Tayyip Erdogan versus Jan Böhmermann wegen Beleidigung
von , veröffentlicht am 11.04.2016
In den nächsten Tagen will die Bundesregierung „sorgfältig und so zügig wie möglich“ das Verlangen der türkischen Regierung vom vergangenen Wochenende nach einer Strafverfolgung des Satirikers Jan Böhmermann prüfen. Gegen ihn waren bereits in der vergangenen Woche mehrere Strafanzeigen nach § 103 StGB „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ bei der Staatsanwaltschaft Mainz eingegangen. Das ZDF hat die ZDFneo-Sendung mit dem als „Schmähkritik“ annoncierten Spottgedicht Böhmermanns zwischenzeitlich aus der Mediathek entfernt.
Man darf gespannt sein, wie die Bundesregierung, die sich in einer Zwickmühle befindet, entscheidet. Darüber wurde gestern Abend intensiv bei Anne Will diskutiert.
Das Spottgedicht isoliert betrachtet, erfüllt in meinen Augen den Tatbestand der Beleidigung. Allerdings stellte Böhmermann das Gedicht in den Zusammenhang von Satire einerseits und strafbarer Schmähkritik andererseits. Nach seinen Worten wollte er gerade belegen, was in Deutschland strafbare Schmähkritik wäre. Was da in der Gesamtschau noch straflose Satire oder schon strafbare Schmähkritik war, ist alles andere als einfach zu beantworten. Der subjektive Tatbestand des § 103 StGB erfordert jedenfalls ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln.
Ich vermute, dass die Bundesregierung – schon um den schwarzen Peter auf die Strafverfolgungsorgane weiterzuschieben– dem Verlangen der türkischen Regierung nachgeben und nach § 104a StGB die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen wird. Dann muss sich die Staatsanwaltschaft Mainz endgültig mit der im vorliegenden Fall rechtlich schwierigen Grenzziehung zur Strafbarkeit bei Satire befassen.
Zum aktuellen Stand hier.
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342 Kommentare
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http://www.tagesschau.de/inland/tuerkei-boehmermann-113.html
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrte Frau RA Rathjen,
Sie schreiben:
Die praktische Bedeutung liegt eher im Politischen, und da "wirkte" die Norm v.a. ungut: Diplomaten bemühten sich, die ausl. Staatsoberhäupter (dabei notorische Folterchefs wie den Schah von Persien) zu beschwichtigen, damit kein Strafverlangen gestellt werde, innenpolitisch geriet die Regierung dafür in Schwierigkeiten, die "Zwickmühle", in die jetzt auch die Bundeskanzlerin, wie damals BK Kiesinger geraten ist.
Man kann davon ausgehen, dass auch Herr Erdogan nicht unbedingt eines Geheimdienstes bedarf, um die ZDF-Mediathek im Internet aufzurufen oder eine der vielen Stellen, wo das Video auch jetzt noch sichtbar ist. Er braucht nicht mal einen Übersetzer, denn das Gedicht ist mit türkischen Untertiteln versehen (ich weiß aber nicht, ob es tatsächlich eine treffende Übersetzung war). Aufmerksam gemacht könnte ihn die Bundeskanzlerin haben, nicht sein Geheimdienst.
Beste Grüße
Henning Ernst Müller
Arne Rathjen RA kommentiert am Permanenter Link
Die Datenbank des Bundesgerichtshofs enthält nicht eine einzige Entscheidung zu Paragraf 103 StGB, eine Art Phantom - Norm. Einfache Beleidigungen werden in Deutschland normalerweise nicht verfolgt, wegen 374 StPO.
( Ich darf darauf hinweisen, dass Arne vorwiegend im skandinavischen Raum, aber auch in Deutschland ein männlicher Vorname ist …)
Volljurist aus NRW kommentiert am Permanenter Link
Für eine junge Volljuristin gibt es hierzulande 5 Jahre Berufsverbot, bloß weil sie sich als sie sich über ein Stationszeugnis ärgerte an den Ausbilder eine wutentbrannte beleidigende E-Mail geschickt hat (also nicht im Fernsehen oder über Youtube öffentlich beleidigt, sondern bloß unter 4-Augen), siehe hier: http://rsw.beck.de/aktuell/meldung/agh-nordrhein-westfalen-beleidigung-kann-zulassung-zur-rechtsanwaltschaft-kosten.
Bin mal gespannt, ob der Fernsehkomiker auch bloß mit annähernd ähnlichen Konsequenzen zu rechnen hat.
Habe im Hinblick auf Politiker, Beamte, Journalisten und Komiker das Gefühl, daß man denen oft alles Mögliche ohne ernsthafte Konsequenzen durchgehen lässt, während man gegenüber Juristen meistens so streng ist wie es nur irgendwie geht.
Ich halte mich an die gesetzlichen und berufsrechtlichen Vorschriften, fühle mich jedoch zu Unrecht eingegengt und eingeschränkt und mit Strafdrohungen drangsaliert, wenn Personen, die sehr viel mehr Macht haben (etwa Politiker, hochrangige Beamte, in Massenmedien auftretende Journalisten und "Künstler") und die sehr viel mehr Schaden anrichten können, nur äußerst selten und auch dann lediglich sehr maßvoll zur Rechenschaft gezogen werden.
Wir werden stets gezwungen uns zurückzuhalten und uns in Acht zu nehmen und extrem rücksichtsvoll und übervorsichtig zu sprechen und zu handeln, während man Anderen, die eigentlich sehr viel mehr Verantwortung tragen, sehr weitgehende Freiheiten gewährt.
Mit einem unverbildeten Gerechtigkeitsempfinden ist das wenn überhaupt allenfalls schwer in Einklang zu bringen.
Theo kommentiert am Permanenter Link
Frage an die Rechts-Experten:
Ist es zwingend notwendig, dass die Gegenseitigkeit verbürgt sein muss? Und weiß jemand, ob es im türkischen Recht einen Passus ähnlich des §103 StGB gibt?
Das dürfte doch wirklich der Casus knacktus sein. Ist die Reziprozität nicht gegeben, dürfte die Bundesregierung mit Hinweis darauf ihre Zustimmung verweigern und gleichzeitig darauf verweisen, dass mit der persönlichen Strafanzeige Erdogans die Sache eh läuft (um es mal nicht-juristisch zu formulieren
I. S. kommentiert am Permanenter Link
Diejenigen, die sich auf die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) beziehen, sollten immer auch den Artikel 5 Abs. 2 GG lesen:
"(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre."
Es gab im Geltungsbereich des Grundgesetz noch nie die Erlaubnis, alles uneingeschränkt frei zu sagen, was man denkt. Denn auch Diktatoren sind Menschen im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 GG:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar."
Dieses Recht verliert man nicht durch eine alberne Beschwerde beim deutschen Botschafter, nicht durch das Inhaftieren von Kritikern oder das Ermorden von Minderheiten.
ra.stroecker kommentiert am Permanenter Link
Dazu nur kurz von Kurt Tucholski:
"Satire darf alles!"
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Gast kommentiert am Permanenter Link
https://www.facebook.com/kai.diekmann.77/posts/827840744026758
Danny kommentiert am Permanenter Link
Ein Auszug:
Es spricht für Böhmermanns Intelligenz, dass er sich dieser Problematik offenbar durchaus bewusst ist, auch wenn sie in dem Interview nicht weiter thematisiert wird. Dass der Beitrag abgenommen wurde zeigt dann auch dass die Ausstrahlung kein Versehen seitens des ZDF war.
Dem politisch interessierten Leser mag dann auch auffallen, dass diese Affäre der Union, die den EU-Beitritt der Türkei schon lange ablehnt, ziemlich entgegen kommt. Das ZDF wird im Allgemeinen der Machtsphäre der CDU zugerechnet, so dass man wohl in der Tat sagen könnte: geliefert wie bestellt.
Aber ist es wirklich ein produktiver Ansatz, das Oberhaupt eines "schrecklichen Regimes", auf das wir angewiesen sind, mit öffentlichen Geldern zu beleidigen?
Aus Sicht der CDU mag das so sein, hat man damit doch die öffentliche Meinung gegen die Türkei aufgebracht, aus der Sicht Deutschlands und aus Sicht der syrischen Flüchtlinge hätte man kaum etwas dümmeres machen können. Ich bin auch gegen den Türkei-Beitritt, aber um den zu verhindern reicht es die Zustimmung in der EU zu verweigern.
Wenn das nun so weitergeht und auch die SPD damit anfängt ihre aussenpolitischen Ziele durch gezielte Beleidigungen mittels der von ihr eroberten Teile der Staatsmedien (ARD) zu befördern, wird nicht nur die Aussenpolitik wieder deutlich spannender werden. (Dann sollte man den Sendern aber auch einige Panzerdivisionen unterstellen, damit sie die Staatskomiker die Pressefreiheit, dann auch hinreichend schützen können vor den Millionen Türken, die in Deutschland leben.)
Die SPD besitzt jede dritte oder vierte private Zeitung in Deutschland, was oft kritisiert wird, aber genau das ist der richtige Weg wenn man schon meint andere Staaten beleidigen zu müssen: privat und mit Eigenmitteln (möglichst Spenden) und nicht staalich finanziert, organisiert und damit legitimiert.
Es sollte auch untersucht werden, ob sich jemand Böhmermanns als Werkzeug bedient hat, der hat wie es aussieht nämlich tatsächlich nur seinen Job gemacht und sich vermutlich darauf verlassen, dass das ZDF vor der Ausstrahlung selbst eine rechtliche Prüfung durchführt. An einen Redaktions-Unfall glaub ich da nicht mehr so richtig.
Gipfel kommentiert am Permanenter Link
Ich bin kein Experte im Strafrecht, aber inwiefern wirkt es sich positiv auf Böhmermann aus, dass es in Türkei normal ist zu schimpfen und zu fluchen?
Ich habe ja selbst früher ein paar bestimmte türkische Ausdrücke gebraucht, die ich so gehört habe. Ich denke, dass sehr viele das kennen müssen. Wobei ja Erdogan ja selbst sehr viel flucht, schimpft und beleidigt...
Gast kommentiert am Permanenter Link
Wo haben Sie das denn die Information her?
Noch-ein-Tuchol... kommentiert am Permanenter Link
Kurt Tucholski war Schriftsteller, Dichter, politisch engagierter Journalist (und zeitweise wohl Vorgesetzter einiger anderer Journalisten), und Satiriker.
Wenn er sagte "Satire darf alles", dann war das wohl seine Ansage an seine ihm untergebenen Journalisten, oder eine Satire auf seine Satire.
Tucholski war weder Gesetzgeber, noch Richter.
Auf Tucholskizitate kann man seriöserweise weder eine Gesetzesbegründung noch eine Urteilsbegründung stützen.
Daß "Künstler" sich wünschen quasi sowas wie "Narrenfreiheit" zu genießen ist verständlich.
Aber Joseph Beys sagt, "jeder ist ein Künstler" - ergo müßte man dann allen Menschen "Narrenfreiheit" geben.
Manche Journalisten möchten gerne "Narrenfreiheit" für linksorientierte Künstler - aber müßte man dann nicht auch Rechten Narrenfreiheit gewähren?
Letzteres wäre zwar schlimmer als ersteres, aber gesetzlich zu differenzieren wäre wohl nicht tragbar.
Hierzulande fehlt oft der Mut zu inestigativem Journalismus und zur knallharten Präsentation von Fakten und zu wirklich auf den Punkt gebrachter scharfer Kritik, dafür sind viele Meinungsmacher umso "mutiger" wenn es um Aufstachelung und Stimmungsmache und Verächtlichmachung geht - das ist traurig.
Gast kommentiert am Permanenter Link
Genausowenig wie auf Tucholsky kann man auf Beuys seriöserweise juristische Argumentation bauen. Genausowenig wie ein Gericht Böhmermann mit Verweis auf Tucholsky freisprechen wird, wird es nicht jede Schmähkritik mit Verweis auf Beuys als Meinungsfreiheit werten.
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Gestern hatte ich hier in einem Kommentar erwogen, dass die Regierung darauf hinwirken solle, dass § 103 StGB vom Bundestag noch rechtzeitig vor einer Verurteilung Böhmermanns abgeschafft werde. Einige Bundestagsabgeordnete wollen das sogar noch schneller hinbekommen:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-boehmermann-politiker-woll...
Bevor die Bundesregierung über die Ermächtigung entscheidet, solle man schnell § 103 StGB abschaffen. Gute Idee(?): Die Regierung wäre aus der Zwickmühle entlassen und die Justiz müsste sich nur noch über § 185 StGB Gedanken machen.
Danny kommentiert am Permanenter Link
Ich denke es wäre besser nur § 104a abzuschaffen. Damit löst man auf jedenfall das aktuell diskutierte Problem des politischen Ermessens.
§ 103 scheint zwar ebenso wie § 185 die persönliche Ehre zu schützen, steht aber im Abschnitt "Straftaten gegen ausländische Staaten". Das deutet darauf hin, dass hier eigentlich die ausländischen Staaten selbst geschützt werden sollen, und zwar dadurch dass man ihre Vertreter, Fahnen, etc. schützt.
Wenn man dem folgt dürfte es Beleidigungen von Staatsoberhäuptern geben, die zwar unter § 185 fallen, aber nicht unter § 103, weil nicht jede Ehrbeeinträchtigung der Person auch auf den Staat "durchschlägt". Ebenso umgekehrt: manche Beleidigungen sind nur verständlich im Bezug zu der staatlichen Funktion der Person und dürften deshalb unter § 103, aber nicht unter § 185 fallen, weil sie die persönliche Ehre der Person nicht berühren.
Es klingt vielleicht heute etwas komisch, die Ehre eines Staates zu schützen, aber zum Erhalt des Friedens kann das durchaus sehr sinnvoll sein, wie man ja jetzt auch sieht.
Das gibt auch einen Anknüpfungspunkt Handlungen von Staatsbediensteten einer stärkeren Kontrolle zu unterwerfen, weil "offizielle" Beleidigungen eben als viel schwerwiegender und invasiver wahrgenommen werden, da die Beleidigung dann auf der selben Ebene (Staat vs Staat) liegt. Entsprechend wäre das auch ein guter Grund Böhmermann bzgl. § 103 freizusprechen, sofern er wirklich der Ansicht war sich "privat" und nicht "öffentlich rechtlich" zu äussern, was durchaus sein kann angesichts der Behauptungen der Politik zur Staatsferne der ÖR.
§ 104a wirkt in dem Kontext auf mich dann als eine Art Ausnahmevorschrift um der Regierung nötigenfalls die Produktion von Kriegshetze zu erlauben. Zumindest das Zustimmungserfordernis sollte man deshalb ersatzlos streichen. Ob man dagegen § 103 abschafft sollte man sich gut überlegen; schon heute wird viel Antisemitismus als Israelkritik getarnt. Ich glaube es ist besser wenn die Gerichte das im Einzelfall mit der Meinungsfreiheit abwägen als das ganz straffrei zu stellen.
Mustermann kommentiert am Permanenter Link
Lieber Professor,
die Zwickmühle, die Sie ausmachen ist keine.
Es ist ein Spielraum.
Es sei denn, man würde diesen politischen Handlungsspielraum anhand einer Skandalisierungsplattform, wie dem Internet, dem Pöbel als zur letzten Entscheidungsinstanz zur Verfügung stellen.
Dann können wir ja auch gleich Volksabstimmung zu Anklagen einführen.
Oder noch weiter:
Wir lassen halt auch über Urteile abstimmen.
Werden ja auch im Namen des Volkes geführt.
Bei Jesus hat es doch prächtig funktioniert...
Lg
Gast kommentiert am Permanenter Link
Hervorragende Idee! Das würde den satirischen Gehalt von Böhmermanns Aktion erneut potenzieren.
Eine Strafrechtsreform für eine Unterhaltungsshow - dagegen sind Heiko Maas' Hormonschübe fast schon seriöse Rechtspolitik. Um das zu toppen, müsste William Cohn zum Bundespräsident gewählt werden.
Gast kommentiert am Permanenter Link
@ Danny ich bin da auch drauf reingefallen!
Diekmann erfindet Böhmermann-Interview
http://www.jetzt.de/jan-boehmermann/kai-diekmann-faket-boehmermann-inter...
Gast kommentiert am Permanenter Link
Klagewelle des Beleidigten
https://br24.de/nachrichten/Deutschland%20%26%20Welt/strafanzeigen--von-...
Gast kommentiert am Permanenter Link
http://www.huffingtonpost.de/2016/04/13/anne-will-gab-eine-bombendrohung...
Gast kommentiert am Permanenter Link
Eigentlich sollte man neben § 103 StGB auch gleich noch § 185 StGB in einem Aufwasch abschaffen.
Danny kommentiert am Permanenter Link
Ich finde es gut und richtig, dass die persönliche Ehre als notwehrfähiges Rechtsgut anerkannt ist. Das zu ändern würde die menschliche Natur verkennen und dürfte zu unbilligen Ergebnissen führen.
Trotzdem kann man darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, dass der Staat versucht in diesem Bereich das "natürliche Spiel der Kräfte" mit eigenen Strafbeständen zu regulieren.
Die Gefahr ist auch, dass man mit der Regulierung das Gegenteil erreicht. Je mehr der Staat im Bereich der Meinungsäusserungen involviert ist, desto mehr bewirkt er damit auch eine Art staatliche Legitimation der nicht erfolgreich verfolgten Äusserungen. Würde man die Presse z.B. nicht im Hinblick auf Schmähkritik beschränken würde der Diskurs sicher etwas rauer werden, aber gleichzeitig würden die Leser die Beleidigungen weniger ernst nehmen. Ernstzunehmende Medien würden interne Kontrollen einführen und sich um Zurückhaltung bemühen nicht um Strafe zu vermeiden sondern um ihre eigene Reputation zu schützen. Vllt würde man sich dann sogar beim ZDF bemühen, dass Niveau der Bildzeitung nicht ganz so stark zu unterbieten.
Das optimale Schutzniveau hängt vorallem davon ab, inwieweit der Gesetzgeber und die Gerichte dazu fähig sind objektive und zuverlässige Abgrenzungskriterien zu entwickeln und diese diszipliniert und unpolitisch anzuwenden. Historisch hat man das in Deutschland denke ich noch vergleichsweise gut hinbekommen.
Die gegenwärtige Diskussion wird dagegen, sofern sich Auffassungen wie die von verfassungsblog.de durchsetzen, zu einer Verwillkürlichung und Politisierung der Rechtssprechung führen.
Je mehr man sich von rein formalen Kriterien entfernt, je intensiver man sich mit dem subjektiven Tatbestand befasst und je öfter man sich auf die Verfassung beruft, desto weniger werden verschiedene Gerichte bei identischen Fällen zu vergleichbaren Ergebnissen kommen können.
Das ist einerseits praktisch/technisch bedingt, weil der Wille schwierig zu ermitteln und leicht durch technisch geschickte Gestaltung der Äusserung zu "fälschen" ist. Man wird sich vielleicht noch darauf einigen können, ob Böhmermann bzgl. der Ehrverletzung (bedingt) vorsätzlich gehandelt hat, aber wenn es darauf ankommen soll ob z.B. in der Äusserung eine "edukative Absicht" zu erkennen ist und ob diese nicht durch die Länge des Gedichts konterkariert wird dann ist man im Bereich von Gedichtsinterpretation und Deutschunterricht.
Andrerseits sind verfassungsrechtliche Abwägungen zwischen der Meinungsäusserungsfreiheit und anderen Grundrechten eigentlich immer subjektive moralisch-politische Werturteile.
Kann die Ehrverletzung Erdogans dadurch aufgewogen werden, dass es in der Türkei weniger Pressefreiheit gibt?
Wenn die "edukative Absicht" die Ehrverletzung rechtfertigen kann, warum gilt das nicht auch für Körperverletzung und Notwehrexzess?
Das sind Fragen die man nicht objektiv-rational, sondern allenfalls normativ-religiös beantworten kann.
Bei Volksverhetzung mag eine Notwendigkeit bestehen trotz dieser Probleme irgendwie zu Festlegungen zu kommen, aber bevor man den bunten Bereich privater Ehrverletzungen durch Verfassungstheologie zu regeln versucht, sollte man sich überlegen ob es dann nicht im Interesse der Rechtssicherheit besser ist den strafrechtlichen Ehrschutz tatsächlich ganz abzuschaffen. Erdogan könnten wir dann einfach mitteilen, dass es uns Leid tut, aber wir hier in einem unziviliserten Land leben und auch selbst miteinander so umgehen.
Da das ohnehin schon weitgehend stimmt würden wir nicht sehr viel verlieren, aber Presse- und Satirefreiheit gewinnen. (Was übrigens nicht hiesse, dass der Staat die Beleidigung von Ausländern dann finanzieren sollte oder dürfte.)
dhga46373 kommentiert am Permanenter Link
Falls die Bundesregierung, um eine ganz bestimmte einzelene Person zu schützen, ein allgemein gültiges Gesetz für ungültig bzw. für außer Kraft gesetzt erklärt, verliert sie (und mit ihr wohl auch das gesamte politische Establishement) noch mehr an Seriösität und Glaubwürdigkeit, und geriete in den Geruch einer von gesetzlichen Bindungen befreite, die Gewaltenteilung überschreitenden, willkürlich handelnden Bananenrepublik.
Und das alles bloß, um sich gegen die Regierung eines Staates, dessen Partnerschaft und Freundschaft uns lieb und teuer sein sollte, zu wenden?
Diejenigen Kreise, die die Türkei destabilisieren möchten, sind offenbar doch wohl die gleichen Kreise, die Russland destabilisieren möchten, die Polen destabilisieren möchten, die Ungarn destabilisieren möchten, die Jugoslawien destablisierten, die Syrien destabilisieren, die Libyen destabilisierten, die den Irak destabilisierten, und die für zahlreiche Putsche und Kriege und Bürgerkriege auf der ganzen Welt verantwortlich sind.
Sich unter Missachtung unserer eigenen (deutschen und europäischen) Interessen diesen fremden Kreisen und Mächten anzudienen, sollte nicht das Ziel von Gesetzesänderungen sein.
Bei der Gestaltung von gesetzen sollte der Gesetzgeber sich gegenüber dem Souverän verantwortlich fühlen, also gegenüber dem Volk, und seinen Interessen,
Gast kommentiert am Permanenter Link
Was meinen Sie? Das Zustimmungserfordernis steht im Gesetz in § 104a StGB. Ist damit alles vom Gesetzgeber so gewollt.
MT kommentiert am Permanenter Link
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-boehmermann-bundesregierun...
Franz Dimbeck kommentiert am Permanenter Link
Gibt es hier jemanden, der das türkische Recht soweit kennt, um sagen zu können, ob die Gegenseitigkeit verbürgt ist?
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Verbale Lynchjustiz
http://www.europeonline-magazine.eu/anwalt-strate-greift-boehmermann-sch...
Arne Rathjen RA kommentiert am Permanenter Link
#49,50: Noch ein kurzer Blick in die Abgründe des deutschen Strafprozessrechts:
Eine strafrechtliche Verfolgung von Beleidigungen findet wegen Paragraf 374 StPO normalerweise nicht statt. In fast allen Fällen erfolgt eine Verweisung auf den Privatklageweg. De facto bedeutet dies das Ende des Verfahrens, und die Unwahrscheinlichkeit einer Verurteilung. Ob nun die Neigung eines ausländischen Staatschefs, Journalisten zu verfolgen, in Deutschland zu einem erhöhten öffentlichen Interesse an einer Strafverfolgung führt, das lasse ich einmal offen, bezweifle es aber.
Ein öffentliches Interesse wird fast immer nur dann bejaht, wenn es sich um deutsche Amtsträger handelt. Das Fallmaterial betreffend ausländische Amtsträger ist äußerst spärlich. Etwa die Junta in Chile oder auch der Schah waren mehr als zurückhaltend.
Da ein Taterfolg, nämlich die Steigerung des Blutdrucks von Erdogan, mutmaßlich in der Türkei eingetreten ist, kann man natürlich auch über die Anwendung türkischen Strafrechts nachdenken, mit der Konsequenz, dass man den beteiligten Deutschen nicht empfehlen würde, in die Türkei zu reisen.
Aber das werden sie wahrscheinlich ohnehin nicht tun: mehrere Regie - rungen empfehlen, nicht in die Türkei zu reisen, und die israelische empfiehlt ihren Staatsbürgern, die Türkei umgehend zu verlassen , sofern sie sich dort noch aufhalten.
Auch verschiedene deutsche Journalisten haben das Land längst verlassen.
Gast kommentiert am Permanenter Link
Aber nicht, weil sie nicht hätten bleiben wollen.
http://www.zeit.de/gesellschaft/2016-03/hasnain-kazim-tuerkei-spiegel-ko...
Arne Rathjen RA kommentiert am Permanenter Link
# 25: nachdem Erdogan uns gnädigerweise ungefähr 1 Million Syrer zur Verfügung gestellt hat, kann man auch durchaus etwas anderes tun, als den Fußboden abzulecken, über den Recep Pascha gelaufen ist.
Das war jetzt ausdrücklich keine Anspielung auf das Verhalten deutscher Behörden oder Regierungsinstitutionen.
Wie auch immer, von Türkeireisen wird ebenfalls in weitem Umfang abgeraten. Paradiesisch für Last Minute-Experten.
Gast kommentiert am Permanenter Link
Der Tatbestand der "Majestätsbeleidigung", auf den sich Erdogan bei seinem Ersuchen an die Bundesregierung im Fall Böhmermann beruft, ist wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit heute nicht mehr anwendbar. "Im Zweifel für den Angeklagten" - so könnte der Freispruch für Böhmermann lauten.
http://www.focus.de/politik/experten/fricke/causa-boehmermann-paragraph-...
Gast kommentiert am Permanenter Link
Böhmermann will keine Unterlassungserklärung abgeben
http://www.sueddeutsche.de/medien/streit-um-erdoan-schmaehgedicht-boehme...
Theo kommentiert am Permanenter Link
@#29:
Der gute Herr Fricke, der im Focus sein Bestes gibt, ist offenbar ein lustiger Mensch. Er sollte dann gleich noch den StGB § 190 aufs Korn nehmen.
Aber ernsthaft nun: gibt es eine entsprechende Vorschrift zu §103 im türkischen Recht? Ich finde nirgendwo etwas dazu.
Gast kommentiert am Permanenter Link
Vielleicht sollten Sie einen Experten für türkisches Recht anmailen. Es gibt ja scheinbar ein paar in Deutschland.
Theo kommentiert am Permanenter Link
Pardon, meinte natürlich § 90 (Verunglimpfung des BuPrä)
Gast kommentiert am Permanenter Link
Protest gegen eigenen Sender
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-boehmermann-zdf-mitarbeite...
MT kommentiert am Permanenter Link
Den Beitrag wieder in die Mediathek einzustellen kann der Sender vernünftigerweise erst verantworten, wenn klar ist dass es sich nicht um einen strafbaren bzw. abmahnfähigen Inhalt handelt.
Ob er es nach Klärung der Rechtsfragen machen sollte ist die andere Frage. Der Beitrag wurde schon so weit verbreitet, dass er sein Ziel mehr als erreicht hat. Unabhängig von der Frage nach der Meinungsfreiheit und der edukatorischen Notwendigkeit, einen solchen Beitrag erstellt zu haben, muss man ihn nicht zwingend weiter offiziell perpetuieren, wenn ihn eh schon jeder kennt.
Schulze kommentiert am Permanenter Link
In http://verfassungsblog.de/erlaubte-schmaehkritik-die-verfassungsrechtliche-dimension-der-causa-jan-boehmermann/ hat Alexander Thiele alle juristischen Erwägungen auf den Punkt gebracht. Abgesehen vom Juristischen kann eine nur verlieren: Angela Merkel.
Dr. Johannes Rübenach kommentiert am Permanenter Link
Das darf doch nicht wahr sein, daß jetzt für die angebliche Zulässigkeit, einen anderen als "pädophilen Zigenficker" zu schmähen, auch noch verfassungsrechtliche Argumente herangezogen werden! Unsere Verfassung ist nicht dazu gedacht, fünftklassige Comedians zu schützen, denen nicht anderes lustiges einfällt, als Menschen mit Menschwenwürde niveaulos an den Pranger einer sensationsgeilen niveaulosen Öffentlichkeit zu stellen und in den würdelosen Dreck zu ziehen. Wenn die Strafbarkeit der Beleidigung in überhaupt einem Fall gerechtfertigt ist, dann in diesem.
Gast kommentiert am Permanenter Link
Türkischer Premier Erdogan verklagt britische "Times"
http://www.ksta.de/politik/tuerkischer-premier-erdogan-verklagt-britisch...
Gast kommentiert am Permanenter Link
http://www.huffingtonpost.de/2016/04/13/erdogan-gefaengnis-gedicht_n_968...
Prof. Dr. Henning Ernst Müller kommentiert am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Dr. Johannes Rübenach,
Sie schreiben:
Unabhängig davon, ob man im Ergebnis zu Ihrer Auffassung kommt: Dass Art. 5 GG auf die Interpretation des § 185 StGB (und § 103 StGB) Einfluss hat, also herangezogen werden muss, ist nun seit Jahrzehnten die gefestigte Rechtsprechung des BVerfG und die Meinung von fast allen Juristen, die sich mit der Materie auskennen. Sie argumentieren mit einer petitio principii, dass nämlich eien Beleidigung sowieso vorliege.
Über die Fünftklasigkeit eines Comedians kann man geteilter Meinung sein - es gibt nicht wenige, die Herrn Böhmermanns Sendung für eine der besseren Comedy-Sendungen/Talkshows im deutschen Fernsehen halten. Aber wenn Sie meinen, unsere Verfassung gelte nicht für alle gleich, spricht dies nicht unbedingt für die Erstklassigkeit Ihrer juristischen Argumentation.
Über das Ergebnis einer juristischen Subsumtion sollten doch jedenfalls nicht Geschmacksfragen entscheiden, oder?
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Gast kommentiert am Permanenter Link
Wenn es je eine Beleidigung gegeben hat, dann diese. Böhmermann ist sozusagen der Schöpfer und Erfinder der "Mutter aller Beleidigungen". Dafür soll er dann auch die Krone erhalten. Diese wäre, wie das Strafrecht vorsieht, 3 Jahre.
Wann sonst sollten diese 3 Jahre denn verhängt werden wenn nicht in diesem Fall???
MT kommentiert am Permanenter Link
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/boehmermann-video-bleibt-im-zd...
Gast kommentiert am Permanenter Link
https://presseportal.zdf.de/pressemitteilung/mitteilung/zdf-stellungnahm...
Harald Huesch kommentiert am Permanenter Link
Dieselbe Kanzlei, die seinerzeit den Bundespräsidenten Christian Wulff vertreten hat.
Nun ja, nichts anderes konnte man erwarten. Oder war anzunehmen, dass das ZDF sich selbst rechtswidrigen Verhaltens bezichtigen würde? Aber warum wurde für einen solchen Zwölfzeiler eine externe Kanzlei beauftragt, hat das ZDF keine eigene Rechtsabteilung? Verschwendung von Zwangsgebührengeldern?
Dr. Johannes Rübenach kommentiert am Permanenter Link
Man kann die Grundrechte einer Verfassung auch in ganz kleiner Münze ausgeben. Und gerade das scheint mir gerade der Fall zu sein. Jemanden einen "pädophilen Ziegenficker" zu schimpfen ist keine Betätigung der Meinungsfreiheit, sondern eine verbale Fäkalie. Die Tatsache, dass hier die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten sind, ist ernsthafter Diskussion nicht wert.
Gast kommentiert am Permanenter Link
Die Majestätsbeleidigung im deutschen Gesetz sei anachronistisch, spottet die „Washington Post“ über den Fall Böhmermann. „Merkels Geschwafel“, schreibt die Zeitung, ermutige dazu, kritische Äußerungen zu unterdrücken.
http://www.faz.net/aktuell/washington-post-kritisiert-merkels-haltung-im...
Bewunderer-des-... kommentiert am Permanenter Link
Verächtlichmachung und Aufstachelung zu Verachtung und Hass sind Maßnahmen politischer Kampfkampagnen.
Die Vorfälle zu verharmlosen nach dem Motto "der will nicht beißen, der will doch bloß spielen" wäre bestenfalls naiv.
Böhmermann bringt Deutschland in diplomatische Bredoullien und Schwierigkeiten.
Er leistet uns GEZ-Gebührenzahlern einen Bärendienst.
Bloß damit über ihn gesprochen wird.
Egoistischer geht es kaum.
Ist es heutzutage wirklich zu viel verlangt, wenn man von Mitbürgern, die im TV vor einen Millionenpublikum (und der Weltöffentlichkeit) auftreten, mehr Überlegung und mehr Seriösität und verantwortungsvolleres Handeln verlangt?
Hasspredigten brauchen wir hier nicht, und zwar auch dann nicht, wenn sie in einem kömödiantischen Gewandt daherhekommen, und das Publikum sich über die aufs Korn genommene Zielperson (auch noch ein Repräsentant eines befreundeten Volkes und Staates und Verbündeten und Waffenbruders in der Nato) kaputtlacht und sich röhrend und grölend und laut lachend auf die Schenkel klopft.
Besonders problematisch wird es, wenn sowas auch noch im vom Staat kontrollierten und getragenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbeitet wird, und die entsprechenden Handlungen des Schlagzeilenerpichten Schowgeschäftsmann (zumindest aus Sicht des Auslandes) unserem Staat zugerechnet werden.
Sicherlich gibt es viele Dinge, die man völlig zu Recht an der Türkei und ihrem Staatschef kritisieren könnte - aber das, was hier produziert wurde, ist keine gehaltvolle oder sachliche Kritik, sondern plumpe Stimmungsmache, welche das Verhältnis von Deutschen und Türken völlig unnötig belasted.
Böhmermann in Schutz zu nehmen wäre verfehlt - er hätte es nicht verdient.
Böhmermann in Schutz zu nehmen würde außerdem das Verhältnis von Deutschen und Türken bloß unnötig zusätzlich belasten.
Insgesamt ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk viel zu angepasst und viel zu unkritisch.
Ich wünsche mir da mehr Meinungsvielfalt und mehr Kritikfähigkeit und mehr Nonkonformismus, aber bitte durch mehr inhaltlich-gehaltvolle sachliche Kritik, und nicht durch plumpe Stimmungsmache.
Bewunderer-des-... kommentiert am Permanenter Link
Hallo #48:
Wie Sie schreiben, steht Washington wohl hinter Böhmermann.
Dann sollte er konsequenterweise doch bitte bei ABC oder CNN oder Fox-News anheuern.
Und sich nicht über das ZweiteDeutscheFernsehen von deutschen Zwangsgebührenzahler bezahlen lassen.
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