Fall Mollath - BGH verwirft Revision

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 09.12.2015

Mit seiner heute bekannt gemachten Entscheidung hat der 1. Senat des BGH die von Gustl Mollath gegen das Urteil des LG Regensburg vom 14. August 2014 eingelegte Revision verworfen, Pressemitteilung.

Die Entscheidung wurde sogleich mit Begründung im Wortlaut veröffentlicht.

Die Ausführlichkeit der Begründung und deren sofortige Veröffentlichung stehen im erstaunlichen Kontrast zur erstmaligen Revision des BGH im Fall Mollath, bei der ein außerordentlich fehlerhaftes und problematisches Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom selben Senat einfach ohne nähere Begründung zur Rechtskraft „durchgewunken“ wurde. Immerhin scheint auch der BGH insofern aus dem Fall Mollath „gelernt“ zu haben. Zunächst nur ein kurzer Kommentar, den ich je nach Diskussionsverlauf möglicherweise in den nächsten Tagen ggf. noch ergänzen werde:

Wie ich schon zuvor verschiedentlich geäußert haben, war tatsächlich kaum damit zu rechnen, dass der BGH seine grundsätzliche Linie, der Tenor eines Urteils selbst müsse eine Beschwer enthalten, damit zulässig Revision eingelegt werden kann, gerade bei diesem Fall ändert. Dennoch gab es natürlich auch bei mir die leise Hoffnung, der BGH werde sich mit den sachlichen Einwänden gegen das Urteil, die auch ich noch hatte, auseinandersetzen.

Immerhin kann man den Beschluss angesichts der ausführlichen Begründung nun auch juristisch nachvollziehen, selbst wenn man ihm im Ergebnis nicht zustimmt. Es findet insbesondere auch eine Auseinandersetzung mit dem auch hier im Beck-Blog diskutierten vom EGMR entschiedenen Fall Cleve ./. Deutschland statt: Dort war der EGMR von der Tenorbeschwer abgewichen. Der BGH meint nun, das Urteil im Fall Mollath sei mit Cleve ./. Deutschland nicht vergleichbar, weil im Mollath-Urteil anders als im Cleve-Fall kein direkter Widerspruch zwischen Tenor und  Begründung festzustellen sei.

Enttäuscht bin ich vom letzten Satz der Begründung des Beschlusses, der konstatiert, die Revision sei ohnehin unbegründet gewesen. Dieser Satz ist völlig verzichtbar und gibt dem Leser Steine statt Brot.

Abgesehen von der  Kritik am Urteil des LG Regensburg möchte ich aber noch einmal darauf hinweisen: Der gesamte Fall in seiner Entwicklung und Dynamik ist ein aus Sicht des Dezember 2012 riesiger persönlicher Erfolg für Herrn Mollath und ist auch in seiner langfristigen Wirkung auf die (bayerische) Justiz und den Maßregelvollzug nicht zu unterschätzen.. Das sollte man – bei aller Enttäuschung über die heutige Entscheidung des BGH – nicht vergessen.

Update (14.12.2015): Eine eingehendere sehr kritische Analyse hat nun Oliver Garcia im delegibus-Blog veröffentlicht.

Update 3.3.2016: Die Kommentarspalte ist nach mehr als tausend Beiträgen geschlossen.

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1041 Kommentare

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@ Zuhörer

Zunächst, es gibt keinen strafrechtlichen Grundgedanken. Eine demokratische, freiheitliche Gesellschaft gründet in keiner Weise auf dem strafrechtlichen Grundgedanken. Das Strafrecht ist allenfalls ein (leider) notwendiges Mittel, um den freiheitlich, demokratischen Grundgedanken gegen erhebliche Verletzungen seiner Grundlagen abzusichern. Hierzu gibt es prinzipiell nicht nur einen Anspruch Staat gegen Bürger, sondern insbesondere auch einen Anspruch Bürger gegen Staat und andere Bürger.

Trotzdem danke für Ihren engagierten Kommentar, der einige wichtige Punkte aufgreift.

Ihre Qualifikation der Straftat ist im Ergebnis wohl richtig, wenn objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale zusammengefasst werden. Allerdings übersehen Sie dabei den Prozess der Verfolgung und Entscheidungsfindung. Die Anklageerhebung und der Eröffnungsbeschluss geben nach StPO den Verfahrensgegenstand vor, nämlich eine strafwürdige Tat und einen der Tat Beschuldigten. Untersucht wird die konkrete Tat auf Strafwürdigkeit (1. Tatbestand, 2. Rechtswidrigkeit). Eine strafwürdige Tat ist damit objektiv eine Straftat, wenn sie von einem Schuldfähigen begangen wird. Nur wenn diese objektive Tat festgestellt ist, muss überhaupt über eine subjektive Schuld des Angeklagten (3.) befunden werden. Ohne strafwürdige Tat des Angeklagten gibt es gar keinen Anspruch über eine dann fiktive Schuldfähigkeit des Angeklagten zu befinden. Woraus sollte ein solcher Feststellungsanspruch abgeleitet werden, wenn gar keine strafwürdige Tat vorliegt?  Dass die Untersuchungen dazu aber faktisch parallel abgearbeitet werden, war bereits Diskussionsgegenstand.

Wenn man Ihre Argumentation ernst nimmt, dann würde man schon aus prozessökonomischen Gründen zuerst die Frage der Ausschließbarkeit einer Unschuld prüfen. Denn bei nicht ausschließbarer Unschuld wäre nach Ihrer Definition eine strafwürdige Tat eben schon objektiv keine Straftat und der behauptete Zweck (staatlicher Strafanspruch) des Verfahrens hätte sich einschließlich sämtlicher Untersuchungen zum Tatgeschehen vorab erledigt. Eine strafwürdige Tat müsste also gar nicht mehr festgestellt werden, weil der Beschuldigte ja nicht ausschließbar schuldunfähig ist. Die Chance eine Unschuld ausschließen zu können, ergibt sich vielleicht bei angekündigten oder zugestandenen Taten mit rational nachvollziehbaren Absichten. In allen anderen Fällen wäre es problematisch, überhaupt eine Anklage zu begründen. Täter-Opfer-Ausgleich und Maßregel wären faktisch unmöglich. Nimmt man den sogenannten staatlichen Strafanspruch von vornherein nur für die vollständige Erfüllung der 3 Kriterien der Straftat an, dann würden strafwürdige Taten schon aus prozessökonomischen Gründen viel zu selten angeklagt.

Die Praxis funktioniert aber nicht so. Öffentlich angeklagt werden strafwürdige Taten, wenn ein Beschuldigter der Tatbegehung verdächtig ist und seine Schuld nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es gibt also einen staatlichen Straftatverfolgungsanspruch für strafwürdige Taten (objektive Tatbestände). Die strafwürdige Tat wird nach dem Gesetz Gegenstand des Verfahrens und des Urteils. Also ohne erheblichen Verdacht zur strafwürdigen Tat kein Strafprozess. Die Schuldfähigkeit des Angeklagten ist dagegen nicht wesentliches Kriterium für das Einleiten des Strafprozesses. Der Beschuldigte und die Frage seiner Schuldfähigkeit (3.) werden erst wegen der angeklagten Tat (1. und 2.) zum Gegenstand des Strafverfahrens. Der Verdacht einer strafwürdigen Tat begründet also von Beginn an einen objektiven Straftatverfolgungsanspruch, auch wenn der Täter möglicherweise aus subjektiven Gründen nicht bestraft werden kann. Ein Straftatverfolgungsanspruch besteht umgekehrt jedoch nicht gegenüber jedem Schuldfähigen, nur weil fiktiv das Bestehen einer strafwürdige Tat nicht ausgeschlossen werden könnte. 

Bei Freisprüchen aus rechtlichen Gründen besteht zur angeklagten Tat eine Wahrheitsfindungspflicht. Dies folgt bereits aus §§ 267 (5), 338 (7) StPO. Ein Freispruch-Urteil aus rechtlichen Gründen ohne Feststellung der strafwürdigen Tat (objektive Tatbestandteile) ist gesetzlich unzulässig und stellt einen absoluten Revisionsgrund dar. Die strafwürdige, angeklagte Tat (Urteilsgegenstand) und die Zuweisung an den Angeklagten muss also im Urteil genauso wie bei der Verurteilung eindeutig erfolgen. Die gesetzlich zwingende Zuweisung einer objektiv strafwürdigen Tat bei Freispruch aus rechtlichen Gründen ist betreffend dem Verfahrens- und Urteilsgegenstand materiell ein erheblicher Nachteil des Freigesprochenen, sofern er die objektiv strafwürdige Tat gar nicht begangen haben will.

Ihre Beispiele belegen das Ganze. Zu den Strafverfahren, wie Sie sie schildern (Obhutsverhältnis, Notwehr-Wahn) bestand nach ihrer Qualifikation kein staatlicher Strafanspruch. Die Verfahren hätten somit gar nicht stattfinden dürfen. Dass mit der "soliden Beweisführung" des LG disqualifiziert Ihre Vorlesefunktion ;-) Versuchen Sie es zunächst noch einmal z.B. mit #31. Danach empfiehlt sich zum LG-Urteil der Artikel und die Diskussion unter http://blog.beck.de/2014/11/20/fall-mollath-einige-anmerkungen-zur-schri...

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Der BGH bezieht sich allen Enstes auf ein Machwerk wie 1 StR 140/61? Würden Dr. Geier und Konsorten so etwas als Erörterung im Deutschaufsatz abliefern, würden sie mit einer glatten Sechs nach Hause gehen:

(20) Daß die Freisprechung wegen Zurechnungsunfähigkeit dem Strafregister mitgeteilt wird, soll ersichtlich auch dem Wohl des Angeklagten selbst dienen. Die Mitteilung kann verhindern, daß in Zukunft ein gerichtliches Verfahren gegen einen strafrechtlich nicht Verantwortlichen eingeleitet wird. […]
(21) Es ist schließlich noch darauf hinzuweisen, daß die Feststellungen zur Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten in einem freisprechenden Urteil für kein anderes Verfahren bindend sind. Sie geben zunächst nur einen Hinweis.

Wer sich in zwei unmittelbar aufeinander folgenden Abschnitten derart diametral widerspricht, der gehört seines Postens enthoben und zurück in die Logikschule.

P.S. Dass 60 Jahre alte Beschlüsse wie 1 BvR 205/56, der als offensichtliche Grundlage für die Tenorbeschwer dient, nicht frei zugänglich sind, ist eine Unverschämtheit.

Der BGH bezieht sich allen Enstes auf ein Machwerk wie 1 StR 140/61?

In dem Fall geht es um ein Verfahren, dass nach den spärlichen Infos des BGH nur mit einem tatsächlichen Freispruch hätte enden dürfen. Denn die angeklagte Tat wurde vom Gericht wohl nicht als Tatbestand und Rechtswidrigkeit festgestellt. Wenn das Urteil trotzdem auf Freispruch aus rechtlichen Gründen lautete, dann wurde §§ 267 (5), 338 (7) StPO verletzt. Es ist sicher ein besonderer Fall, weil sich das Gericht offensichtlich um die Feststellung der angeklagten Tat "nur" gedrückt hat. Würde man diesen Fall verallgemeinern, käme man dahin, jeden nicht ausschließbar Schuldunfähigen für fiktive Taten aus rechtlichen Gründen freisprechen zu können. Ein Land voller freigesprochener Abartiger und Tenorbeschwer-Fans.

In Rn 12 wird der wesentliche Trick offenbar. Als Bedeutung für die Entscheidung wird nur die Schuld- und Straffrage, also der Urteilsspruch, als nicht bezweifelbar angesehen. Gegenstand des Urteils ist nacch Auffassung des BGH im Widerspruch zum Gesetz also die Schuld- und Straffrage und nicht die angeklagte Tat. 

Diese Entscheidungsgrundlage "Schuld- und Straffrage" wird vom BGH nicht aus dem Gesetz abgeleitet, sondern aus der unreflektierten Annahme eines staatlichen Strafanspruchs. Der staatliche Strafanspruch ist jedoch selbst nur eine historische Wahrnehmung aus Richtersicht und findet gar keine gesetzliche Grundlage. Er steht sogar im Widerspruch zum gesetzlichen Gegenstand des Urteils und den gesetzlichen Bestimmungen für Freispruch-Urteile.

Die Anhänger der Tenorbeschwer bei Freisprüchen setzen sich also nicht mit dem gesetzliche bestimmten Gegenstand des Urteils und den unmittelbare Widersprüchen des Dogmas zum Gesetz auseinander. Eine solche Methode des Übergehens von Widersprüchen ist jeder logischen Systematik zuwider. Auf diese Weise sammelt man dogmatische ToDo-Listen, aber begründet keine willkürfreie Auslegungs-Logik.     

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Wird ein Strafverfahren auf den staatlichen Strafanspruch reduziert, dann wird der Angeklagte damit zum Objekt des Verfahrens gemacht. Das ist aus heutiger Sicht und weit verbreiteter Ansicht mit Menschenwürde nicht vereinbar. Das Objekt kann durch das Verfahren und die notwendige Entscheidungsbegründung so gut wie unmöglich in Persönlichkeitsrechten verletzt werden. Eben das macht ihn doch zum Objekt.

 

@ Lutz Lippke

Ich sehe durch Ihre Wortwahl - "Scharade" "Wortspiele" "Machtanspruch" - meinen Ausgangsbeitrag zum Thema Diskussionskultur bestätigt.

Ich habe die gesetzlichen Argumente mit Paragraphen dargelegt. Eine solche Reaktion darauf ist nicht gerechtfertigt. Es bleibt dabei, zu der Beschwer steht so gut wie nichts im Gesetz - auch nicht Ihre Meinung.

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Gast schrieb:

@ Lutz Lipke

Ich habe die gesetzlichen Argumente mit Paragraphen dargelegt. Eine solche Reaktion darauf ist nicht gerechtfertigt. Es bleibt dabei, zu der Beschwer steht so gut wie nichts im Gesetz - auch nicht Ihre Meinung.

Eine Beschwer muß nicht in einem G e s e t z   stehen, um eine tatsächliche, existenzielle Beschwer zu sein.

Ihre Argumentation lässt erkennen, daß Sie als Jurist vermutlich aufgrund Ihrer  "deformation professionelle" die Lebenswirklichkeit eines Betroffenen empathisch nicht w a h r nehmen wollen, dass ein Bürger auch durch einen Freispruch schwerwiegend, extrem belastet, beschwert sein kann, insbesondere wenn das Urteil einschließlich der Urteilsbegründung darauf begründet ist, dass  G.M. nicht ausschließbar vor über 13 Jahren an einer schwerwiegenden seelischen Abartigkeit erkrankt war und deshalb zum Zeitpunkt nicht zurechnungsfähig gewesen sein könnte.

Die Realitäten des Lebens, die Psychologie der Beteiligen und komplexe Lebenszusammenhänge realistisch und gerecht  w a h r z u  n e h m e n und zu  b e w e r t e n ist eine wichtige, wenn nicht sogar eine, der entscheidenden Grundlagen für einen Rechtsstaat und eine gerechte Rechtssprechung, der vom Bürger mit Vertrauen begegnet werden kann.

 

 wollen, d

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Gast schrieb:

@ Lutz Lippke

Ich sehe durch Ihre Wortwahl - "Scharade" "Wortspiele" "Machtanspruch" - meinen Ausgangsbeitrag zum Thema Diskussionskultur bestätigt.

Warum unterschlagen Sie die Argumente für die Wertungen. Um dann selbst ohne Argument werten zu können?

Argumentation zu "Wortspiele" in #39 

Die Tatfeststellung ist nach Gesetz Gegenstand des Verfahrens und des Urteils. Eine wie immer abgeleitete Beschwer kann nicht den Gegenstand des Urteils übergehen. Wenn eine Beschwer zum Urteil aus Gesetzen ableitbar ist, dann betrifft sie sachlich insbesondere den Gegenstand des Urteils.

Selbst wenn man das aus für mich willkürlichen Gründen mit weiteren Auslegungen und Wortspielen umgehen will, scheitert man an §§ 267 (5) und 338 (7) StPO.

Argumentation zu "Scharade" in #39

Mithilfe der Üblichkeit des Verzichts auf redundante Angaben in der Urteilsformel, wird nun mit der rein formalen Anwendung des richterrechtlich entwickelten Dogmas der Urteilsformelbeschwer das Urteil bei der Zulässigkeitsprüfung nur in einem unbestimmten und unselbstständigen Teil des Urteils auf Beschwer geprüft und dann das Urteil nach dieser Prüfung sachlich wieder in den gesetzlich geforderten Zustand versetzt. Grandios? 

Argumentation zu "Machtanspruch" in #39

Dass dieses Vorgehen wirklich der Motivation der Prozessökonomie geschuldet ist, bezweifle ich. Es hat wohl eher mit einem verinnerlichten Strafanspruch als eigenem Machtanspruch der entsprechenden Rechtsausleger zu tun und dem damit verbundenen Anspruch höchstselbst der unfehlbare Staat zu sein. Der so herrschende Staat dient nicht dem Gesetz, er beansprucht das Gesetz.

Gast schrieb:

Ich habe die gesetzlichen Argumente mit Paragraphen dargelegt. Eine solche Reaktion darauf ist nicht gerechtfertigt. Es bleibt dabei, zu der Beschwer steht so gut wie nichts im Gesetz - auch nicht Ihre Meinung.

Die formale Herleitung der Beschwer durch den BGH (nicht "die gesetzlichen Argumente") gründet auf dem staatlichen Strafanspruch als Zweck des Strafverfahren. Mit dem Freispruch wurde dieser staatliche Strafanspruch in der Urteilsformel verneint. Daher sieht der BGH für den Freigesprochenen formal keine Beschwer im Urteil. Ich habe also den BGH und auch Sie verstanden. Verweise auf Paragraphen zum Eröffnungsbeschluss (§ 203 StPO) und zur Beweisaufnahme (§ 244 StPO) ändern an der Herleitung und dem Verständnis dieser Argumentation nichts.

Ich kritisiere, dass diese Herleitung außerhalb des Gesetzes und im unmittelbaren Widerspruch zu §§ 264, 267 (5) und 338 (7) StPO den Gegenstand des Urteils "angeklagte Tat" durch den unbestimmten Zweck "staatlicher Strafanspruch" ersetzt und damit den gesetzlich bestimmten Gegenstand des Urteils aus der formalen Prüfung der Beschwer ausschließt. Daran ändern §§ 203, 244 StPO nichts. Ich sehe jedenfalls nichts und Sie haben dies wohl selbst auch nicht behauptet.

Es steht mir zu, eine Haltung zu solcher Vorgehensweise des BGH zu haben. Meine Haltung ist Folge eines 1/2 Jahrhunderts Lebenserfahrung, langjähriger berufsmäßiger Befassung mit heterogenen vernetzten Systemen und Organisationsstrukturen, sowie Recherchen in der Sache selbst. Angesichts des Fehlens echter Evaluationsmöglichkeiten zu den realen Auswirkungen des BGH-Vorgehens, hatte ich aus meiner persönlichen und beruflichen Erfahrung nur eine Vermutung in #39 geäußert:
"Ich vermute, dass ein solches Vorgehen nur mit einem bunten Strauß an Ausnahmen, Verwerfungen und haltlosen Zuständen für jedwede Systematik möglich ist und keine zivilisatorische Leistung darstellt."   

Sie müssen meine Vermutung nicht teilen. Diese basiert aber auf konkreten Argumenten, die Sie bisher nicht aufgenommen und widerlegt haben. Ihr Unbehagen hat also mit der Diskussionskultur nichts zu tun.

 

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@ Lutz Lippke

 

"Argumentation zu "Wortspiele" in #39 

Die Tatfeststellung ist nach Gesetz Gegenstand des Verfahrens und des Urteils. Eine wie immer abgeleitete Beschwer kann nicht den Gegenstand des Urteils übergehen. Wenn eine Beschwer zum Urteil aus Gesetzen ableitbar ist, dann betrifft sie sachlich insbesondere den Gegenstand des Urteils."

Selbst wenn man das aus für mich willkürlichen Gründen mit weiteren Auslegungen und Wortspielen umgehen will, scheitert man an §§ 267 (5) und 338 (7) StPO."

Das ist Ihre Auslegung - schön. An 267 StPO scheitert man eben nicht. Dort steht nichts von Gegenstand der Beschwer. Das der Gesetzgeber in § 296 StPO die Urteilsgründe als Bezugspunkt gerne hätte, ist eine zulässige, aber nicht zwingende Auslegung. Das hatte ich schon geschrieben. Ich könnte das jetzt noch ein dutzend Mal paraphrasieren, es ändert sich dadurch aber nichts.

"Argumentation zu "Scharade" in #39

Mithilfe der Üblichkeit des Verzichts auf redundante Angaben in der Urteilsformel, wird nun mit der rein formalen Anwendung des richterrechtlich entwickelten Dogmas der Urteilsformelbeschwer das Urteil bei der Zulässigkeitsprüfung nur in einem unbestimmten und unselbstständigen Teil des Urteils auf Beschwer geprüft und dann das Urteil nach dieser Prüfung sachlich wieder in den gesetzlich geforderten Zustand versetzt. Grandios? "

Es ist selbst nach BGH kein Dogma. Jedenfalls wenn man eine Ausnahme für § 20 StGB Fälle zulässt, ist es auf gar keinen Fall mehr ein Dogma. Bei anderen Zulässigkeitsvorraussetzungen kommt es gar nicht auf das Urteil an - Form oder Frist. Es ist dem Gesetz also nicht fern, bei der Zulässigkeit aus prozessökonomischen Gründen nicht eine Vollprüfung vorzunehmen.

"Argumentation zu "Machtanspruch" in #39

Dass dieses Vorgehen wirklich der Motivation der Prozessökonomie geschuldet ist, bezweifle ich. Es hat wohl eher mit einem verinnerlichten Strafanspruch als eigenem Machtanspruch der entsprechenden Rechtsausleger zu tun und dem damit verbundenen Anspruch höchstselbst der unfehlbare Staat zu sein. Der so herrschende Staat dient nicht dem Gesetz, er beansprucht das Gesetz."

Das ist Ihre Spekulation. Der Staat - Bundestag, Bundesrat - macht übrigens das Gesetz. Nicht das man sich an solchen Kleinigkeiten stören sollte.

"Die formale Herleitung der Beschwer durch den BGH (nicht "die gesetzlichen Argumente") gründet auf dem staatlichen Strafanspruch als Zweck des Strafverfahren. Mit dem Freispruch wurde dieser staatliche Strafanspruch in der Urteilsformel verneint. Daher sieht der BGH für den Freigesprochenen formal keine Beschwer im Urteil. Ich habe also den BGH und auch Sie verstanden. Verweise auf Paragraphen zum Eröffnungsbeschluss (§ 203 StPO) und zur Beweisaufnahme (§ 244 StPO) ändern an der Herleitung und dem Verständnis dieser Argumentation nichts.

Ich kritisiere, dass diese Herleitung außerhalb des Gesetzes [...]"

Die Herleitung des BGH gründet eben doch auf dem Gesetz - nämlich auf §§ 203, 244 StPO. Dazu habe ich mit Bezug auf BGH 1961 geschrieben

"Zum einen den § 203 StPO, wonach gegen den Angeklagten das Hauptverfahren nicht eröffnet wird, selbst wenn er ein Interesse daran haben sollte, sich öffentlich von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu reinigen. Man stelle sich dazu nur vor, im Fall Kachelmann wäre das Hauptverfahren nicht eröffnet worden.

Zudem argumentiert der BGH noch mit § 244 StPO, wonach ein Beweisantrag u.a. abgelehnt werden kann, wenn die zu beweisende Tatsache "für die Entscheidung ohne Bedeutung ist."

Daran erkennt man, dass der StPO das Verbleiben einer Beschwer nicht fremd ist. Das ist genauso eine zulässige Argumentation, wie den Gegenstand des Urteils in den Gegenstand der Beschwer umzudeuten.

Beide Male nimmt man Anhaltspunkte im Gesetz, was der Gesetzgeber denn gemeint haben könnte. Weil er es eben nicht explizit schreibt.

"Es steht mir zu, eine Haltung zu solcher Vorgehensweise des BGH zu haben."

Genauso steht es Ihnen die Meinung zu, die BGH Auslegung sei gesetzeswidrig. Genauso steht es mir aber zu, Ihnen zu sagen, dass das einfach falsch ist.

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Der vorangegangene Kommentar kam von mir! Entschuldige war nicht angemeldet.

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@ Menschenrechtler

Für die § 20 StGB Fälle befürworte ich eine Ausnahme aus Grundrechten. Mal wieder die Diskussionskultur also. Andere würden das vielleicht als "Verfälschung und Sophismus" bezeichnen.

Bei anderen Fällen, z.B. das Diebbeispiel, sehe ich wie Waldemar Robert Kolos keine Grundrechtsverletzung und deshalb auch keine Beschwer.

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@#1,2

Im Grundsatz sehe ich zur Frage der Relevanz keinen wesentlichen Unterschied in der formalen Feststellung einer Beschwer aus gesetzlichen Gründen und der materiell-rechtlichen Feststellung einer Beschwer aus Grundrechten. Beides berührt den Kern der Rechtsstaatlichkeit.

Es gibt aber wichtige Unterschiede, die bei der Rechtsverfolgung und nach meiner Auffassung auch hier in der Diskussion berücksichtigt werden sollten.

1. einfachrechtlich vs. Grundrechte

Eine formal festgestellte Beschwer aus dem einfachen Recht (Gesetz) zwingt das Rechtsmittelgericht zur vollständigen materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit des gesamten Urteils, einschließlich der Beachtung der Grundrechte. Eine gesetzwidrige Verweigerung stellt eine unmittelbare Rechtswidrigkeit dar. Basiert diese Rechtswidrigkeit auf Rechtsprechung, die durch fehlerhafte Auslegung von Gesetzen zustande kam, ist diese Rechtsprechung hinfällig und als falsch bzw. rechtswidrig festzustellen. 

Eine materiell-rechtlich begründete Beschwer aus den Grundrechten ermöglicht dagegen eine Prüfung des Urteils im Rahmen der möglichen Grundrechtsverletzung, i.d.R. erst über eine angenommene Verfassungsbeschwerde

2. Verbindlichkeit des Anspruchs

Die formal bestehende Beschwer nach Gesetz liegt nicht im Ermessen des Gerichts und berechtigt unmittelbar zum Einlegen des zulässigen Rechtsmittels. Die Verweigerung stellt eine unmittelbare Rechtswidrigkeit und Verletzung der Verfahrensrechte dar.

Die aus den Grundrechten abgeleitete Beschwer steht unter dem Vorbehalt und dem materiell-rechtlichen Ermessen des Gerichts bzw. des BVerfG. Eine formale Vergleichbarkeit konkreter Fälle reicht deshalb oft nicht aus, um daraus verallgemeinernde Regeln abzuleiten. Die hohe Quote der unbegründeten Nichtannahmen des BVerfG zeigt die Unverbindlichkeit des Anspruchs auf.

3. Umfang der Prüfung, allgemeine Relevanz für Fallgruppen

Die einfachrechtliche Überprüfung der Zulässigkeitsvoraussetzung und BGH-Entscheidung betrifft unmittelbar alle Freisprüche aus rechtlichen Gründen, somit u.a. alle § 20 StGB-Fälle, sowie die Rechtsprechungspraxis und Auslegungsmethoden des BGH. Werden hierzu systematische Fehler festgestellt, strahlt dies auf den allgemeinen Umgang der Gerichte mit der Bindung an Gesetze und deren Auslegung aus. Die Grundrechte wären vom Gericht bei der materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit der Revision (zwingend) zu beachten.       

Die rein grundrechtliche Überprüfung bewirkt nur im Fall der Annahme der Beschwerde eine auslegbare Wertung zum Vorliegen und Ausmaß von Grundrechtsverletzungen in Bezug auf allgemeine oder spezifische Aspekte des Falls. Nur im günstigsten Fall würde dadurch auch die Frage der formellen Zulässigkeit des Rechtsmittels für die Zukunft geklärt.

Deshalb dränge ich auf eine klare Analyse ohne Wortspiele und Bypass-Strategien. Im Zivilrecht würde man wohl als Hauptantrag die formale einfach-rechtliche Zulässigkeit der Revision und als Hilfsantrag die Zulässigkeit aus der materiell-rechtliche Beschwer zu Grundrechten beanspruchen. Das entscheidende Gericht müsste dann erst den Hauptantrag begründet zurückweisen, um über den Hilfsantrag entscheiden zu können. Auch bei einer Begründetheit des Hauptantrags wäre die Prüfung des Hilfsantrags in der Entscheidung vermutlich ergänzend enthalten.    

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Ich muss korrigieren: Daran erkennt man, dass der StPO das Verbleiben einer subjektiven Beschwer nicht fremd ist.

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Noch ist nicht alles in dieser grundsätzlichen, die Grundrechte tangierenden Rechtsfrage und dem daraus entstandenem, hoch interessanten Disput vornehmlich zwischen Lutz Lippke, W. Kolos und dem anonymen „Gast“ geklärt. „Gast“ hat sich auch nach Empfehlung von Herrn Lippke noch keinen von anderen Gästen zu unterscheidenden, gastfreundlicheren Nickname gegeben. Ein intellektuelles, geistiges und auch juristisches Duell. Dieser Diskurs ist auch deswegen hoch interessant, da es sich vornehmlich um eine Auseinandersetzung zwischen einem offensichtlich beschlagenen Juristen (=Gast) und vorallem einem sehr wachen kritischen Nichtjuristen, Lutz Lippke handelt.

Was bestimmt diese Dynamik? Lutz Lippke versucht nach meinem Dafürhalten bislang überzeugend, nicht widerlegt, mit Gedankenschärfe, intellektueller und ethischer Überzeugung akribisch nach den Denkgesetzen der Vernunft nachzuweisen, dass das BGH-Urteil auch nach den gültigen Gesetzen nicht rechtens, nicht gerecht und auch juristisch nicht nur sehr fragwürdig, sondern auch nicht gesetzlich und mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

„Gast“ hält vehement dagegen und versucht weitgehend systemkonform und unkritisch, teilweise ablenkend mit wenig überzeugenden Argumenten das fragwürdige BGH-Urteil und den Strafanspruch des Staates zu verteidigen, das Dogma der Tenorbeschwer, eine schwerwiegende Beschwer nicht zu realisieren zu wollen.

Dies läuft mehr oder weniger darauf hinaus, von der Verantwortung der höchstrichterlichen, deutschen Rechtssprechung des BGH abzulenken. Dies wird m.E.  besonders deutlich, wenn „Gast“ in einem Gastkommentar die Auffassung vertritt, dass diese Rechtsproblematik nur durch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gelöst werden kann.

Mit dieser Auffassung wird die  Verantwortung gegenüber dem Rechtsstaat und den betroffenen Bürgern auf diese fernen Rechtsinstitutionen delegiert und abgeschoben.

Und es ist davon auszugehen, dass die überfällig und dringend notwendige Klärung/Reform dieser wichtigen Rechtsproblematik auf den Sankt Nimmerleins Tag verschoben und verdrängt wird.

Der Bundesgerichtshof hatte m.E. sicherlich das Problembewußtsein, dass die bisherige Rechtsprechung seit 1961, das Dogma der Tenorbeschwer juristisch höchstproblematisch ist und Gustl Mollath und eine sehr große Anzahl von Bürgern durch die Anwendung des § 20 StGB schwerwiegend beschwert sind, die Grundrechte beeinträchtigt werden und auch noch grundgesetzwidrig der Rechtsweg den Betroffenen genommen wird. Gleichwohl hat der erste Senat des BGH nicht die Herausforderung angenommen eigenverantwortlich eine wegweisende zeitgemäße, verfassungsgerechte Rechtsprechung in Gang zu setzen.

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@Gast

Das Problem unserer Verständigung sehe ich darin, dass sich die Methodik, wie Sie sie mit dem BGH vertreten, auf deutende, rethorische Schritte von einem Begriff hin zu weiteren Begriffen beschränkt. Sowohl die Begriffe, als auch die Regeln der Deutung sind unbestimmt oder zumindest wieder neuen Deutungen unterworfen. Es geht allein darum, von einem Ursprungsbegriff eine sich selbst überzeugende rethorische Kette abzubilden, die dann Auslegung, Entscheidung oder Rechtsmeinung heißt und faktisch als Dogma wirkt. Historisch ist das sicher irgendwo aus einer Tradition der Philosophie entlehnt.

Spätestens seit der Aufklärung besitzt die Menschheit jedoch zu Wahrheitsräumen und Systemen eine fehlerresistente Methodologie, die innerhalb dieser Räume oder Systeme einer monologischen Erkenntnissuche ohne Fehlerresistenz haushoch überlegen sind. Das gilt selbst für ungefähre Sachverhalte, die z.B. mittels Grenzwertbestimmung oder Wahrscheinlichkeiten sogar rechenbar werden. Voraussetzung ist allerdings, dass innerhalb des Systems oder Wahrheitsraums nicht ständig die Begriffe und Regeln gewechselt oder umgedeutet werden.

Ein Beispiel aus #5:

Meine Argumentation:

Die Tatfeststellung ist nach Gesetz Gegenstand des Verfahrens und des Urteils. Eine wie immer abgeleitete Beschwer kann nicht den Gegenstand des Urteils übergehen. Wenn eine Beschwer zum Urteil aus Gesetzen ableitbar ist, dann betrifft sie sachlich insbesondere den Gegenstand des Urteils."

Selbst wenn man das aus für mich willkürlichen Gründen mit weiteren Auslegungen und Wortspielen umgehen will, scheitert man an §§ 267 (5) und 338 (7) StPO."

Der erste Teil ist eine Grenzwertbetrachtung. Die gesetzliche Bestimmung des Gegenstands des Urteils wäre vollkommen sinnfrei, wenn dieser bei der Bewertung des Urteils keine Rolle mehr spielen sollte. Im zweiten Teil belege ich, dass ein Urteil ohne seinen Gegenstand ungesetzlich ist und absolut der Revision unterliegt.  

 

Sie antworten darauf:

Das ist Ihre Auslegung - schön. An 267 StPO scheitert man eben nicht. Dort steht nichts von Gegenstand der Beschwer. Das der Gesetzgeber in § 296 StPO die Urteilsgründe als Bezugspunkt gerne hätte, ist eine zulässige, aber nicht zwingende Auslegung. Das hatte ich schon geschrieben. Ich könnte das jetzt noch ein dutzend Mal paraphrasieren, es ändert sich dadurch aber nichts.

 

Unser Missverständnis liegt also nicht in der Annahme einer Erforderlichkeit der Beschwer, sondern darin welchen Gegenstand die Beschwer haben könnte. Während nach meiner Auffassung der Gegenstand der Beschwer mindestens den gesetzlichen Gegenstand des Urteils (§ 264 StPO) betreffen muss, bleiben Sie selbst dazu unklar und deuten nur meine Argumente um.

Auch meinen Verweis auf § 267 (5) StPO zu Angaben in den Urteilsgründen zum Gegenstand des Urteils (§ 264 StPO) setzen Sie in einen ganz anderen Kontext und erklären dazu, dass sich § 296 StPO nicht auf die Urteilsgründe beziehe.

Was ist denn nun nach Ihrer Auffassung der Gegenstand der Beschwer, woraus und wie leiten Sie den Gegenstand der Beschwer selbst her?   

   

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Noch ein Gedanke:

Der BGH begründet die Tenorbeschwer mit ihrer historischen Entwicklung und der Aufgabe eines Strafverfahrens, die in der Prüfung des staatlichen Strafanspruchs lege. Wenn dem so wäre, dann hätte er aber im nächsten Schritt prüfen müssen, ob die Prüfung des staatlichen Strafanspruchs tatsächlich die Aufgabe des Strafverfahrens gegen Mollath war. Dann hätte ihm auch unschwer auffallen müssen, dass die Aufgabe dieses Verfahrens offensichtlich doch ganz woanders lag. Denn ein Strafausspruch war doch von vornherein ausgeschlossen. 

Wenn aber von vornherein die Aufgabe des Strafverfahrens nicht erreicht werden konnte, dann war doch der ganze Prozess Mollath entweder verfehlt oder diente einer anderen berechtigten Aufgabe des Strafverfahrens. Konsequenterweise gäbe es darauf zwei Möglichkeit zu reagieren. Wenn der Prozess Mollath einer anderen Aufgabe diente, dann spricht das schon von daher für eine Ausnahme von der Tenorbeschwer. Wenn es aber stets im Strafverfahren um den staatlich Strafanspruch gehen muss, dann hätte der BGH konsequenterweise das Urteil wegen Aufgabenverfehlung aufheben und das Verfahren einstellen müssen. Oder?

Was schreiben die Medien so?

Angesichts der Gedankenpause zu Fragen der höchstrichterlichen Rechtstaatlichkeit und möglicher Menschenrechtsverletzungen, habe ich mich mal nach weiteren Stimmen umgesehen.

Aber leider stellen dieser Blog hier und der von O. Garcia die einsamen Ausnahmen an Konstanz und Substanz im vormals großen Medienaufruhr dar. Der Hype ist also vorbei.

Für die Einen ist die Weste der Justiz zwar erheblich befleckt, aber nach eigenen Wertvorstellungen noch einmal gerettet und für die Andern ist die justizmäßige Bearbeitung und möglicherweise auch das Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen des vormals "verräumten Helden" zur Aufdeckung des ganzen Skandals unter der Erwartung geblieben. Ich konnte und kann beiden Vorstellungswelten nicht folgen. Ich verstehe aber diejenigen sehr gut, die mit dem Juristischen nichts am Hut haben und einfach einem Justizopfer halfen und sich nun wieder von dieser Welt fernhalten wollen. Aber auch die professionellen Massenmedien und die Fachpresse belassen es nun beim schlichten Nacherzählen der offiziellen BGH-Pressemeldung. Warum nicht gleich den Link und fertig? Nachprüfen und Positionieren? Fehlanzeige! Also kein Interesse mehr? Dabei geht es doch auch gerade jetzt um ziemlich Wesentliches. Würde sich das ändern, wenn der Fall tatsächlich noch zum BVerfG oder sogar zum EGMR gelangt? Werden uns dann die Desinteressierten und Alleswisser wieder in ZeitSpiegelBildern neue Wahrheiten erklären?  

Einige wenige interessante Stimmen, teils aber auch schon älteren Datums, fand ich dann doch noch.  

"Mollaths früherer Anwalt, der renommierte Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate, hat süffisant angemerkt, die Regensburger Strafkammer habe sich einen „Kunstgriff“ erlaubt, als sie Mollath bei dem Vorwurf der Köperverletzung eine nicht ausschließbare Schuldunfähigkeit bescheinigt habe. Damit sei Mollath um die Möglichkeit einer Revision gebracht worden."

Ein Leser kommentierte dazu:
"Kadi-Justiz des arabischen Märchens nennt man solche Winkelzüge,worauf Richter auch noch stolz sind Folgen  Das brennendste Problem der jurist. Methodenlehre (übrigens schon in Schriften von Aristoteles angelegt) beschreibt später Savigny ("System des heutigen röm.Rechts",1840):"Die im Einzelfall unvermeidliche Distanzierung d Richters vom Wortlaut u Geist d Gesetze,also von einer gegebenen u nachprüfbaren Objektivität,zu nunmehr seiner Subjektivität,die nicht mehr nachprüfbar ist,Tür und Tor öffnet,verliert alle Maßstäbe einer möglichen jurist.Rationalität,entfernt sich vom rechtsstaatlichen Willkürverbot.Die Lust der Richter passende Winkelzüge zu erfinden, kommt der Kadi-Justiz des arabischen Märchens gleich. Und heutzutage gilt:Man kann ernsthaft nicht sagen,dass die jurist. Methodologie darüber hinaus gekommen wäre. Zu leicht machen es sich Richter,dem Rechtsunterworfenen ein Michael-Kohlhaas-Problem anzuhängen,wenn sie erwischt werden.

Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/revision-beantragt-mollath-mit-seinem...

"Ich vermute mal, dass das dem neuen Verteidiger wahrscheinlich auch von vornherein klar war, dass das passieren würde. Es wird im Zweifel dann doch darum gehen, über die Revision zum BGH – quasi als Umweg – den Weg zum BVerfG – in den Schloßbezirk frei zu machen, um von da aus dann zum EGMR nach Straßburg zu fahren. Das Verfahren wird uns also voraussichtlich noch länger beschäftigen."

Ein Ermittlungsrichter schreibt:
Irgendwie scheint auch noch niemandem unter den Kommentatoren der BGH-Entscheidung deren Randziffer 37 aufgefallen zu sein. Das ist ja im Grunde genommen eine in die Entscheidung eingebaute Versicherung des 1. Strafsenats, mit der sie sowohl im Schlossbezirk als auch in Straßburg der Prüfung standhalten sollte.

http://blog.burhoff.de/2015/12/fall-mollath-oder-von-der-herrenstrasse-u...

Ein Leserkommentar:
"Hier zwei passende Zitate: "In den konkreten Fragen ihres individuellen Lebensschicksals von meist existentieller Bedeutung begegnen die Menschen einer von der gnadenlosen Härte abstrakter Ideologien geprägten Rechtsordnung. So werden sie in ihrem ureigensten Privatbereich zum Spielball und Opfer des jeweils staatlich verordneten 'Zeitgeistes'. Seine Flüchtigkeit hüllt sich in den trügerisch tarnenden Mantel der Wahrheit mit Absolutheitsanspruch." Zitat: Wolfgang Zeidler "Das Gesetz ist das Eigenthum einer unbedeutenden Klasse von Vornehmen und Gelehrten, die sich durch ihr eignes Machwerk die Herrschaft zuspricht. Diese Gerechtigkeit ist nur ein Mittel, euch in Ordnung zu halten, damit man euch bequemer schinde; sie spricht nach Gesetzen, die ihr nicht versteht, nach Grundsätzen, von denen ihr nichts wißt, Urtheile, von denen ihr nichts begreift." Zitat: Georg Büchner""

http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.antrag-abgelehnt-gustl-mollat...

Angesichts dieser auf über zehn Seiten des Beschlusses dargelegten Gründe der Unzulässigkeit der Revision, erscheint es schon fast etwas provokant, wenn der BGH abschließend klarstellt: „All dies unbeschadet wäre die Revision des Angeklagten auch unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.“

http://www.strafrechtsblogger.de/revision-gegen-freispruch-ist-unzulaess...

Unfeines Nachtreten der Gerichte

Vor allem im Sexualstrafrecht ist gelegentlich zu erkennen, dass das Gericht in der Urteilsbegründung noch einmal Nachtritt. Da heißt es dann häufig, dass der Angeklagte zwar (bedauerlicherweise) freigesprochen gehört, das Gericht jedoch davon ausgeht, dass er die Tat begangen habe.

Teilweise erlebt man dies sogar in der mündlichen Urteilsbegründung. Wenn auf den Freigesprochenen zum Beispiel ganz massiv eingewirkt wird, er solle doch über eine mögliche Therapie nachdenken. Zum Teil greifen Richter in Tötungsprozessen auch zu Wendungen wie „sollten sie es doch gewesen sein, so finden sie hoffentlich keine schlaflose Nacht mehr“.

Rechtlich mag dies noch im Rahmen sein und möglicherweise sogar menschlich nachvollziehbar. Die Frage ist aber, ob der Richter tatsächlich dazu berufen ist, nicht nur rechtlich über den Angeklagten zu urteilen, sondern auch moralisch. Es ist in vielen Fällen zumindest nicht die feine englische Art.

https://www.ingerenz.de/revision-von-mollath-als-unzulaessig-verworfen/

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@ I.S.

Ihr Einwand mit dem § 190 StGB ist sehr gut und in vielerlei Hinsicht interessant. Danach gelten die Feststellungen zum Unrecht bzw. zur Täterschaft und Rechtswidrigkeit, aber auch zur Schuldfähigkeit als nicht wahr, wenn nur freigesprochen wird. Dann hätte der Freispruch wirklich eine omnipotente Heilwirkung für alles, was in den Urteilsgründen stünde, damit auch für ehrverletzende Feststellungen. Mehr könnte der Freigesprochene durch Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler und ggf. Zurückverweisung auch nicht erreichen. 

Jetzt kommt nur das Wenn-Und-Aber: Der § 190 StGB steht ja nicht allein da. Die Liste der Rechtfertigungsgründe in § 193 StGB ist lang, sehr lang. Der Freigesprochene kann sich unter diesen Voraussetzungen gegen ehrverletzende Behauptungen aus den Urteilsfeststellungen nicht zur Wehr setzen. Er muss sie dann wohl dulden.

Ich denke, man kann die Interessenkollision nicht schon in der Auslegung der Zulässigkeit von Rechtsmitteln vornehmen und damit die Beschwer auf den Tenor beschränken. Trotzdem finde ich die Wirkung des § 190 StGB interessant: Behauptet eine Journalistin, Mollath habe seine damalige Ehefrau geschlagen, getreten, gebissen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und damit sie am Körper in lebensbedrohender Weise verletzt, sei aber nicht bestraft worden, weil er möglicherweise nicht Herr seiner Sinne war, dann wäre das infolge des § 190 StGB nicht wahr und eine Verleumdung. Wegen berechtigter Interessen der Journalistin könnte man dagegen wohl nichts tun. 

Das müsste doch so richtig sein. Oder?

Nur noch eine kleine kosmetische Nachfrage: Sie schreiben von einem "Freispruch wegen Verschlechterungsverbot". Aber gibt es denn so etwas überhaupt? Ich meine, nein. Ich glaube, das, was Sie meinen (Schuldspruch ohne Strafausspruch?) ist eine Verurteilung.

WR Kolos schrieb:
Behauptet eine Journalistin, Mollath habe seine damalige Ehefrau geschlagen, getreten, gebissen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und damit sie am Körper in lebensbedrohender Weise verletzt, sei aber nicht bestraft worden, weil er möglicherweise nicht Herr seiner Sinne war, dann wäre das infolge des § 190 StGB nicht wahr und eine Verleumdung. Wegen berechtigter Interessen der Journalistin könnte man dagegen wohl nichts tun. 

Das müsste doch so richtig sein. Oder?

Würde ich jetzt nicht ganz so streng auslegen: Wird GM als Körperverletzer oder Straftäter bezeichnet, wäre das eine Verleumdung. Denn das ist er wegen des Freispruchs nicht.

 

Wird hingegen nur korrekt die Sachverhaltsschilderung des Gerichts wiedergegeben, ist das mMn. keine Verleumndung.

Eine Wiedergabe der gerichtlich festgestellten Tathandlung ohne den Hinweis auf die Schuldunfähigkeit wäre aber wohl nicht gestattet - wobei man sich dann fragen könnte, ob "Nicht Herr seiner Sinne", wenn es sich nicht so im Urteil wiederfindet, dann aber schon wieder die Grenze zur Beleidigung überschritten haben kann.

 

Quote:
Nur noch eine kleine kosmetische Nachfrage: Sie schreiben von einem "Freispruch wegen Verschlechterungsverbot". Aber gibt es denn so etwas überhaupt? Ich meine, nein. Ich glaube, das, was Sie meinen (Schuldspruch ohne Strafausspruch?) ist eine Verurteilung.

Ich glaube Sie haben Recht.

Das brennendste Problem der jurist. Methodenlehre beschreibt Savigny :"Die im Einzelfall unvermeidliche Distanzierung..."

Savigny ist schon seit 150 Jahren tot, von Beruf Zivil- und kein Strafrechtler und im Übrigen auch nicht als Verfassungsrechtler bekannt. Außerdem wäre es schön, ein derartiges Zitat mit einer Fundstelle zu belegen, wo man es auch nachlesen kann, wobei Savignys "System des heutigen römischen Rechts" immerhin 8 Bände umfasst. Ich sehe mich nicht in der Lage, das Zitat angesichts der subalternen Quelle so einfach als richtig zu unterstellen, unabhängig davon, dass es zur heutigen Rechtslage ebensowenig aussagt, wie der Dekalog des Moses...

Nach dem Wortlaut des § 2O StGB ist eindeutig eine materiell rechtliche Voraussetzung für die Schuldunfähigkeit die T a t s a c h e einer schweren anderen seelischen Abartigkeit.

Ausserdem gilt selbstverständlich auch im Hinblick auf eine "Tatsache" der Zweifelssatz. Mit derartiger Rabulistik kommt niemand sinnvoll weiter.

3

@ Menschenrechtler

Mit einer möglichen Zusammenfassung zur formalen Beschwer warte ich noch ab, bis sich die noch offenen Fragen geklärt haben.

Zum § 20 StGB

"Wenn während der Tat der Täter "3. abartig" und deswegen unfähig zur Einsicht ist, dann ohne Schuld." so lautet aufs Prinzip verkürzt der § 20 StGB.

"Wenn" (Tatsache) ist also die Eingangsvoraussetzung, damit "dann" (Folgerung) überhaupt eintreten kann.

Führt der Zweifelssatz zur Tatsache nicht zum Ausschluss der Folgerung? 

Gab es eine Abgrenzung zu § 21 StGB? Hätte eine Abgrenzung zwingend erfolgen müssen, wenn der staatliche Strafanspruch eigentlich der Zweck des Strafverfahrens ist?

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

"Wenn wahrend der Tat der Täter "3. abartig" und deswegen erheblich vermindert einsichtsfähig ist, dann verminderte Schuld" so aufs Prinzip verkürzt der § 21 StGB.

Der § 21 StGB hätte also zur Verurteilung geführt und die Revision wäre dann auch nach h.M. zulässig gewesen. Wäre die Anwendung des § 20 anstelle des vielleicht eher zutreffenden § 21 eine "honorige Geste" des Strafgerichts gegenüber dem Angeklagten trotz des staatlichen Strafanspruch? 

 

 

4

Kleine Korrektur zu #16

Um nah beim Fall zu bleiben, ist nicht verminderte oder fehlende Einsichtsfähigkeit die konkrete Eingangsvoraussetzung, sondern die verminderte oder fehlende Fähigkeit nach dieser Einsicht zu handeln. Denn Einsichtsfähigkeit hatte das LG als Tatsache festgestellt.

Ps: Im Übrigen eine erstaunliche Fähigkeit des LG zur Reise durch die Zeit und ins Innere der menschlichen Psyche.  

3

@ Lutz Lippke

Wir drehen uns bald im Kreis, wenn Sie fragen "[...]woraus und wie leiten Sie den Gegenstand der Beschwer selbst her?" und ich bereits geschrieben habe "Die Herleitung des BGH gründet eben doch auf dem Gesetz[...]", folgend eben mit der Herleitung.

Ich verweise immer wieder auf § 296 StPO, weil das der gesetzliche Anknüpfungspunkt der Beschwer ist. Genauer gesagt natürlich der Umkehrschluss aus § 296 II StPO und einigen anderen Normen, bei Krack nachzulesen welche das sind. Das ist der Kontext, einen anderen gibt es nicht - auch nicht für Ihre Argumentation mit dem Gegenstand des Urteils. Alles was über den Umkehrschluss hinausgeht sind nur Auslegungen und Argumentation für die eine oder andere Auslegung.

Mir geht es nicht darum, die eine oder andere Auslegung als besser oder schlechter zu beurteilen. Wie ich schon mehrfach geschrieben habe gibt es für eine Einbeziehung der Urteilsgründe bei der Beschwer gute Gründe. Dadurch wird aber die Meinung des BGH nicht gesetzeswidrig. Weil das Gesetz eben zur Beschwer an sich so gut wie nichts hergibt, kann man nur durch Auslegung ermitteln was der Gesetzgeber denn gemeint haben könnte. Das tut der BGH, deshalb ist seine Ansicht nicht gesetzeswidrig.

3

@ I.S. und Gast

Merken Sie nicht, dass Sie gar keine Regeln der Argumentation einhalten. Greifen Sie selbst auf formale Logik zurück und man argumentiert formal logisch dagegen, dann weichen Sie auf Allgemeinplätze und Unbestimmtes aus, wie z.B. "üblicherweise von Vorteil" oder "könnte auch". Allgemeinen Folgerungen aus dem gesunden Menschenverstand und den Lebenssachverhalten, wie sie z.B. Menschenrechtler überwiegend fokussiert, entgegnen Sie jedoch wieder mit Formalitäten. Ich sage Ihnen ganz klar meine Meinung, das ist willkürliches Deuteln und unterliegt weder strengen noch sonst angemessenen Regeln einer nachvollziehbaren Denklogik und Greifbarkeit. Es ist ein einzigariges Winden, dass das zu verteidigende Ergebnis irgendwie nur tragbar erscheinen lassen soll. Wenn das Ihr Anspruch an Rechtsstaatlichkeit ist, dann stehen wir sehenden Auges vor deren Beliebigkeit.  

3

@ I.S. in #18

§20 unterscheidet sich da nur wenig von den anderen Paragrafen. "Wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass der  Angeklagte nicht schuldfähig ist, wird §20 angewandt." Dabei gilt die Annahme, dass üblicherweise alle Menschen schuldfähig sind.

Die Überzeugung bestimmt also die Diagnose und damit die Anamneseergebnisse. Besser kann man die "Schweinehundmethode" gar nicht offenbaren.

Weil der Mensch nach richterlicher Überzeugung nicht schuldfähig ist oder sein soll, muss er unter § 20 StGB fallen, daher nicht ausschließbar an einer anderen schweren Abartigkeit in Form eines Wahnsystems (...) leiden, die genau deswegen zwar nicht seine Einsichtsfähigkeit beschränken soll, aber die Fähigkeit danach zu handeln ausschließt. Psychologische Gutachten und richterliche Überzeugung vom Ergebnis her gedacht? Was meinen eigentlich Prof. Nedopil und Prof. Müller dazu? 

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Lutz Lippke schrieb:

@ I.S. in #18

§20 unterscheidet sich da nur wenig von den anderen Paragrafen. "Wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass der  Angeklagte nicht schuldfähig ist, wird §20 angewandt." Dabei gilt die Annahme, dass üblicherweise alle Menschen schuldfähig sind.

Die Überzeugung bestimmt also die Diagnose und damit die Anamneseergebnisse. Besser kann man die "Schweinehundmethode" gar nicht offenbaren.

Weil der Mensch nach richterlicher Überzeugung nicht schuldfähig ist oder sein soll, muss er unter § 20 StGB fallen, daher nicht ausschließbar an einer anderen schweren Abartigkeit in Form eines Wahnsystems (...) leiden, die genau deswegen zwar nicht seine Einsichtsfähigkeit beschränken soll, aber die Fähigkeit danach zu handeln ausschließt. Psychologische Gutachten und richterliche Überzeugung vom Ergebnis her gedacht? Was meinen eigentlich Prof. Nedopil und Prof. Müller dazu? 

Zumal man bei dem Ganzen ja nicht vergessen darf und s o l l t e, dass GM seitens des Gerichts ja gar nicht attestiert worden war, er sei an ein e i n e m einzigen bestimmten Tag vor weit über 10 Jahren schuld-un-fähig gewesen.

Es wurde ja lediglich nicht ausgeschlossen.

Ist das eigentich überhaupt noch eine korrekte Anwendung dieses Paragraphen?

Geht das auch bei allen anderen Paragraphen?

Also dass man sie dann anwenden kann, wenn man nicht 100% sicher auschließen kann, dass man sie anwenden könnte?

Und wenn ja, wo führt das eigentlich hin?

Rechts- oder sonstige Sicherheit ist da ja nicht mal mehr ansatzweise zu erkennen.

Allerdings natürlich auch nicht gänzlich auszuschließen.

Daher könnten wir das hier demonstrierte System ja einfach mal beibehalten. Es ist immerhin nicht gänzlich auszuschließen, dass dabei (gelegentlich) ein angemessenes Urteil rauskommt :-)

3

f&f schrieb:

Lutz Lippke schrieb:

@ I.S. in #18

§20 unterscheidet sich da nur wenig von den anderen Paragrafen. "Wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass der  Angeklagte nicht schuldfähig ist, wird §20 angewandt." Dabei gilt die Annahme, dass üblicherweise alle Menschen schuldfähig sind.

Die Überzeugung bestimmt also die Diagnose und damit die Anamneseergebnisse.[...]

Zumal man bei dem Ganzen ja nicht vergessen darf und s o l l t e, dass GM seitens des Gerichts ja gar nicht attestiert worden war, er sei an ein e i n e m einzigen bestimmten Tag vor weit über 10 Jahren schuld-un-fähig gewesen. Es wurde ja lediglich nicht ausgeschlossen.

Deshalb ist es auch sehr innovativ, hier eine "Diagnose" oder Anamnese zu erkennen.

f&f schrieb:
Ist das eigentich überhaupt noch eine korrekte Anwendung dieses Paragraphen? Geht das auch bei allen anderen Paragraphen? Also dass man sie dann anwenden kann, wenn man nicht 100% sicher auschließen kann, dass man sie anwenden könnte?

Die Frage hatte ich oben schonmal beantwortet,aber ich versuchs nochmal anders formuliert:
Wenn das Gericht nach Ermittlung des Sachverhalts noch ernste Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat, dann greift die Unschuldsvermutung (und "in dubio pro reo" ist direkte Folge der Unschuldsvermutung). An welcher Stelle die dann formalrechtlich ansetzt, hängt davon ab, wodran das Gericht genau zweifelt. Zweifelt es, wie im Fall GM, (nur) an der Schuldfähigkeit, so gebietet es die Unschuldsvermutung, aus diesem Grund freizusprechen.

Grundsätzlich geht die Anwendung deshalb auch bei anderen Vorschriften. Immer dann, wenn durch eine Ausnahmeregelung irgendetwas zugunsten eines Angeklagten wirken kann, ist denkbar, dass "in dubio" angewandt wird. Meines Wissens kann beispielsweise auch eine Notwehrlage über "in dubio pro reo" bejaht werden.

 

 

I.S. schrieb:

f&f schrieb:

Lutz Lippke schrieb:

@ I.S. in #18

§20 unterscheidet sich da nur wenig von den anderen Paragrafen. "Wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass der  Angeklagte nicht schuldfähig ist, wird §20 angewandt." Dabei gilt die Annahme, dass üblicherweise alle Menschen schuldfähig sind.

Die Überzeugung bestimmt also die Diagnose und damit die Anamneseergebnisse.[...]

Zumal man bei dem Ganzen ja nicht vergessen darf und s o l l t e, dass GM seitens des Gerichts ja gar nicht attestiert worden war, er sei an ein e i n e m einzigen bestimmten Tag vor weit über 10 Jahren schuld-un-fähig gewesen. Es wurde ja lediglich nicht ausgeschlossen.

Deshalb ist es auch sehr innovativ, hier eine "Diagnose" oder Anamnese zu erkennen.

Ah.ok, d.h. Sie sagen hiermit, dass es in der WAV w e d e r eine Anamnese n o c h eine Diagnose gab?

Mutig :-) Respekt !!!

I.S. schrieb:

f&f schrieb:
Ist das eigentich überhaupt noch eine korrekte Anwendung dieses Paragraphen? Geht das auch bei allen anderen Paragraphen? Also dass man sie dann anwenden kann, wenn man nicht 100% sicher auschließen kann, dass man sie anwenden könnte?

Die Frage hatte ich oben schonmal beantwortet,aber ich versuchs nochmal anders formuliert:
Wenn das Gericht nach Ermittlung des Sachverhalts noch ernste Zweifel an der Schuld des Angeklagten hat, dann greift die Unschuldsvermutung (und "in dubio pro reo" ist direkte Folge der Unschuldsvermutung). An welcher Stelle die dann formalrechtlich ansetzt, hängt davon ab, wodran das Gericht genau zweifelt. Zweifelt es, wie im Fall GM, (nur) an der Schuldfähigkeit, so gebietet es die Unschuldsvermutung, aus diesem Grund freizusprechen.

Oh, o.k.. d.h., sofern ich Sie richtig verstehe, sobald das Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, w i e a u c h i m m e r, wird dann einfach i r g e n d e i n e Diagnose (auch ohne Anamnese) hergenommen (also im Prinzip frei erfunden), um i r g e n d e i n e n Paragraphen (in dem Fall 20 oder 21) heranziehen zu können, der eine in dubio Auslegung ermöglicht?

Allerdings hinkt (um nicht zu sagen humpelt und fällt hin) Ihre gesamte Argumentation leider daran, dass das Gericht ja eben KEINE Zweifel an seiner SCHULD hatte, ganz im Gegenteil, sondern NUR an seiner Schuld-FÄHIGKEIT.

3

f&f schrieb:

f&f schrieb:
Lutz Lippke schrieb:

@ I.S. in #18

§20 unterscheidet sich da nur wenig von den anderen Paragrafen. "Wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass der  Angeklagte nicht schuldfähig ist, wird §20 angewandt." Dabei gilt die Annahme, dass üblicherweise alle Menschen schuldfähig sind.

Die Überzeugung bestimmt also die Diagnose und damit die Anamneseergebnisse.[...]

Zumal man bei dem Ganzen ja nicht vergessen darf und s o l l t e, dass GM seitens des Gerichts ja gar nicht attestiert worden war, er sei an ein e i n e m einzigen bestimmten Tag vor weit über 10 Jahren schuld-un-fähig gewesen. Es wurde ja lediglich nicht ausgeschlossen.

I.S. schrieb:
Deshalb ist es auch sehr innovativ, hier eine "Diagnose" oder Anamnese zu erkennen.
Ah.ok, d.h. Sie sagen hiermit, dass es in der WAV w e d e r eine Anamnese n o c h eine Diagnose gab? Mutig :-) Respekt !!!

(Hervorhebungen in den Zitaten von mir, der Lesbarkeit wegen habe ich eine Ebene aus der Verschachtelung herausgenommen.)

Nein, sagte ich nicht. Ein Sachverständiger, der eine Diagnose abliefert, ist nicht "das Gericht".
 

f&f schrieb:
Oh, o.k.. d.h., sofern ich Sie richtig verstehe, sobald das Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, w i e a u c h i m m e r,

zu "wieauchimmer" s. #9 und #10 auf Seite 9

 

Quote:
wird dann einfach i r g e n d e i n e Diagnose (auch ohne Anamnese) hergenommen (also im Prinzip frei erfunden),

http://www.duden.de/rechtschreibung/Diagnose
"(Medizin, Psychologie) Feststellung, Bestimmung einer körperlichen oder psychischen Krankheit (durch den Arzt)"

Zu der Beweisaufnahme, auf Grund derer das Gericht den Sachverhalt feststellt, kann durchaus die Diagnose eines Sachverständigen gehören, muss aber nicht.

Das Gericht bestimmt aber keine psychische Krankheit. Für das Gericht wichtig sind nur die Symptome ("unfähig das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln").

Davon abgesehen: Wenn das Gericht tatsächlich eine Krankheit diagnostiziert hätte, hätte es auch eine "krankhafte seelische Störung" als Grund für den §20 angeben müssen, nicht "andere seelische Abartigkeit".

 

Quote:
um i r g e n d e i n e n Paragraphen (in dem Fall 20 oder 21) heranziehen zu können, der eine in dubio Auslegung ermöglicht?

Welcher Paragraf dieser "irgendeine" ist, ergibt sich aus dem ermittelten Sachverhalt. Schuld kann zum Beispiel entfallen wegen Schuldunfähigkeit (§20), Verbotsirrtum (§17), entschuldigendem Notstand (§35).

Die sind aber nicht beliebig austauschbar, sondern es sind alles Ausnahmen, deren Vorliegen vom Gericht festgestellt werden muss.
(Bevor jetzt einer "Feststellung" falsch versteht: zu dieser Feststellung kann u.U. auch "in dubio" herangezogen werden).

 

Quote:
Allerdings hinkt (um nicht zu sagen humpelt und fällt hin) Ihre gesamte Argumentation leider daran, dass das Gericht ja eben KEINE Zweifel an seiner SCHULD hatte, ganz im Gegenteil, sondern NUR an seiner Schuld-FÄHIGKEIT.

§20 in Kurzform: "Ohne Schuld handelt [wer nicht schuldfähig ist]". Zweifel an der Schuldfähigkeit sind nur ein Unterfall von Zweifel an der Schuld.

Lutz Lippke schrieb:

@ I.S. in #18

§20 unterscheidet sich da nur wenig von den anderen Paragrafen. "Wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass der  Angeklagte nicht schuldfähig ist, wird §20 angewandt." Dabei gilt die Annahme, dass üblicherweise alle Menschen schuldfähig sind.

Die Überzeugung bestimmt also die Diagnose und damit die Anamneseergebnisse. Besser kann man die "Schweinehundmethode" gar nicht offenbaren.

Weil der Mensch nach richterlicher Überzeugung nicht schuldfähig ist oder sein soll, muss er unter § 20 StGB fallen, daher nicht ausschließbar an einer anderen schweren Abartigkeit in Form eines Wahnsystems (...) leiden, die genau deswegen zwar nicht seine Einsichtsfähigkeit beschränken soll, aber die Fähigkeit danach zu handeln ausschließt. Psychologische Gutachten und richterliche Überzeugung vom Ergebnis her gedacht? Was meinen eigentlich Prof. Nedopil und Prof. Müller dazu? 

Ich schrieb:

Wie das Gericht seine Überzeugung bildet/zu bilden hat, lasse ich mal weg.

Ich habe nur die Darstellung weggelassen. Natürlich muss die Überzeugungsbildung immer nach den entsprechenden Regeln erfolgen. Die Überzeugungsbildung erfolgt in der Beweisaufnahme, aufgrund dessen, was dort vorgebracht und ermittelt wird. Die von Ihnen genannten psychologischen Gutachten beispielsweise gehören zur Beweisaufnahme und sind deshalb nicht Ergebnis, sondern Grundlage der Überzeugungsbildung des Gerichts. Auf Basis der Beweise, Indizien aber auch dem Eindruck, den das Gericht von Zeugen, Opfern, Angeklagten hat, erfolgt die Überzeugungsbildung.

Wenn es dabei ausreichende Anhaltspunkte für Schuldunfähigkeit gibt, wird §20 in einer seiner Alternativen angewandt. Die "seelische Abartigkeit" (blöde Ausdrucksweise) ist auch Auffangtatbestand für alles was nicht in die anderen Alternativen fällt und deshalb sehr weit weg von einer "Diagnose". Erst recht, wenn "in dubio" angewandt wird und nichts weiter überbleibt als "irgendwelche geistigen Probleme des Angeklagten können wir nicht ausschließen, genaueres wissen wir aber nicht" und das dann mit dem im Gesetz vorgesehenen Fachausdruck "nicht auszuschließende seelische Abartigkeit" versehen wird.

Interessant ist zu sehen, wie sich die "Moderation" der Beiträge hier entwickelt, die Regeln sind ja für alle nachlesbar...

 

Die Kritiker der BGH-Entscheidung frage ich:

Worin besteht aus Ihrer Sicht überhaupt eine Grenze für die Zulässigkeit einer Revision?
Oder gibt es im Grunde keine, weil es für die Zulässigkeit ausreiche, im Rahmen der Sachrüge eine Beschwer nur zu vermuten/behaupten, die nicht ja begründet werden muß und darum immer erhoben werden kann (und sollte)?
If so: Sollte man nicht besser eine generelle Überprüfung aller Urteile gesetzlich festlegen?
Und die Überprüfung der Überprüfung auch?

Moment! Warten Sie bitte noch auf meine zweite Frage, die mit dieser ersten eng zusammenhängt:

Welches Urteil (auch freisprechende) wäre aus Ihrer Sicht NICHT beschwert?
Eines, das aus tatsächlichen Gründen freispricht?
Wirklich?
Wait! : Bei Krack findet sich das schöne Beispiel eines solchen Freispruchs, bei dem in den Urteilsgründen das entscheidende Alibi genannt wird, der Angeklagte habe zur Tatzeit laut Zeugenaussage der Prostituierten X bei ihr als Kunde geweilt.
Ojojoj.
Persönlichkeitsrechte verletzt?
Beschwer? Zulässigkeit einer Revision deswegen?

Ich erspare mir andere Beispiele und höre weiter interessiert zu.

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Worin besteht aus Ihrer Sicht überhaupt eine Grenze für die Zulässigkeit einer Revision?

Im Wortlaut des Gesetzes (§ 333 StPO: "Gegen die Urteile ... ist Revision zulässig.") und der Verfassung (Art. 19 IV GG: "in seinen Rechten verletzt"). Fügt man Gesetz und Verfassung zusammen, dann ergibt sich daraus folgende Zulässigkeitsvoraussetzung: 

         Gegen die Urteile ist Revision zulässig, wenn der Angeklagte in seinen Rechten verletzt wird. 

Welches Urteil (auch freisprechende) wäre aus Ihrer Sicht NICHT beschwert? Eines, das aus tatsächlichen Gründen freispricht?

Ja (mE), wenn der Angeklagte durch das Urteil in seinen Rechten nicht verletzt wird.

Wait! : Bei Krack findet sich das schöne Beispiel eines solchen Freispruchs, bei dem in den Urteilsgründen das entscheidende Alibi genannt wird, der Angeklagte habe zur Tatzeit laut Zeugenaussage der Prostituierten X bei ihr als Kunde geweilt.
Ojojoj.
Persönlichkeitsrechte verletzt?
Beschwer? Zulässigkeit einer Revision deswegen?

Ja (mE), wenn die Prostituierte X keine Prostituierte, sondern Kauffrau war und dazu noch Ehefrau des Angeklagten. Allerdings wäre das dann eine isolierte Beschwer, die am Alibi nichts ändern und isoliert behoben werden könnte, ohne die Entscheidung auf Rechtsfehler überprüfen zu müssen. 

Dem Kommentar von WR Kolos kann ich zustimmen. Um die Frage der Zulässigkeit noch zu konkretisieren, würde ich die formelle Zulässigkeit der Revision durch den Beschuldigten in §§ 296 (1), 333, 341, 342, 344, 345, 346 StPO umfassend geregelt sehen.

Mit § 349 (1-3) StPO erfolgt nach Prüfung der formellen Zulässigkeit noch eine materiell-rechtliche Prüfung der Zulässigkeit der Revisionsgründe gemäß §§ 337, 338 StPO.

Damit ist die Zulässigkeitsprüfung umfassend und klar im Gesetz geregelt.

Letztlich griff der BGH auch auf § 349 StPO zurück. Das könnte nun in der Diskussion fokussiert werden.

Zur Diskussionskultur möchte ich anmerken, dass nur die Kontroverse und der Wille zur offenen Argumentation Klarheit verschafft.

Das hat bei aller Befindlichkeit nichts Persönliches zum Ziel, sondern kommt naturgemäß nicht ohne aus.

Provokante Fragen führen zum Nachdenken, Fokussieren und zu wertvollen Antworten wie in #24, 25 gezeigt.

 

3

 

Gegen die Urteile ist Revision zulässig, wenn der Angeklagte in seinen Rechten verletzt wird

 

Die Zulässigkeit mit dem möglichen Ergebnis der Frage der Begründetheit, die im Revisionsverfahren zu prüfen ist, festzustellen, halte ich für mehr als fragwürdig.

 

Und: Die Prostituierte war eine Prostituierte, so wie neulich das Pornoheft ein Pornoheft war.

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@ Zuhörer

Soweit ich Hr. Kolos verstehe entnimmt er den Passus Rechtsverletzung aus Art. 19 IV GG. Das steht dort so wörtlich drin. Daher liegt keine verkappte Begründetheitsprüfung vor. Grundrechte zwingen, wenn einschlägig, zur Bejahung der Zulässigkeit. Da kommt man auch mit der Tenorbeschwer nicht darum herum.

Allerdings gibt es dann keinen Unterschied zwischen der Tenorbeschwer und der Urteilsbeschwer iS von Hr. Kolos, da die Urteilsbeschwer dann nur soweit geht wie die Tenorbeschwer es wegen der Grundrechte muss.

4

Ich gehe davon aus, dass WR Kolos in #25 die formelle und die materiell-rechtliche Prüfung der Zulässigkeit mit dem Verweis auf § 333 StPO und Art. 19 IV GG zusammengefasst hat.

Einfachrechtlich entspricht dies m.E. hier A und B 1-3

A. formelle Prüfung der Zulässigkeit beim Ausgangsgericht

1. Statthaftigkeit des Revisionsantrags §§ 296 (1), 333 StPO

2. Form und Frist §§ 341, 342, 344, 345, 346 StPO

Entspricht der Revisionsantrag nicht diesen Anforderungen, wird er vom Gericht der I. Instanz gem. § 346 (1) StPO durch Beschluss als unzulässig verworfen. Binnen einer Woche nach Zustellung des Verwerfungsbeschlusses kann der Revisionsführer gem. § 346 (2) StPO die Entscheidung des Revisionsgerichts beantragen.

Soweit hier bekannt ist, hatte der Revisionsführer die formelle Prüfung der I. Instanz ohne einen Verwerfungsbeschluss bestanden.

B. formelle und materiell-rechtliche Prüfung der Zulässigkeit durch das Revisionsgericht

1. formelle "Kann"-Prüfung nach § 349 (1) StPO auf Einhaltung der Form-Vorschriften, Verwerfung

2./3.  materiell-rechtliche Prüfung auf offensichtliche Unbegründetheit, Verwerfung

4. bei einstimmig begründet, Aufhebung des Urteils durch Beschluss

5. Entscheidung durch Urteil

Die Anwendung von § 349 (1) StPO durch den BGH ohne konkrete Angabe der verletzten Vorschrift erscheint mir sehr fragwürdig. Aber dafür hat der BGH ein Ass im Ärmel, das BVerfG. Der BGH hätte mit Generalvollmacht also auch ohne Begründung verwerfen können. 

http://blog.beck.de/2015/09/28/revisionsverwerfung-nach-349-stpo-noch-ke...

Sollte diesmal vor allem § 349 (2) StPO umgangen werden? Denn die Beschlussbegründung entspricht eher dem § 349 (2) StPO. Hierfür hätte es jedoch eines begründeten Antrags der STA bedurft, die ja wohl zumindest die offensichtlichen Mängel des Urteils kannte. Zudem hätte der Revisionsführer zum Antrag der STA noch intervenieren können. Prof. Müller am 06.12.2012 in der lto zur Anwendung des § 349 (2) StPO im vorherigehenden Urteil des gleichen Senats vom 13.02.2007:

"Der Senat verwarf daraufhin die Revision als "offensichtlich unbegründet" nach § 349 Abs. 2 StPO ohne schriftliche Begründung. Die Strafsenate des BGH sind mittlerweile aus strukturellen Gründen offenbar immer weniger in der Lage, Urteile der Tatsacheninstanzen effektiv zu überprüfen und Fehlurteile zu verhindern."

Nicht zu vergessen war, dass auch 2007 ein entsprechender Antrag der STA vorgelegen haben muss.

Zur Historie der offensichtlichen Unbegründetheit (§ 349 (2) StPO) Prof. Dr. Henning Rosenau 

http://www.zis-online.com/dat/artikel/2012_5_665.pdf

Kritisch zur praktischen Anwendung des § 349 StPO Prof. Dr. Dennis Bock

http://www.ja-aktuell.de/cms/website.php?id=/de/studium_referendariat/kl...

Spannend ist ein Fall zu § 349 (2) StPO, der bis zum BVerfG führte. Die Rechtsmittelinstanz hatte aktiv der STA den Antrag nach § 349 (2) StPO vorgeschlagen und dabei die Absicht einer entsprechenden Verwerfung angekündigt. Nach dem entsprechenden Antrag der STA reichte der Rechtsmittelführer gem. § 349 (3) StPO eine Gegenerklärung ein und rief nach der erfolgten Verwerfung das BVerfG an. Das BVerfG nahm die Beschwerde nicht an, weil der Rechtsmittelführer ein nahe liegendes Ablehnungsgesuch gegen die verantwortlichen Richter "versäumt" hatte.

Ein bekannter Strafverteidiger bekannte sich frühzeitig, warum er nichts "darüber" schreibe

 http://www.kanzlei-hoenig.de/2012/warum-ich-nichts-darueber-schreibe/

 

 

 

 

    

3

Die Anwendung von § 349 (1) StPO durch den BGH ohne konkrete Angabe der verletzten Vorschrift erscheint mir sehr fragwürdig.

 

Sie Spaßvogel.

Der BGH gibt über 13 Seiten konkret an, weswegen eine Zulässigkeit abgelehnt wurde, nämlich Nichtvorliegen einer Beschwer.

Alles andere, was Sie schreiben, bezieht sich auf "OU" (§ 349 (2) StPO), spielt hier also gar keine Rolle.

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@ Zuhörer

Das "Nichtvorliegen einer Beschwer" ist keine Vorschrift. Übrigens bestünde ja offensichtlich eine Doppel-Moppel-Beschwer als Zulässigkeitshürde. Einmal regulär nach Gesetz in § 349 (2) StPO, aber unter Berücksichtung des gesamten Urteils. Dem vorgeschaltet jedoch nach freiem Richterermessen über § 349 (1) und rückgreifend auf eine Auslegung der Rechtsmittelbefugnis der STA aus § 296 (2) StPO.

Warum konnte der Gesetzgeber in § 296 (1) StPO nicht statt der Berechtigung des Beschuldigten, nicht die Berechtigung des Verurteilten oder sogar des Bestraften bestimmen? Wäre doch der einfachste und logisch naheliegendste Weg gewesen, wenn nur der staatliche Strafanspruch bei der Rechtsmittelberechtigung zählt.

Mit Spaß hat das Ganze im Übrigen nichts zu tun. Ich wünsche den Jüngern dieser sinnfreien Verknoterei, dass mal eine Weile ihr ganzer Alltag so funktionieren würde, wie die als h.M. demonstrierte Auslegung von Gesetzen. Also auch alle Alltagsgegenstände so funktionieren, die Kommunikation, der Urlaub und so weiter. Also alle selbstverständlichen Leistungen für Juristen aus der meist doch anständig und funktional organisierten Restwelt. Vielleicht würden alle Juristen dann u.a. Beschwer anders und konkret definieren können.

 

0

...Zulässigkeitshürde. Einmal regulär nach Gesetz in § 349 (2) StPO, aber unter Berücksichtung des gesamten Urteils.

Wie bitte?!

Eine "Verknoterei" in Ihrem Kopf ist weder dem Gesetzgeber noch den Richtern anzulasten.

Warum konnte der Gesetzgeber in § 296 (1) StPO nicht statt der Berechtigung des Beschuldigten, nicht die Berechtigung des Verurteilten oder sogar des Bestraften bestimmen?

Meinen Sie nicht vielleicht gerade des "Freigesprochenen", damit es auf diesen Fall zutreffen könnte?

Daß Sie das nicht nennen, könnte schon einen Schritt in die richtige Richtung Ihres Verständnisses bedeuten, wollten Sie es nur verstehen...

 

 

0

@MT

Sie verstehen mich absolut richtig. Danke.

 

@Zuhörer

Ich weiß zwar nicht, worauf genau Sie mit dem Link zum BVerfG hinaus wollen. Es wäre schön, wenn Sie dazu hätten etwas schreiben können.

Auf Verdacht schon mal vorab:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20111026_2bvr153...

Der Streit spielt also keine Rolle, wenn - wie hier - der Zugang zu einer zweiten (oder auch weiteren) Instanz durch die Strafprozessordnung geregelt ist, lediglich der Auslegung bedarf.

Nun präsentierte ich oben schon die Fast-Food-Version.

Ihre zitierte Verfassungsbeschwerde hat mit der Zulässigkeit einer Revision, die hier diskutiert wird, nun wirklich nichts zu tun.

Lassen Sie sich gerne Zeit zum Lesen.

Ich beschränke mich nun auch erstmal wieder darauf.

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@ Zuhörer in #34

Ich ging doch davon aus, dass Sie auch lesen können.

Ich frage Sie daher noch einmal zur Sicherheit in 2 Varianten, die das Gleiche meinen.

Wenn der Gesetzgeber in § 296 StPO eine erforderliche Beschwer in Form der Tenorbeschwer beabsichtigt hat, womit Freigesprochenen grundsätzlich keine Rechtsmittelberechtigung zugesprochen werden soll,

... warum hat Dann der Gesetzgeber die Rechtsmittelberechtigung nicht direkt auf Verurteilte oder sogar Bestrafte beschränkt?

Für Sie stelle ich den 2. Teil der Frage wunschgemäß um.

... warum hat dann der Gesetzgeber die Rechtsmittelberechtigung für Freigesprochene nicht einfach ausgeschlossen?

In beiden Fällen wäre Ihre Wunsch-Tenorbeschwer eindeutig im § 296 StPO bestimmt und müsste nicht durch Richter aus einen die STA betreffenden Teil herausgemunkelt werden. Mit der Folge, dass offensichtlich niemand sagen kann, was das tatsächlich bedeuten soll und der Auslegung somit die Auslegung der Auslegung und ein Deuteln um Ausnahmen folgt. Meinen Sie allen Ernstes, das wollte der Gesetzgeber trotz der einfachen Alternativen genau so? Absichtlich? Wegen Prozessökonomie? 

So etwas nennt man dysfunktionale Struktur.  

2

...warum hat dann der Gesetzgeber die Rechtsmittelberechtigung für Freigesprochene nicht einfach ausgeschlossen?

Weil das selbstverständlich ist und sich aus der Natur der Sache ergibt. Beschweren kann sich grundsätzlich nur, wer objektiv beschwert ist. Ob das allgemein auch für Sonderfälle wie § 20 StGB gelten kann, ist streitig und von Fall zu Fall zu entscheiden. Im vorliegenden Fall kam es darauf nicht an, da auch eine materielle Prüfung zur Zurückweisung des Rechtsmittels geführt hätte, wie der BGH ausdrücklich sagt.

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Gast schrieb:

Im vorliegenden Fall kam es darauf nicht an, da auch eine materielle Prüfung zur Zurückweisung des Rechtsmittels geführt hätte, wie der BGH ausdrücklich sagt.

Ich zitiere mich nur ungern selber, aber

MT schrieb:

Der BGH schafft durch diesen einen Satz eine Situation, in der man sich zwar zu Recht darauf berufen kann, der BGH sähe das auch so. Wenn man sich aber eine Meinung bilden möchte, ob man dem BGH insoweit zustimmt oder nicht, gestaltet sich das deutlich schwieriger. Insoweit kann ich mich dem Ausdruck "Steine statt Brot" nur anschließen. Der BGH musste kein obiter dictum abgeben, das ist unbestritten. Wenn er es aber schon macht hätte (wenigstens etwas) "Butter bei die Fische" nicht geschadet.

Wenn der BGH auch eine ausdrückliche Begründung geliefert hätte, könnte man sich mit Recht darauf berufen, dass es auf die Zulässigkeit nicht ankommt. So wie der BGH es gemacht hat, nicht.

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Den den unlogischen Knoten in Ihrer Frage kann ich nicht lösen.

... warum hat dann der Gesetzgeber die Rechtsmittelberechtigung für Freigesprochene nicht einfach ausgeschlossen?

Weil es für einen Freigesprochenen zunächst strafrechtlich de facto keine Beschwer gibt. Selbstverständlichkeiten werden vom Gesetzgeber nicht formuliert.

Ausnahmen gibt es nur, wenn es in den Urteilsgründen Formulierungen gibt, die entgegen der Freispruchs-Entscheidung (Urteilsformel, Tenor) eine mögliche (strafbare) Schuld dennoch suggerieren, was grundgesetzwidrig wäre.

Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Das lustige Jonglieren mit Paragraphen hier wird für mich zunehmend uninteressant, bitte verzeihen Sie mir, wenn ich erst (vielleicht) später noch einmal hereinsehe.

 

 

 

4

Zuhörer schrieb:

 

Das lustige  mit Paragraphen  J O N G L I E R E N  hier wird für mich zunehmend uninteressant, bitte verzeihen Sie mir, wenn ich erst (vielleicht) später noch einmal hereinsehe.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob der querdenkende Lutz Lippke mit Paragraphen jongliert  o d e r  ob der Gegenpart "Gast" sich im ermüdenden Hamsterrad des Paragraphendschungels bewegt und  wie in einem Käfig der festgelegten, konservierenden Meinungen eingesperrt ist!

Dass bei Anwendung des § 2O StGB über eine A u s n a h m e  nach Ansicht von "Gast" nachgedacht werden sollte, spricht p o s i t i v dafür, dass "Gast" zumindest eine Tür, einen Ausweg aus diesem Dilemma öffnen will.

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Dank an "Gast" in #38.

Besser kann man es nicht sagen.

Bye to all for the moment.

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Was ich nicht ganz verstehe: Wofür brauchen wir Art. 19 Abs. 4 GG überhaupt? Die hier diskutierte Ehrverletzung, mal angenommen man hält diese für einschlägig, müsste doch direkt in die Auslegung des TBM Beschwer hineinwirken.

@ Zuhörer

Nicht richtig nach der Rechtsprechung vielleicht. Allerdings war das selbst beim BVerfG umstritten, so dass das Plenum entscheiden musste. Es ist also jedenfalls sehr gut vertretbar.

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MT schrieb:

Was ich nicht ganz verstehe: Wofür brauchen wir Art. 19 Abs. 4 GG überhaupt?

"Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt... Nicht zur öffentlichen Gewalt im Sinne dieser Bestimmung gehören allerdings Akte der Rechtsprechung. Denn Art. 19 Abs. 4 GG gewährt Schutz durch den Richter, nicht gegen den Richter..."
BVerfG, B. v. 2.12.2014 - 1 BvR 3106/09 (Rn. 18)

Hieraus folgt, dass es gegen Urteile und gegen die rechtsprechende Gewalt überhaupt nur die einfachgesetzlich vorgesehenen Klage- und Rechtsmittelmöglichkeiten gibt. Art. 19 Abs. 4 GG gibt darüber hinaus de lege lata nichts her. Gegen Justizverwaltungsakte, also auch richterliche Akte, die nicht die "letztverbindliche Klärung der Rechtslage in einem Streitfall im Rahmen besonders geregelter Verfahren" betreffen, gibt es §§ 23 ff. EGGVG (vgl. BVerfG, a. a. O.)

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