Fahrverbot: Parallelvollstreckung - OLG Hamm findet das falsch! Und erst recht nicht im Urteil!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.12.2015

Das OLG Hamm hat sich nun mit der Parallelvollstreckung von Fahrverboten befasst. Eigentlich gab es dabei gar nicht so viel zu entscheiden. Das AG hatte eine Vollstreckungsregelung getroffen - im Urteil. Das war nach Ansicht des OLG Hamm nicht in Ordnung. Schade eigentlich.

Und wo der Senat dadurch schon einmal beim Thema Parallelvollstreckung war, hat er klargestellt: Das wollen wir nicht! Das Problem dabei: Eine echte Sachentscheidung zu dieser Thematik wird nie ein OLG erlassen können, weil es nie mit Vollstreckungsfragen befasst wird. Egal. Das OLG hat sich aber äußerst ausführlich mit der Thematik befasst - daher ist die Entscheidung auf jeden Fall lesenswert:

Der Landrat des Kreises N hat unter dem 17. September 2014 einen Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen erlassen. Darin wird diesem vorgeworfen, am 7. Juli 2014 in F innerhalb geschlossener Ortschaften die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 48 km/h überschritten zu haben. Gegen den Betroffenen wurde eine Geldbuße in Höhe von 200,00 € sowie ein Fahrverbot von 1 Monat unter Zubilligung einer Abgabefrist von 4 Monaten festgesetzt.

Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Verteidiger mit Telefax vom 24. September 2014 rechtzeitig Einspruch eingelegt.

Bereits mit Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 10. September 2014 wurde gegen den Betroffenen wegen einer weiteren Geschwindigkeitsüberschreitung von 50 km/h eine Geldbuße i.H.v. 280,00 € sowie ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der 4-Monats-Frist verhängt. Der Beschluss des Amtsgerichts Kassel ist ausweislich der Gründe des angefochtenen Urteils seit dem 15. Januar 2014 (gemeint 15. Januar 2015) rechtskräftig.

Nach Abgabe der Sache an das Amtsgericht hat der Betroffene den Einspruch im vorliegenden Verfahren auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Das Amtsgericht Lübbecke hat die Beschränkung des Einspruchs für wirksam gehalten und den Betroffenen am 16. März 2015  wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 200,00 € verurteilt und ihm – ohne Zubilligung der 4-Monatsfrist – für die Dauer von 1 Monat verboten, Kraftfahrzeuge aller Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Gleichzeitig hat es die Parallelvollstreckung mit dem in dem Verfahren Amtsgericht Kassel, Az.: 388 OWi – 9873 Js 22233/14 verhängten Fahrverbot angeordnet.

Zur Begründung der Anordnung der Parallelvollstreckung hat das Amtsgericht ausgeführt:

„Hinsichtlich des Fahrverbots war die Parallelvollstreckung mit dem in dem Verfahren Amtsgericht Kassel, Az. 388 OWi-9873 Js 22233/14 verhängten Fahrverbot anzuordnen. Das Gericht folgt der Argumentation von Gübner in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch f.d. straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 4. Auflage 2015, RdNR. 1682-1686 m.w.N. Die Gegenansicht (vgl. aaO, RdNr. 1688-1692) führt zu einem Wertungswiderspruch und überzeugt nicht.“

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld Rechtsbeschwerde eingelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abzuändern, dass die Anordnung der Parallelvollstreckung des Fahrverbots mit dem in dem Verfahren des Amtsgerichts Kassel – 388 OWi 9873 Js 22233/14 – verhängten Fahrverbot entfällt.

II.

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts gemäß § 80a Abs. 3 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Entscheidung des mitentscheidenden Einzelrichters des Senats).

III.

Die statthafte Rechtsbeschwerde begegnet hinsichtlich ihrer Zulässigkeitsvoraus-setzungen keinen Bedenken. Denn bei einer unzulässig angeordneten Rechtsfolge unterliegt die Rechtsbeschwerde keinen Zulässigkeitsbeschränkungen (vgl. KK-OWiG/Senge, 4. Auflage, § 97, Rdnr. 36a; Göhler-Seitz, OWiG, 16. Auflage, § 79, Rdnr. 18a). Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg, indem sie gemäß §§ 349 Abs. 4 StPO, 79 Abs. 3 S. 1 und Abs. 6 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem im Tenor genannten Umfang führt. Denn das Amtsgericht Lübbecke war zur Entscheidung über die Anordnung der Parallelvollstreckung (noch) nicht befugt.

1) Die Rechtsbeschwerde ist rechtswirksam auf den Ausspruch über die Parallelvollstreckung beschränkt worden, so dass es einer Verwerfung der Rechtsbeschwerde im Übrigen nicht bedurfte. Zwar hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Lübbecke zurückzuverweisen. Mit diesem Antrag steht die Rechtsbeschwerdebegründung jedoch nicht im Einklang. Aus den Beanstandungen ergibt sich vielmehr, dass die Staatsanwaltschaft  das Urteil lediglich insoweit für rechtsfehlerhaft hält, als dass das Amtsgericht die Parallelvollstreckung des Fahrverbots angeordnet hat. Somit widersprechen sich Rechtsbeschwerdeantrag und Rechtsbeschwerdebegründung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14 – NStZ-RR 2015, 88 m.w.N.). Danach entnimmt der Senat dem Rechtsbeschwerdevorbringen der Staatsanwaltschaft in einer Gesamtschau – korrespondierend mit dem Antrag der Generalsstaatsanwaltschaft –, dass das Urteil allein im Hinblick auf die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft rechtsfehlerhaft angeordnete Parallelvollstreckung des Fahrverbots angefochten werden soll.

2) Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das angegriffene Urteil leidet im tenorierten Umfang an einem Verfahrenshindernis. Denn das Amtsgericht war zur Entscheidung über die Anordnung der Parallelvollstreckung (noch) nicht berufen. Auch wenn dies von der Rechtsbeschwerde nicht gerügt worden ist, war dieser Umstand von Amts wegen zu beachten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, § 338, Rdnr. 32).

Bei der Frage, ob eine Parallelvollstreckung des Fahrverbots im vorliegenden Verfahren zulässig ist, handelt es sich der Sache nach um eine Entscheidung über die Vollstreckung gerichtlicher Bußgeldentscheidungen. Abgesehen davon, dass es daher zunächst einer rechtskräftigen Entscheidung über das angeordnete Fahrverbot bedurft hätte, richtet sich die Vollstreckung des Fahrverbots gemäß § 91 OWiG nach den dort genannten Vorschriften der StPO. Zuständig für die Entscheidung ist danach zunächst die Vollstreckungsbehörde. Dies ist hier gem. § 91 OWiG i.V.m. § 451 Satz 1 StPO die Staatsanwaltschaft, wobei sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Gericht des 1. Rechtszuges bestimmt (vgl. Göhler-Seitz, OWiG, 16. Auflage, § 91, Rdnr. 2 a.E.). Vollstreckungsbehörde im vorliegenden Verfahren wäre daher – nach Eintritt der Rechtskraft – die Staatsanwaltschaft Bielefeld.

Mit der vom Amtsgericht bereits im Bußgeldverfahren erlassenen Anordnung der Parallelvollstreckung hat das Amtsgericht Lübbecke somit eine Entscheidung getroffen, für die es (noch) nicht zuständig war. Daran ändert auch nichts, dass die Staatsanwaltschaft Bielefeld im Vorfeld der Entscheidung angehört worden ist, zumal das im vorliegenden Verfahren angeordnete Fahrverbot auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Rechtskraft erwachsen war.

Erst wenn der Betroffene gegen eine ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft gem. § 103 Abs. 1 Nr. 1 OWiG einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hätte, wäre gemäß § 104 Abs. 1 Nr. 2 StGB das Gericht des 1. Rechtszuges, also das Amtsgericht Lübbecke, zuständig gewesen.

Dem Erfolg der Rechtsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass ein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Entscheidung nach § 103 Abs. 1 Nr. 1 OWiG gemäß § 104 Abs. 2 OWiG nicht statthaft wäre. Denn das Amtsgericht Lübbecke hat vorliegend nicht als das nach § 104 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuständige Gericht, sondern als das nach § 68 OWiG zuständige Gericht entschieden.

3) Da aus den oben genannten Gründen weder das Amtsgericht Lübbecke noch der Senat für die Entscheidung über die Vollstreckung des Fahrverbots zuständig ist, war die angefochtene Anordnung der Parallelvollstreckung ohne Zurückverweisung entsprechend § 79 Abs. 6 OWiG ersatzlos aufzuheben.

4) Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt gem. § 46 Abs. 1 OWiG in entsprechender Anwendung des § 473 Abs. 1 StPO der Betroffene. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen aus Gründen der sachlichen Gerechtigkeit der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Auflage, § 473, Rdnr. 17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. September 1997 – 1 Ws 694/97 – NStZ-RR 1998, 159) kam nicht in Betracht,  weil die fehlerhafte Entscheidung in erster Linie auf dem Antrag des Betroffenen beruhte.

IV.

Obwohl der Senat sich aus den o.g. Gründen mit der Frage der Zulässigkeit der Parallelvollstreckung in sogenannten „Mischfällen“ nicht zu befassen hatte und ein Rechtsmittel gegen eine gem. § 104 OWiG ergangene amtsgerichtliche Entscheidung zur Vollstreckung von Fahrverboten gem. § 104 Abs. 2 OWiG unanfechtbar wäre, geben die im vorliegenden Verfahren vertretenen Rechtsauffassungen sowie die Tatsache, dass dies Auswirkungen auf eine Strafbarkeit nach § 21 StVG haben kann, Anlass zu der Bemerkung, dass der Senat die Auffassung des Amtsgerichts nicht teilt. Nach Auffassung des Senats ist § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG auch auf die sogenannten Mischfälle anzuwenden, in denen ein Fahrverbot unter Gewährung der 4-Monatsfrist mit einem Fahrverbot ohne Vollstreckungsaufschub zusammentrifft, so dass die Fahrverbote in diesen Fällen nacheinander zu vollstrecken sind. Dabei hat sich der Senat von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:

1) Es ist allgemein anerkannt und entspricht herrschender Meinung, dass die jeweils ohne Gewährung der 4-Monatsfrist in verschiedenen Bußgeldbescheiden angeordneten Fahrverbote grundsätzlich nebeneinander vollstreckt werden können (vgl. Göhler-Seitz, OWiG, 16. Auflage, § 90, Rdnr. 31b m.w.N.; BHJJ/Burmann, 23. Auflage, § 25 StVG, Rdnr. 46 m.w.N.;  BayObLG, Urteil vom 20. Juli 1993 – 2 St RR 81/93 – NZV 1993, 489; Senat, Beschluss vom 30. April 2015 – 3 RBs 116/15 - BeckRS 2015, 12204; Seutter, Die Parallelvollstreckung von Fahrverboten, DAR 2015, 428 m.w.N.; Krumm, Parallelvollstreckung von Fahrverboten: So geht’s!, ZfSch 2013, 368 m.w.N.). Dies gilt auch, wenn ein Fahrverbot nach § 25 StVG und ein Fahrverbot nach § 44 StGB vollstreckt werden. Das Bayerische Oberste Landesgericht begründete diese Auffassung in der o.g. Entscheidung noch vor Inkrafttreten des § 25 Abs. 2a StVG u.a. damit, dass Fahrverbote gegen einen Kraftfahrer ohne Führerschein bereits nach dem Gesetzeswortlaut je nach Eintritt der Rechtskraft gleichzeitig oder sich überschneidend wirksam werden können. Diese eindeutige Rechtslage könne sich nicht dadurch ändern, dass der Kraftfahrer einen Führerschein besitzt, der dann in amtliche Verwahrung gegeben wird. Diese Argumentation ist auch nach Inkrafttreten des § 25 Abs. 2a StVG schlüssig und nachvollziehbar. Zudem kann im Umkehrschluss aus § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG entnommen werden, dass die grundsätzliche Zulässigkeit der Parallelvollstreckung auch vom Gesetzgeber anerkannt ist. So heißt es schließlich auch in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 13/8655, S. 14) zu § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG:

„Durch die Bestimmung des Satzes 2 wird Missbrauch ausgeschlossen, der darin bestehen könnte, dass ein Betroffener mehrere kurz hintereinander verhängte Fahrverbote zusammenlegt. Satz 2 bestimmt, dass in diesen Fällen in Abweichung von der sonst gültigen Regelung ausnahmsweise die Fahrverbotsfristen addiert werden.“

2) Ebenso entspricht es der herrschenden Auffassung, dass bereits aufgrund des Wortlauts des § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG in verschiedenen Bußgeldverfahren jeweils unter Bewilligung der 4-Monats-Frist des Satzes 1 verhängte Fahrverbote nacheinander zu vollstrecken sind (vgl. Krumm, Parallelvollstreckung von Fahrverboten: So geht’s!, ZfSch 2013, 368). Nach überwiegender Auffassung gilt dies auch bei gleichzeitig eintretender Rechtskraft (vgl. Seutter a.a.O.)

3) Umstritten ist hingegen, wie in den Fällen zu verfahren ist, in denen es um die Vollstreckung zweier Fahrverbote geht, von denen eines mit und eines ohne Gewährung der 4-Monatsfrist des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG vollstreckt wird (Für die Zulässigkeit einer Parallelvollstreckung auch in diesen Fällen: vgl. BHJJ/Burmann, StraßenverkehrsR, 23. Auflage, § 25 StVG, Rdnr. 46; Gübner in Burhoff, Handbuch f.d. straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Auflage, Rdnr. 1104 f.; Seutter, Die Parallelvollstreckung von Fahrverboten, DAR 2015, 428; Krumm, Parallelvollstreckung von Fahrverboten: So geht’s!, ZfSch 2013, 368; AG Viechtach, Beschluss vom 22. Februar 2007 – 7 II OWi 289/07 – BeckRS 2007, 11975; AG Münster, Beschluss vom 4. April 2007 – 51 OWi 290/07 -, BeckRS 2007, 11947; AG Herford, Beschluss vom 15. Januar 2009 – 11a OWi 1693/07 – juris, AG Cottbus, Beschluss vom 14. Juli 2009 – 83 OWi 562/09 – juris; AG Bremen, Beschluss vom 20. August 2010 – 82 OWi 660 Js 71292/09 (4/10) – juris. Für die gegenteilige Auffassung, wonach die Fahrverbote in diesen Fällen nacheinander zu vollstrecken sind: vgl. Göhler-Seitz, OWiG, 16. Auflage, § 90, Rdnr. 31 b; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage, § 25 StVG, Rdnr. 30; KK-OWiG/Mitsch, 4. Auflage, § 90, Rdnr. 47; AG Viechtach, Beschluss vom 4. März 2008 – 7 II OWi 307/08 – juris; AG Velbert, Beschluss vom 8. Januar 2009 – 20 OWi 12/08 – juris; AG Bielefeld, Beschluss vom 25. März 2011 – 10 OWi 468/11 – juris; AG Nördlingen, Beschluss vom 17. September 2012 – 1 OWi 608 Js 125792/11 – juris).

a) Nach Auffassung des Senats ist eine Parallelvollstreckung in diesen sogenannten Mischfällen – ebenso wie bei der Vollstreckung zweier jeweils unter Billigung der 4-Monatsfrist verhängte Fahrverbote – bereits aufgrund des Wortlauts des § 25 Abs. 2a Satz 2 StPO unzulässig. Denn aus der Formulierung „weitere Fahrverbote“ in § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG ergibt sich keine Einschränkung dergestalt, dass damit nur weitere Fahrverbote im Sinne von Satz 1 (Fahrverbote unter Gewährung der 4‑Monats-Frist) gemeint sind. Zudem spricht auch die Gesetzesbegründung sowie die Entstehungsgeschichte zu § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG dafür, dass der Gesetzgeber in jedem Fall eine isolierte Vollstreckung von Fahrverboten mit 4-Monats-Frist beabsichtigt hatte.

aa) Der Gesetzgeber hat die Einfügung des § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG (BT-Drs. 13/8655, S. 14) wie folgt begründet:

„Durch die Bestimmung des Satzes 2 wird Missbrauch ausgeschlossen, der darin bestehen könnte, dass ein Betroffener mehrere kurz hintereinander verhängte Fahrverbote zusammenlegt. Satz 2 bestimmt, dass in diesen Fällen in Abweichung von der sonst gültigen Regelung ausnahmsweise die Fahrverbotsfristen addiert werden.“

Es sollte demnach verhindert werden, dass ein Betroffener mehrere kurz hintereinander verhängte Fahrverbote nach eigener Disposition zusammenlegt. Für eine grundsätzliche Dispositionsbefugnis des Betroffenen ist es aber nicht erforderlich, dass 2 Fahrverbote unter Zubilligung der 4-Monatsfrist verhängt werden. Vielmehr reicht es aus, wenn eines von kurz hintereinander verhängten Fahrverboten unter Gewährung der 4-Monatsfrist des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG verhängt wird. Denn auch in diesem Fall würde es dem Betroffenen ansonsten freistehen, dass unter Gewährung der 4-Monatsfrist verhängte Fahrverbot mit dem weiteren Fahrverbot zusammenzulegen. Dies sollte nach der Gesetzesbegründung aber gerade verhindert werden.

bb) Dass eine einschränkende Auslegung zu der grundsätzlich isolierten Voll-streckung eines nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG unter der Zubilligung der 4‑Monatsfrist verhängten Fahrverbots vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt war, ergibt sich auch aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens.

Die Bundesregierung hatte sich zuvor in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze ausdrücklich gegen einen Vorschlag des Bundesrates entschieden (vgl. BT-Drs 13/6914, S. 119), der zuvor in seiner Stellungnahme angeregt hatte, § 25 Abs. 5 StVG dahin zu ändern, dass mehrere Fahrverbote grundsätzlich nacheinander zu vollstrecken sind (vgl. BT-Drs 13/6914, S. 114). Die Bundesregierung hatte ihre ablehnende Entscheidung u.a. damit begründet, dass das Fahrverbot die Funktion einer Denkzettelmaßnahme habe. Mit der Verhängung des Fahrverbotes werde auch die Erwartung verknüpft, der Täter werde sich durch die vorübergehende Entfernung aus dem motorisierten Straßenverkehr auf seine Pflichten besinnen. Dazu bedürfe es einer Addition mehrerer Fahrverbotsfristen nicht (vgl. BT-Drs 13/6914, S. 119). Die Einführung einer 4-Monatsfrist war von Seiten der Bundesregierung demgegenüber nicht in den Blick genommen worden.

Die Einfügung des § 25 Abs. 2a StVG in der heute geltenden Fassung beruht letztendlich auf einem Gesetzentwurf mehrerer Abgeordneter sowie der Fraktion der SPD. Dieser sah zur Entlastung der Rechtspflege vor, § 25 Abs. 2 StVG dahin zu ändern, dass grundsätzlich eine 4-Monats-Frist eingeräumt wird (BT-Drs 13/3691, S. 4). Dieser Gesetzentwurf konnte sich indes ebenso wie der o.g. Gesetzentwurf der Bundesregierung, in dem die Addition von Fahrverboten abgelehnt wurde, in dieser allgemeinen Form nicht durchsetzen. Aufgrund der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses wurde der o.g. Entwurf nur teilweise aufgegriffen, indem nach Absatz 2 ein Absatz 2a in der heute gültigen Fassung eingefügt wurde (BT-Drs 13/8655, S. 10). In der entsprechenden Begründung des Rechtsausschusses heißt es:

„Der Rechtsausschuss hat einen Vorschlag des SPD-Entwurfs in modifizierter Form aufgegriffen, durch den die Justiz von Einsprüchen entlastet werden soll, die allein eingelegt werden, um die Wirksamkeit der Fahrverbote auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Der Rechtsausschuss hat den Vorschlag, wonach der Betroffene innerhalb von vier Monaten nach Rechtskraft des Bußgeldbescheides den Zeitpunkt des Fahrverbots generell selbst bestimmen kann, auf Fälle begrenzt, in denen in den zwei Jahren zuvor kein Fahrverbot gegen den Betroffenen verhängt wurde. Durch die Bestimmung des Satzes 2 wird Missbrauch ausgeschlossen, der darin bestehen könnte, dass ein Betroffener mehrere kurz hintereinander verhängte Fahrverbote zusammenlegt. Satz 2 bestimmt, dass in diesen Fällen in Abweichung von der sonst gültigen Regelung ausnahmsweise die Fahrverbotsfristen addiert werden.“

Der Gang des Gesetzgebungsverfahrens zeigt, dass der Gesetzgeber weder eine grundsätzliche Addition von Fahrverboten noch eine grundsätzliche Zubilligung einer 4-Monatsfrist beabsichtigt hatte und zur Gewährung der 4-Monats-Frist nur unter den Bedingungen bereit war, dass

1. in den letzten 2 Jahren zuvor kein Fahrverbot verhängt wurde und

2. Missbrauch dahingehend ausgeschlossen werden sollte, dass der auf diese Weise begünstigte Betroffene keine 2 Fahrverbote zusammenlegen dürfe.

Der Gesetzgeber hat sich in den Fällen, in denen er die Gewährung eines Voll-streckungsaufschubes für angezeigt hält, also letztlich bewusst für eine Addition von Fahrverbotsfristen entschieden. Wenn der Gesetzgeber demgegenüber in den Mischfällen eine Parallelvollstreckung hätte ermöglichen wollen, hätte es nahegelegen, § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG ausdrücklich auf die Fälle der Zubilligung der 4‑Monatsfrist zu beschränken, indem § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG beispielsweise wie folgt formuliert worden wäre: „Werden gegen den Betroffenen weitere Fahrverbote im Sinne des S. 1 rechtskräftig verhängt, so sind die Fahrverbotsfristen nacheinander in der Reihenfolge der Rechtskraft der Bußgeldentscheidungen zu berechnen“. Eine solche Formulierung hat der Gesetzgeber aber gerade nicht gewählt. Da zudem unterstellt werden kann, dass dem Gesetzgeber die o.g. Auffassung der Bundesregierung, die eine Addition von Fahrverbotsfristen grundsätzlich ablehnte, bei der Entschließung zur Einfügung des § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG bekannt gewesen ist, spricht auch dies dafür, dass eine einschränkende Fassung des § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG nicht beabsichtigt war.

b) Angesichts des nach Auffassung des Senats eindeutigen Wortlauts vermögen die Argumente, die gegen die Anwendung des § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG in den sogenannten Mischfällen vorgebracht werden (vgl. Gübner in Burhoff, Handbuch f.d. straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Auflage, Rdnr. 1104 f.; Seutter, Die Parallelvollstreckung von Fahrverboten, DAR 2015, 428; Krumm, Parallelvollstreckung von Fahrverboten: So geht’s!, ZfSch 2013, 368), im Ergebnis nicht zu überzeugen. Denn auch wenn die hierfür vorgebrachten Begründungen grundsätzlich überwiegend nachvollziehbar und plausibel sind, treffen diese Begründungen letztlich auch auf die Fälle zu, in denen gegen einen Betroffenen mehrere Fahrverbote unter Gewährung der 4-Monatsfrist des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG verhängt werden und bei denen die Anschlussvollstreckung unstreitig ist. So wird beispielsweise auch in diesen Fällen ein „Ersttäter“ durch die Addition der Fahrverbote vermeintlich schlechter gestellt als ein „Wiederholungstäter“, der durch geschickte Einlegung von Rechtsmitteln bzw. deren Rücknahme zu einer Parallelvollstreckung von Fahrverboten gelangen kann.

Soweit für die Zulässigkeit der Parallelvollstreckung vereinzelt auch auf eine Entscheidung des Senats vom 27. Oktober 2009 (Az.: 3 Ss OWi 451/09,  NZV 2010, 159) abstellt wird, wird darauf hingewiesen, dass der Senat an dieser Rechtsprechung nicht mehr festhält (vgl. Senat, Beschluss vom 30. April 2015 – 3 RBs 116/15, BeckRS 2015, 12204).

Sollte der Gesetzgeber angesichts dieser vom Senat geäußerten Rechtsauffassung zu der Überzeugung gelangen, mit der Regelung in § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG über das von ihm verfolgte Ziel „hinausgeschossen“ zu sein, ist es ihm unbenommen, den Gesetzestext entsprechend anzupassen.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 8.10.2015 - 3 RBs 254/15

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