"Frag mal deine Mama oder deinen Papa!" - sonst droht Beweisverwertungsverbot

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.04.2016
Rechtsgebiete: JGGVerkehrsrecht|3257 Aufrufe

Ein 15-jähriger verursacht einen Unfall im Straßenverkehr ... und begeht dabei auch eine OWi (Rotlichtverstoß). Gegenüber den Polizisten vor Ort hatte er wohl den Verstoß gestanden. Und dann reut es ihn/die Eltern. Man könnte denken: "Zu spät!" War es aber aus Sicht des LG Köln im sich anschließenden Zivilprozess nicht. Das LG hat nämlich § 67 JGG als verletzt angesehen und daraus ein Beweisverwertungsverbot entnommen. Die Norm lautet in den entscheidenden ersten beiden Absätzen:

§ 67
Stellung des Erziehungsberechtigten und des gesetzlichen Vertreters

(1) Soweit der Beschuldigte ein Recht darauf hat, gehört zu werden, Fragen und Anträge zu stellen oder bei Untersuchungshandlungen anwesend zu sein, steht dieses Recht auch dem Erziehungsberechtigten und dem gesetzlichen Vertreter zu.

(2) Ist eine Mitteilung an den Beschuldigten vorgeschrieben, so soll die entsprechende Mitteilung an den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter gerichtet werden.

Das LG Köln:

 Die Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 823, 828, 249 BGB, 25 Abs. 3 StVO. Den Beweis für die einen solchen Anspruch begründende unerlaubte Handlung durch den Beklagten muss der Kläger als Anspruchsteller führen, was ihm nicht gelungen ist. Im Einzelnen:
1.
Eine unerlaubte Handlung des Beklagten durch einen haftungsbegründenden Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO läge nur dann vor, wenn dieser unter Missachtung einer für ihn „Rot“ zeigenden Ampel die Straße überquert hätte, was von ihm bestritten wird. Die Beweislast hierfür liegt beim Kläger. Das Amtsgericht hat es nach durchgeführter Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, dass der Beklagte, ohne auf die Lichtzeichenanlage zu achten, die Straße überquert hat, was letztlich zu dem Schaden beim Kläger geführt hat. Dies ist nicht frei von Rechtsfehlern, denn zu Recht rügt der Beklagte mit der Berufung, dass die Aussagen der Polizeibeamten hierzu vom Amtsgericht nicht hätten verwertet werden dürfen, weil diese bei Vernehmung des Beklagten am Unfallort gegen ihre Belehrungspflicht verstoßen haben.
Zum Zeitpunkt der Unfallaufnahme waren die Polizeibeamten verpflichtet, den Beklagten zu belehren, weil sie ihn als Unfallversursacher und damit auch als Beschuldigten einer Ordnungswidrigkeit vernommen haben, §§ 46 OWIG, 136 StPO. Dabei war bei dem minderjährigen Beklagten zusätzlich eine Belehrung erforderlich, dass er berechtigt ist, vor einer Aussage zur Sache seine Eltern zu kontaktieren, § 67 JGG. Diese gesetzliche Regelung beruht auf der kriminologisch gesicherten Erkenntnis, dass jugendliche Beschuldigte gegenüber Erwachsenen eine deutlich höhere „Geständnisfreudigkeit“ aufweisen, also in geringerem Umfang in der Lage sind, auch bei ansonsten korrekter Belehrung über das Schweigerecht von ihrer Aussagefreiheit dahingehend Gebrauch zu machen, auf Angaben zur Sache möglicherweise zu verzichten. Das Recht auf Konsultation der Erziehungsberechtigten bzw. gesetzlichen Vertreter, welches in § 67 I und II JGG seinen Niederschlag findet, trägt zumindest auch und insbesondere diesem Umstand Rechnung und steht deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entschließungsfreiheit des jugendlichen Beschuldigten in Bezug auf seine Rechte gem. §§ 136, 163 a StPO (LG Saarbrücken, Urteil vom 31. Juli 2009 - 3 Ns 20 Js 26/08 (32/09), 3 Ns 32/09 -, Rn. 22, juris).
Aus den Angaben der Polizeibeamten im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Amtsgericht ergibt sich jedoch, dass diese den Beklagten tatsächlich nicht über sein Konsultationsrecht belehrt haben.
Im hier zu entscheidenden Fall führt das bestehende Beweiserhebungsverbot (keine Vernehmung zur Sache ohne ordnungsgemäße Belehrung) auch zu einem Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess mit der Folge, dass das Amtsgericht die Vernehmung der Polizeibeamten als Zeugen für seine Überzeugungsbildung nicht hätte verwerten dürfen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die strafprozessuale Belehrung des Beschuldigten (wegen § 46 OWiG auch jene nach dem Recht der Ordnungswidrigkeiten) zwar nicht darauf gerichtet, diesen auch vor einer zivilrechtlichen Verfolgung zu schützen. Vielmehr soll sie den Beschuldigten allein davor bewahren, aktiv zu seiner strafrechtlichen Verfolgung beitragen zu müssen.
Daher kann das Beweisverwertungsverbot des Strafprozesses jedenfalls nicht ohne weiteres auf den Zivilprozess übertragen werden. Entscheidend ist aber eine Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall (BGH Urteil vom 10.12.2002 - VI ZR 378/01), wobei hier nach Auffassung der Kammer den Interessen des Beklagten ausnahmsweise der Vorrang einzuräumen ist. Die Kammer verkennt dabei nicht das überaus beachtliche Interesse des Klägers an der Wahrheitsfindung durch das erkennende Gericht, welchem nach den oben aufgezeigten Maßstäben des Bundesgerichtshofes im Zivilprozess jedenfalls grundsätzlich auch der Vorrang gebührt. Die Kammer hat auch berücksichtigt, dass dem Kläger an dem Umstand, dass hier ein Beweisverwertungsverbot im Räume steht, kein Verschulden trifft. So kann im Gegenteil das Verhalten des Klägers Im Rahmen der Unfallaufnahme unter keinem Gesichtspunkt beanstandet werden. Dennoch sprechen hier die folgenden Erwägungen aus Sicht der Kammer allein für ein Beweisverwertungsverbot:
Maßgeblich ist insoweit, dass der Beklagte zum Zeitpunkt seiner Vernehmung minderjährig war. So betraf insbesondere auch die die Kammer leitende Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH a. a. O.) gerade keine Konstellation, in der ein Minderjähriger beteiligt gewesen wäre. Dieser Umstand verdient aber nach Auffassung der Kammer - in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Berufung -im Rahmen der hier erforderlichen Abwägung eine besondere Beachtung. Wegweisend für den Zivilprozess ist § 455 ZPO, wonach eine parteiverantwortliche Vernehmung von Minderjährigen bis zum vollendeten 16. Lebensjahr zu unterbleiben hat, und an ihrer Stelle ausschließlich die gesetzlichen Vertreter zu vernehmen sind. Das spricht dafür, dass auch im Zivilprozess eine „verantwortliche“ Aussage Minderjähriger überhaupt erst ab dem 16. Lebensjahr in Betracht kommen soll. Der Beklagte war zum Zeitpunkt des Unfalls und der Vernehmung erst 15 Jahre alt. Für ein Beweisverwertungsverbot im konkreten Einzelfall spricht weiterhin, dass auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Unfallaufnahme unter Schock stand, weil er unmittelbar zuvor von einem Fahrzeug angefahren worden ist. Die mit der Vernehmung vor dem Amtsgericht wiedergegebenen Erkenntnisse der Polizeibeamten erlauben jedenfalls keine abschließende Beurteilung über die psychische Verfassung des Beklagten zu diesem Zeitpunkt, weshalb ein Schock des Beklagten jedenfalls nicht aufgrund der nicht sachkundigen Bekundungen der Beamten auszuschließen wäre. Es kommt daher nicht nur die Minderjährigkeit des Beklagten, sondern auch ein möglicher Schock zum Tragen. Aus diesem Grund hatte die Kammer zusätzlich zu bedenken, dass die Angaben eines unter Schock stehenden Unfallbeteiligten mit äußerster Vorsicht zu würdigen sind, weil nach den Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie Ereignisse, die kurz vor einem Schock eintreten, mehr oder weniger der Vergessenheit anheimfallen. Angaben einer Prozesspartei zum Unfallgeschehen dürfen unter diesen Umständen auch nicht als Geständnis i. S.v. § 288 ZPO gewertet werden. (OLG Hamm, Urteil vom 21. Februar 2002 - 27 U 175/01 -, juris)
In Folge des bestehenden Beweisverwertungsverbotes sind die aus der Vernehmung der Polizeibeamten gewonnenen Erkenntnisse des Amtsgericht hinwegzudenken, die jedoch - und dies ist den Urteilsgründen zu entnehmen - im Wesentlichen die Grundlage der Überzeugungsbildung waren. Zwar hat der Kläger für den Verstoß des Beklagten gegen § 25 Abs. 3 StVO auch Beweis angeboten durch Vernehmung der Mutter des Beklagten, die seiner Behauptung nach ihm gegenüber nach dem Unfall eine unerlaubte Handlung ihres Sohnes mündlich eingestanden habe. Diese mögliche Zeugin hat sich jedoch in der Verhandlung vor der Kammer auf ihr bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht berufen und keine Angaben zur Sache gemacht, weshalb weitere Feststellungen nicht möglich sind. Dies bringt mit sich, dass der Kläger beweisfällig bleibt.

LG Köln, Urteil vom 13.01.2016 - 13 S 129/15

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