Amok? Was man jetzt nicht tun sollte

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 23.07.2016
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologie62|14865 Aufrufe

Schon der Fall des jungen Flüchtlings, der mit einer Axt auf mehrere Mitglieder einer Touristenfamilie und später auf eine Spaziergängerin einschlug, hat die Frage aufgeworfen, ob es sich um einen (typischen)  islamistischen Terroranschlag handelte oder um das Massaker eines Einzelnen.

Nun erschießt wenige Tage später, am Jahrestag des Attentats in Norwegen, ein Attentäter in München neun Menschen und begeht dann Suizid. Alles deutet derzeit darauf hin, dass der Münchener Täter kein islamistisches Motiv hatte. Auch bei dem Würzburger Attentäter war der islamistische Hintergrund möglicherweise nur einer von mehreren Ursachen für sein Massaker.

Man muss noch vorsichtig sein mit Schlussfolgerungen, aber Vorsicht ist auf jeden Fall geboten, wenn es um die Veröffentlichung der Identität des Täters und um Bilder, die ihn zeigen, geht. Ich zitiere aus meinem Blog-Beitrag von 2009:

"Es ist eine wesentliche Motivation für solche Taten, als (negativer) Held zu erscheinen. Bei den Tätern handelt es sich meist um männl. Personen, die sich für gescheitert halten und für sich selbst keine Erfolgschance im Leben erkennen. Sie sehen ihre Tat (und zwar durchaus realistisch!) als einzige Chance an, sich in ihrem Suizid „unsterblich" zu machen. Selbst ein Gewinn bei DSDS oder bei Wer wird Millionär kann diesen „Ruhm" nicht toppen. Alle bisherigen Taten zeichnen sich dadurch aus, dass sich die Täter mit früheren solchen Vorgängen identifiziert haben. Sie streben zum Teil an, frühere Täter zu übertreffen.

Es sollte daher … der ernsthafte Versuch gemacht werden, durch eine beschränkte Nachrichtensperre (hinsichtlich der Täteridentität)  diese Ursachenkette abzureißen und die Motivation, als Individuum wegen einer solchen Tat besonders herausgestellt zu werden, zu minimieren."

Vor sechs bis zehn Jahren, zu einer Zeit, in der sich in Deutschland mehrere Schulmassaker ereigneten, war Konsens unter den Experten, dass gerade die verbreitete öffentliche Erörterung von Tatdetails und insbesondere der Täteridentität Anlass für Nachahmungstaten sein könne. Es ist deshalb sehr richtig, dass Polizei und großen Medienhäuser zumindest den Namen nicht nennen, bislang jedenfalls. Auf FB und Twitter hingegen überschlagen sich Posts von Personen, die den Namen ausbuchstabieren und die Presse, die sich hier vernünftig verhält, als Lügenpresse attackieren. Und eine Reporterin der New York Times, die wohl zufällig in München ist, hat sich lt. ihrem Twitter-Account für heute vorgenommen, die Identität des Täters zu ermitteln. Beschämende Unwissenheit.

Ergänzung: Jens Hoffmann (Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt) warnte schon am 15.07. nach dem Anschlag von Nizza im Deutschlandfunk vor der Identifizierung und damit (negativen) Heroisierung von Tätern.

Update (01.08.2016) Stern und Spiegel.TV und ihre widersprüchliche Berichterstattung

Sowohl Autoren des Stern als auch des Spiegel haben durchaus verstanden, worum es hier geht: Nachdrückliche Bildberichterstattung über den Täter kann zur Nachahmung anreizen. Das wissen die Redaktionen von Spiegel und Stern. Sie schreiben es auch in ihren Artikeln bzw. lassen es schreiben.  Schockiert war ich, als ich letzte Woche einen Bericht von Spiegel.Tv sah, in dem dem Münchener Attentäter mehrfach und lange Zeit bildlich geradezu "gehuldigt" wurde. 

Direkt widersprüchlich ist auch die Berichterstattung im aktuellen Stern. Auf der Titelseite werden drei aktuelle Attentäter abgebildet, immerhin noch mit einem Balken über dem Gesicht. Im Innenteil des Stern werden auf derselben Doppelseite, auf der unten zutreffend über die Nachahmungsgefahr berichtet wird, im oberen Teil die schlimmsten früheren Schulmassaker-Täter erneut abgebildet zusammen mit Bildern vom jeweiligen Tatort: Geradezu eine "Hall of Fame" der Attentate mit implizitem Aufforderungscharakter. Mir fehlen die Worte.

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62 Kommentare

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Es sind übrigens noch nicht einmal "Richtlinien", es sind lediglich "Empfehlungen". Empfehlungen ist juristisch noch weniger als Richtlinien, oder? Welche Rechtsfolge hätte denn ein etwaiger Verstoß gegen die Empfehlungen?

Das Profil von Amokläufern und die Medien (Kritik)

"Das überraschend homogene Profil von Amokläufern [1]  Die meisten Amokläufer sind depressiv und sozial isoliert. US-Forscher haben jetzt entdeckt, dass es aber einen besonderen Punkt gibt, der diese Menschen motiviert, zum Täter zu werden.  [2] ... Soziale Isolation, eine tiefe Depression und der große Wunsch nach Ruhm. Das sind die Merkmale, die die  meisten Amokläufer teilen. So lautet das Ergebnis einer Studie, die US-Psychologen jetzt vorgestellt haben. ... [3] Das  Profil der Täter war auffallend homogen. Fast alle Amokläufer waren zwischen 20 und 25 Jahre alt, weiß, und fühlten sich  als Opfer, ungerecht behandelt und chancenlos. Zu ihrer Isolation und der tiefen Depression kam ein pathologischer Narzissmus, ein Anspruchsdenken, etwas Besseres verdient zu haben – und der Wunsch, die unbedingte Aufmerksamkeit  anderer auf sich zu ziehen.  ... " [Welt 04.08.16] 

Kritik  In den wenigen Zeilen werden drei unterschiedliche Profil-Aussagen getroffen:

[1]  depressiv und sozial isoliert.  Das sind zwei Profilmerkmale.

[2]  Soziale Isolation, eine tiefe Depression, der große Wunsch nach Ruhm. Das sind drei Profil-Merkmale. 

[3] Das Profil der Täter war auffallend homogen. Fast alle Amokläufer waren zwischen 20 und 25 Jahre alt, weiß, und  fühlten sich als Opfer, ungerecht behandelt und chancenlos. Zu ihrer Isolation und der tiefen Depression kam ein pathologischer Narzissmus, ein Anspruchsdenken, etwas Besseres verdient zu haben – und der Wunsch, die  unbedingte Aufmerksamkeit anderer auf sich zu ziehen  Das sind 10 Profil-Merkmale.

     Was "meistens" heißt,  erfahren wir auch nicht. Hier wäre eine Fall-für-Fall-Vergleichstabelle zur differenzierten Beurteilung wünschenswert.

Eine solche Berichterstattung hat mit Qualitäts- und Wahrheitsjournalismus (Q&W) wenig zu tun. Gut an dem Artikel ist aber die kritische Sicht der Medienberichterstattung:

"Medien sollten weniger berichten Vor dem Jahr 2000 gab es in den USA pro Jahr etwa drei Amokläufe in Schulen oder in der Öffentlichkeit. Seither sei die Zahl  kontinuierlich gestiegen und liege jetzt bei einem Amoklauf alle 12,5 Tage in der allgemeinen Öffentlichkeit und etwa einem Amoklauf alle 32 Tage an Schulen.  "Wenn sich die Massenmedien und sozialen Medien darauf einigen könnten, die Namen,  Fotos, detaillierten Geschichten oder Statements der Täter nicht mehr zu verbreiten oder zu teilen, dann könnte sich die Zahl der Amokläufe dramatisch reduzieren", sagt Johnston. Wenigstens ein Drittel würde sich so vermeiden lassen. ..." [Welt 04.08.16]"

Quelle Original-Artikel Welt:

http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article157501060/Das-ueberrasc...

Sekundärequelle Kritik " Das überraschend homogene Profil von Amokläufern":

http://www.sgipt.org/politpsy/krieg/islamist.htm#homogene%20Profil

Sekundärequelle Medien-Kritik: "Die Medien sollten weniger berichten.":

http://www.sgipt.org/medien/kritik/mk_16.htm#Medien%20sollten%20weniger

Sehr geehrter Herr Sponsel,

in der Tat gibt es übereinstimmende (oder fast übereinstimmende) Merkmale bei etlichen Schulmassakern und ähnlichen Phänomenen. Die Fälle sind aber insgesamt zu selten, um daraus schon quantitativ messbare Schlüsse zu ziehen. Ich habe es zwar nicht "Profil" genannt, aber dennoch kam ich in einem 2015 veröffentlichten Artikel:

  • Anmerkungen zum Schulmassaker aus kriminologischer Sicht; in: Ralf Junkerjürgen, Isabella von Treskow (Hrsg.): Amok und Schulmassaker. Kultur- und medienwissenschaftliche Annäherungen, Bielefeld 2015, S. 51-68.

zu ganz ähnlichen Schlüssen wie die von Ihnen zitierten. Es ist auch nicht verkehrt von "meistens" zu sprechen, wenn es um ca. 15 bis 20 Fälle (je nach Einschluss- udn Ausschlusskriterien) in einer Dekade geht und in 12 bis 17 der Fälle übereinstimmende Merkmale anzutreffen sind. Das ist mir lieber, als wenn jemand von "82,83 %" schreibt, was zwar wissenschaftlicher klingt, es aber nicht unbedingt ist, da eine nicht vorhandene Präzision nur vorgetäuscht wird.

Langman, der sich ebenfalls seit Jahren mit dem Phänomen befasst, kommt übrigens zu ähnlichen Schlüssen, siehe hier:

http://www.zeit.de/2016/32/gewalt-terror-amoklauf-europa

Überhaupt: Ganz auffällig ist, wie wenig Streit es zu diesem Thema gibt in der Kriminologie, in der traditionell völlig unterschiedliche theoretische Perspektiven vertreten werden. Natürlich könnte man auch noch 50 bis 100 Fälle abwarten, an denen man quantitative Forschung betreiben  und zu quantitativ validen Ergebnissen kommen kann. Aber bis dahin halte ich es für legitim, aus der Beobachtung der bekannten Fälle Schlüsse zu ziehen, Hypothesen zu generieren und auch schon Präventionsvorschläge zu machen. Herr Sponsel, sehen Sie das anders?

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

die methodische Gretchenfrage aller z.B. auch forensischen Klassifikations-Diagnostik ist immer: woher weiß ich, ob eine ProbandIn zu den kritischen KandidatInnen gehört oder nicht: x% der MerkmalsträgerInnen  laufen Amok, y%=100-x% nicht? Hierzu braucht man natürlich Kontrollgruppen.  Die evaluative Gretchenfrage lautet: sind die Merkmale überhaupt richtig festgestellt worden? Und die pragmatische Gretchenfrage ist: Was kann ich mit einer solchen praktischen Merkmalsdiagnostik anfangen (Rasterfahndung, Vorbeugung?). 

Meine Kritik bezog sich aber, wie auch klar ausgewiesen, darauf, dass zunächst zwei Merkmale hervorgehoben wurden. Dann waren es drei Merkmale und schließlich wurden es 10 Merkmale. Das geht so nicht.

Wie sehe ich das? Nun, als erstes sollte man bei der Forschung seine Zwecke und Ziele darlegen: was will ich wozu herausfinden? Was soll und kann mit den Erkenntnissen geschehen? Diese Art etikettierend-klassifizierende Forschung wird kaum erklärende  und damit vorrbeugende Ergebnisse bringen; in ihrer platten martktschreierischen Darstellung durch die Medien eher Nachahmung fördern, also das Gegenteil, was man (hoffentlich) will.

Mit freundlichen Grüßen

Rudolf Sponsel

P.S. An Ihrer Arbeit bin ich interessiert, haben Sie noch ein Exemplar?

Sehr geehrter Herr Sponsel,

das Buch ist natürlcih noch erhältlich, wird z.B. hier rezensiert:

http://www.socialnet.de/rezensionen/18958.php

Was die Frage der Merkmale angeht: Manche Merkmale können auch auf verschiedene Art und Weise beschrieben werden, so dass ein und dasselbe Merkmal bei anderer Betrachtungsweise in verschiedene Merkmale aufgeteilt werden kann. Übereinstimmende Merkmale können identifiziert werden, sind aber natürlich nicht schon unbedingt "Ursachen" in dem Sinne, dass ihr Vorhandensein Auslöser einer solchen (seltenen) Tat ist und Präventionsansätze liefern könnte. Weit über 90% der Taten wurden von männlichen Jugendlichen und Heranwachsenden begangen, allerdings innerhalb der Gruppe äußerst selten (Suizide treten bei männl. Jugendlichen  ca. 300mal häufiger auf). Ist dann wirklich "Männlichkeit" wichtig oder möglicherweise eine bestimmte seltene psychische Konstitution, die aber vor allem bei jungen Männern auftritt? Eine andere für mich z.B. rätselhafte Frage ist, ob es tatsächlich die "Depression" ist oder nicht möglicherweise der Versuch, diese mit SSRI medikamentös zu behandeln.

Die Befassung mit früheren solchen Taten und die Tendenz, sich selbst "unsterblich" zu machen, lässt sich wiederum bei vielen der Täter beobachten.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

"Soziale Medien müssen den Missbrauch durch Terroristen ernst nehmen

Soziale Netzwerke wie Facebook sind Scharnier und Katalysator für Terroristen.

Der Terror wendet die freie Rede gegen ihre Erfinder. Es braucht mehr als Überwachung und Fahndung mit möglichst viel Speicherplatz. Auch Facebook und Co müssen Verantwortung übernehmen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Wer es ein wenig zugespitzt mag: Der moderne Terror wäre ohne die modernen Medien nicht möglich. Die brennenden und stürzenden Zwillingstürme ohne Fernsehübertragung - hätten sich längst nicht so ins Gedächtnis eingefräst. Die mit Benzin getränkten Overallträger im IS-Käfig, die Fackel an der Lunte - hätten ihre Schockwirkung ohne die Handyvideos auf den Islamisten-Seiten im Netz nie erzielt. All die Enthauptungen, Kindermorde, Folterszenen, Bombenfilmchen, wackeligen Lkw-Bilder aus ungezählten Telefonkameras: Terror funktioniert vor allem über Bilder.

....."

http://www.sueddeutsche.de/politik/terror-und-medien-am-scharnier-1.3111160

Grüß Gott Herr Prof. Müller, Grüß Gott Herr Dr. Sponsel,

ich hätte da noch einen Zeitungsartikel zum Kernthema, den müssen Sie aber wirklich nicht lesen. Es ist der Artikel in "Die Zeit" Nummer 33 vom 4. August 2016, Seite 35 rechts unten, von Ijoma Mangold unter der Überschrift "Ohne Wirkung". Der Artikel ist hochtrabend, pseudo-philosophisch und bar jedweden Erkenntniszugewinns.  

Zur Ruhmsucht junger Männer und zur Behandlung von Amokfällen in den Medien: http://www.sueddeutsche.de/politik/journalismus-man-wird-noch-beruehmt-1...
Was mich stört daran: Wiederum wird als neue Forderung von Kriminologen verkauft, was längst Konsens ist und seit mind zehn Jahren von vielen Kriminologen gefordert wird. Die Journalisten schreiben dann darüber, haben es bei der nächsten Gelegenheit aber möglicherweise wieder vergessen.

.... Der Zeit-Artikel, den ich so nichtssagend fand (mein Kommentar s.o.), geht sogar noch einen Schritt weiter: Der Zeit-Artikel will offenbar darauf hinaus, Herostratentum sei sowieso unausrottbar. Nach dieser "Logik" kann dann die Presse sowieso veranstalten, was sie lustig ist.

Medien-Empfehlungen aus Roberts & Kahr (2016)  S. 199-203

"In den Kapiteln dieses Bandes wurden Richtlinien und wissenschaftliche Befunde für eine konstruktive Berichterstattung zu verschiedenen Arten von Gewalttaten auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft vorgestellt. Die sich daraus ergebenden konkreten Handlungsempfeh-lungen für die Berichterstattung über publikumswirksam inszenierte Gewalttaten werden nun abschließend zusammengefasst: ...  

1. Keine ver einfachenden Erklärungen für Handlungsmotivationen anbieten.
2. Auf die Folgender Tat fokussieren.
3. Keine Romantisierungen verwenden und keine Heldengeschichten erzählen.
4. Den Tathergang nicht zu konkret aufzeigen.
5. Täterphantasien und emotionales Bildmaterial nicht zu anschaulich darstellen. ...
6. Keine sensiblen Informationen preisgeben. ...
7. Auswege aufzeigen. ...
8. Auf die Wortwahl achten. ...
9. Quellen besonders sorgsam prüfen. ...
10. Sich nicht instrumentalisieren lassen. ...
11. Opfer und Hinterbliebene schützen. ...
12. Sich selbst schützen.  ...

"Die multiperspektivische Zusammenstellung des Forschungsstandes hat deutlich vor Augen geführt, wie gravierend die Konsequenzen einer unreflektierten Berichterstattung über schwe-re Gewalttaten sein können. Es haben sich aber auch, nach bestem Wissen der verschiedenen Disziplinen und renommierten Fachkräfte, deutliche Hinweise ergeben, auf welche Weise solche Gefahren neutralisiert werden können.
   Es ist erstrebenswert, diese Hinweise in den kommenden Jahren mit zusätzlicher For-schung zu unterfüttern und die Wirksamkeit der, in dieser Form auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft neu entwickelten, Richtlinien auch empirisch explizit zu belegen. Bis dahin hof-fen wir, mit diesem Buch einen Beitrag zur verantwortungsbewussten Berichterstattung geleistet zu haben, die das Wohl aller Beteiligten berücksichtigt und im Extremfall Menschen-leben schützt.
   Wir wünschen uns eine intensive Nutzung dieser Empfehlungen, aber auch eine
anregende Auseinandersetzung mit ihnen."

Originalquelle: Robertz, Frank J.  & Kahr, Robert (2016)  Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus. Zur medienpsychologischen Wirkung des  Journalismus bei exzessi-ver Gewalt. Berlin: Springer. S. 199-203

Sekundärquelle: Terror Amok Gewalt (TAG):
http://www.sgipt.org/forpsy/AmokTerrorGewalt/TAG.htm

Psychisch Kranke und Gewalt Zusammenfassung aus der Arbeit von Maier, W.; Hauth, I.; Berger, M. & Saß, H. (2016) im Nervenarzt

Zur leichteren Bezugnahme beim Diskutieren und Zitieren habe ich die Spiegelstriche durch Ziffern ersetzt.

  1. "Das Auftreten schwerwiegender Gewalthandlungen bei psychisch erkrankten Menschen ist ein seltenes Ereignis; sie sind nur bei einer sehr kleinen Minderheit von psychisch erkrankten Menschen anzutreffen, und die überwiegende Mehrzahl von Gewaltanwendungen in der Gesellschaft erfolgt durch nicht psychisch erkrankte Menschen. Im Vergleich zu den öffentlich stark beachteten Tötungsdelikten sind Selbsttötungen bei psychisch erkrankten Personen viel häufiger.
  2. Psychische Krankheit kann unter bestimmten Umständen mit einem erhöhten Risiko für zwischenmenschliche Gewaltanwendung verbunden sein, deren Ausprägung über die verschiedenen Diagnosen variiert; dabei tragen psychotisch erkrankte Menschen (Schizophrenie, andere psychotische Störungen oder bipolare Störungen) das am deutlichsten erhöhte Risiko; unipolare, nichtwahnhafte Depressionen weisen ein deutlich niedrigeres Risiko auf. Auch neurologische Krankheiten (z. B. Epilepsien, erworbene Hirnschädigungen) gehen meistmit einem erhöhten Gewaltrisiko einher. Nichtdiagnosebezogene Einflussfaktoren, wie kultureller Hintergrund, soziale Lebensumstände und psychosoziale Entwicklungsbedingungen, beeinflussen ebenso das Risiko. Starke soziodemographische Einflussfaktoren sind männliches Geschlecht und junges Erwachsenenalter. Suchtmittelmissbrauch und -abhängigkeit wirken ebenso wie frühere Viktimisierung (eigene Gewalterfahrung) stets deutlich risikosteigernd.
  3. Im Gegensatz dazu gehen einige psychische Krankheiten und Akzentuierungen mit keinem oder sehr erniedrigtem Risiko für zwischenmenschliche Gewaltanwendung einher; insbesondere wirken Angst- und Zwangssymptomatik auch gewaltprädiktiv; auch Depressivität geht überwiegend eher mit Selbstaggressivität (Suizidalität) als mit Fremdaggressivität einher.
  4. Die Häufigkeiten für Gewalttaten und relative Risiken (auch diagnosespezifische) variieren erheblich zwischen den Ländern (und Studien), was auf kulturelle Einflüsse hinweist.
  5. Das erhöhte Risiko für zwischenmenschliche Gewalt ist bei psychischen Erkrankungen dann deutlicher ausgeprägt, wenn es zu keiner oder zu einer unzureichenden gezielten Behandlung der psychischen Störung kommt. Dieser Zusammenhang wurde besonders intensiv in Bezug auf Schizophrenie und andere psychotische Störungen untersucht und regelmäßig bestätigt. Eine konsequente antipsychotische Behandlung und Behandlungstreue seitens des Patienten kann selbst bei psychotischen Erkrankungen das erhöhte Gewaltrisiko durch Begünstigung einer Remission beseitigen („Most episodes of violence committed by mentally ill persons are associated with the failure to treat them“ [97]). Diese Aussage gilt auch für das Risiko von allen Gewalthandlungen (inkl. Tötungsdelikten).
  6. Zwischenmenschliche Gewaltanwendung psychisch erkrankter Menschen geht überzufällig häufig mit Suizidhandlungen (überwiegend zeitlich versetzt) einher, die Mehrzahl von Gewalttätern verüben allerdings keine Selbstmordhandlungen. Homizid-Suizid-Konstellationen (im selben Zeitintervall) sind auch bei psychisch Kranken sehr selten.
  7. Psychotische Symptome mit mangelnder Krankheitseinsicht und einer Wahnsymptomatik, die zu Wut und Ärger über die abgewandelt erlebte Realität führt, stellen eine Hauptursache für Gewaltentwicklung bei psychischen Störungen dar.
  8. Die Auffassung, dass psychisch erkrankte Menschen „gefährlich“ sind, führt zu einer verstärkten Stigmatisierung. Verstärkte Stigmatisierung trägt zur Unterlassung von Inanspruchnahme medizinischpsychotherapeutischer Hilfe wegen psychischer Erkrankung bei. Die Folgen sind Nichtbehandlung, zu lange Erkrankungszeiträume mit fehlender Behandlung – v. a. zu Erkrankungsbeginn – und mangelnde Behandlungstreue. All diese begründen die Erhöhung des Gewaltrisikos bei psychisch erkrankten Menschen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung.
  9. Eine Erhöhung des Gewaltrisikos durch Psychopharmaka wird für eine sehr kleine Zahl von behandelten Patienten – unter anderem für SSRIs und SNRIs – diskutiert; eine Abgrenzung zwischen Krankheits- und Medikamenteneffekten ist aufgrund vorliegender Daten nicht möglich.
  10. Gewalthandlungen mit Todesfolge sind insgesamt und vor allem auch bei psychisch erkrankten Menschen sehr seltene Ereignisse. Die Voraussage solcher Ereignisse ist – wie bei allen seltenen Ereignissen – nur in Ausnahmefällen mit hinlänglicher Genauigkeit möglich. In risikoangereicherten Stichproben (z. B.Männer mit Gewaltanamnese) sind dagegen [>65] Übersichten voraussagestärkere Skalen verfügbar. Eine Voraussage der erstmaligen Ausübung schwerer Gewalttaten bei nicht stratifizierten Stichproben (z. B. in der Allgemeinbevölkerung) ist dagegen auch bei psychisch erkrankten Menschen nicht möglich. Ein Screening (auch bei psychisch Erkrankten) für sog. „sensible Berufe“ ist also derzeit grundsätzlich nicht mit ausreichender Zuverlässigkeit möglich.
  11. Es ist aber möglich, das erhöhte Gewaltrisiko aufgrund psychischer Erkrankungen in der Gesellschaft zu senken: Hierzu sind die Barrieren zu einer frühzeitigen Aufnahme einer gezielten Behandlung wegen psychischer Erkrankung zu beseitigen. Behandlungskontinuität und Patienten-Compliance schützen vor einer Gewaltentwicklung und Rückfällen bezüglich der Gewaltausübung. Zeitlich engmaschiges ärztliches Monitoring kann jedenfalls eventuelle Risiken kontrollieren.
  12. Eine globale Präventionsstrategie hinsichtlich der Risiken für Gewaltanwendung aufgrund psychischer Erkrankung setzt eine Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen voraus. Denn das befürchtete Stigma hält Erkrankte von medizinischpsychotherapeutischer Versorgung fern.

     Es besteht ein Circulus vitiosus: Die Berichterstattung über Gewaltanwendung und die Bezugsetzung von Gewaltanwendung zu psychischer Erkrankung stigmatisiert psychisch Kranke, die resultierende Beschämung hält sie von einer gezielten Behandlung wegen ihrer psychischen Störung fern. Damit wird aber erst die Erhöhung des Gewaltrisikos bei psychisch Kranken gegenüber der  Allgemeinbevölkerung hervorgerufen. Diese Risikosteigerung ist wiederum eine wesentliche Ursache für die Stigmatisierung psychischer Erkrankung."

Originalquelle:

Maier, W.; Hauth, I.; Berger, M. & Saß, H. (2016) Zwischenmenschliche Gewalt im Kontext affektiver und psychotischer  Störungen. Nervenarzt 1, 53-68.

Sekundärequelle:

Psychisch Kranke und Gewalt Zusammenfassung aus der Arbeit von Maier et al. (2016) im Nervenarzt:

http://www.sgipt.org/forpsy/AmokTerrorGewalt/TAG.htm#Psychisch%20Kranke%...

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