OLG Hamm macht`s kurz und knackig: 40 % Geschwindigkeitsüberschreitung = Vorsatz

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.06.2016
Rechtsgebiete: Ordnungswidrigkeiten2|11104 Aufrufe

Die Feststellung des Vorsatzes bei Geschwindigkeitsverstößen ist ein Dauerbrenner im OWi-Verfahren. Man kann hier trefflich streiten: Merkt man, wenn man zu schnell fährt? Woran? Und: Merkt man, wie hoch die Geschwindigkeit ist? Das OLG Hamm hat hier richtig schön knackig einmal die Welt wieder gerade gerückt:

Der Grad der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann ein starkes Indiz für vorsätzliches Handeln sein, wobei es auf das Verhältnis zwischen der gefahrenen und der vorgeschriebenen Geschwindigkeit ankommt. Es ist von dem Erfahrungssatz auszugehen, dass einem Fahrzeugführer die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit aufgrund der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung jedenfalls dann nicht verborgen bleibt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten wird.
 
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO).Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene (§ 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).
 
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Zusatz:
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Ergänzend zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft merkt der Senat an, dass die Verurteilung wegen vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung handelt vorsätzlich, wer die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und bewusst dagegen verstoßen hat. Der Grad der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann ein starkes Indiz für vorsätzliches Handeln sein, wobei es auf das Verhältnis zwischen der gefahrenen und der vorgeschriebenen Geschwindigkeit ankommt. Es ist von dem Erfahrungssatz auszugehen, dass einem Fahrzeugführer die erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit aufgrund der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung jedenfalls dann nicht verborgen bleibt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit  um mehr als 40 % überschritten wird (KG Berlin, Beschl. v. 25.03. 2015 – 3 Ws (B) 19/15, 3 Ws (B) 19/15 - 162 Ss 4/15 –, Rn. 5 - juris m.w.N.; vgl. auch: OLG Hamm NZV 2007, 263 und Krenberger jurisPR-VerkR 15/2015 Anm. 3). So verhält es sich hier. Dem Betroffenen war die innerörtliche Geschwindigkeit aufgrund der im angefochtenen Urteil festgestellten Beschilderung bekannt. Er überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h – ein anderes Fahrzeug überholend - sogar um deutlich mehr als 50%. Näherer Feststellungen zum Fahrzeugtyp bedarf es – entgegen der Rechtsbeschwerde – nicht, da eine derartige Geschwindigkeitsüberschreitung immer anhand der o.g. Merkmale erkennbar ist.

OLG Hamm, Beschl. v. 10.5.2016 - 4 RBs 91/16

Auch wenn "Krumm, NZV 2007, 502" schon etwas älter ist, findet man hier als Verteidiger zahlreiche Fundstellen, bei denen Gerichte den Vorsatz trotz deutlich überhöhter Geschwindigkeiten verneint haben. Schön übrigens auch, dass der Kollege Krenberger zitiert wurde, mit dem ich den Bohnert/Krenberger/Krumm in der 4. Aufl. verfasst habe.

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2 Kommentare

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Die Entscheidung überzeugt mich überhaupt nicht. Je geringer die angeordnete Geschwindigkeit ist, umso weniger muss man die Überschreitung bemerken. Ist etwa 30 km/h angeordnet und man fährt die normale innerörtliche Geschwindigkeit von 50 km/h, muss einem die Überschreitung um 2/3 nicht unbedingt auffallen. Gilt auf der einspurigen Landstraße 100 km/h, fällt einem eine Überschreitung um 1/2 natürlich auf.

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Das Einschätzen von Geschwindigkeiten ist eine sehr subjektive Fähigkeit. Der Eine kann zwischen 30 km/h und 42 km/h (40 Prozent mehr!) sicher unterscheiden, der andere nicht. Ich empfehle einen Selbsttest.

 

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