Tayyip Erdogan versus Jan Böhmermann wegen Beleidigung

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 11.04.2016

In den nächsten Tagen will die Bundesregierung „sorgfältig und so zügig wie möglich“ das Verlangen der türkischen Regierung vom vergangenen Wochenende nach einer Strafverfolgung des Satirikers Jan Böhmermann prüfen. Gegen ihn waren bereits in der vergangenen Woche mehrere Strafanzeigen nach § 103 StGB „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ bei der Staatsanwaltschaft Mainz eingegangen. Das ZDF hat die ZDFneo-Sendung mit dem als „Schmähkritik“ annoncierten Spottgedicht Böhmermanns zwischenzeitlich aus der Mediathek entfernt.

Man darf gespannt sein, wie die Bundesregierung, die sich in einer Zwickmühle befindet, entscheidet. Darüber wurde gestern Abend intensiv bei Anne Will diskutiert.

Das Spottgedicht isoliert betrachtet, erfüllt in meinen Augen den Tatbestand der Beleidigung. Allerdings stellte Böhmermann das Gedicht in den Zusammenhang von Satire einerseits und strafbarer Schmähkritik andererseits. Nach seinen Worten wollte er gerade belegen, was in Deutschland strafbare Schmähkritik wäre. Was da in der Gesamtschau noch straflose Satire oder schon strafbare Schmähkritik war, ist alles andere als einfach zu beantworten. Der subjektive Tatbestand des § 103 StGB erfordert jedenfalls ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln.

Ich vermute, dass die Bundesregierung – schon um den schwarzen Peter auf die Strafverfolgungsorgane weiterzuschieben– dem Verlangen der türkischen Regierung nachgeben und nach § 104a StGB die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen wird. Dann muss sich die Staatsanwaltschaft Mainz endgültig mit der im vorliegenden Fall rechtlich schwierigen Grenzziehung zur Strafbarkeit bei Satire befassen.

Zum aktuellen Stand hier.

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342 Kommentare

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Washington hatte zum Militärputsch und zur Militärdiktatur in der Türkei angestiftet und die Putschisten unterstützt.

Reste der von Washington unterstützten Netzwerke der Militärdiktatur sind der sogenante "tiefe Staat" oder auch "derin devlet".

Erdogan ist ein konsequenter Gegner dieser Kreise.

Und deswegen wir gegen ihn schon lange von prowestlichen Boulevardmedien und Netzwerken agitiert.

In meinen Augen wirkt Böhmermann da bloß wie ein weiteres Mosaiksteinchen.

Die Grünen feiern eine vermeintliche Heldenhaftigkeit und vermeintliche moralische Überlegenheit Böhmermanns, die ich nicht wirklich zu erkennen vermag.

Böhmermann ist nicht der David der gegen den vermeitnlichen Goliath Erdogan kämpft, sondern jemand, der sich den realen Goliath Washington andient.

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# 47: bei dem Terminus "Geschwafel" scheint es sich um eine ziemlich freie Übersetzung der maßgeblichen Passage des Post - Artikels zu handeln. Nach dem Rechtsproblem, ob denn ein fehlgeschlagener Satireversuch, oder gar eine als Satire getarnte Provokation, eine Beleidigung darstellen kann, kommt jetzt die Problematik auf uns zu, ob ein Übersetzungsfehler, absichtlich oder nicht, beleidigend sein kann. Und so weiter, und so weiter …

 

Immerhin erstaunlich, dass jetzt der Geldbußenfall schon die Weltpresse erreicht hat. Ich selbst habe das Magazin, um das es hier geht, noch nie gesehen.

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Die Kanzlerin sollte die Ermächtigung zur Strafverfolgung (§ 104a StGB) ebenso einfach und ohne großes Aufhebens an die Justiz durchwinken, wie der Bundestag ohne grosses Getue die Immunität aufhebt. Das ist Sache der unabhängigen Justiz.

Nachdem das ZDF frühzeitig das "Schmähgedicht" samt Kontext aus der Mediathek gelöscht hat, verbreitet sich mittlerweile das Schmähgedicht rasend schnell im Internet - meist ohne den besagten Kontext. Die isolierten Passagen mit den Beleidigungen von Erdogan, Türken und Islam erscheinen dem deutschen Publikum offensichtlich amüsanter als das langweilige Geschwafel davor und danach. Womit allerdings auch nichts mehr von Satire und Kunst übrigbleibt und eben nur noch unflätige Beleidigungen wiedergegeben werden. Dass sich ein Großteil der Türken (und Erdogan) darüber aufregen, kann ich verstehen.

Wer ist nun schuld daran, dass sich isoliert nur das Schmähgedicht im Internet verbreitet? ZDF? Böhmermann? War es vorhersehbar? Beabsichtigt? Und was bedeutet es für die Strafverfolgung von Böhmermann? Auf Satire kann er sich wirklich nicht mehr berufen, wenn man sein Gedicht isoliert betrachtet.

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Die ZDF-Redakteure wollen das Böhmermann-Schmähgedicht in die Mediathek zurückhaben. Ich möchte das auch. Jedenfalls wegen des Strafverlangens des Despoten Erdogan besteht eindeutig ein Anspruch auf Information über den Inhalt des im Ganzen offenkundig nicht strafbaren Beitrags.

 

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Ich verstehe auch nicht, wie man an der Strafbarkeit dieser Schmähungen irgendwelche Zweifel haben kann, geschweige denn verfassungsrechtliche, solange Beleidigung als Straftatbestand existiert, wobei man sich wirklich überlegen muss, ob der Straftatbestand und Nachbartatbestände ggf. abgeschafft werden sollten.

Dr. Rübenach schrieb:

Ich verstehe auch nicht, wie man an der Strafbarkeit dieser Schmähungen irgendwelche Zweifel haben kann, geschweige denn verfassungsrechtliche, solange Beleidigung als Straftatbestand existiert,[...]

Dann lesen Sie das nochmal, was Prof. Müller Ihnen geschrieben hat.

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Der Text des Beitrags ist wiedergegeben bei: http://www.spiegel.de/kultur/tv/jan-boehmermann-das-sind-die-fakten-der-staatsaffaere-a-1086571.html Es ist für mich nicht ansatzweise nachvollziehbar, wie irgendjemand die Auffassung für noch vertretbar halten kann, Böhmermann könne sich strafbar gemacht haben. Das hat er zweifelsfrei nicht. Wenn so ein Beitrag nicht zulässig wäre, dann könnte man in Deutschland wirklich nicht mehr von Presse- und Meinungsfreiheit sprechen.

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Dr. Rübenach schrieb:

Dann lesen Sie das nochmal, was Prof. Müller Ihnen geschrieben hat.

Das habe ich gelesen. Und ich habe dezidiert eine a. A.

 

Die sei Ihnen unbelassen. Aber das man mit dem Argument Kontext bei der Abwägung von Grundrechten zu einem anderen Ergebnissen kommen kann, dafür sollten Sie als Jurist Verständnis haben.

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Aber das man mit dem Argument Kontext bei der Abwägung von Grundrechten zu einem anderen Ergebnissen kommen kann, dafür sollten Sie als Jurist Verständnis haben.

Nein. Dafür muss man kein Verständnis haben. Bei einer Schmähkritik findet keine Abwägung statt. In solchen Fällen tritt die Meinungsfreiheit gegen das Persönlichkeitsrecht des Geschmähten zurück (BVerfGE 75, 369/380). Es würde ja wohl auch kein Richter Art. 5 GG prüfen, wenn ein ertappter Temposünder aufgrund seiner "Meinungsfreiheit" den ertappenden Polizisten einen "pädophilen Kinderficker" nennen würde. Warum sollte für Erdogan etwas anderes gelten?

@ Dr. Rübenach

Der Unterschied zu Erdogan ist der Kontext. Oder hat Herr Strauß, weil er sein vorgebliches Pietätsgefühl verletzt sah, tausende Bürger mit Strafverfahren überzogen und aus nichtigsten Anlässen Diplomaten anderer Staaten bemüht?

Der "Kern menschlicher Ehre" ist wohl kaum betroffen, wenn es um dringend gebotene Aufklärungsarbeit über die Grenzen der Meinungsfreiheit geht.

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Gast schrieb:

Der "Kern menschlicher Ehre" ist wohl kaum betroffen, wenn es um dringend gebotene Aufklärungsarbeit über die Grenzen der Meinungsfreiheit geht.

 

Nicht ganz klar ist mir, warum Erdogan die Ehrverletzung hinnehmen müssen soll, damit eine dt. Behörde (ZDF) Volksaufklärung betreiben kann. Auch wenn das Ziel selbst ein legitimes ist, erscheint mir der Weg doch eher fragwürdig.

 

Was würden Sie denn davon halten, wenn das ZDF Sie zum Aufklärungsobjekt zum Thema Abgrenzung zw. einfacher und schwerer Körperverletzung macht?

Entsprechende Tätigkeiten durch Kampfsportler könnte man genauso als Kunst oder Meinungsäusserung darstellen.

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Danny schrieb:

Gast schrieb:

Der "Kern menschlicher Ehre" ist wohl kaum betroffen, wenn es um dringend gebotene Aufklärungsarbeit über die Grenzen der Meinungsfreiheit geht.

 

Nicht ganz klar ist mir, warum Erdogan die Ehrverletzung hinnehmen müssen soll, damit eine dt. Behörde (ZDF) Volksaufklärung betreiben kann. Auch wenn das Ziel selbst ein legitimes ist, erscheint mir der Weg doch eher fragwürdig.

 

Was würden Sie denn davon halten, wenn das ZDF Sie zum Aufklärungsobjekt zum Thema Abgrenzung zw. einfacher und schwerer Körperverletzung macht?

Entsprechende Tätigkeiten durch Kampfsportler könnte man genauso als Kunst oder Meinungsäusserung darstellen.

 

Sehr richtig. Ich kann ja auch nicht sagen: "Ich hau Ihnen jetzt ein blaues Auge, das ist moderne Kunst und ich nehme mir die künstlerische Freiheit".

Selbstverständlich gibt es Grenzen der Kunst, und auch Grenzen der Satire. Kunst und Satire dürfen viel, aber nicht alles. Spätestens beim "happy slapping" und dem blauen Auge hört es auf. Warum hat der Böhmermann unbedingt den Namen Erdogan verwenden müssen? Die Türken haben eben einen anderen Ehrbegriff als wir Deutschen, und selbst ich wäre nicht glücklich, wenn er mich namentlich und öffentlich als Beispiel für seine Satire und "verbotene Formen der Beleidigungen" als Zielobjekt auswählen würde.

Frau Merkel hat deshalb richtig entschieden.

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Zu loben ist die Weitsicht eines Abgeordneten, der bei der Diskussion um die Einführung des § 104 a StGB im  Rechtsausschuss Folgendes einwandte:

"dass die Bundesregierung infolge des außenpolitischen Drucks zur Erteilung der Ermächtigung möglicherweise gezwungen sei. Man dürfe die Bundesregierung nicht in die Situation bringen; denn für diese sei es dann eine feindliche oder unfreundliche Handlung, wenn sie davon erfahre und nichts tue."

Quelle: Deutscher Bundestag, 23. Ausschuss, Protokoll der 248. Sitzung am 26.03.1953, 11.00 Uhr, Bonn, Bundeshaus

Der Abgeordnete heißt Dr. Bernhard Reismann (+ 1982).

Seine Fraktion (die "FU") war allerdings so klein, dass sie an der Mehrheitsentscheidung der damals regierenden CDU/FDP/DP -Koalition nichts ausrichten konnte.

 

 

Der "Kern menschlicher Ehre" ist wohl kaum betroffen, wenn es um dringend gebotene Aufklärungsarbeit über die Grenzen der Meinungsfreiheit geht.

Auch Erdogan ist ein Mensch. Und als Mensch streitet für ihn die unnachgiebige und abwägungsfeindliche Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG, zur Erinnerung:

"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Und das gilt ganz unabhängig von den (Ihrer Ansicht nach) politischen und persönlichen Defiziten des Menschen Erdogan. Jeder Mensch hat Defizite. Und jeder Mensch hat verfassungsrechtlich garantierte Würde. Und "dringend gebotene Aufklärungsarbeit" wäre ja völlig in Ordnung; aber das ist die B'sche Schmähkritik eben gerade nicht.

Dr. Rübenach schrieb:

 Und "dringend gebotene Aufklärungsarbeit" wäre ja völlig in Ordnung; aber das ist die B'sche Schmähkritik eben gerade nicht.

Natürlich ist es Aufklärung. Böhmermann setzt es in längerer Vorrede und auch zwischen den Zeilen des Gedichts immer wieder in den Kontext u.a. nach dem gusto "das geht zu weit, das darf man nicht". Dadurch ist klar, dass es um  mehr geht als den Menschen Erdogan.

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Gast schrieb:

Dr. Rübenach schrieb:

 Und "dringend gebotene Aufklärungsarbeit" wäre ja völlig in Ordnung; aber das ist die B'sche Schmähkritik eben gerade nicht.

Natürlich ist es Aufklärung. Böhmermann setzt es in längerer Vorrede und auch zwischen den Zeilen des Gedichts immer wieder in den Kontext u.a. nach dem gusto "das geht zu weit, das darf man nicht". Dadurch ist klar, dass es um  mehr geht als den Menschen Erdogan.

Und das Ende vom Lied: Mittlerweile hat das ZDF die Sendung (samt längerer Vorrede) gelöscht und im Internet wird jetzt nur noch das Schmähgedicht verbreitet. Samt türkischer Untertitel, aber eben ohne "längere Vorrede". Das finden manche eben lustig, und war auch vorhersehbar. Damit ist die Kunst am A... und übrig bleibt der shit.

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Merkel erteilt Zustimmung zur Strafverfolgung, will aber noch in dieser Wahlperiode Gesetzentwurf zur Abschaffung des § 103 StGB vorlegen.

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Die Kanzlerin hat alles richtig und gesetzmäßig gemacht. Man hätte es aber schon einige Tage früher und ohne großen Applomb so machen sollen.

Meine Hochachtung für Frau Merkel,

sie hat sich vom Shitstorm der Vierten Gewalt nicht brechen lassen.

Geradezu widerlich die medialen Unterstellungen wie "Kotau" usw.

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Gast schrieb:

Und das Ende vom Lied: Mittlerweile hat das ZDF die Sendung (samt längerer Vorrede) gelöscht und im Internet wird jetzt nur noch das Schmähgedicht verbreitet. Samt türkischer Untertitel, aber eben ohne "längere Vorrede". Das finden manche eben lustig, und war auch vorhersehbar. Damit ist die Kunst am A... und übrig bleibt der shit.

Dann stellen Sie eben Strafanzeige gegen die Kunstbanausen. Ansonsten können wir ja gleich die Messerhersteller für jede Körperverletzung mit ihrem Produkt verantwortlich machen.

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Die entscheidende Frage ist, ob in dem Vortrag von B. noch ein ausreichender Sachbezug zu sehen ist oder ob die persönliche Herabwürdigung im Vordergrund steht. Diese Frage wird man mE kaum im Sinne B.s entscheiden können.

 

Die einzig denkbare Verknüpfung wäre, dass B. sich kritisch mit den Grenzen der Meinungsfreiheit auseinandersetzen wollte. Das ist ja aber ersichtlich nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen vorgeschobenen, formalen Rechtfertigungsrahmen. Doch selbst wenn man in den "Das darf man nicht sagen"-Einwürfen einen Sachbezug zu einer Diskussion über die Grenzen der Meinungsfreiheit sehen wollte, wird das im Ergebnis nicht ausreichen. Dafür ist das Gedicht zum einen wohl zu lang. Zum anderen verlässt B. selbst diesen Kontext an mehreren Stellen. Im Ergebnis kommt man nicht umhin, dass es B. hauptsächlich darum ging, über E. vom Leder zu ziehen. Die Beleidigungen bilden den eigentlichen Kern der Aussage. Der Überbau auf der Metaebene stellt sich als formal vorgeschoben dar.

 

Die Versuche, die ich bislang gesehen habe, für einen ausreichenden Sachzusammenhang zu argumentieren (z.B. http://verfassungsblog.de/erlaubte-schmaehkritik-die-verfassungsrechtlic...) wirken gekünstelt und setzen sich dem Vorwurf der Beliebigkeit aus. Tatsächlich sind sie aber nicht beliebig, sondern von dem politischen Wunsch getragen, nicht gegenüber E. nachzugeben. Dieser Wunsch ist nachvollziehbar, aber rechtlich irrelevant.

 

Auch rechtspolitisch spricht nichts dafür, sich für einen Freispruch einzusetzen. Wie will man in Zukunft noch beleidigende, rassistische Äußerungen von NPD-Funktionären etc. ahnden, wenn man die Äußerungen von B. als von der Meinungsfreiheit gedeckt ansieht. Einen formalen Rechtfertigungsramen werden die Protagonisten vom anderen politischen Spektrum dann auch finden. Dann werden Pedigareden, die den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, eben in Zukunft als "Kunstwerk" vorgetragen.

 

Die deutsche Öffentlichkeit möchte sich nicht von E. vorschreiben lassen, was Meinungsfreiheit bedeutet. Dieses Ziel erreicht man am einfachsten, wenn man sich nicht aus der Ruhe bringen lässt und schlicht die Kriterien anlegt, die man immer angelegt hat. E.s Drängen darf nicht dazu führen, dass wir unsere Gesetze strenger auslegen. Aber eben auch nicht laxer.

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Markus schrieb:

Die entscheidende Frage ist, ob in dem Vortrag von B. noch ein ausreichender Sachbezug zu sehen ist oder ob die persönliche Herabwürdigung im Vordergrund steht. Diese Frage wird man mE kaum im Sinne B.s entscheiden können.

 

Die einzig denkbare Verknüpfung wäre, dass B. sich kritisch mit den Grenzen der Meinungsfreiheit auseinandersetzen wollte. Das ist ja aber ersichtlich nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen vorgeschobenen, formalen Rechtfertigungsrahmen. Doch selbst wenn man in den "Das darf man nicht sagen"-Einwürfen einen Sachbezug zu einer Diskussion über die Grenzen der Meinungsfreiheit sehen wollte, wird das im Ergebnis nicht ausreichen. Dafür ist das Gedicht zum einen wohl zu lang. Zum anderen verlässt B. selbst diesen Kontext an mehreren Stellen. Im Ergebnis kommt man nicht umhin, dass es B. hauptsächlich darum ging, über E. vom Leder zu ziehen. Die Beleidigungen bilden den eigentlichen Kern der Aussage. Der Überbau auf der Metaebene stellt sich als formal vorgeschoben dar.

 

Ich glaube langsam, dass man mit dieser inhaltlichen Auslegung und Abwägung genau das Gegenteil erreicht. Stattdessen sollte man die Aspekte soweit wie möglich trennen:

 

Nehmen wir Mord. Die selbe Handlung kann gleichzeitig Totschlag, ein Kunstwerk und eine politische Meinungsäusserung sein.

Kunstfreiheit heisst dann, dass die Handlung nicht aufgrund der in Ihnen liegenden künstlerischen, also ästhethischen Aspekte bestraft werden darf. Der Staat darf also nicht an die Schönheit oder Hässlichkeit der Tat anknüpfen.

Meinungsäusserungsfreiheit heisst dann, dass die Handlung nicht aufgrund ihrer expressiven Aspekte bestraft werden darf. Der Staat darf also nicht an die durch die Tat zum Ausdruck gebrachte (politische oder sonstige) Meinung anknüpfen.

Gewissensfreiheit heisst dann, dass die Handlung nicht aufgrund der darin zum Ausdruck kommenden oder tatsächlich vorhandenen ethischen oder politischen Gesinnung bestraft werden darf.

All das hindert den Staat aber nicht daran die Tat aufgrund ihrer Tötlichkeit zu bestrafen, also weil sie ein Eingriff in das Recht auf Lebens eines anderen ist, solange er dabei eben nur an diesen Aspekt der Handlung anknüpft.

In der Demokratie ist das für jede Regierung unbequem, weil sie gerne Taten des politischen Gegners stärker bestrafen würde. Diese "Disziplinlosigkeit" des Gesetzgebers zu verhindern wäre eigentlich Aufgabe des BVerfG, stattdessen entschuldigt es heute diese Fehlgriffe des Gesetzgebers indem es Abwägungen erlaubt, durch die überhaupt erst der politische Aspekt vor Gericht relevant wird.

Dass es jedenfalls bzgl. Mord nicht notwendig ist an die verachtenswerte Gesinnung anzuknüpfen sieht man am Kaiserreich.

 

Wenn man sich etwas zurückhält geht das auch beim Ehrschutz:

Es dürfte heutzutage unnötig sein, einfache Kundgabe von Verachtung überhaupt ausserhalb des Notwehrrechts zu berücksichtigen, weil solche unbegründeten Aussagen Ehre und Ansehen eigentlich nicht (mehr) ernsthaft beeinträchtigen. Das ist vielmehr Alltag (geworden).

Anders ist es bei unwahren Tatsachenbehauptungen in ehrverletzender Absicht. Es gibt eigentlich auch bei Satiren keinen vernünftigen Grund das gesondert zu erlauben, egal ob die Gesinnung des Täters eine edukative oder sonstwie vorgeblich wertvolle ist. Wer beim Kritsieren lügt der kritisiert eh ein Gespenst.

Um zu prüfen, ob eine Satire als Meinungsäusserung erlaubt ist, muss man dann nur prüfen ob sie (fahrlässige oder vorsätzliche) unwahre Tatsachenbehauptungen mit ehrverletzendem Charakter enthält. Das geht vollkommen unpolitisch und ohne jede Abwägung von Grundrechten. Ich denke das wär ein sinnvoller Kompromiss, der auch praktikabel ist. 

(Imho ist es auch immer ein Zeichen defekter/widersprüchlicher Gesetze wenn verfassungsgemäss ausgelegt oder abgewägt wird.)

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PERFIDA Reden kann man nicht als "Kunstwerk" vortragen, weil PERFIDA eben kein "Künstler", sondern ein "pol. Sauhaufen" ist. Einzelne Perfidisten können hingegen durchaus "Kunst" vortragen, auch im Rahmen einer PERFIDA Demonstration, nur eben nicht die Protagonisten der "Bewegung". In der Sache Böhmi geht es nicht um Meinungsfreiheit und auch und gerade nicht um  Art. 1 GG, denn das GG schützt nicht die "Welt" und die Würde der gesamten Menschheit, sondern die Würde der Menschen, die sich im Geltungsbereich BRD aufhalten. Ansonsten dürfte Erdwahnsinn nicht mehr in die BRD einreisen. Nach Art. 18 GG hat er den Schutz des GG jedoch selbst verwirkt, mitnichten ist also die Würde unantastbar! Was die PERFIDA Reden anbelangt, so gibt es bislang keine Verurteilungen und nur sehr wenige Anklagen. Auch die Schmähplakate mit Galgen für Merkel und Gabriel waren zwar nicht von Meinungs- oder gar Kunstfreiheit gedeckt, aber blieben trotzdem ungeahndet. Merkwürdigerweise werden "linke Plakate" schneller beschlagnahmt und durch Strafverfolgung bedroht, aber dies nur nebenbei. Also die Verknüpfung zu NPD Hasstiraden und der Satiresendung sind doch etwas willkürlich.

 

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sacratti schrieb:

PERFIDA Reden kann man nicht als "Kunstwerk" vortragen, weil PERFIDA eben kein "Künstler", sondern ein "pol. Sauhaufen" ist.

 

Oder anders: Das GG schützt nur Leute und Meinungen, die Sie richtig finden. So kann man das natürlich auch sehen...

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Laut LTO: "Die Bundeskanzlerin wies auch darauf hin, dass man die Vorschrift des § 103 StGB allerdings in Zukunft für entbehrlich halte. Die Bundesregierung werde deshalb einen Gesetzentwurf zu ihrer Aufhebung vorlegen, der noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden und 2018 in Kraft treten solle. Am Fall Jan Böhmermann dürfte diese Aufhebung also nichts mehr ändern."

Angenommen es kommt zu einer amtsgerichtlichen Verurteilung (über 15 Tagessätze). Herr Böhmermann könnte Berufung und/oder Revision einlegen. Mit einer Entscheidung des LG bzw. OLG ist doch realistischer Weise nicht vor 2018 zu rechnen, oder?

Es würde § 2 Abs. 3 StPO gelten. Bei der "Entscheidung" kommt es auf den Tag der rechtskräftigen Entscheidung an. Dieser Tag läge in diesem Fall nach dem 01.01.2018, sodass Böhmermann freigesprochen werden müsste?

Ich bin gespannt auf eure Meinungen...

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Wenn der Bundestag jetzt schneller arbeitet als die Justiz, dann kann das geschehen, was ich vor drei Tagen (#21 vom 12.04.) beschrieb:

Meines Erachtens sollte die Bundesregierung als erstes  - sehr schnell - die Ermächtigung erteilen, weil ein Anfangsverdacht gegeben ist und dann sollte sie sich keinesfalls mehr in die juristische Affäre einmischen, also den Staatsanwälten und ggf. Richtern die Sache zur Entscheidung überlassen. 

Als zweites sollte die Bundesregierung  zeitnah darauf hinwirken, § 103 StGB aus dem Gesetz zu streichen. Es gibt in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit als konstituierendem Element überhaupt keinen Grund, Staatschefs anderer Nationen (einschließlich undemokratisch agierender Diktatoren) vor Beleidigungen besser zu schützen als jeden anderen Menschen. Wer sich beleidigt fühlt kann  Strafanzeige erstatten, aber § 103 StGB, das sieht man jetzt, ist geeignet, auch relativ lächerliche Fälle zu Staatsaffären hochzuspielen, eine kaum zu legitimierende Sonderstellung, die dazu geeignet ist, das Strafrecht aus politischen Provokationsgründen missbrauchsanfällig zu machen. Wenn der Gesetzgeber schnell ist, könnte Böhmermann sogar noch davon profitieren, wenn man vor dem Urteil § 103 StGB streicht (§ 2 Abs. 3 StGB). Dann wäre er - wenn überhaupt - nur wegen § 185 StGB strafbar. Am Ende hätte Böhmermann rechtspolitisch tatsächlich etwas bewegt und ginge (trotz evtl. Verurteilung wg. § 185 StGB) als Sieger vom Platz.

Die für den Angeklagten günstige Rückwirkung gilt bis zur rechtskräftigen Entscheidung, müsste also auch noch in der Revisionsinstanz berücksichtigt werden.

 

Henning Ernst Müller schrieb:

Wenn der Gesetzgeber schnell ist, könnte Böhmermann sogar noch davon profitieren, wenn man vor dem Urteil § 103 StGB streicht (§ 2 Abs. 3 StGB). Dann wäre er - wenn überhaupt - nur wegen § 185 StGB strafbar. Am Ende hätte Böhmermann rechtspolitisch tatsächlich etwas bewegt und ginge (trotz evtl. Verurteilung wg. § 185 StGB) als Sieger vom Platz.

Die für den Angeklagten günstige Rückwirkung gilt bis zur rechtskräftigen Entscheidung, müsste also auch noch in der Revisionsinstanz berücksichtigt werden.

Bleibt nur zu hoffen, dass man sich so nicht um eine Entscheidung des BVerfG stiehlt. Eine echte verfassungsrechtliche Klärung wäre wesentlich wichtiger als dass irgendjemand als Sieger vom Platz geht.

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Sehr geehrter Markus,

die Streichung des § 103 StGb hat für eine ggf. gewünschte Entscheidung des BVerfg keine Bedeutung.

Angenommen, Böhmermann wird wegen §§ 103, 185 StGB angeklagt und verurteilt, was ich für nicht unwahrscheinlich halte. Er müsste sodann, um überhaupt vor das BVerfG zu kommen, den Rechtsweg, also (ggf) Berufung und Revision ohnehin ausschöpfen. Falls das OLG erst entscheidet, wenn  § 103 StGB gestrichen ist, kann er in der Revisionsinstanz nur noch wegen § 185 StGB verurteilt werden. Das schließt aber keineswegs den Gang zum BVerfG aus, denn die relevante verfassungsrechtliche Fragestellung stellt sich bei § 185 StGB ebenso wie bei § 103 StGB. 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller
 

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Markus,

die Streichung des § 103 StGb hat für eine ggf. gewünschte Entscheidung des BVerfg keine Bedeutung.

Angenommen, Böhmermann wird wegen §§ 103, 185 StGB angeklagt und verurteilt, was ich für nicht unwahrscheinlich halte. Er müsste sodann, um überhaupt vor das BVerfG zu kommen, den Rechtsweg, also (ggf) Berufung und Revision ohnehin ausschöpfen. Falls das OLG erst entscheidet, wenn  § 103 StGB gestrichen ist, kann er in der Revisionsinstanz nur noch wegen § 185 StGB verurteilt werden. Das schließt aber keineswegs den Gang zum BVerfG aus, denn die relevante verfassungsrechtliche Fragestellung stellt sich bei § 185 StGB ebenso wie bei § 103 StGB. 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller
 

 

Vielen Dank, Herr Prof. Müller! Ich habe lange kein Strafprozessrecht mehr gemacht. Was ist denn, wenn man Subsidiarität annimmt? Dann taucht § 185 StGB doch erstmal nicht in Anklage und Urteil auf, oder?

 

 

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@Markus

Da § 185 ein anderes Rechtsgut betrifft (persönliche Ehre, im Unterschied zur öffentlichen Ehre als Staatsoberhaupt, siehe Abschnittsüberschrift im StGB), wird § 185 nicht (vollständig) verdrängt. Allerdings ist die Konkurrenzlage nicht unumstritten...

Henning Ernst Müller schrieb:

@Markus

Da § 185 ein anderes Rechtsgut betrifft (persönliche Ehre, im Unterschied zur öffentlichen Ehre als Staatsoberhaupt, siehe Abschnittsüberschrift im StGB), wird § 185 nicht (vollständig) verdrängt. Allerdings ist die Konkurrenzlage nicht unumstritten...

 

Nochmals Danke! Die Frage nach dem Wiederaufleben einer verdrängten Norm bei Streichung der verdrängenden Norm während des Verfahrens scheint mir trotzdem recht spannend. Insbesondere falls in der Zwischenzeit Verjährung eingetreten sein sollte. Aber gut zu wissen, dass sich das Problem hier nicht stellt. Viele Grüße!

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Gast schrieb:

 

Der türkische Präsident hat gegen Jan Böhmermann auch privat Strafantrag gestellt. Er hatte der Kanzlerin so eine Brücke gebaut. Merkel hat sie nicht betreten. Jetzt wird es für Deutsche gefährlich.

 

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article154406833/Angela-Merkels-Ko...

 

Frau Merkel, treten Sie zurück!

http://www.huffingtonpost.de/kai-blasberg/frau-merkel-treten-sie-zu_b_97...

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Gast schrieb:

 

Der türkische Präsident hat gegen Jan Böhmermann auch privat Strafantrag gestellt. Er hatte der Kanzlerin so eine Brücke gebaut. Merkel hat sie nicht betreten. Jetzt wird es für Deutsche gefährlich.

 

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article154406833/Angela-Merkels-Ko...

 

Ja! Brandgefährlich. Furchtbar hyper super gefährlich! Wo kommen wir denn da hin, wenn wir die Auslegung des Grundgesetzes einem sogenannten Bundesverfassungsgericht überlassen und uns nicht nach Twitter richten? Was ist dann eigentlich noch der Unterschied zu Nordkorea?! Merkel hat uns alle verraten!! Morgen stehen die Türken vor Berlin!! HILFE!

 

Ohje... geht's noch?

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In der 53. Auflage schreibt Fischer noch (Hervorhebungen von mir):

"Geschützt sind die in I bezeichneten Personen, soweit sie das bezeichnete Amt zZ der Tat innehaben und sich zZ der Tat in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhalten, nämlich

 a) ein ausländisches Staatsoberhaupt ... [...]

 b) ein Mitglieder einer ausländischen Regierung. [...]

 c) jeder im Bundesgebiet beglaubigte Leister einer ausländischen diplomatischen Vertretung ... [...]" 

 

Fischer, StPO, 53. Auflage, § 103 Rz. 1

Zumindest 2006 war Fischer also noch der Meinung, dass sich auch das Staatsoberhaupt zur Tatzeit im Inhalt aufgehalten haben muss. Gibt es mittlerweile entgegenstehende Entscheidungen oder andere bekannte Gründe, weshalb diese Meinung nicht mehr vertretbar sein sollte?

Das haben auch sehr viele Bürger so verstanden, wärend einige Juristen in vollster Überzeugung (der dumme Bürger versteht es nur nicht) verbreiteten, das gelte nur für die einfachen Politiker.....

Angeblich müssen Gesetze doch so formuliert sein, dass sie jeder verstehen kann, sie rechtlich eindeutig sind.
Aber dieser Komma-Orgie-Schachtelsatz ist nicht eindeutig.

Hier hätte man zwei Sätze schaffen können.

 

 

Warum sollen "Fischer" oder "Beck" oder Schröder oder wie sie heissen irgendeine Art Deutungshoheit haben?

Wer macht die Gesetze, private Verlage?

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ZDF Neo ( Marktanteil um 1 Prozent ) und auch das Böhmermann - Magazin waren ja bisher wirklich nicht gerade ein Superhit. Und jetzt dieser Hype ! Unglaublich !

 

Wenn Böhmermann in einigen Jahren tatsächlich ein paar 100 € Geldstrafe oder Geldbuße zahlen sollte, dann könnte es irgendwann einmal auch für die Frage der Höhe des Schmerzensgeldes darauf ankommen, wie viele Leute die Sendung, um die es geht, gesehen haben.

 

Mehr als ein paar 1000 dürften es möglicherweise gar nicht gewesen sein.

 

Dann wäre Erdogan tatsächlich um einige 1000 € bereichert. Vielleicht aber auch weniger, denn die deutsche Justiz hält den Menschen für ein durchaus sehr leidensfähiges Wesen. Ob er sich jetzt besser fühlt, wenn die Ermächtigung zur Durchführung eines Strafverfahrens erteilt wird, von dem die Mehrheit der Bundesregierung der Auffassung ist, dass es sowieso zu nichts führt, das ist die Frage.

 

Die Fluchtbewegung von Journalisten und anderen aus der Türkei wird wohl weitergehen. Immerhin lastet auf Moderatoren, Journalisten und Satirikern in Deutschland jetzt ein gewisser Druck.

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