Ferrari mit 200 km/h auf der BAB...und dann kam die 18-cm-Bodenwelle: 50/50-Quote!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 26.03.2016

Mal wieder eine zivilrechtliche Entscheidung. Einerseits ging es dabei um die Verkehrssicherungspflicht des Landes bei Bodenwellen auf Autobahnen. Andererseits um die Quote, wenn der Fahrer eines beschädigten Fahrzeugs mit 200 km/h über die Welle rast. Hier die Leitsätze der Beck-Redaktion:

1. Eine auf der Autobahn vorhandene, stark ausgeprägte Bodenwelle mit einer Höhe von bis zu 18 cm begründet für das zuständige Land die Verpflichtung, Abhilfe zu schaffen oder entsprechende Warnhinweise aufzustellen.

2. Überschreitet der auf Grund der Bodenwelle verunfallte Fahrer eines Pkw Ferrari Modena Spider die Autobahnrichtgeschwindigkeit mit einem gefahrenen Tempo von 200 km/h erheblich und weist das Fahrzeug eine spezifische, geringe Bodenfreiheit auf, kann eine hälftige Schadensteilung gerechtfertigt sein. 

LG Aachen, Urteil vom 01.10.2015 - 12 O 87/15

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11 Kommentare

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Wieder einmal ein abschreckendes Beispiel dafür, wie die ohnehin mehr als zweifel-hafte Autobahnrichtgeschwindigkeit zur Legitimation von Fehlurteilen missbraucht wird:

Jedenfalls ist es mit Sicherheit nicht Schutzzweck dieser Norm, die Folgen von Schlampereien der Straßenbaulastträger teils auf Geschädigte abzuwälzen.

Und so lange die „ spezifische geringe Bodenfreiheit" legal war, lässt sich daraus gar nichts herleiten.

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P.S. Die EU informiert:

„Eine Verordnung ist ein verbindlicher Rechtsakt ... Empfehlungen sind nicht verbindlich."

Wenn also per Verordnung etwas empfohlen wird ...

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Wie bringen Sie den jetzt die EU ins Spiel? (Sie meinen doch sicher nicht, dass die StVO eine Verordnung im Sinne der europarechtlichen Begrifflichkeiten ist?)

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Das Urteil wäre verständlich, wenn auf die Bodenwellen (etwa durch Warnschilder) hingewiesen wurde, oder diese gut sichtbar (etwa leuchtfarbig markiert) waren.

Ansonsten muß man als Autofahrer darauf vertrauen dürfen, das Bundesautobahnen in einem verkehrsicheren Zustand sind.

Schließlich handelte es sich ja nicht um einen Waldweg oder Feldweg, oder eine offensichtlich hundert Jahre offensichtlich mit Schlaglöchern übersähte alte Kopfsteinplasteranliegerstraße.

Die gravierende Bodenwelle gefährdete hier vermutlich nicht nur Ferrarifahrer, sondern wahrscheinlich wohl auch Fahrer normaler Autos und Motoradfahrer.

Die Bodenwelle sofort zu sanieren wird man nicht verlangen können, aber der Staat darf sich seiner Verkehrssicherungspflicht nicht so weit entziehen das er noch nicht einmal Warnhinweise gibt.

Dem Autofahrer 50%-Mitverschulden zu geben wird der Landesbetrieb Straßenbau wahrscheinlich wie eine Entlastung und einen Teilfreispruch verstehen, und diese Botschaft erscheint bedenklich, im Hinblick auf die oft selbstgerechte und oft nachlässige Mentalität bei Mitarbeitern öffentlicher Betriebe.

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Ansonsten muß man als Autofahrer darauf vertrauen dürfen, das Bundesautobahnen in einem verkehrsicheren Zustand sind.

Wer mit 200 km/h über die Autobahn heizt, muss damit rechnen, dass nicht alle Fahrbahnen für diese Formel-1-Geschwindigkeit geeignet sind, wo Flugzeuge schon abzuheben beginnen. "Richtgeschwindigkeit" heißt auch Sicherheit, alles andere heisst eigenes Risiko. Autobahnen, die überall problemlos für 200 km/h und mehr geeignet wären, wären doch unbezahlbar. Wer sich einen Ferrari leisten kann, wird sich auch noch eine passende Vollkaskoversicherung leisten können, für die nur er aufkommen muss und nicht die Allgemeinheit, die sich an die empfohlenen 130 km/h hält.

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Grundsätzlich sollte man schon davon ausgehen können, dass man auf einer freien BAB 200 km/h fahren kann, solange Deutschland sich immer noch nicht zu einer allgemeinen Höchstgeschwindigkeit entschließen kann (Freie Fahrt für freie Bürger in D, Freie Waffen für alle in USA). Allerdings hat das Gericht dennoch recht, denn man darf sich nicht darauf verlassen, dass dies auch mit Fahrzeugen mit geringer Bodenfreiheit ohne schaden funktioniert.  Ob die geringe Bodenfreiheit "legal" ist, ist dabei völlig irrelevant; wenn ein legal 2,5 m breites Fahrzeug in einen 2 m breiten Tunnel reinfährt, hat der Fahrer auch selbst schuld.

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Schulze schrieb:

Grundsätzlich sollte man schon davon ausgehen können, dass man auf einer freien BAB 200 km/h fahren kann, solange Deutschland sich immer noch nicht zu einer allgemeinen Höchstgeschwindigkeit entschließen kann

Freie Fahrt für freie Bürger sieht die StVO gar nicht vor. § 3 StVO gilt nämlich auch, wenn da kein Schild steht:

 

StVO § 3

(1) Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. [...] Es darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann.

 

Quote:
Allerdings hat das Gericht dennoch recht, denn man darf sich nicht darauf verlassen, dass dies auch mit Fahrzeugen mit geringer Bodenfreiheit ohne schaden funktioniert.

Die Eigenschaften des Fahrzeugs sind sogar ausdrücklich benannt bei der Frage, woran man die Geschwindigkeit anpassen muss. Wenn das Fahrzeug auf Bodenwellen besonders empfindlich reagiert, muss man eben so fahren, dass man noch vor der Bodenwelle bremsen kann.

 

Trotzdem sind 18 cm-Bodenwellen ohne Warnschild ein Straßenzustand, den das Gericht zu Recht beanstandet. Damit muss derzeit noch keiner rechnen - aber mal sehn, wann die Gerichte so einen Autobahnzustand als normal und erwartbar einstufen. Kann nicht mehr allzulange dauern.

I.S. schrieb:

 

Quote:
Allerdings hat das Gericht dennoch recht, denn man darf sich nicht darauf verlassen, dass dies auch mit Fahrzeugen mit geringer Bodenfreiheit ohne schaden funktioniert.

Die Eigenschaften des Fahrzeugs sind sogar ausdrücklich benannt bei der Frage, woran man die Geschwindigkeit anpassen muss. Wenn das Fahrzeug auf Bodenwellen besonders empfindlich reagiert, muss man eben so fahren, dass man noch vor der Bodenwelle bremsen kann.

 

Trotzdem sind 18 cm-Bodenwellen ohne Warnschild ein Straßenzustand, den das Gericht zu Recht beanstandet. Damit muss derzeit noch keiner rechnen - aber mal sehn, wann die Gerichte so einen Autobahnzustand als normal und erwartbar einstufen. Kann nicht mehr allzulange dauern.

Halten wir fest:

VW Golf kann aufgrund seiner Fahrzeugeigenschaften (insbesondere ausreichende Bodenfreiheit) in der Regel 200 km/h auf deutschen Autobahnen fahren.

Der Ferrari muss sich auf 130 km/h beschränken (Fahrzeugeigenschaft, empfindlich für Bodenwellen, nur für Langsamfahrten geeignet).

 

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Es stellt sich natürlich die Frage, wie die Entscheidung ergangen wäre, wenn es sich um einen normalen (nicht tiefergelegten) VW Golf gehandelt hätte. Tiefliegender Ferrari als Risikofaktor, der eine Mitschuld bedingt?

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Gast schrieb:

Tiefliegender Ferrari als Risikofaktor, der eine Mitschuld bedingt?

Naja, es ist schließlich Gefährdungshaftung. Die Frage ist ob die Gefährdung von einem allgemeineren  (Standard-Golf) oder von einem konkreteren (Tiefflieger-Ferrari) Blickwinkel aus zu betrachten ist. Streitentscheid je nachdem, was man selber fährt ;-)

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