AG Landstuhl: Absehen vom Fahrverbot bei etwa 10%-Verlangsamung des Vordermannes

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.03.2016

Absehen vom Regelfahrverbot bei Abstandsverstößen kommt aus tatbezogenen Gesichtspunkten eher selten vor. Hier hat das AG Landstuhl mal vom Regelfahrverbot abgesehen. Und zwar wegen der fast 10-prozentigen Verlangsamung des Vordermannes. Dabei hat das Gericht sich noch mit anderen Gesichtspunkten befasst und diese mit in die Entscheidung über das Absehen eingestellt (so genannte Misch-Argumentation) und die Geldbuße angemessen erhöht: 

Bezüglich der Rechtsfolgenzumessung ist zunächst angesichts des Rahmens, den die BKatV samt Anlage als Rahmen für die Ermessensausübung vorgibt, zu prüfen, ob eine Sondersituation vorliegt, die ein Abweichen von der Regelfolge der Ziffer 12.3.6 BKat gebieten würde. Dies ist hier nicht der Fall. Denn ausweislich der Videoprints und der Anlage 1 zum Protokoll hat der Betroffene auf der linken von drei Fahrspuren den erforderlichen Abstand im gesamten Beobachtungszeitraum stark unterschritten, beginnend mit 17,26m bei der Beobachtungslinie bei 400m Entfernung bis zur Ausgangslinie des Messbereichs mit 17,06m, und es war im Messfilm kein Dazwischentreten äußerer Ereignisse von anderen Fahrspuren zu sehen. Dementsprechend sind die Regelgeldbuße von 160 EUR sowie das Regelfahrverbot von 1 Monat zunächst anzuordnen.
Die nachfolgend zwingende Prüfung, ob auf der Rechtsfolgenseite ausnahmsweise von der Anordnung eines Fahrverbots ganz abgesehen werden kann, ergibt keine Abweichung zugunsten des Betroffenen. Denn insbesondere bei der Frage, ob das Fahrverbot zu einer unverhältnismäßigen Härte für den Betroffenen führt, hat schon die Einlassung des Betroffenen keine zwingenden Hinweise auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder das Entstehen einer wirtschaftlichen Notlage ergeben.
Allerdings kommt das Gericht im Rahmen der ebenfalls zwingenden Prüfung, ob für den Betroffenen zur verkehrsrechtlichen Einwirkung auch eine Regelung nach § 4 Abs. 4 BKatV ausreicht, mithin durch eine spürbare Erhöhung der Regelgeldbuße bei Wegfall des Fahrverbots, hier zu dem Ergebnis, dass ein solches Vorgehen angezeigt und auch ausreichend ist.
Denn das Fahrverhalten des vor dem Betroffenen fahrenden PKW verstößt gegen §§ 1 Abs. 2 und 2 Abs. 1 StVO in erheblichem Maße und über den gesamten Messzeitraum.
Der auf der linken von drei Fahrspuren fahrende Vordermann hat im Beobachtungszeitraum nicht nur ohne ersichtlichen Grund seine Geschwindigkeit von 129,60 km/h auf 122,01 km/h signifikant abgesenkt, ohne dafür eine verkehrstechnische Veranlassung gehabt zu haben. Insbesondere gab es vor diesem Fahrzeug keine anderen Fahrzeuge, keinen Rückstau, keine Einschervorgänge und es lag auch keine die zulässige Höchstgeschwindigkeit tangierende Eigengeschwindigkeit vor, so dass angesichts der mglw. sichtbaren Messanlage eine Reduktion der Geschwindigkeit angezeigt gewesen wäre. Auf diese Weise wurde aber der ebenfalls mit zulässiger Geschwindigkeit hintenan fahrende Betroffene über den gesamten Beobachtungszeitraum daran gehindert, in ordnungsgemäßer Weise die linke von drei Autobahnfahrspuren in vollem zugelassenen Umfang zu nutzen.
Des Weiteren hätte der vorausfahrende PKW im Zusammenhang mit der Reduktion der eigenen Geschwindigkeit die linke Fahrspur verlassen und auf die mittlere Fahrspur wechseln müssen, die ausweislich des Messfilms und der Videoprints neben dem Vorausfahrenden und auch neben dem Betroffenen nicht befahren war und auf der es auch nach vorne keinen weiteren Verkehr im Abstand von ca. 400m gab.
Welche Motive der Vorausfahrer auch immer für sein Fahrverhalten gehabt haben mag, kann offen bleiben; jedoch war dieses Verhalten nicht ausschließlich, aber doch mitursächlich dafür, dass dem Betroffenen nunmehr dieser erhebliche verkehrsrechtliche Vorwurf zu machen ist. Dieser Umstand kann nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar hätte auch der Betroffene im immerhin fast 10 Sekunden dauernden Beobachtungszeitraum seinen Abstand aktiv vergrößern können und müssen. Allerdings musste er nicht mit einem solchen Fahrverhalten rechnen.
Im Zusammenhang mit der aktiven Verantwortungsübernahme des Betroffenen für seinen begangenen Verstoß, nämlich der sofortigen Einräumung der Fahrereigenschaft bei denkbar schlechter Qualität der Messbilder aus der Beobachtungskamera und auch der Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen, kommt das Gericht im Rahmen seines Beurteilungsspielraums zu dem Ergebnis, dass die erforderliche verkehrserzieherische Einwirkung auf den Betroffenen nicht zwingend mittels eines Fahrverbots erreicht werden muss, sondern auch, insbesondere angesichts der finanziell durchaus angespannten Lage des Betroffenen, durch das durchgeführte Verfahren selbst sowie die signifikant angehobene Geldbuße erreicht werden kann. Zudem war der Betroffene verkehrsrechtlich nicht vorbelastet.

AG Landstuhl, Urteil vom 22.02.2016 - 4286 Js 14527/15

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2 Kommentare

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"von 129,60 km/h auf 122,01 km/h signifikant abgesenkt" - Signifikant? Was soll bei diesem geringen Unterschied signifikant sein?

"hätte der vorausfahrende PKW im Zusammenhang mit der Reduktion der eigenen Geschwindigkeit die linke Fahrspur verlassen und auf die mittlere Fahrspur wechseln müssen" - Das zu berücksichtigen, war ganz gewiss richtig. Wenn das Blockieren der 3.Spur nicht sogar schon Nötigung war, dann war es jedenfalls ein signifikanter Verstoß gegen die Grundprinzipien der StVO, angesichts dessen der Vorwurf des zu geringen Abstands an Bedeutung verliert.

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@ #1

Signifikant kann iSd Statistik gemeint sein. Laut Duden Bedeutung signifikant u.a.: "(Statistik) zu groß, um noch als zufällig gelten zu können"

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