben und der BGH-Entscheidung für die Fallgruppe Freispruch trotz Tatzuweisung konkret benannt. Es geht dabei nicht um meine Meinung oder Auslegung, sondern um die nach meiner Auffassung einzig mögliche Anwendung der entsprechenden Gesetze. Darauf gehen Sie nicht ein, in dem Sie eine andere, widerspruchsfreie Auslegung dieser Vorschriften für diese Fallgruppe darstellen oder wesentliche Fehler meiner Argumentation benennen. Auch zu den möglichen Folgen des BGH-Beschlusses betreffend Bestimmtheit und Rechtskraft der Urteilsformel im LG-Urteil finden Sie bisher keine Erklärung.

Stattdessen verweisen Sie mich auf §§ 203, 244 StPO (Eröffnungsbeschluss, Beweisaufnahme) die mit der Zulässigkeitsprüfung im Rechtsmittelverfahren im diskutierten Fall nichts zu tun haben.  Auch ihr Urteilszitat http://dejure.org/1961,186 geht an der hiesigen Sache vorbei, denn in dem Fall wurde der Angeklagte doch tatsächlich freigesprochen, oder? Der Gegenstand des Urteils, nämlich die Tat, wurde dort wohl nicht wirklich festgestellt und daher auch dem Freigesprochenen nicht als erwiesen zugeordnet. Der Fall entspricht also nicht der Fallgruppe, für die ich die Tenorbeschwer als Widerspruch zum Gesetz feststellte.

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Gast #19 schreibt:
Der BGH dagegen führt für seine Meinung im Urteil von 1961 (http://dejure.org/1961,186) StPO-Vorschriften an, die für seine Meinung sprechen.

Zum einen den § 203 StPO, wonach gegen den Angeklagten das Hauptverfahren nicht eröffnet wird, selbst wenn er ein Interesse daran haben sollte, sich öffentlich von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu reinigen. Man stelle sich dazu nur vor, im Fall Kachelmann wäre das Hauptverfahren nicht eröffnet worden.

Zudem argumentiert der BGH noch mit § 244 StPO, wonach ein Beweisantrag u.a. abgelehnt werden kann, wenn die zu beweisende Tatsache "für die Entscheidung ohne Bedeutung ist"

Das Argument der Unanfechtbarkeit der Eröffnungsentscheidung greift jedenfalls nicht für das wiederaufgenommene Verfahren. Auch gab es 1961 noch nicht die RiStBV, namentlich die Nr. 171 Abs. 2:

jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte mitunter ein berechtigtes Interesse daran hat, dass seine Ehre in öffentlicher Verhandlung wiederhergestellt wird.

Der Schutz der Persönlichkeitsrechte hat sich inzwischen doch enorm entwickelt.

Von dem Argument des § 244 StPO weicht der BGH selber ab, wenn es um Persönlichkeitsrechte geht. Am Strafverfahren wegen Übler Nachrede zeigt Krack (Seite 148), dass der BGH trotz Spruchreife einen Anspruch des vermeintlichen Opfers auf weitere Beweiserhebung anerkennt.

Gast #19 schreibt:

Selbst der BGH lässt Ausnahmen vom Grundsatz der Tenorbeschwer zu.

 

Diese Ausnahmen betreffen aber nur die isolierte Beschwer - wie im Fall Cleve, die eine doch andere Baustelle sind, weil die betreffenden Feststellungen isoliert beseitigt werden können, ohne dass sich an den die Entscheidung tragenden Feststellungen etwas ändert.

@Gast #16

In dem Lehrer-Fall dürfte es in der Regel zur Anklage vor dem Amtsgericht kommen. Mangels Beschwer werden dem Lehrer also die Berufungsinstanz und die Revisionsinstanz verweigert. 

Man kann den Lehrer-Fall auch leicht und m..E hilfreich abwandeln. Angenommen, die 14-jährige Schülerin gehörte zur Parallelklasse, die der Lehrer nur gelegentlich vertretungsweise unterrichtete, so dass nach BGH-Rechtsprechung kein Obhutsverhältnis vorlag. Danach wäre der Lehrer aus tatsächlichen Gründen freizusprechen. Das Amtsgericht folgt in seiner Entscheidung der BGH-Rechtsprechung aber nicht und bejaht das Obhutsverhältnis, spricht aber den Lehrer aus rechtlichen Gründen frei.

@ Lutz Lippke

"Die Verkürzung des Freispruchs auf die Urteilsformel widerspricht dem Gesetz. Die Gleichmachung von Freisprüchen basiert auf dieser willkürlichen Beschränkung."

Wenn Sie ernsthaft meinen, BGH 1961 habe mit alldem nichts zu tun, schauen Sie doch bitte nochmal in die Fundstellen im Mollath Beschluss.

Da sind wir dann wieder bei "Tenor ist nicht Urteilsformel".

Aber nichts für ungut.

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@ Gast #24

Das Zitat ist wohl aus meinem Kommentar #33 vom 13.01.2015 auf S.6.

Die Argumentation zu diesem Zeitpunkt entsprach noch nicht so ganz der Aktuellen in meinen Kommentaren #10,18 vom 16./17.01.2016. Die Argumentation hat sich also entwickelt und bezieht sich nun auf die konkreten Gesetze.

Da Sie in #14,19 auf diese aktuelleren Kommentare reagierten, sollten wir auch nicht zu alten Ständen zurückkehren. Es sei denn, sie können anhand meiner älteren Kommentare die Rechtslage klarstellen oder entscheidende Widersprüche aufdecken. Das sehe ich derzeit noch nicht. 

Wenn der BGH im Mollath-Beschluss auf 1961 verweist, dann offenbart das in wesentlichen Punkten gerade die verfehlte Anwendung der Tenorbeschwer in der hier abweichenden Fallgruppe. Darauf sollten Sie konkreter eingehen. Dass der Fall von 1961 mit "alldem" nichts zu tun hätte, will ich gar nicht ernsthaft meinen und hatte das auch nicht getan. Aber die für die Zulässigkeit des RM entscheidende Frage zum Vorliegen einer Beschwer betreffend den gesetzlichen Gegenstand des Urteils, nämlich der tatsächlich festgestellten Tat und Täterschaft, liegt jedenfalls keine Vergleichbarkeit der Fälle vor. 

Auf die frühere Streitfrage, ob der Tenor der Urteilsformel entspricht, kommt es aktuell vermutlich auch nicht an. Ich selbst verwende bevorzugt den gesetzlichen Begriff Urteilsformel, um Unklarheiten zu vermeiden. Sie können aber Urteilsformel auch mit Tenor ersetzen, wenn das für Sie identisch ist. Ich sehe deshalb noch keinen Konflikt zur Argumentation in #10, 18.

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Wirklich interessant wäre ja einmal die Erörterung der Frage, ob und ggf. wie man de lege lata ausserhalb des relativ unergiebigen Rechtsmittelrechts als Verfahrensbeteiligter oder Nicht-Verfahrensbeteiligter gegen Urteile vorgehen kann, die als Eingriffe in Persönlichkeitsrechte belastende Feststellungen enthalten, oder was insoweit de lege ferenda sinnvollerweise möglich wäre. Ist das schon einmal sinnvoll untersucht worden?

@Johannes Rübenach

Diese bzw. ähnliche Frage hatte @I.S. schon auf der Vorseite gestellt. Ich finde diese Frage auch schon deswegen interessant, weil sich aus ihrer Beantwortung im Grunde zeigt, wie viel die "Unschuldsvermutung" wirklich wert ist, ob man also die ehrbeeinträchtigenden Feststellungen zu der Unrechtstat, die dem Urteil entnommen werden, in Zivilverfahren, Strafverfahren oder Verwaltungsverfahren mit dem Einwand der Unschuldsvermutung wirksam begegnen kann. 

Oliver Garcia hatte schon auf die Bindungswirkung der Urteilsfeststellungen in Disziplinarverfahren hingewiesen. Es gab vor einigen Jahren, auch hier im Blog diskutierten Fall eines Lehrers, der wegen Sex mit einer Schülerin seiner Schule angeklagt, vom AG und LG verurteilt und vom OLG Koblenz mangels Obhutsverhältnisses (sogar aus tatsächlichen Gründen) freigesprochen wurde. Wenn ich mich noch richtig erinnere (Rhein-Zeitung), dann gab es dazu auch eine verwaltungsgerichtliche Auseinandersetzung wegen seiner Dienstentlassung. Dabei hat ihm die Unschuldsvermutung auch nicht helfen können. Und er war anwaltlich gut vertreten. 

@ Waldemar Robert Kolos

Ist die RiStBV nicht eine Verwaltungsvorschrift? Als solche kann sie doch keine gesetzliche Wertung ändern. Außerdem sind Richter nicht an Verwaltungsvorschriften gebunden, nur an das Gesetz.

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Gast schrieb:

@ Waldemar Robert Kolos

Ist die RiStBV nicht eine Verwaltungsvorschrift? Als solche kann sie doch keine gesetzliche Wertung ändern. Außerdem sind Richter nicht an Verwaltungsvorschriften gebunden, nur an das Gesetz.

 

Dennoch ist allgemein anerkannt, dass die RiStBV die Funktion einer Auslegungshilfe haben, was durch ständige Übung in der Justizpraxis bestätigt wird. Mögen sie für den BGH auch keine Bindungswirkung haben. Wenn er aber mit der Unanfechtbarkeit des Eröffnungsbeschlusses argumentiert, dann hätte ihm auch auffallen können, dass das Rehabilitierungsinteresse eines möglicherweise zu unrecht Verurteilten oder Eingewiesenen anders liegen dürfte als eines Beschuldigten. Darauf hätte er eigentlich selber kommen können. Jedenfalls hätten ihm die RiStBV dabei eine gute Hilfe sein können. 

 

@ Lutz Lippke

Wenn ich ausdrücklich "gesetzeswidrig und willkürlich" zitiere, und es dafür eine Fundstelle gibt, ist das keine Unterstellung meinerseits. Der konkrete Bezug auf die Gesetze revidiert diese Aussage nicht.

In BGH 1961 wird die Grundlage für die Tenorbeschwer nach Meinung des BGH begründet. Unabhängig vom konkreten Fall wird dort abstrakt dargelegt, warum die Beschwer sich nach dieser Ansicht grundsätzlich aus dem Tenor ergibt. Man kann nicht vertreten die §§ 203, 244 StPO könne man nicht heranziehen, dann aber selber der Materie genauso ferne oder nahe Normen heranziehen. Beides eignet sich vom Grundsatz genau gleich für die abstrakte Argumentation. Ich behaupte nicht, dass es kein für und wider gibt. Ich sage nur, die Tenorbeschwer ist nicht gesetzeswidrig und schon gar nicht willkürlich.

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Gast schrieb:

@ Lutz Lippke

Wenn ich ausdrücklich "gesetzeswidrig und willkürlich" zitiere, und es dafür eine Fundstelle gibt, ist das keine Unterstellung meinerseits. Der konkrete Bezug auf die Gesetze revidiert diese Aussage nicht.

In BGH 1961 wird die Grundlage für die Tenorbeschwer nach Meinung des BGH begründet. Unabhängig vom konkreten Fall wird dort abstrakt dargelegt, warum die Beschwer sich nach dieser Ansicht grundsätzlich aus dem Tenor ergibt. Man kann nicht vertreten die §§ 203, 244 StPO könne man nicht heranziehen, dann aber selber der Materie genauso ferne oder nahe Normen heranziehen. Beides eignet sich vom Grundsatz genau gleich für die abstrakte Argumentation. Ich behaupte nicht, dass es kein für und wider gibt. Ich sage nur, die Tenorbeschwer ist nicht gesetzeswidrig und schon gar nicht willkürlich.

Sehr geehrter Gast,

Sie sollten sich zunächst entscheiden und klarstellen, zu welcher Argumentation Sie eine Diskussion wünschen oder ob Sie gegen mich als Person argumentieren wollen. Im letzteren Fall breche ich den unergiebigen Disput (#19, 20, 24, 25, 29) ab, weil ich nicht mit einem oder mehreren mir unbekannten Gästen über mich als Person diskutieren werde. Sie könnten sich auch als Subjekt der Gruppe Gast wenigstens ein Alias zulegen, so dass ich zumindest eine einzelne Instanz und Identität von Ihnen als Mitglied der Gruppe Gast annehmen kann.

Angenommen, Sie wollten doch in der Sache argumentieren, möchte ich Sie auf einige Tatsachen hinweisen.

In meinem Kommentar #33 vom 13.01.2015 auf S.6 setzte ich den vom BGH behaupteten Gegenstand des Urteils, nämlich den staatlichen Strafanspruch, noch als gegeben voraus. Ich bezog mich in meiner Kritik unmittelbar auf Freissprüche aus rechtlichen Gründen, insbesondere gem. § 20 StGB:

Was weiterhin übergangen wird, ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber einen Freispruch nicht auf die Urteilsformel beschränkt hat. Ein Freispruch aus rechtlichen Gründen gem. §20 StGB besteht nach dem Strafgesetz aus Feststellungen in der Urteilsformel, der Liste und den Urteilsgründen. Diese Feststellungen sind originärer Bestandteil der justizförmigen Prüfung des staatlichen Strafanspruchs und eben kein Beiwerk. Die Verkürzung des Freispruchs auf die Urteilsformel widerspricht dem Gesetz. Die Gleichmachung von Freisprüchen basiert auf dieser willkürlichen Beschränkung. Der Hebel gegen das Dogma der erforderlichen Tenorbeschwer liegt also in der StPO selbst.

Wenn Sie diese Kritik durch Ihr Zitat verkürzen (#24), nun sogar "ausdrücklich" auf "gesetzeswidrig und willkürlich" (#29) und meine Feststellungen so deuten: "Sie mögen aus einigen StPO Vorschriften herauslesen, dass die Tenorbeschwer dem Gesetz widerspricht." (#19), dann trifft darauf die Diagnose "Verfälschung von Tatsachen und Sophismus" unmittelbar zu. Das Problem dabei ist insbesondere, dass Sie meine Argumente nicht verstehen wollen, um dann dagegen zu argumentieren. Sondern Sie tauschen und verfälschen nach Belieben meine Argumente und suchen Umwege. Auch einen Widerspruch mögen Sie nicht klar benennen.

Ich gebe Ihnen noch einmal eindeutige Hinweise. Ein entscheidender Unterschied, sogar Widerspruch, liegt darin, dass ich am 13.01.2016 noch den vom BGH konstatierten staatlichen Strafanspruch als Gegenstand des Urteils voraussetzte. In #10, 18 können Sie nachvollziehen, dass ich mich davon nach Recherche verabschiedete. Denn der Gesetzgeber hat als Gegenstand des Urteils die angeklagte Tat (hier konkret die Anklage "Gefährliche KV am 12.08.2001") bestimmt und nicht einen staatlichen Strafanspruch, wie der BGH ganz allgemein als Zweck unterstellt. Der BGH hat also den gesetzlich eindeutig bestimmten Urteilsgegenstand gegen ein allgemeinen und gesetzlich unbestimmten Zweck des gesamten Verfahrens ausgetauscht.

Das Gesetz bestimmt als Rechtsmittel eindeutig die Revision und als Berechtigten den Angeklagten und die STA. Aus prozessökonomischen Gründen wurde durch Auslegung und Rechtsprechung neben der gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzung das notwendige Vorliegen einer Beschwer des Revisionsführers zur Voraussetzung erklärt. 

Das LG-Urteil stellt den Gegenstand des Urteils, die angeklagte Tat, eindeutig zu Lasten des Angeklagten fest. Diese Feststellung zum Urteilsgegenstand stellt somit eine Last, ein Nachteil, eine Beschwer für den Angeklagten dar. Formell ist der Angeklagte beschwert, weil die Entscheidung anders als von ihm beantragt ausfiel (Differenzbetrachtung), materiell, weil die Zuweisung der als erwiesen angesehenen, strafbaren Tat (Urteilsgegenstand) für den Angeklagten ungünstig ist. Ein Freispruch aus rechtlichen Gründen wäre ohne diese nachteilige Feststellung zum Urteilsgegenstand gesetzlich nicht zulässig und stellt sogar einen absoluten Revisionsgrund dar. Näher an die Sache gehts also nicht.

Genau in dieser Fallkonstellation halte ich die Anwendung der Tenorbeschwer für gesetzwidrig und willkürlich. Zur Anwendbarkeit in anderen Fallkonstellationen habe ich mich nicht in dieser Form geäußert. Also bleiben Sie beim konkreten Thema und verweisen nicht auf angeblich weitergehende Aussagen, in dem Sie den Zusammenhang der Äußerung übergehen.

  

          

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@ Menschenrechtler #9 16.01.2016

Sie schrieben:

Der Hinweis auf § 296 (2) StPO, dass der Staatsanwalt auch zugunsten des Angeklagten intervenieren kann, also eine Beschwer vorliegen muss, ist sicherlich nachdenkenswert und auch in Bezug zu setzen mit dem Blog-Thema und dem Fall Mollath. Im Wiederaufnahmeverfahren hat der Oberstaatsanwalt in einem ungewöhnlich langen viereinhalbstündigen Plädoyer, nahezu unzumutbar m.E. ausschließlich den "Strafanspruch" des Staates, der Anklagebehörde vertreten. Mir ist nicht in Erinnerung, dass der Staatsanwalt seiner Aufgabe im Sinne des § 296 Abs.2 zumindest teilweise gerecht geworden wäre, auch Entlassendes zugunsten von G.M. mit einzubringen. Dies hängt sicherlich mit dem Rollenverständnis der Anklagebehörde, also der S t a a t s anwaltschaft und dem Strafanspruch zusammen. Der § 296 StPO spricht dafür, dass die Staatsanwaltschaft an sich zunächst eine neutrale Rolle einnehmen könnte oder sogar die Verpflichtung dazu besteht. Ist dies die R e a l i t ä t ? 
Dies kann ich mir schwerlich vorstellen. In der Regel nimmt der Staatsanwalt ausgesprochen vorrangig, die Interessen des Staates, des Rechts und der Ordnung e i n s e i t i g wahr. Die Fälle, in denen der Staatsanwalt zugunsten des Angeklagten sich einsetzt, dürften sich eher auf Ausnahmen beschränken. Diese Rolle und Verantwortung die Interessen des Angeklagten, die Unschuldsvermutung zu vertreten, wird defakto den Richtern überlassen. 

Im konkreten Fall sind Ihre Wahrnehmungen nicht unberechtigt. Der OStA hat z.B. selbst Ermittlungen zum Attestschreiben und dem Praxissystem vor Ort vorgenommen. Das ist wohl ziemlich unüblich. In diesem Zeitraum tauchte wie aus dem Nichts bei der GStA das sogenannte "Original"-Attestschreiben von 2001 auf. Es fanden sich im Praxissystem aber keine bestätigenden Einträge dazu. Daneben gab es weitere Hinweise auf Manipulationen und ungeregelte Zuständigkeiten bei der Nutzung des Praxissystems. Deren Ausmaß und die Frage, ob diese durch unbestimmte Fehlbedienung oder Absicht verursacht waren, wurde von der STA nicht ermittelt. Erst in der HV wurde dann nach Aufforderung der Verteidigung vom Gericht eine polizeiliche Überprüfung des Praxissystems veranlasst, wenn auch in Auftrag, Durchführung und Auswertung äußerst mangelhaft. Es waren also mindestens 2 StA, 1 Richter, 2 Polizisten und der Zeuge R über einen langen Zeitraum mit dieser mangelhaften Untersuchung befasst. Ein involvierter Support-Techniker der Wartungsfirma oder des Herstellers hätte in kürzester Zeit und zu vergleichsweise äußerst geringen Kosten korrekte und wesentlich ergiebigere Daten geliefert, sowie die gravierenden Fehldeutungen zur Datenbasis und Funktionsweise des Systems verhindert. Trotz der Mängel hätte aber auch dem OStA auffallen müssen, dass das LG den in der HV eingeführten Beweis "Ausdruck der Worddatei vom Server zum Zeitpunkt der polizeilichen Untersuchung" im Urteil in einen nicht existenten Beweis "Ausdruck der Worddatei von der Backup-CD von 2002" umwidmete und aus diesem nicht existenten Beweis im Urteil diverse Schlussfolgerungen zum Nachteil des Angeklagten zog. Der OStA, als der unmittelbar in die Prüfung der Beweislage zu Attest und Praxissystem Involvierte, hätte also zumindest hier intervenieren und die tatsächliche Beweislage klären oder sogar gemäß § 296 (2) StPO die Revision beantragen müssen.

Nun entspricht der konkrete Fall oder auch die Fallgruppe "Tat fraglich, Aussage-gegen-Aussage, einflussreiche Interessen, massive Mängel der Bearbeitung durch die Justiz, dadurch bedingte Schädigung des Angeklagten, politischer und medialer Druck der Öffentlichkeit, WAV mit weiteren Mängeln" ganz sicher nicht dem Tagesgeschäft. Wenn man den Fokus auf die Masse der Fälle ohne besondere Interessen einflussreicher "Zuschauer/Beteiligte" richtet, werden Einstellungen von Ermittlungen sehr häufig und auch Interventionen der STA zugunsten des Verdächtigten/Angeklagten nicht unüblich sein.

Es gab aber zumindest hier offensichtliche Mängel in der Arbeit, die in anbetracht der öffentlichen Beobachtung nicht wohlwollend erklärbar sind. Ich konkretisiere mal Ihren Einwurf, wie ich ihn verstehe, auf 3 Fragen. 

1. Fehlt es (mittlerweile) allgemein an den erforderlichen Fähigkeiten für sachgerechte Ermittlungen und Verfahrensführung, um zu korrekten Ergebnissen zu kommen?

2. Warum wird trotz der offensichtlichen Mängel die justizmäßige Behandlung der Sache in der WAV von Juristen allgemein als besonders sorgfältig eingeschätzt?   

3. Bestimmt der ungeschriebene "Ergebnisanspruch" die Qualität und Zielrichtung der Arbeit in der Justiz?           

4

@Gast

Wenn ich Herrn Lippke richtig verstanden habe, dann argumentiert er mit dem Wortlaut des Gesetzes. In § 333 StPO stünde ausdrücklich "Urteil" und das Urteil bestünde schließlich nicht nur aus dem Tenor, sondern auch aus den Gründen. Auch das sei unmittelbar aus dem Gesetz zu entnehmen. Generelle Beschränkung der Beschwer und damit der Zulässigkeit auf Teile des Urteils - wie den Tenor - durch richterliche Auslegung sei nur dann nicht zu beanstanden, wenn generell ausgeschlossen werden könnte, dass ein Angeklagter in den übrigen Teilen des Urteils, insbesondere durch die Liste der angewendeten Vorschriften und die Urteilsgründe in seinen Rechten verletzt werde. Das könne man aber für freisprechende Urteile nicht generell tun, weil auch die Urteilsgründe durchaus geeignet seien, die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten verschiedentlich zu verletzen. 

Seinen Vorwurf der Rechtswidrigkeit für die Beschränkung der Zulässigkeit der Revision auf den Urteilstenor gegen alle freisprechende Urteile halte ich durchaus für vertretbar. Die frühere und aus Urzeiten hergeleitete Ansicht, Urteilsgründe könnten keinen rechtsverletzenden Charakter haben, weil sie nur eine notwendige "Unterlage" des Urteilsspruchs im Tenor seien, dürfte spätestens mit der Entscheidung in Sachen Cleve überholt sein. Der EGMR hat gegen die Stellungnahme der Bundesregierung ausdrücklich hervorgehoben, dass eine Trennung von Tenor und Urteilsgründe für die Überprüfung von Verletzungen gegen die Unschuldsvermutung nicht möglich sei. Was aber für die Unschuldsvermutung gilt, das muss auch für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten gelten. Deren unterschiedliche Behandlung erscheint mir insoweit auch willkürlich.

Der BGH hatte in seiner Revisionsentscheidung zwar Ausführungen zu der Entscheidung des EGMR in Sachen Cleve gemacht, die entscheidende Stelle hatte er aber übergangen. 

@ Lutz Lippke

Dann ignoriere ich mal die auf Ihrer Seite der Diskussion so beliebten Verfälschungs- und Sophismusvorwürfe und breche es auf den sachlichen Kern herunter:

Die Beschwer findet man ausdrücklich nicht im Gesetz. In  § 296 Abs. 2 StPO und anderen Paragraphen ist aber ihre Existenz vorausgesetzt. Das wars. Mehr findet sich im Gesetz nicht zur Beschwer.

Welchen Inhalt die Beschwer hat ist daher nur durch Auslegung ermittelbar.

Wenn sie jetzt sagen die Paragraphen über den Gegenstand des Urteils sprechen dafür, dass auch die Gründe bei der Beschwer zu berücksichtigen sind, dann steht das nicht so im Gesetz. Dort steht eben Gegenstand des Urteils und nicht Gegenstand der Beschwer. Das der Gesetzgeber da auch die Beschwer meint, ist das Ergebnis Ihrer Auslegung.

Ebenso zulässig ist es, mit den §§ 203, 244 StPO zu argumentieren, wie der BGH es tut.

Nun kann man sich im Detail darüber streiten, welche der beiden Ansichten vorzugswürdig ist. Gesetzeswidrig ist aber keine von beiden, weil der Gesetzgeber zur Beschwer nichts klar geregelt hat. Vielleicht müssen Sie sich einfach von der Vorstellung verabschieden, dass es eine klare richtige Meinung gibt. Das ist bei der Gesetzesauslegung ganz oft nicht der Fall.

@ Waldemar Robert Kolos

Der § 333 StPO ist zwar ein sogar gutes Argument für die Einbeziehung der Urteilsgründe bei der Beschwer. Aber auch der Paragraph bestimmt nicht ausdrücklich etwas bezüglich der Beschwer, sondern nur das gegen Urteile bestimmter Gerichte die Revision zulässig ist. Ob damit auch etwas bezüglich der Beschwer geregelt werden sollte, ist wiederum Auslegungsfrage.

Was Cleve angeht, kann man daraus zwar eine Rechtswidrigkeit ableiten, aber keine Gesetzeswidrigkeit nach der StPO, mit der Lutz Lippke argumentiert. Ich habe kein Problem mit der Ansicht von Lutz Lippke im Allgemeinen. Ich habe schon geschrieben, dass sein Auslegungsergebnis mir möglich erscheint. Allerdings stimmt die Feststellung, die Tenorbeschwer sei gesetzeswidrig, einfach nicht, aus den genannten Gründen.

Wenn man zwingend gegen den BGH argumentieren will, klappt das nicht mit der StPO, sondern nur mit Verfassungsrecht oder der EMRK. So wie Sie es eben mit Cleve tun.

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Gast schrieb:

@ Lutz Lippke

Dann ignoriere ich mal die auf Ihrer Seite der Diskussion so beliebten Verfälschungs- und Sophismusvorwürfe und breche es auf den sachlichen Kern herunter:

Die Beschwer findet man ausdrücklich nicht im Gesetz. In  § 296 Abs. 2 StPO und anderen Paragraphen ist aber ihre Existenz vorausgesetzt. Das wars. Mehr findet sich im Gesetz nicht zur Beschwer.

Welchen Inhalt die Beschwer hat ist daher nur durch Auslegung ermittelbar.

Wenn sie jetzt sagen die Paragraphen über den Gegenstand des Urteils sprechen dafür, dass auch die Gründe bei der Beschwer zu berücksichtigen sind, dann steht das nicht so im Gesetz. Dort steht eben Gegenstand des Urteils und nicht Gegenstand der Beschwer. Das der Gesetzgeber da auch die Beschwer meint, ist das Ergebnis Ihrer Auslegung.

Ebenso zulässig ist es, mit den §§ 203, 244 StPO zu argumentieren, wie der BGH es tut.

Nun kann man sich im Detail darüber streiten, welche der beiden Ansichten vorzugswürdig ist. Gesetzeswidrig ist aber keine von beiden, weil der Gesetzgeber zur Beschwer nichts klar geregelt hat. Vielleicht müssen Sie sich einfach von der Vorstellung verabschieden, dass es eine klare richtige Meinung gibt. Das ist bei der Gesetzesauslegung ganz oft nicht der Fall.

@ Waldemar Robert Kolos

Der § 333 StPO ist zwar ein sogar gutes Argument für die Einbeziehung der Urteilsgründe bei der Beschwer. Aber auch der Paragraph bestimmt nicht ausdrücklich etwas bezüglich der Beschwer, sondern nur das gegen Urteile bestimmter Gerichte die Revision zulässig ist. Ob damit auch etwas bezüglich der Beschwer geregelt werden sollte, ist wiederum Auslegungsfrage.

Was Cleve angeht, kann man daraus zwar eine Rechtswidrigkeit ableiten, aber keine Gesetzeswidrigkeit nach der StPO, mit der Lutz Lippke argumentiert. Ich habe kein Problem mit der Ansicht von Lutz Lippke im Allgemeinen. Ich habe schon geschrieben, dass sein Auslegungsergebnis mir möglich erscheint. Allerdings stimmt die Feststellung, die Tenorbeschwer sei gesetzeswidrig, einfach nicht, aus den genannten Gründen.

Wenn man zwingend gegen den BGH argumentieren will, klappt das nicht mit der StPO, sondern nur mit Verfassungsrecht oder der EMRK. So wie Sie es eben mit Cleve tun.

Gut die Notwendigkeit der Beschwer als Konzept der Prozessökonomie hatte ich auch vorausgesetzt, ohne diese Herleitung und Auslegung von Gesetzen zu bewerten. Im nächsten Schritt springen Sie aber.

Die Tatfeststellung ist nach Gesetz Gegenstand des Verfahrens und des Urteils. Eine wie immer abgeleitete Beschwer kann nicht den Gegenstand des Urteils übergehen. Wenn eine Beschwer zum Urteil aus Gesetzen ableitbar ist, dann betrifft sie sachlich insbesondere den Gegenstand des Urteils.

Selbst wenn man das aus für mich willkürlichen Gründen mit weiteren Auslegungen und Wortspielen umgehen will, scheitert man an §§ 267 (5) und 338 (7) StPO. Denn das Freispruch-Urteil entspricht nur mit Entscheidungsgründen und den darin geforderten Angaben zur Tatfeststellung dem Gesetz (absoluter Revisionsgrund). Diese zwingenden Angaben betreffen den Gegenstand des Urteils und des Verfahrens. Diese Angaben könnten zusätzlich auch noch in der Urteilsformel stehen, ohne dass das Urteil damit gesetzlich unzulässig oder inhaltlich verändert wäre. Bei der Verwertung des Urteils, dem Strafklageverbrauch und der Rechtskraft müssen diese notwendigen Angaben bei der Urteilsformel "mitgelesen" werden, sonst wäre das Urteil vollkommen unbestimmt.  

Mithilfe der Üblichkeit des Verzichts auf redundante Angaben in der Urteilsformel, wird nun mit der rein formalen Anwendung des richterrechtlich entwickelten Dogmas der Urteilsformelbeschwer das Urteil bei der Zulässigkeitsprüfung nur in einem unbestimmten und unselbstständigen Teil des Urteils auf Beschwer geprüft und dann das Urteil nach dieser Prüfung sachlich wieder in den gesetzlich geforderten Zustand versetzt. Grandios? 

Wenn Sie eine solche Scharade für eine gesetzmäßige Auslegung erachten, dann können wir uns nicht verständigen. Ich vermute, dass ein solches Vorgehen nur mit einem bunten Strauß an Ausnahmen, Verwerfungen und haltlosen Zuständen für jedwede Systematik möglich ist und keine zivilisatorische Leistung darstellt. Dass dieses Vorgehen wirklich der Motivation der Prozessökonomie geschuldet ist, bezweifle ich. Es hat wohl eher mit einem verinnerlichten Strafanspruch als eigenem Machtanspruch der entsprechenden Rechtsausleger zu tun und dem damit verbundenen Anspruch höchstselbst der unfehlbare Staat zu sein. Der so herrschende Staat dient nicht dem Gesetz, er beansprucht das Gesetz. Das kennen schon Kinder als flotten Spruch: "§ 1 Ich habe immer recht, § 2 Falls ich unrecht habe, gilt § 1"   

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@ Lutz Lippke

Ihre Argumentation lässt sich übrigens nicht vernünftig auf § 20 StGB beschränken. Wenn der Gegenstand des Urteils auch der Gegenstand der Beschwer ist, die Urteilsgründe also bei der Beschwerprüfung miteinzubeziehen sind, gilt das Auslegungsergebnis für alle Fälle. Nicht nur für § 20. Oder fällt Ihnen ein sachlicher Grund ein, wie man den hier in der Diskussion angeführten Dieb auf eine Tenorbeschwer beschränkt? Bei dem ist der Gegenstand des Urteils genauso incl. Urteilsgründe wie bei Mollath.

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Gast schrieb:

@ Lutz Lippke

Ihre Argumentation lässt sich übrigens nicht vernünftig auf § 20 StGB beschränken. Wenn der Gegenstand des Urteils auch der Gegenstand der Beschwer ist, die Urteilsgründe also bei der Beschwerprüfung miteinzubeziehen sind, gilt das Auslegungsergebnis für alle Fälle. Nicht nur für § 20. Oder fällt Ihnen ein sachlicher Grund ein, wie man den hier in der Diskussion angeführten Dieb auf eine Tenorbeschwer beschränkt? Bei dem ist der Gegenstand des Urteils genauso incl. Urteilsgründe wie bei Mollath.

Sie haben mich vermutlich immer noch falsch verstanden. Es geht nicht um eine Sonderregelung für § 20 StGB-Fälle. Die Beschwer betrifft nach meiner Auffassung immer mindestens den gesetzlich bestimmten Gegenstand des Urteils. Das heißt die gesetzlich notwendigen Angaben zur Feststellung der angeklagten Tat. Da die StPO beim Freispruch-Urteil diese Angaben der Entscheidung n den Urteilsgründen zwingend einfordert und nicht explizit in der Urteilsformel, müssen diese konkreten Angaben in den Gründen beachtet werden. Stünde die Tatfeststellung zusätzlich in der Urteilsformel des ansonsten identischen Urteils, was gesetzlich ja nicht verboten ist, würde ja auch eine Tenorbeschwer vorliegen. Inhaltlich gleiche Urteile wegen gesetzlich zulässiger, aber verschiedener Darstellung aus formalen Gründen unterschiedlich zu behandeln, erscheint mir schon ziemlich abstrus.

Ich habe mir die Diebgeschichte nicht so genau durchgelesen. Ging es um Tatbestandsirrtum? Wurde dem Dieb also die Tat zugewiesen, er aber freigesprochen, weil er nicht ausschließbar angenommen hatte, Eigner der Sache zu sein? Dann würde ich im Schnellschuss eine Beschwer in der Tatfeststellung sehen. Natürlich nur, wenn der Dieb die Wegnahme bestreitet und einen tatsächlichen Freispruch begehrt. Man sollte ihn auch nicht Dieb oder Wegnehmer nennen dürfen, wenn er kein Recht auf Überprüfung bekommt. Allerdings bin ich nicht sicher, wie es sich mit den Tatbestandsmerkmalen bei der Definition einer erwiesenen Tat verhält. Wenn eine festgestellte Handlung sich unabhängig von Feststellungen zum Beschuldigten nicht als anklagbare Tat herausstellt, dann wäre es doch ein tatsächlicher Freispruch, oder? Eine fakultative Feststellung zur Wegnahme in den Gründen beträfe dann nicht den gesetzlich bestimmten Gegenstand des Urteils. Für diese Fallgruppe träfe meine Argumentation prinzipiell nicht zu, was andere Herleitungen einer Beschwer aber natürlich nicht ausschließt.  

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Der § 333 StPO ist zwar ein sogar gutes Argument für die Einbeziehung der Urteilsgründe bei der Beschwer. Aber auch der Paragraph bestimmt nicht ausdrücklich etwas bezüglich der Beschwer ...

Von Beschwer steht da nix. Richtig. Jedenfalls nicht ausdrücklich. Dafür gibt es die Auslegung. Genau. Aber, es gibt auch noch den Art. 19 IV GG ("in seinen Rechten verletzt"). Das wäre dann eine verfassungskonforme Auslegung (des Gesetzeswortlauts). Generelle Beschränkung der Beschwer und damit der Zulässigkeit auf den Tenor verkürzt die verfassungsmäßige Rechtswegeröffnung, wenn eine Rechtsverletzung in den Urteilsgründen möglich ist. Verkürzung des Rechtswegs ist für Rechtsmittel nicht generell verboten. Aber das muss doch der Gesetzgeber tun und der Richter darf das nicht. 

Was ist aber eine verfassungswidrige Auslegung des Gesetzeswortlauts? Rechtswidrig oder gesetzwidrig oder beides?

@ Waldermar Robert Kolos

Wie wäre es mit verfassungswidrig? Dadurch natürlich auch rechtswidrig. Aber nicht gesezteswidrig iSv verstößt gegen die StPO.

Ich sehe den BGH ja auch auf dem Holzweg. Ich hätte aber bei Verfassungsaspekten eher auf den hier diskutierten Ehrschutz abgestellt. Auf Art. 19 IV GG bin ich noch gar nicht gekommen. Allerdings, was machen Sie dann mit dem Dieb, der soll doch auch nach Ihrer Meinung nicht vor den BGH. Wenn man generell die Urteilsgründe als beschwerfähig annimmt, hätte der auch gute Argumente auf seiner Seite.

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Bei dem Dieb, glaube ich, bei dem es um eigene und nicht fremde Sache ging, fehlte mir das: "in seinen Rechten verletzt". 

Mehr als an den Dieb, denke ich da eher an Ärzte und deren Eingriffe zur Heilbehandlung und die strafrechtliche Wirkung der Patienteneinwilligung als Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgrund. Strafrechtlich sind ihre Eingriffe regelmäßig schwere bzw. gefährliche Körperverletzungen - trotz Einwilligung. Wenn ich Arzt wäre, würde mir diese Respektlosigkeit des Gesetzgebers gar nicht gefallen. Ein Arzt, der angeklagt wird, hat doch gar keine Chance, dass seine Täterschaft im Urteil verneint wird.

 

Bei Ärzten erscheint mir das schwierig. Da würde ich auch bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen eine Ehrverletzung nicht von vornherein ausschließen wollen. 

WR Kolos schrieb:

Mehr als an den Dieb, denke ich da eher an Ärzte und deren Eingriffe zur Heilbehandlung und die strafrechtliche Wirkung der Patienteneinwilligung als Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgrund. Strafrechtlich sind ihre Eingriffe regelmäßig schwere bzw. gefährliche Körperverletzungen - trotz Einwilligung. Wenn ich Arzt wäre, würde mir diese Respektlosigkeit des Gesetzgebers gar nicht gefallen. Ein Arzt, der angeklagt wird, hat doch gar keine Chance, dass seine Täterschaft im Urteil verneint wird.

Korrekt, sehr viele ärztliche Behandlungen erfüllen die Tatbestandsvoraussetzung der Körperverletzung. Die Straffreiheit ergibt sich aus der Einwilligung des Patienten. (Also Tatbestand ja, Rechtswidrigkeit nein)

Genauso wie die meisten Tierärzte eine (gerechtfertigte) Sachbeschädigung nach der anderen begehen.

Trotzdem wäre uns die Bezeichnung einer solchen Person als "Täter" nicht gestattet und ggf. als Beleidigung zu verfolgen (§ 190 StGB) wenn im Urteil festgestellt wird, dass die Tat nicht rechtswidrig begangen wurde oder Schuldlosigkeit festgestellt wird (so zumindest mein alter Tröndle/Fischer).

 

WR Kolos schrieb:

Aber, es gibt auch noch den Art. 19 IV GG ("in seinen Rechten verletzt"). Das wäre dann eine verfassungskonforme Auslegung (des Gesetzeswortlauts). Generelle Beschränkung der Beschwer und damit der Zulässigkeit auf den Tenor verkürzt die verfassungsmäßige Rechtswegeröffnung, wenn eine Rechtsverletzung in den Urteilsgründen möglich ist. Verkürzung des Rechtswegs ist für Rechtsmittel nicht generell verboten. Aber das muss doch der Gesetzgeber tun und der Richter darf das nicht.

Da fehlt ein Schritt in der Argumentation:
Die Rechtswegverkürzung kann nur dann vorliegen, wenn auch auf anderem Wege ein Rechtsschutz nicht gegeben ist. Art. 19 GG verlangt also nicht automatisch, dass im Rahmen der Revision dieser Rechtsschutz gewährt werden muss!

Allerdings hat MT in #4 auf der vorherigen Seite kurz erläutert, wieso anderweitiger Rechtsschutz in den meisten Fällen nicht gegeben sein wird - Danke dafür.
Insbesondere §839 II BGB zeigt doch recht deutlich die Tendenz, dass Urteile anderweitigen Überprüfungen nicht unterworfen sein sollen.

 

WR Kolos schrieb:

Wird ein Strafverfahren auf den staatlichen Strafanspruch reduziert, dann wird der Angeklagte damit zum Objekt des Verfahrens gemacht. Das ist aus heutiger Sicht und weit verbreiteter Ansicht mit Menschenwürde nicht vereinbar. Das Objekt kann durch das Verfahren und die notwendige Entscheidungsbegründung so gut wie unmöglich in Persönlichkeitsrechten verletzt werden. Eben das macht ihn doch zum Objekt.

Soweit richtig, es muss hier aber eine vernünftige Grenze gezogen werden zwischen dem Wunsch des Angeklagten nach (unterlassen von) bestimmten Feststellungen in den Urteilsgründen einerseits und Rechtssicherheit/Prozessökonomie andererseits. Diese Grenze wird derzeit quasi vom Ergebnis her begründet: Besser als Freispruch geht es nicht - fertig.

Die Grenze ist dadurch relativ eindeutig gezogen. Wer dafür ist, diese Grenze aufzuweichen bzw. zu verschieben, muss sich fragen lassen, wo sie stattdessen gezogen werden soll. Wenn der wegen eines Missverständnisses des Kaufhausdetektivs als Ladendieb Verdächtigte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen wird und irgendwo in der Urteilsbegründung ist der Tatgegenstand (sachlich korrekt) als "Pornoheft" bezeichnet, darf er dann noch eine weitere Instanz beschäftigen, um die Bezeichnung in "Zeitschrift" ändern zu lassen?

Man kann eine Menge Beispiele bilden, wo eine vollständige Öffnung der Beschwerdemöglichkeit dazu führte, dass man feststellen muss: Diese Beschwerde wäre jetzt nicht notwendig und bringt eigentlich nichts - aber rein rechtlich ist sie erlaubt. Und das hat nicht nur Auswirkungen auf denjenigen, über dessen Verfahren man spricht. Jede zusätzliche (um das Wort 'unnötige' zu vermeiden) Beschäftigung der Justiz sorgt auch dafür, dass andere länger auf ihr Urteil (und damit möglicherweise ihr Recht) warten müssen! Soll heißen: Wenn ich versuche, dem einen ein Recht zu verschaffen, was ihm im Endeffekt wenig bis gar nichts bringt, mute ich anderen damit möglicherweise zu, dass sie ihr Recht noch nicht durchsetzen können. Das ist ein Sinn von Prozessökonomie, dies im Sinne aller auszutarieren. Und das bedeutet dann eben, dass es nicht unbegrenzt Rechtsmittel geben kann und darf.

 

Beim Fall GM sieht man auch, das manche Angriffe auf das Urteil im Ergebnis sinnlos wären - zum Beispiel bei der Frage nach der Tatbegehung:

Nach GMs Aussage "Ich hab mich nur gewehrt" kann man kaum davon ausgehen, dass gar nichts vorgefallen ist. Streicht man also die zweifelhaften Belege für besonders schwere Folgen ("würgen bis zur Bewusstlosgkeit"), landet man mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer einfachen Körperverletzung - ohne Rechtfertigung, denn zur Notwehrlage hat GM nix gesagt.

Ergebnis: Man wäre wieder in der Schuldprüfung.

Ich weiss, in dieser Form die Begründetheit der Beschwerde zu prüfen und sie dann wegen "bringt eh nichts" nicht zuzulassen, wäre nicht gestattet. Es ging mir dabei darum zu zeigen, dass eine Erweiterung der Zulässigkeit auf jede negative Äußerung gegenüber dem Angeklagten in der Tatbestandsbeschreibung am Ende nicht unbedingt einen Nutzen bringen muss.

Es bleibt deshalb bei der Frage: Wo will/muss man die Grenze für Rechtsmittel ziehen?

 

Es gibt im Fall GM zwei Gründe, wo ich einen Ansatz sehe, weshalb man von der Tenorbeschwer abweichen könnte bzw. müsste.

 

Das eine ist die BZR-Eintragung. Eine solche Eintragung muss eigentlich immer ein Grund für ein Rechtsmittel sein können, auch wenn die Eintragung in Führungszeugnissen nicht auftaucht. Allerdings kann man hier auf das Verfahren nach § 25 BZRG verweisen und deshalb argumentieren, dass eine Möglichkeit zur Korrektur besteht und dies deshalb nicht in der Revision geltend gemacht werden muss - Art. 19 GG verlangt ja nicht einen bestimmten Rechtsschutz, sondern irgendeinen (nicht völlig unwirksamen) Rechtsschutz.

Gerade in einem Fall, wo die Tat schon so viele Jahre zurückliegt, dürfte die Chance vergleichsweise gut sein, dass die Eintragung nicht vorgenommen bzw. auf diesem Wege wieder entfernt wird.

 

Der zweite Grund ist die spezielle Ausgangsposition im Fall GM.

Er bezieht sich also konkret auf diesen Fall und wäre für mich nicht der Grund, die Rechtsprechung zur Tenorbeschwer insgesamt zu hinterfragen, sondern lediglich zu bemängeln, dass die theoretisch mögliche Ausnahme hier nicht gemacht worden ist.

Die Anwendbarkeit des §20 anzugreifen bringt GM rechtlich erstmal wenig. Man käme vom Freispruch wegen fehlender Schuld (='kein Täter' gem. §190 StGB) zum Freispruch wegen Verschlechterungsverbot (='Täter' gem. §190 StGB).

Das besondere an diesem Fall ist aber, dass GM nachweislich zu Unrecht eingewiesen worden ist (das geht aus dem Urteil auch hervor) und dass der Fall in den Medien sehr groß berichtet wurde. Aus diesem Grund besteht ein über den Normalfall deutlich hinausgehendes Interesse des GM, dass er die Aussage überprüfen lassen kann, er sei zum Tatzeitpunkt nicht voll schuldfähig gewesen - selbst wenn es ihn rechtlich nicht besser stellt, ist das ein Fall, wo die Ehre des Angeklagten ganz  erheblich betroffen ist.

I.S. schrieb:

[...]

WR Kolos schrieb:

Wird ein Strafverfahren auf den staatlichen Strafanspruch reduziert, dann wird der Angeklagte damit zum Objekt des Verfahrens gemacht. Das ist aus heutiger Sicht und weit verbreiteter Ansicht mit Menschenwürde nicht vereinbar. Das Objekt kann durch das Verfahren und die notwendige Entscheidungsbegründung so gut wie unmöglich in Persönlichkeitsrechten verletzt werden. Eben das macht ihn doch zum Objekt.

Soweit richtig, es muss hier aber eine vernünftige Grenze gezogen werden zwischen dem Wunsch des Angeklagten nach (unterlassen von) bestimmten Feststellungen in den Urteilsgründen einerseits und Rechtssicherheit/Prozessökonomie andererseits. Diese Grenze wird derzeit quasi vom Ergebnis her begründet: Besser als Freispruch geht es nicht - fertig.

Die Grenze ist dadurch relativ eindeutig gezogen. Wer dafür ist, diese Grenze aufzuweichen bzw. zu verschieben, muss sich fragen lassen, wo sie stattdessen gezogen werden soll. Wenn der wegen eines Missverständnisses des Kaufhausdetektivs als Ladendieb Verdächtigte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen wird und irgendwo in der Urteilsbegründung ist der Tatgegenstand (sachlich korrekt) als "Pornoheft" bezeichnet, darf er dann noch eine weitere Instanz beschäftigen, um die Bezeichnung in "Zeitschrift" ändern zu lassen?

Der Gesetzgeber hat diese Grenze zu Feststellungen doch bereits in § 264 StPO gezogen. Im Fall des "Pornoheft"-Käufers bestand der Tatvorwurf im Diebstahl einer legalen Zeitschrift, vermutlich mit einer ISBN-Nummer o.ä. zur Konkretisierung. Die spezielle Qualifizierung als "Diebstahl eines Pornoheftes" gehört nicht zum Katalog der Straftaten und ist auch für einen staatlichen Strafanspruch vollkommen irrelevant. Eine STA und ein Gericht, dass eine vermutete Straftat mit sachfremden (moralischen) Wertungen auflädt, müsste sich grundsätzlich fragen lassen, ob sie noch alle Sinne beisammen hat. Man könnte schon von einem Ladendetektiv erwarten, dass er Sachverhalte auf ihren wesentlichen Kern reduzieren kann.

Rein formal sehe ich in dem Fall wegen des Freispruchs aus tatsächlichen Gründen im Urteil keine unmittelbare Beschwer. Die Tat (Gegenstand des Urteils) wurde verneint, mehr geht zum Gegenstand des Urteils nicht. Das Verfahren insgesamt diente aber offensichtlich nicht nur der Untersuchung einer Straftat, sondern auch der moralisierenden Belastung eines Tatverdächtigen bzw. dem unnötigen Darstellen seiner privaten Interessen. Zu recht wäre den hier ja fiktiven Strafverfolgern das auf anderem Wege sprichwörtlich "um die Ohren zu hauen", bis sie den Unterschied zwischen dem Strafrecht und der Denunziation begriffen haben.      

I.S. schrieb:

Man kann eine Menge Beispiele bilden, wo eine vollständige Öffnung der Beschwerdemöglichkeit dazu führte, dass man feststellen muss: Diese Beschwerde wäre jetzt nicht notwendig und bringt eigentlich nichts - aber rein rechtlich ist sie erlaubt. Und das hat nicht nur Auswirkungen auf denjenigen, über dessen Verfahren man spricht. Jede zusätzliche (um das Wort 'unnötige' zu vermeiden) Beschäftigung der Justiz sorgt auch dafür, dass andere länger auf ihr Urteil (und damit möglicherweise ihr Recht) warten müssen! Soll heißen: Wenn ich versuche, dem einen ein Recht zu verschaffen, was ihm im Endeffekt wenig bis gar nichts bringt, mute ich anderen damit möglicherweise zu, dass sie ihr Recht noch nicht durchsetzen können. Das ist ein Sinn von Prozessökonomie, dies im Sinne aller auszutarieren. Und das bedeutet dann eben, dass es nicht unbegrenzt Rechtsmittel geben kann und darf.

Wie zuvor dargelegt, liegt es zunächst insbesondere an STA und Gericht den gesetzlichen Untersuchungsgegenstand auf die strafwürdige Tat und die Begehung durch den Beschuldigten zu begrenzen. Die funktionalen und nichtfunktionalen Anforderungen sind im StGB und der StPO geregelt. Wer als Strafverfolger das Strafverfahren darüberhinaus moralisiert, politisiert oder aus welchen Gründen auch immer instrumentalisiert, sorgt selbst unmittelbar für die unnötige Beschäftigung und Nachwehen in der Justiz. Genau dort an der Wurzel ist das Problem auch zu beseitigen.

I.S. schrieb:

Beim Fall GM sieht man auch, das manche Angriffe auf das Urteil im Ergebnis sinnlos wären - zum Beispiel bei der Frage nach der Tatbegehung:

Nach GMs Aussage "Ich hab mich nur gewehrt" kann man kaum davon ausgehen, dass gar nichts vorgefallen ist. Streicht man also die zweifelhaften Belege für besonders schwere Folgen ("würgen bis zur Bewusstlosgkeit"), landet man mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer einfachen Körperverletzung - ohne Rechtfertigung, denn zur Notwehrlage hat GM nix gesagt.

Ergebnis: Man wäre wieder in der Schuldprüfung.

Die Unzulässigkeit der pauschalen Prüfung der Begründetheit in die Zulässigkeitsprüfung vorzuziehen, haben Sie ja selbst erkannt. Aber auch in der Sache gehen Sie definitiv falsch vor und nehmen das Urteil selbst als rechtfertigende Begründung für das Urteil. Es geht bei der Tatzuweisung allein um den 12.8.01. Wie bereits umfangreich diskutiert ist die Aussage "Ich hab mich nur gewehrt" nur durch eine Wertung dem 12.8.01 zugeordnet worden. Wir wissen gar nicht, ob der Angeklagte diese Wertung nicht sogar im Revisionsantrag gerügt hat. Aber selbst wenn man die Zuordnung zum 12.8.01 voraussetzt, wird mit "ich habe mich nur gewehrt" ein noch unbestimmter Vorfall nicht zur strafwürdigen Tat. Nicht einmal der Tatbestand ist damit also klar, geschweige denn dessen Rechtswidrigkeit. Das ist das Pornoheft angewandt auf noch unqualifizierte Beziehungskonflikte. 

Um zu einer hohen Wahrscheinlichkeit einer Körperverletzung zu kommen, subsumieren Sie ungenannt weitere Sachverhalte und Wertungen, die alle der Überprüfung der Begründetheit nach der Feststellung der Zulässigkeit der Revision vorbehalten sind. Sie verstoßen also erneut gegen das erkannte Prinzip. Abgesehen davon, sollte man Juristen die Verwendung des Wortes "Wahrscheinlichkeit" im Amtsgebrauch so lange verbieten, bis dessen Herkunft und Anwendungsbedingungen wenigstens in Grundzügen verstanden wurde. Wahrscheinlichkeit kommt vom fiktiven Konzept des Zufalls und unterliegt in der professionellen Anwendung klaren Rahmenbedingungen, die im Juristischen vollständig missachtet werden. Juristen verwenden "wahrscheinlich" im umgangssprachlichen Sinne vom subjektiven "ich glaube überwiegend" oder "ich bin fast überzeugt" und verwechseln offensichtlich die Genese einer privaten Meinung mit der professionellen Herleitung einer fundierten objektiven Wahrscheinlichkeit. Psychologie ist übrigens das Meisterfach der professionell angewandten Wahrscheinlichkeit. Dass in Psychologie geschulte Gutachter auf die naive Vorstellung von der Wahrscheinlichkeit umschwenken, halte ich für eine unglaubliche Rückratlosigkeit als wissenschaftlich Gebildeter.      

I.S. schrieb:

Ich weiss, in dieser Form die Begründetheit der Beschwerde zu prüfen und sie dann wegen "bringt eh nichts" nicht zuzulassen, wäre nicht gestattet. Es ging mir dabei darum zu zeigen, dass eine Erweiterung der Zulässigkeit auf jede negative Äußerung gegenüber dem Angeklagten in der Tatbestandsbeschreibung am Ende nicht unbedingt einen Nutzen bringen muss.

Es bleibt deshalb bei der Frage: Wo will/muss man die Grenze für Rechtsmittel ziehen?

Formal bei der Beschwer zum Gegenstand des Urteils / des Verfahrens. Ansonsten wäre zu prüfen, ob die Qualifizierung "Pornoheft" (nur mal als plakatives Beispiel) nicht auch den "Zweck des staatlichen Strafanspruchs" von vornherein verfehlt und die Grundrechte unbegründet verletzt. Mindestens dem Nichttäter ist es überlassen seine privaten Interessen für sich zu behalten. Im Rahmen einer Zulässigkeitsprüfung der Revision beschränkt sich die Revisionsberechtigung aber auf den Angeklagten und die STA. Der Zeitschriftenhersteller kann demzufolge nicht über eine Revision eine Richtigstellung in "Kunstzeitschrift" verlangen. Stellen Sie sich aber mal hypothetisch vor, in den Urteilsgründen würde die Zeitschrift mit einer saloppen Nebenbemerkung des namentlich benannten StA qualifiziert: "Also die war nur voll mit Möpsen, sowas genieße ich zum ersten Morgenkaffee. Zum Mittag brauche ich schon Hardcore aus dem Internet." Gemeint könnte mit der Bemerkung sein, dass er ganz andere Auswüchse in seiner Tätigkeit zu sehen bekommt, aber man kann es auch als private Vorliebe missdeuten. Was nun? Gehört so etwas in ein freisprechendes Urteil? Wenn ja, warum? 

I.S. schrieb:

Es gibt im Fall GM zwei Gründe, wo ich einen Ansatz sehe, weshalb man von der Tenorbeschwer abweichen könnte bzw. müsste.

Die Tenorbeschwer ist eine Abweichung von der Beschwer, nicht umgekehrt. Ordnen Sie doch mal Beschwer und Tenorbeschwer einschließlich ihrer Herleitung ontologisch ein. Ich gehe davon aus, dass die Tenorbeschwer nur ein Unterfall der Beschwer sein kann. Damit wäre die (erweiterte) Beschwer keine Abweichung oder Ausnahme von der Tenorbeschwer, sondern deren notwendiger Rahmen. 

I.S. schrieb:

Das eine ist die BZR-Eintragung. Eine solche Eintragung muss eigentlich immer ein Grund für ein Rechtsmittel sein können, auch wenn die Eintragung in Führungszeugnissen nicht auftaucht. Allerdings kann man hier auf das Verfahren nach § 25 BZRG verweisen und deshalb argumentieren, dass eine Möglichkeit zur Korrektur besteht und dies deshalb nicht in der Revision geltend gemacht werden muss - Art. 19 GG verlangt ja nicht einen bestimmten Rechtsschutz, sondern irgendeinen (nicht völlig unwirksamen) Rechtsschutz.

Gerade in einem Fall, wo die Tat schon so viele Jahre zurückliegt, dürfte die Chance vergleichsweise gut sein, dass die Eintragung nicht vorgenommen bzw. auf diesem Wege wieder entfernt wird.

Alles Hoffnungen oder Barmherzigkeiten, die keine willkürfreie Rechtsordnung voraussetzen oder begründen. Begnadigen muss und will auch der Despot.

I.S. schrieb:

Der zweite Grund ist die spezielle Ausgangsposition im Fall GM.

Er bezieht sich also konkret auf diesen Fall und wäre für mich nicht der Grund, die Rechtsprechung zur Tenorbeschwer insgesamt zu hinterfragen, sondern lediglich zu bemängeln, dass die theoretisch mögliche Ausnahme hier nicht gemacht worden ist.

Die Anwendbarkeit des §20 anzugreifen bringt GM rechtlich erstmal wenig. Man käme vom Freispruch wegen fehlender Schuld (='kein Täter' gem. §190 StGB) zum Freispruch wegen Verschlechterungsverbot (='Täter' gem. §190 StGB).

Das besondere an diesem Fall ist aber, dass GM nachweislich zu Unrecht eingewiesen worden ist (das geht aus dem Urteil auch hervor) und dass der Fall in den Medien sehr groß berichtet wurde. Aus diesem Grund besteht ein über den Normalfall deutlich hinausgehendes Interesse des GM, dass er die Aussage überprüfen lassen kann, er sei zum Tatzeitpunkt nicht voll schuldfähig gewesen - selbst wenn es ihn rechtlich nicht besser stellt, ist das ein Fall, wo die Ehre des Angeklagten ganz  erheblich betroffen ist.

Zunächst ist einfachrechtlich die Tatzuweisung das entscheidende Kriterium der Zulässigkeit. Einen staatlichen Strafanspruch gab es ja sowieso nicht. Stellt sich in der Prüfung der Begründetheit der Revision heraus, dass die Tatzuweisung unbegründet war, stellt die Zuweisung einer anderen schweren seelischen Abartigkeit sowieso eine unzulässige Entgleisung dar. Ist die Tatzuweisung dagegen in der ordentlichen Prüfung nicht zu beanstanden, dann bleibt immer noch die Begründetheit der Zuweisung gem. § 20 StGB zu prüfen. Ob der Freigesprochene in diesem Fall mit dem Verschlechterungsverbot besser fährt, ist kein Zulässigkeitskriterium der Revision, sondern eine Frage der Begründetheit bzw. anderweitiger Rechtsgüter.

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@ Waldemar Robert Kolos

Dann zeigt das Diebstahlsbeispiel aber, dass Art. 19 IV zu keiner Auslegung von 333 StPO iS einer generellen Notwendigkeit zum Rückgriff auf die Urteilsgründe zwingt. Man könnte ebenso die Tenorbeschwer verfassungskonform auslegen beschränkt auf die Fälle, in denen ein Art. 19 IV Rechtsverletzung vorliegt.

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@ Gast #40

Die Tenorbeschwer kann doch gar nicht ausgelegt werden. Gegenstand der Auslegung ist doch immer der Gesetzeswortlaut. Doch die Tenorbeschwer ist eben gesetzlich nicht geregelt. Dazu gibt es keinen Wortlaut des Gesetzes. Sie ist selbst das Ergebnis einer Auslegung, und zwar keiner sehr guten. Die Auslegung einer Auslegung kenne ich nicht. Vermutlich meinten Sie etwas anderes.

Ist schon jemand in dieser Diskussion aufgefallen, daß es hier um STRAF-Recht geht, nicht um ein "Wahrheitsfindungs-Recht"?

Eine Straftat ist aus 3 Komponenten aufgebaut:
1. Tatbestand
2. Rechtswidrigkeit
3. Schuld
Erst wenn alle 3 (!) Komponenten zusammenkommen, liegt überhaupt eine Straftat vor. Fehlt nur eines davon, gibt es gar keine Straftat, dann gibt es Freispruch.

Bis auf die (unsäglichen) Ausnahmen der "Maßregeln der Besserung und Sicherung" gibt es dann logischerweise auch keine (STRAF-rechtliche, denn nur darum kann es in einem STRAF-Prozeß gehen) Beschwer in einem freisprechenden STRAF-Urteil, abgesehen von grundrechteverletzenden Widersprüchen INNERHALB des Urteils (z.B. in sich widersprüchliche Feststellungen oder Formulierungen, die Strafwürdigkeit betreffend (also: Schuld in den Urteilsgründen sachlich oder sprachlich doch behauptet trotz erwiesener Unschuld)).

Natürlich ist es persönlich "schwer", wenn man beschuldigt, angeschuldigt und dann sogar angeklagt wird.
Möglicherweise kann es im Hinblick darauf auch Ansprüche des Betroffenen geben.
Mehr als einen Freispruch kann doch aber niemand erwarten der unschuldig ist, der also gar keine Straftat begangen hat.

Wollte man nun anfangen, freisprechende Urteile noch schöner als schön zu machen - herrje, da gäbe es dann viel zu tun:

"Anklage behauptete, und steht auf S. 3 der Urteilsbegründung, es gab 10 blaue Flecken, dabei gab es, wie auf S. 10 des Urteils festgestellt, gar keine! Behauptung der Anklage muß raus, denn wer liest noch S. 10 ?!! Revision!!"

"Klar hab' ich Sex mit der Schülerin gehabt, sie war aber gar nicht in meiner Obhut, darum keine Rechtswidrigkeit und darum Freispruch! Nun nehmt bitte dann auch meine Aussage, daß das so war, aus dem Urteil raus, denn wie sieht das denn aus - die Medien und so...  Revision!!!"

"Klar hab' ich meine Frau verprügelt, aber da hatte ich wohl gerade Notwehr-Wahnvorstellungen, drum keine Schuld und Freispruch! Nun nehmt bitte raus, daß ich gesagt habe, daß ich zugeschlagen habe, denn wie sieht das aus - die Medien und so...  Revision!!!"

Man kann doch aber bitte nicht ein freisprechendes Strafgericht (zumal in einem Wiederaufnahmeverfahren) bzw. sein Urteil dafür rügen wollen, daß es (auch oder gerade bei einem medienwirksamen Prozeß) am Ende freispricht und das gemäß seiner Überzeugung, die auf einer soliden Beweisführung gründet, auch entsprechend im freisprechenden Urteil ausführlich und in sich logisch begründet, DAMIT es eben nachprüfbar ist!

Mir erscheint die Diskussion über die Entscheidung des BGH hier in weiten Teilen am strafrechtlichen Grundgedanken völlig vorbei, so sehr ich die Suche nach der "Wahrheit" verstehe. Sie ist aber nicht Gegenstand eines Strafverfahrens, kann es auch nicht sein.
Gegenstand ist die Straftat eines Täters (!) mit den bekannten und o.g. drei (!) gleichberechtigten Komponenten.

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Zuhörer schrieb:
Wollte man nun anfangen, freisprechende Urteile noch schöner als schön zu machen - herrje, da gäbe es dann viel zu tun
Sie werfen - so wie Fotobiene einige Seiten zuvor - Zulässigkeit und Begründetheit in einen Topf und bestreiten ersteres mit Argumenten gegen letzteres.
Die Antwort auf diesen Logikfehler hat Prof. Müller ebenfalls vor einigen Zeiten weiter oben bereits gegeben.

Kurz: zur Überprüfung, ob ein Rechtsfehler vorliegt (z.B. falsche Beweiswürdigung, denn auch Richter müssen sich trotz Unabhängigkeit an Logik und Lebenserfahrung halten), insbesondere der rechtlichen Qualifikationen daraus (z.B. sind die Tatmerkmale einer lebensgefährlichen, also gefährlichen KV erfüllt), muss man eben die Zulässigkeit bejahen. Wegen fehlender Begründetheit kann man dann immer noch verwerfen.

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