Akkordlohn und MiLoG

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 04.02.2016
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtMindestlohnAkkord3|5259 Aufrufe

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Montagehelferin beschäftigt. Ihre Vergütung richtet sich nach Akkordsätzen. Der Grund-Stundenlohn für die Montage von 41,5 Bauteilen je 60 Minuten (100%-Leistung) beträgt 6,22 Euro brutto. Die Klägerin übertrifft die Richtsätze deutlich. Aufgrund einer Betriebsvereinbarung ist die Akkordvergütung auf 137% gekappt. Daraus resultiert ein Stundenlohn von (6,22 Euro x 1,37 =) 8,52 Euro.

Die Klägerin ist der Auffassung, ihr stünde seit dem Inkrafttreten des MiLoG am 1.1.2015 eine Vergütung von 11,65 Euro je Stunde zu (8,50 Euro Mindestlohn x 1,37 = 11,645 Euro). Das MiLoG verlange, dass die "Normalleistung" des Arbeitnehmers mit 8,50 Euro je Zeitstunde vergütet werde. Ihre überobligatorische Akkordleistung dürfe nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden, sondern erhöhe diesen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt: Die Klägerin erhalte mit 8,52 Euro je Stunde eine über dem Mindestlohn liegende Vergütung.

Das ArbG Herford hat der Klage stattgegeben: Die Vereinbarung des Grund-Stundenlohnes von 6,22 Euro sei seit dem 1.1.2015 "insoweit" (§ 3 Satz 1 MiLoG) unwirksam, als sie den Betrag von 8,50 Euro unterschreite. Vielmehr sei dieser als Basis für die Berechnung der Akkordsätze zugrunde zu legen und mit dem (durch die Betriebsvereinbarung auf 137% gekappten) Akkordergebnis der Klägerin zu multiplizieren.

Der gesetzliche Mindestlohnanspruch ist gemäß § 3 Satz 1 Mindestlohngesetz insgesamt - also auch im Hinblick auf seinen Charakter als Stundenlohn - unabdingbar, so dass er durch Stücklohn- oder Akkordlohnabreden weder abgedungen noch modifiziert werden kann. Für die Erfüllung des Mindestlohnanspruchs kommt es auch bei der Vereinbarung eines Stück- oder Akkordlohnes deshalb ausschließlich darauf an, dass die im jeweiligen Monat geleisteten Arbeitsstunden zum in § 2 Mindestlohngesetz geregelten Fälligkeitstermin zum Mindestlohn vergütet werden. Insoweit bestimmt die Begründung des Regierungsentwurfs, dass geleistet sein muss, dass der Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden erreicht wird (BT-Drucksache 18/1558 Seite 34). Nicht hinreichend ist damit, dass auf der Basis der Stück- bzw. Akkordvereinbarung der Arbeitnehmer bei normaler Leistung eine Arbeitsvergütung in Höhe des Mindestlohnes erreichen kann.

Darüber, ob die Betriebsvereinbarung die Vergütung für das in manchen Monaten tatsächlich noch höhere Akkordergebnis der Klägerin wirksam auf 137% begrenzen konnte, hatte das Arbeitsgericht nicht zu entscheiden, weil weitergehende Ansprüche nicht geltend gemacht worden waren (§ 308 Abs. 1 ZPO).

Die angesichts des Streitwerts von über 2.300 Euro zulässige Berufung wurde von der Beklagten eingelegt.

ArbG Herford, Urt. vom 11.9.2015 - 1 Ca 551/15, BeckRS 2015, 73137

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3 Kommentare

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Seltsamer Ansatz der Klägerin, den Mindestlohn auf die Normalleistung zu beziehen. Wenn der Mindestlohn leistungsabhängig wäre, müsste eine Entlohnung bei "Lowperformern" auch unterhalb des  Mindestlohns möglich sein. Fragwürdig erscheint auch, den Mindestlohn schon auf einzelne Elemente eines Vergütungssystems anzuwenden. Wenn der Sinn des Mindestlohns darin besteht, eine Untergrenze zu setzen, wäre es konsequent, zu prüfen, ob der Lohn, den der Arbeitnehmer nach Anwendung des Vergütungssystems am Ende "unterm Strich" erhält, ober- oder unterhalb der Untergrenze liegt und ihn gegebenenfalls erst dann auf die Untergrenze  anzuheben.

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Was macht der Betrieb da eigentlich?

Wenn die Leute nur mit maximalem Bonus auf den Mindestlohn kommen, der Betrieb den Mindestlohn aber jedem zahlen muss, ist damit doch der Akkordlohn ad absurdum geführt. Am Ende bekommt jeder quasi das gleiche.
 

 

Anders als das ArbG Herford hätte es wohl das ArbG Düsseldorf gesehen:

http://blog.beck.de/2015/06/09/anrechnung-von-zulagen-auf-den-mindestlohn

"Da ein Leistungsbonus, anders als beispielsweise vermögenswirksame Leistungen, einen unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung aufweise, handele es sich um „Lohn im eigentlichen Sinn", der in die Berechnung des Mindestlohns einzubeziehen sei." (ArbG Düsseldorf)

@I. S.: Das ArbG Düsseldorf hat sich mit "unspezifizierten Leistungen für erschwerte Arbeitsbedingungen" beschäftigt, nicht mit einem Akkordlohnsystem.

@Fragezeichen: Im Gegenteil, ich halte die Ansicht der Klägerin für konsequent. Ihre Forderung sagt nicht, dass der Mindestlohn leistungsabhängig ist, sondern dass die von der Klägerin geschuldete Normalleistung mit mindestens 8,50 Euro / Stunde zu vergüten sei.

Die Frage, was mit Lowperformern zu geschehen hat, hat das Urteil - natürlich - nicht beantwortet, es war ja auch nicht zu entscheiden. Allerdings ist das eine spannende Frage, zu der wir hoffentlich bald Rechtsprechung sehen. Wenn es sie schon gibt, wäre ich für einen Hinweis dankbar.

Ich denke, man wird nach den Gründen für die Unterschreitung differenzieren müssen. War die "Normalleistung" zB wegen unrealistischer Vorgaben oder anderen, durch das Unternehmen zu vertretenden Gründen nicht erreichbar, wird man wohl nicht den MiLo unterschreiten können. Liegt die Unterschreitung allerdings im Machtbereich des Mitarbeiters (Bummeln, Arbeitsverweigerung, ...) dürfte diese Bewertung anders ausfallen. Im extremen Beispiel könnte sonst ein Mitarbeiter, der den ganzen Tag nur rumsteht und in die Luft guckt, für seine reine physische Anwesenheit im Betrieb bereits 8,50 / Stunde verlangen. Das kann nicht der Wille des Gesetzes sein. Abgesehen davon, dass ein solches Verhalten auch andere Konsequenzen als Lohneinbußen hätte.

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