Zweiter Kopftuch-Fall beim EuGH

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 18.07.2016
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Vor kurzem ist an dieser Stelle (Beitrag vom 2.6.2016) über die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott berichtet worden, in denen sie es für zulässig gehalten hatte, wenn einer Arbeitnehmerin muslimischen Glaubens verboten werde, am Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch zu tragen, sofern dieses Verbot sich auf eine allgemeine Betriebsregelung zur Untersagung sichtbarer politischer, philosophischer und religiöser Zeichen am Arbeitsplatz stütze und nicht auf Stereotypen oder Vorurteilen gegenüber einer oder mehreren bestimmten Religionen oder gegenüber religiösen Überzeugungen im Allgemeinen beruhe. Eine vom Arbeitgeber im jeweiligen Betrieb verfolgte Politik der religiösen und weltanschaulichen Neutralität sei legitim, sofern dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werde.

In einem anderen, ebenfalls vom dem EuGH anhängigen Verfahren, setzt die dort zuständige Generalanwälte Sharpston ersichtlich andere Akzente (Schlussänträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston vom 13. Juli 2016 - Rechtssache C-188/15 Asma Bougnaoui gegen Micropole SA). In dem zugrunde liegenden französischen Ausgangsfall war eine Muslimin namens Asma Bougnaoui, als Projektingenieurin bei einem IT-Unternehmen beschäftigt. Zu den Aufgaben von Frau Bougnaoui gehörte es, die Kunden des Unternehmens in deren Geschäftsräumen zu besuchen. Nachdem sich einer dieser Kunden beschwert und verlangt hatte, dass es „nächstes Mal keinen Schleier geben möge“, wurde Frau Bougnaoui von ihrem Arbeitgeber ersucht, diesem Wunsch zu entsprechen. Als sie dies ablehnte, wurde ihr gekündigt. Frau Bougnaoui ging vor den französischen Gerichten gegen die Kündigung vor. Die französische Cour de cassation, bei der die Rechtssache derzeit anhängig ist, möchte vom Gerichtshof wissen, ob es sich bei der Forderung, bei der Erbringung von IT-Beratungsleistungen gegenüber Kunden kein islamisches Kopftuch zu tragen, um eine unzulässige Diskriminierung handele. Die Generalanwältin zieht als Maßstab die Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG heran. Eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion sei hiernach nur rechtmäßig, wenn diese wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderungen folge, die in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten rechtmäßigen Zweck stehe. Nach Ansicht der Generalanwältin kann diese Ausnahme im vorliegenden Fall nicht zum Tragen kommen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass Frau Bougnaoui ihre Aufgaben als Projektingenieurin nicht habe wahrnehmen können, weil sie ein islamisches Kopftuch getragen habe. Im Kündigungsschreiben werde nämlich ausdrücklich die fachliche Kompetenz von Frau Bougnaoui hervorgehoben. Die unternehmerische Freiheit sei zwar ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts. Sie unterliege aber Einschränkungen, insbesondere wegen der Erfordernisse des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer. Potenzielle finanzielle Nachteile des Arbeitgebers könnten eine unmittelbare Diskriminierung nicht rechtfertigen.

Selbst wenn man hier lediglich von einer mittelbaren Diskriminierung ausgehe, könne ein einheitlicher Dresscode nur gerechtfertigt sein, wenn mit dieser Praxis ein rechtmäßiger Zweck verfolgt werde und sie verhältnismäßig sei. Im vorliegenden Fall sei allerdings nur schwer ersichtlich, wie das Verbot als verhältnismäßig angesehen werden könnte. Darüber habe jedoch letztlich das nationale Gericht zu befinden.

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