Der Pfandbon erneut auf dem Weg zum BAG

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 17.02.2016

Das "Emmely"-Urteil des BAG, in dem das Gericht über die Wirksamkeit einer Kündigung wegen Unterschlagung zweier Pfandbons zu entscheiden hatte, gehört sicher zu den meist diskutierten arbeitsrechtlichen Urteile der letzten Jahre (BAG, Urt. vom 10.6.2010 - 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227).

Jetzt hat das LAG Düsseldorf die Revision in einem Verfahren zugelassen, das erneut gute Aussichten hat, für Schlagzeilen zu sorgen:

Die beklagte Arbeitgeberin stellte anlässlich einer Inventur fest, dass sich in verschiedenen Bereichen ihres Sortiments die Verluste im Vergleich zur vorausgegangenen Inventur mehr als verzehnfacht hatten (im Bereich Tabak/Zigaretten von 415 auf 5.076 Euro, im Bereich Non-Food von 300 auf 5.445 Euro). Nach Auswertung aller verfügbaren Unterlagen kam sie zu dem Schluss, dass die Fehlbestände auf Diebstählen ihrer Mitarbeiter beruhen müssen. Sie beantragte beim Betriebsrat die Einführung einer verdeckten Videoüberwachung, der dieser unter der Voraussetzung zustimmte, dass die Auswertung der Aufzeichnungen nur gemeinsam mit einem seinem Mitglieder erfolgen dürfe. Die daraufhin angefertigten Videoaufzeichnungen bestätigten nicht nur den von der Arbeitgeberin bereits zuvor gehegten Verdacht gegen zwei andere Arbeitnehmerinnen, sondern zeigten auch, wie die Klägerin eine im Kassenbereich befindliche "Musterflasche" über den Scanner des Kassenarbeitsplatzes zieht, eine Leergutregistrierung durchführt, die Kassenlade öffnet und Geld (3,25 Euro) aus der Kassenlade nimmt, das sie zunächst in den Kassenbereich legt und zu einem späteren Zeitpunkt in ihre Tasche steckt. Nach Anhörung der Arbeitnehmerin und Zustimmung (!) des Betriebsrats zur Kündigung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg:

Erstellt ein Arbeitnehmer einen falschen Pfandbon, um sich unter Verletzung des Vermögens seines Arbeitgebers das Pfandgeld rechtswidrig zuzueignen, ist der mit einer derartigen Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch auch bei einem geringfügigen Schaden jedenfalls dann besonders gravierend, wenn der betreffende Arbeitnehmer gerade damit betraut ist, die Vermögensinteressen des Arbeitgebers zu wahren, wie dies bei einer Kassiererin der Fall ist.
Der Verstoß gegen eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat, eine mit Zustimmung des Betriebsrats vorgenommene Videoüberwachung nur im Beisein des Betriebsrats auszuwerten, führt jedenfalls dann nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, wenn der Betriebsrat der Verwendung als Beweismittel und der darauf gestützten Kündigung zustimmt und die Beweisverwertung nach den allgemeinen Grundsätzen gerechtfertigt ist.
Bei im Rahmen einer Videoüberwachung sich ergebenden "Zufallsfunden" muss das Beweisinteresse des Arbeitgebers höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Die Revision wurde zugelassen.

LAG Düsseldorf, Urt. vom 7.12.2015 - 7 Sa 1078/14, BeckRS 2016, 65271

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2 Kommentare

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Es sieht ein wenig danach aus, als ob es dem LAG Düsseldorf um die Thematik der "Beweisverwertungsverbote" im Arbeitsgerichtsprozess geht.

 

Ich denke nicht, daß ein derartiges "Beweisverwertungsverbot" per se ausscheidet, wenn der BR der Videoüberwachung zustimmt.

 

Die Thematik der "Beweisverwertungsverbote" ist im deutschen Prozessrecht derartig schwammig ausgestaltet, dass es hier einer "Kodifizierung" bedarf.

 

Derzeit wird in den meisten Fällen eine "Abwägung" zwischen den Rechtsgütern vorgenommen, die der Willkür freien Raum lässt.

 

Natürlich wird die Abwägung immer zu Gunsten des Arbeitgebers ausfallen, wenn auf dem Video der Diebstahl oder die Unterschlagung zu sehen sind. Dies ist jedoch der falsche Ansatzpunkt, denn bei der Frage, ob ein Beweis zu verwerten ist oder eben nicht, müsste die Erkenntnis aus dem Video innerlich ausgeblendet werden, denn sonst liegt ein "Zirkelschluss" vor.

 

Ich kann mir vorstellen, dass das LAG Düdo die Frage des Vorliegens des "Beweisverwertungsverbots" gerade wegen des geringfügigen Diebstahls dem BAG zur Beantwortung vorlegt. Das wäre dann in der Tat eine interessante Rechtsfrage. Gäbe es bei derartig kleinen Vergehen kein Beweisverwertungsverbot, dann müsste man sich fragen, ob es in der Arbeitsgerichtsbarkeit denn nun überhaupt ein "Beweisverwertungsverbot" in der Praxis geben kann.

 

Eine Rechtsordnung, in der es "Beweisverwertungsverbote" jedoch nicht gibt, verdient mE nicht die Bezeichnung einer "Rechtsordnung".

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Gast79 schrieb:
Gäbe es bei derartig kleinen Vergehen kein Beweisverwertungsverbot, dann müsste man sich fragen, ob es in der Arbeitsgerichtsbarkeit denn nun überhaupt ein "Beweisverwertungsverbot" in der Praxis geben kann.

Die Frage, ob es ein Beweisverwertungsverbot geben darf, kann nicht mit dem Umfang des Vergehens zusammenhängen, sondern muss an den Umständen der Beweisermittlung festgemacht werden.

 

Der Sinn eines Betriebsrats ist es, die Rechte der Arbeitnehmer zu vertreten. Wenn dieser anstelle des einzelnen Arbeitnehmers die Zustimmung zur verdeckten Überwachung und damit zur Beweiserhebung gibt, sind die Rechte des Arbeitnehmers damit grundsätzlich gewahrt. Der Betriebsrat ist an seiner Stelle befragt worden, ob die Maßnahme stattfinden darf und hat zugestimmt (und das durch Zustimmung zur Kündigung sogar noch bestätigt).

 

Das bedeutet: Raum für ein Beweisverwertungsverbot gibt es in den Fällen, wo weder der einzelne Arbeitnehmer noch der Betriebsrat der Überwachungsmaßnahme zugestimmt hat.

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