Ehrenschutz contra Meinungsfreiheit - Drei aktuelle Entscheidungen des BVerfG (3. Teil)

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 06.08.2016
Rechtsgebiete: StrafrechtMaterielles Strafrecht459|64711 Aufrufe

 

Der Beschluss 1 BvR 3487/14 betrifft keine Verfassungsbeschwerde gegen eine strafgerichtliche aber gegen eine zivilgerichtliche Verurteilung, mit der dem Beschwerdeführer die Behauptung wahrer Tatsachen über einen drei Jahre zurückliegenden Rechtsstreit auf Internet-Portalen untersagt worden war. Dieser Beschluss rundet den Überblick ab, den ich mit den drei Beiträgen geben wollte.

 

Der Beschwerdeführer stritt mit dem Kläger des Ausgangsverfahrens um Rückzahlungsansprüche aus einem gewerblichen Mietverhältnis. Der Kläger verpflichtete sich im gerichtlichen Vergleich 1.100 € an den Beschwerdeführe zu zahlen. Nachdem der Beschwerdeführer das Ratenzahlungsangebot des Klägers abgelehnt hatte, erfolgte die vollständige Zahlung erst nachdem eine Strafanzeige erstattet und ein Zwangsvollstreckungsauftrag erteilt worden war. Drei Jahre später berichtete der Beschwerdeführer unter namentlicher Nennung des Klägers über diesen Vorgang auf Internet-Portalen, welche die Möglichkeit bieten, Firmen zu suchen und eine Bewertung abzugeben. Der Kläger begehrte im Ausgangsverfahren die Unterlassung dieser Äußerungen. Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer antragsgemäß; das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück.

 

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer erfolgreich die Verletzung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung, Art. 5 Abs. 1 GG.

 

Die Behauptung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre müsse grundsätzlich hingenommen werden. Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung werde in diesen Fällen regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit stehe. Auch die Nennung des Namens im Rahmen einer solchen der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Bewertung berühre das Persönlichkeitsrecht des Klägers. Hierbei darf der Einbruch in die persönliche Sphäre nicht weitergehen, als eine angemessene Befriedung des Informationsinteresses dies erfordere. Die für den Genannten entstehenden Nachteile müssen im rechten Verhältnis zur Schwere des geschilderten Verhaltens oder der sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen.

 

Es sei nicht so, dass der Kläger die unbestritten wahren Äußerungen ausnahmsweise nicht hinnehmen müsse. Sie lassen nicht erkennen, dass dem Kläger ein unverhältnismäßiger Verlust an sozialer Achtung drohe. Auch die namentliche Nennung des Klägers, der seine Firma unter diesem Namen führt, stehe nicht außer Verhältnis zum geschilderten Verhalten. Verfassungsrechtlich sei es nicht zu beanstanden, wenn die Gerichte hier ein öffentliches Informationsinteresse möglicher Kundinnen und Kunden des Klägers bejahen.

 

Dass sich der Beschwerdeführer erst drei Jahre nach dem Rechtsstreit geäußert habe, führe nicht zu einem Überwiegen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers. Es würde den Beschwerdeführer unverhältnismäßig in seiner Meinungsfreiheit einschränken, wenn er nach einer solchen Zeitspanne von ihm erlebte unstreitig wahre Tatsachen nicht mehr äußern dürfte.

 

Abschließend zu diesem Rechtsprechungsüberblick:

Das BVerfG entscheidet im Zweifel für die Meinungsfreiheit, auch wenn darunter den Ehrenschutz leidet. Seit vielen Jahren ist für die Karlsruher Richter die Meinungsfreiheit unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft, eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung sei die Meinungsfreiheit schlechthin konstituierend. – Vor diesem Hintergrund ist die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu sehen, auch wenn sie auf den ersten Blick manchmal unverständlich erscheinen mag.

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459 Kommentare

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Quintessenz: Geht es um sehr viel, dann niemals sich ohne Beisein von eigene Vertauenspersonen, ohne Video- und Tonaufnahmen sich von einem Psychiater explorieren lassen! Oder nur seine Personalien angeben und sonst eisern zu schweigen, bis diese "Exploration" zu Ende ist, denn da dauert dann nicht lange.

Sache erledigt.

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Wie sagt der Bayer: "Amol neidappt langt"

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Es gibt einen Wikipedia-Artikel zur Konflikverteidigung, da werden erstens "politische Verfahren" erwähnt, ich zitiere:

Eine Konfliktverteidigung mit der Ausschöpfung der taktischen Möglichkeiten des Verteidigers wird in relativ wenigen Verfahren angewandt, auch wenn subjektiv durch die hervorgerufenen überdurchschnittlich langen Verfahrensdauern der Eindruck des Überhandnehmens dieser Strategie bestehen mag. Konfliktverteidigung kommt vor allem in Prozessen zu politisch motivierten oder politischen Straftaten zum Einsatz, wenn die Beschuldigten politisch das bestehende staatliche System in Frage stellen und dies mit ihrer Verteidigungsstrategie zum Ausdruck bringen wollen. Problematisch ist dabei die Abgrenzung zwischen noch zulässiger Ausübung der Verteidigung und unzulässigem Missbrauch der Möglichkeiten des Strafprozesses. In der juristischen Literatur wird teils die Frage diskutiert, ob Konfliktverteidigung als Sabotage des Strafverfahrens selbst nicht den Straftatbestand der Strafvereitelung erfüllt bzw. Regeln eingeführt werden sollten, die ein solches Vorgehen ahnden.

Zweitens ist davon nirgends die Rede, ein Verteidiger hätte auch noch dazu das Recht,  eine Vorsitzende Richterin psychiatrisch zu diagnostizieren und nur noch rein persönlich auf das Übelste zu diffamieren, zu stigmatisieren und zu beleidigen, wie es in München da geschehen ist.

Mit "ausloten" von zulässigen Strategien einer Konflikverteidigung hat das  nichts mehr zu tum.

Drittens verwweise ich dazu auch noch auf diesen Artikel:

https://www.welt.de/geschichte/raf/article208560079/Linksterrorismus-Das-Trio-Schily-Stroebele-und-Mahler-ALT-Mit-Richtern-redet-man-nicht-auf-Richter-schiesst-man.html

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Die Fair-Trial-Forderung darf natürlich auch im Verhältnis Verteidigung-Gericht nicht ganz aussen vor bleiben, wenn man an den Münchener "Vortrag" eines Strafverteidigers denkt. Eine Vorsitzende Richterin kann ja nicht im gleichen Stil antworten. Dass auf Zeit gespielt und mit Verschleppungen gearbeitet wird, das kennt man ja zur Genüge, aber dieses Verhalten in München war eben anscheinend ein beispielloser Vorgang.

Eine Vorsitzende kann aber auch daraufhin eine Sitzung für einen begrenzten Zeitraum unterbrechen, den Verteidiger leicht  ironisch fragen, ober er denn  noch mehr Zeit zur eigenen  Abkühlung bräuchte und im Endeffekt hat der Verteidiger seinem Mandanten und sich einen Bärendienst erwiesen.

Damit würde der Verteidiger doch zu Recht wie ein dummer Junge im Gerichtsaal dastehen.

Bei Kriminellen, die von poliischen Verfahren - oder von "Kriegsgefangenen" - reden, wird ja meistens auch die Justiz als Handlanger eines "Schweinesystems" dargestellt und abgelehnt.

Diese Rede eines Angeklagten in München verwendet eine ähnliche rhetorische Figur:

„Mögen Sie uns tausendmal schuldig sprechen, die Göttin des ewigen Gerichtes der Geschichte wird lächelnd den Antrag des Staatsanwaltes und das Urteil des Gerichtes zerreißen; denn sie spricht uns frei.[7]

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Auch gewöhnliche Kriminelle stilisierten sich halt schon immer gerne hoch und stellen sich als ein politisches Opfer einer Staats-Verschwörung gegen sich dar. Nichts Neues für Historiker.

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Nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts ( 1 BvR 2459/19, 1 BvR 2397/19, 1 BvR 1094/19, 1 BvR 362/18 ) hätte es wegen des Freisler-Vergleichs eine strafrechtliche Verurteilung geben müssen. 

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Nein, natürlich nicht. Außerdem: Gibt es Ihnen nicht zu denken, dass der 5. Strafsenat des OLG München mich von dem Vorwurf einer "Beleidigung" des 2. Strafsenats desselben OLG München freigesprochen hat? Können Sie sich die Unterhaltung in der Gerichtskantine des OLG München ausmalen?

 

Die NJW-Vorschau:

Mit Verurteilungen wegen Beleidigung von Justiz- und Amtspersonen sowie Politikern hat sich das BVerfG in vier Beschlüssen befasst, die gleichzeitig veröffentlicht wurden. Wir dokumentieren sie alle in diesem Heft. Prof. Dr. Tobias Gostomzyk unterstreicht in seiner Analyse, dass sie sich ausdrücklich auf Netzkommunikation beziehen. Hier mache das Gericht besondere Verrohungstendenzen bis hin zu Schmähkritiken aus.

Die LTO-Presseschau:

Meinungsfreiheit: Darf man das sagen? Unter diesem Motto stellt die Zeit (Robert Hofmann) mit Unterstützung des Rechtsprofessors Roger Mann 30 Aussagen in ihrem jeweiligen Kontext vor und erklärt, ob und gegebenenfalls warum die Aussagen verboten wurden. So war es etwa der NPD erlaubt mit "Geld für die Oma statt für Sinti und Roma" auf Plakaten zu werben. Xavier Naidoo als Antisemiten zu bezeichnen wurde jedoch vom Oberlandesgericht Nürnberg verboten.

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