Rechtsmissbräuchlichkeit einer Befristung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 09.12.2015
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtBefristungsachgrundlose Befristung4|3710 Aufrufe

"Hartz IV" ist nicht nur für die Leistungsberechtigten ein tiefer Einschnitt gewesen, sondern auch für die Arbeitsverwaltung. Die traditionelle Aufgabenteilung zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Städten/Landkreisen/Gemeindeverbänden sollte - zumindest teilweise - überwunden und durch die Schaffung von JobCentern als gemeinsamen Einrichtungen (Art. 91e GG) abgelöst werden. Die als Arbeitsvermittler und mit ähnlichen Aufgaben betrauten Beschäftigten erhielten nicht nur in Einzelfällen neue Arbeitgeber, indem sie auf die JobCenter übergeleitet wurden. Nicht immer geschah dies im Einklang mit dem geltenden Arbeitsrecht, wie ein aktuelles Urteil des Siebten Senats des BAG erhellt:

Der Kläger war als "Fachassistent Integrationsmaßnahmen" aufgrund befristeter Arbeitsverträge zunächst vom 1.10.2008 bis zum 31.12.2010 bei der Bundesagentur für Arbeit tätig. Anschließend wurde er vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2011 nach § 14 Abs. 2 TzBfG befristet von der beklagten Stadt übernommen und beim JobCenter (einer gemeinsamen Einrichtung der Bundesagentur und der beklagten Stadt) auf demselben Arbeitsplatz weiterbeschäftigt. Er macht die Unwirksamkeit der Befristung geltend. Die Beklagte beruft sich darauf, dass die sachgrundlose Befristung wirksam und insbesondere das Anschlussverbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht verletzt sei. Der Kläger sei "zuvor" nicht bei ihr, sondern der Bundesagentur beschäftigt gewesen. Der Kläger hält die Vertragsgestaltung für rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB). Dazu das BAG:

Der Grundsatz von Treu und Glauben beschränkt als Gebot der Redlichkeit und allgemeine Schranke der Rechtsausübung sowohl subjektive Rechte als auch die Inanspruchnahme von Rechtsinstituten und Normen. Die sich aus einem Rechtsinstitut oder einer Rechtsnorm an sich ergebenden Rechtsfolgen müssen zurücktreten, wenn sie zu einem mit § 242 BGB unvereinbaren Ergebnis führen.

Dies ist ua. der Fall, wenn ein Vertragspartner eine an sich rechtlich mögliche Gestaltung in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise nur dazu verwendet, sich zum Nachteil des anderen Vertragspartners Vorteile zu verschaffen, die nach dem Zweck der Norm und des Rechtsinstituts nicht vorgesehen sind. Auch die Ausnutzung der durch das Teilzeit- und Befristungsgesetz vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten kann unter bestimmten Voraussetzungen rechtsmissbräuchlich sein, etwa wenn mehrere rechtlich und tatsächlich verbundene Vertragsarbeitgeber in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge mit einem Arbeitnehmer ausschließlich deshalb schließen, um auf diese Weise über die nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG vorgesehenen Befristungsmöglichkeiten hinaus sachgrundlose Befristungen aneinanderreihen zu können (…). Besteht der Zweck des Arbeitgeberwechsels allein darin, dass sich die verbundenen Arbeitgeber auf diese Weise eine nach § 14 Abs. 2 TzBfG nicht mehr mögliche sachgrundlose Befristung mit demselben Arbeitnehmer erschließen wollen, kommt es nicht darauf an, ob der vormalige Arbeitgeber die „Höchstgrenzen" für eine sachgrundlose Befristung des Vertrags nach § 14 Abs. 2 TzBfG bereits überschritten und ob für die vormalige Befristung ein rechtfertigender Sachgrund bestanden hat. Bei einer rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung der Möglichkeit sachgrundlos befristete Arbeitsverträge nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG abzuschließen - konkret: bei einer Umgehung des Anschlussverbots nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG - besteht die mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende Rechtsfolge nicht in dem Vertragsschluss „an sich", sondern in der Rechtfertigung der in dem Vertrag vereinbarten Befristung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG. Der unredliche Vertragspartner kann sich auf eine solche Befristung nicht berufen.

BAG, Urt. vom 24.6.2015 - 7 AZR 452/13, BeckRS 2015, 73044

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4 Kommentare

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Müsste man jetzt nicht Ermittlungen gegen die obersten Führungskräfte der Agentur für Arbeit einleiten? Schließlich erfüllt doch der 'Rechtsmissbrauch' den Straftatbestand des gewerbsmäßigen Betrugs.

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@ Gastkritiker:

 

Lesen Sie das Urteil, es ist noch nichts entschieden. Es bedarf weiterer Aufklärung. Aber ich würde sagen, es sieht eher nach Missbrauch aus. Es wäre interessant zu wissen, wie ähnlich sich die beiden Tarifverträge sind.

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Hier mussten zuletzt wieder ein pasr Beiträge moderiert (gelöscht) werden. Damit es nicht zu unsachlich wird: Bitte erst einmal einen Blick ins Gesetz werfen, bevor über Strafanzeigen spekuliert wird.

@ Dr. Rübenach: Um Missverständnissen vorzubeugen: Sie sind nicht gemeint. Ihre Antwort wurde nur durch die Löschung des von Ihnen in Bezug genommenen Posts hinfällig.

Am 08.06.2016 soll das BAG über den 'institutionalen Rechtsmissbrauch' im Bereich des TzBfG im Bereich von Befristeten Arbeitsverhältnissen an Hochschulen entscheiden.

 

Nach der Agentur für Arbeit stehen nun also die Hochschulen im Fokus der Thematik 'Rechtsmissbrauch'. Ist hier eine neue Terminologie geboren? Sind die Agentur für Arbeit oder zahlreiche Hochschulen in Deutschland 'TzBfG-Hopper'?

 

Ich wage zu behaupten, dass das BAG einen Weg finden wird, diesen Rechtsmissbrauch durchzuwinken. Man sitzt doch schließlich im selben Boot. 

 

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