Gender-Pay-Gap: Schließung der Lücke durch Gehaltsangabe in der Stellenanzeige?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 14.12.2015

Frauen verdienen (nach wie vor) weniger als Männer. Das ist Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) ein Dorn im Auge, und sie hat auch schon eine Idee, wie die Lücke geschlossen werden könnte: Die Arbeitgeber (und Arbeitgeberinnen, die darf man nicht vergessen) sollen künftig verpflichtet sein, in jeder Stellenanzeige "jenes Entgelt anzugeben, das als Mindestgrundlage für die Vertragsverhandlungen dienen soll". Dazu liegt jetzt ein Referentenentwurf des BMFSFJ vor (Medienberichte hier). Sei der Arbeitgeber bereit, über die Gehaltshöhe zu verhandeln, "hat er diese Bereitschaft in der Ausschreibung anzugeben", heißt es im Entwurf. Dadurch soll die Verhandlungsposition von Frauen gestärkt werden.

Ob das hilft?

Und weil ich zuletzt wieder so viele Beiträge moderieren musste, hier noch einmal der Hinweis: Bitte nur seriöse Kommentare.

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15 Kommentare

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Die Arbeitnehmer bekommen zukünftig also den Hinweis: "Verhandeln akzeptiert" - das mag den einen oder anderen dann schon ermutigen. Und diejenigen, die gut verhandeln, wenn sie sich erstmal trauen überhaupt damit anzufangen, würden von son einem Gesetz profitieren.

 

Aber im Kern der Sache ändert sich doch nichts:
Wer in Zukunft nicht oder schlecht verhandelt, bekommt dann knapp mehr als den Mindestwert und wer gut verhandelt bekommt deutlich mehr.

Und selbst wenn da ein unverhandelbares Entgelt angegeben ist, verhandelt man stattdessen über Urlaubstage, Firmenfahrzeug, Kinderbetreuung, Home Office, flexiblere Arbeitszeiten und was man alles jenseits vom Entgelt nutzen kann, um ein Arbeitsverhältnis angenehmer zu gestalten.

Ein wichtiger Schritt wäre - und das kommt jetzt von jemandem, der sich ausdrücklich im Arbeitgeberlager stehend sieht -, die Modernisierung der Tarifverträge und deren Ausweitung "nach oben" und in die Fläche.

Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass ein tarifliches Entgeltsystem schwammig wird und fürchterlich schnell aufhört, wo Jobs anfangen, für die man studiert haben sollte/muss. Wo Tarife gelten, ist die Engteltgerechtigkeit erhöht und Schwankungen innerhalb einer Gruppe von vergleichbaren Beschäftigten beschränkt sich auf die Entgeltunterschiede durch persönliche (Leistungs-)Zulagen. Hier ist natürlich dem Nasenfaktor nach wie vor Tür und Tor geöffnet, er bewegt sich aber in deutlich geringerem Rahmen als wenn die Entgelte komplett frei ausgehandelt sind. Trotzdem gibt es die Sicherheit, sich gegebenenfalls gegen eine falsche Eingruppierung auch gerichtlich zu wehren.

Dazu müssten sich Gewerkschaften und die betrieblichen Gremien auch als Vertretungen der Hochqualifizierten verstehen - was derzeit nach meinem Empfinden nicht der Fall ist. Beispielsweise erlebe ich immer wieder Betriebsräte, die sich schlicht für nicht zuständig betrachten, wenn es um § 99 BetrVG-Anhörungen geht, die sich auf AT-Mitarbeiter beziehen. Mir ist eine Situation lebhaft in Erinnerung, in der mir ein Personalerkollege etwas verwundert von einem BR erzählte, der Eingaben zu AT-Mitarbeitern schlichtweg nicht annahm. Man sei nicht zuständig für "die da oben" und auch durch gutes Zureden und heftiges Wedeln mit dem Gesetz war das Gremium nicht dazu zu bewegen, seinen Job zu tun.

Da tun sich Rechtsschutzlücken auf, die sich wahrscheinlich auch nicht durch die gut gemeinte Initiative schließen lassen, zukünftig "Mindestverhandlungsgrundlagen" in Stellenanzeigen anzugeben. Das würde sich auch erübrigen, wenn die angebotene Stelle tarifiert wäre.

Übrigens: In vielen Arbeitsverträgen wird man zum Stillschweigen insbesondere über das eigene Entgelt verpflichtet. Dadurch lassen sich viele davon abschrecken, durch offenen Umgang mit dem eigenen Entgelt eine Art "Selbsthilfe-Peer-Review" zu betreiben und so für sich selbst herauszufinden, ob man vielleicht in der nächsten Gehaltsrunde proaktiver auftreten kann.

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HR Lawyer (m/w) schrieb:

Übrigens: In vielen Arbeitsverträgen wird man zum Stillschweigen insbesondere über das eigene Entgelt verpflichtet. Dadurch lassen sich viele davon abschrecken, durch offenen Umgang mit dem eigenen Entgelt eine Art "Selbsthilfe-Peer-Review" zu betreiben und so für sich selbst herauszufinden, ob man vielleicht in der nächsten Gehaltsrunde proaktiver auftreten kann.

Diese Stillschweigeklauseln sind fast immer unwirksam und in der Tat nur "Abschreckung" ohne rechtliche Konsequenz.

Ich glaube nicht, dass Schwesigs Vorschlag zielführend ist. Besser wäre es vielleicht, die Arbeitgeber zu verpflichten, die von ihnen gezahlten Gehälter anonymisiert an das Statistische Bundesamt zu melden...

I.S.: Ja, das ist in der Tat so. Aber dieser Theaterdonner reicht schon, um zusammen mit der generellen Tendenz, nicht über Geld zu sprechen, eine offene Kommunikation und das gegenseitige Vergleichen zu verhindern.

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Ich finde den Vorschlag von Schweswig sehr gut, denn dann weiß ein Bewerber von vornherein, ob er sich auf die Stelle bewerben will oder nicht, sprich ob die Stelle ausreichend attraktiv für ihn ist oder nicht. Das Bewerbungsverfahren wird effektiver für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, da dann zahlreiche Bewerbungen von vornherein wegfallen, nämlich diejenigen die höhere Vergütungsvorstellungen hätten und diese Vorstellungen dann letztlich enttäuscht wären.

 

Auch könte man hiermit dieses leidliche AGG-Hopping einschränken, denn wenn sich ein Bewerber auf eine Stelle bewirbt in dem Wissen, dass er die Stelle wegen der niedrigen Vergütung sowieso nicht angenommen hätte. Dann hilft es auch nichts zu sagen: 'ich wusste ja nicht, wie hoch die Vergütung gewesen wäre.'

Andererseits könnte man hier auch gegen betrügerische Arbeitgeber vorgehen, die im Rahmen eines AGG-Verfahrens insoweit Prozessbetrug begehen, indem sie das zu erwartende Gehalt bei Gericht als zu niedrigem angeben und damit den AGG-Kläger hinsichtlich der Höhe der Entschädigung um einen Teil seiner Entschädigung prellen.

 

Eine 'Win-Win-Situation' also. Inwieweit dieses Vorhaben der Frauenförderung zu dienen vermag, bezweifle ich. Ziel des Gesetzes ist ja wohl die Chancengleichheit. Dieses Prinzip ist doch nicht verletzt, denn Frauen dürfen genauso ihr Gehalt ausverhabdeln wie Männer. Die Chancen sind also gleich. 

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Was ist denn in der Praxis die Mindestgrundlage für die Vertragsverhandlungen?

Die rechtliche unterste Mindestgrundlage ist Tarifvertrag oder Mindestlohn.

Am Ende wird dann in Stellenanzeigen eine Formel stehen wie Mindestgrundlage für die Vertragsverhandlungen ist Tarifgruppe 2 oder Mindestgrundlage für die Vertragsverhandlungen ist Tarifgruppe 2, je nach Qualifikation des Bewerbers kann eine höhere Bezahlung möglich sein.

Das ist dann auch nicht viel mehr als was ein Bewerber im Normalfall sowieso schon wissen sollte.

Schaden tut so etwas nicht, aber bringen tut es auch nicht viel.

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Vielleicht sollte sich Frau Schweswig Gedanken machen (falls sie sich nicht schon Gedanken gemacht hat) warum z.B. ein Ingenieur mehr verdient als eine Arzthelferin. Daraus lässt sich sehr gut feststellen, welche Gesetzte man dann wirklich braucht.

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Es kommt wie so oft auf die konkrete Ausgestaltung an. In Österreich sind Gehaltsangaben seit 2012 Pflicht, die gesetzlich möglichen Angaben aber zu schwammig bzw. zu flexibel (z.B. "tarifliches Entgelt 1.800 Euro mit Bereitschaft, mehr zu zahlen"), um echte Transparenz zu schaffen und Diskriminierung zu vermeiden.

http://www.xenagos.de/de/presse/archiv/2013/gesetz-zu-gehaltsangaben-in-...

Soll heißen: wenn nur die Mindestgrundlage verpflichtend angegeben werden soll wie in Österreich (wie wäre es mit "der gesetzliche Mindestlohn für diese Stelle beträgt 1.250 Euro, je nach Eignung ist ein höheres Gehalt möglich"? Dann kennt man zumindest die Arbeitszeit ...), dann kann man es auch gleich lassen.

Dass es völliger Unsinn ist, in einer Werbeanzeige die wichtigsten Kundeninteressen (nämlich Arbeitsplatzsicherheit und Verdienst) nicht einmal konkret anzusprechen, ist dann noch ein Kapitel für sich. Andere Länder haben die Marketing-Steinzeit der HR-Branche bereits verlassen.

http://buckmanngewinnt.ch/lohnangaben-in-den-stelleninseraten-in-osterre...

Dr. Rübenach schrieb:

Ich glaube nicht, dass Schwesigs Vorschlag zielführend ist. Besser wäre es vielleicht, die Arbeitgeber zu verpflichten, die von ihnen gezahlten Gehälter anonymisiert an das Statistische Bundesamt zu melden...


Ich denke nicht, dass das wirklich was bringt. Dann hat das Statistische Bundesamt halt ein paar Zahlen. Im Zweifelsfall welche, mit denen man dann wieder Äpfel mit Birnen vergleichen kann, weil daraus nicht hervorgeht, warum der eine Mitarbeiter mehr bekommt als der andere. Dauer der Betriebszugehörigkeit, zusätzliche Fortbildungen, besonders zufriedene Kunden und was es da alles als völlig legitime Möglichkeiten zum Differenzieren gibt - das wird sich nicht alles erfassen lassen.

Zum Teil werden ja für eine möglichst große pay-gap schon jetzt einfach geschlechtsbezogene Durchschnittsentgelte verglichen, ohne zu schauen, welche Berufe dahinterstehen. Da wäre es in der Tat deutlich sinnvoller, wie Kritischer Gast (#8) fordert, dass man dafür sorgen sollte, dass die sogenannten "typischen Frauenberufe" vor allem in der Betreuung von Kindern, Kranken und Alten angemessen (soll heißen: deutlich besser) bezahlt würden.

 

Adrian schrieb:

Am Ende wird dann in Stellenanzeigen eine Formel stehen wie Mindestgrundlage für die Vertragsverhandlungen ist Tarifgruppe 2 oder Mindestgrundlage für die Vertragsverhandlungen ist Tarifgruppe 2, je nach Qualifikation des Bewerbers kann eine höhere Bezahlung möglich sein.

Das ist dann auch nicht viel mehr als was ein Bewerber im Normalfall sowieso schon wissen sollte.

Viele Bewerber wissen derzeit nicht, welcher Tarifvertrag gilt. Und längst nicht jedes Unternehmen ist tarifgebunden, im Handwerk beispielsweise nur Betriebe, die in der Innung sind (und einige sehr große, die Haustarifverträge haben). Alle anderen dürfen mal eben 1/3 weniger als Tarif zahlen, solange sie den Mindestlohn einhalten.

Außerdem sind viele Tarifverträge nicht so genau formuliert, dass der Bewerber allein vom Lesen des Vertrages sicher weiss, ob er nun beispielsweise in Gruppe 4 oder 5 landen wird. Ganz oft sind die Definitionen etwas schwammig.

Es ist also hilfreich für die Bewerber, wenn sie mehr über die Bezahlung der Stelle erfahren. Aber das gilt mehr in der Hinsicht, wie das Gastkritiker (#6) beschreibt, dass es dadurch weniger Bewerbungen geben wird, die auf Missverständnissen beruhen, es verbessert aber nicht das Verhandlungsgeschick des einzelnen.

 

 

Gibt übrigens noch eine kleine "Gefahr" bei dem Vorschlag:
Arbeitssuchende, die eine gewisse Anzahl an Bewerbungen nachweisen sollen, könnten Gefahr laufen, dass Bewerbungen auf besonders hoch oder niedrig vergütete Stellen als "nicht ernst gemeint" rausgerechnet werden und wegen fehlender Bemühungen in der Folge die Leistungen gekürzt werden.

Gibt es eigentlich seriöse Zahlen wie gross der Gehaltsunterschied bei gleicher Stelle ist, und in welchen Berufen und Gehaltsregionen dieses Problem existiert?

 

Der grosser Teil dieser 22 Prozent Unterschied kommt vermutlich von einem ganz anderen Problem dass Frau Schwesig nicht angeht - Stellen in typischen Frauenberufen (z.B. Grundschullehrerin) sind auch bei vergleichbarer Qualifikation oft deutlich schlechter bezahlt als Stellen in Berufen mit hohem Männeranteil (z.B. Gymnasiallehrer).

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Kann es sein, dass hinter dem Gesetzesvorschlag die Idee steckt, dass der Arbeitgeber, der Frauen schlechter als Männer bezahlen will und deshalb zur Verschleierung der beabsichtigten Diskriminierung die Stellenanzeige mit einer bewusst niedrigen Gehaltsangabe veröffentlicht, Gefahr läuft, weniger geeignete Bewerber findet.  Denn gute Bewerber erwarten ggf. eine bessere tarifliche Einstufung oder ein wesentlich höheres außertarifliches Gehalt und können nicht wissen, wie weit weg die in der Stellenanzeige enthaltene Angabe von der tatsächlichen Gehaltsvorstellung des Arbeitgebers ist. Interessant wäre es deshalb, ob es dazu wirtschaftswissenschaftliche bzw. psychologische/soziologische Überlegungen oder (für Österreich) Untersuchungen gibt. 

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In Österreich scheint das mit der bewusst niedrigen Angabe der Fall (gewesen? s.u.) zu sein: http://derstandard.at/2000022571314/Einkommenstransparenz-nur-bedingt-hi...
Bei der Lohndiskriminierung haben die Nachbarn wohl noch großen Aufholbedarf, die Lücke scheint sich aber zu verringern. Neben der Lohnangabe in den Stellenanzeigen müssen die Unternehmen auch ihre Gehaltsstruktur berichten: http://derstandard.at/2000026049440/Oesterreich-hinkt-bei-Gleichstellung...
Einige Jahre nach der Einführung scheint sich bei den Arbeitgebern aber die Einsicht durchzusetzen, dass man mit realistischen Angaben bessere Bewerber anzieht: http://www.karriere.at/blog/mindestgehalt-stelleninserat-2015.html

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