Richter streiten - entnervter Polizist - Blutprobenanordnung rechtswidrig - Verwertungsverbot! Und OLG hat richtigerweise Mitleid mit der Polizei!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.09.2016
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht6|16175 Aufrufe

Bei manchen Sachverhalten denkt man: Muss sich jemand ausgedacht haben. So etwas ist hier der Fall: Ein Polizist will eine Blutprobe nehmen. Er ruft den aus seiner Sicht richtigen Richter an. Der sagt: "Bin nicht zuständig, ruf den Kollegen im Nachbarbezirk an!" Der andere Richter hält sich auch nicht für zuständig. Da kann man sich als Polizist schon mal verschaukelt vorkommen. Der jedenfalls ordnet ganz lebensnah wegen Gefahr in Verzuges eine Blutprobenentnahme an. Rechtswidrig.

Am Ende meint das OLG: Die Blutprobe ist unverwertbar!

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Betroffenen.

Die dem Betroffenen entnommene Blutprobe und das daraus resultierende Gutachten waren nicht verwertbar.

Die durch den Polizeibeamten ... angeordnete Blutentnahme war wegen Verstoßes gegen den Richtervorbehalt gemäß § 81 a StPO rechtswidrig. Dieser Verfahrensverstoß führt vorliegend auch zu einem Beweisverwertungsverbot, also zur Unverwertbarkeit des Ergebnisses der Blutuntersuchung.
Zwar hat nicht jeder Verstoß gegen eine Beweiserhebungsvorschrift ein Verwertungsverbot zur Folge. Vielmehr ist diese Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbotes und des Gewichtes des Verstoßes und der Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei bedeutet ein Beweiserhebungsverbot die Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind, die nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt 44. Bd., 243, 249). Ein Beweisverwertungsverbot wird von der Rechtsprechung bei willkürlicher Vornahme einer Maßnahme ohne richterliche Anordnung und damit bewusstem Ignorieren des Richtervorbehalts oder gleichwertiger gröblicher Missachtung angenommen (vgl. BGHSt 51, Bd., 285 ff.).

So ist es hier, wobei es die Gerichte selbst sind, die den Richtervorbehalt wirkungslos gemacht haben.
Nachdem der Polizeibeamte die Richter, die für die Entscheidung in Frage kamen (Richter am Sitz der Verwaltungsbehörde und Richter am Sitz der Staatsanwaltschaft) erreicht hatte, endete seine aus § 81 a Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 OWiG abgeleitete Eilkompetenz. Sie lebte auch nach der Weigerung der angerufenen Richter, sich mit der Sache zu befassen, nicht wieder auf.
Für das Ende der Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden gilt Folgendes:
Haben die Ermittlungspersonen - nach Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalls - das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme von Gefahr in Verzug verneint und eine richterliche Durchsuchungsanordnung beantragt, endet mit der Befassung des Gerichts und der dadurch eröffneten Möglichkeit präventiven Grundrechtsschutzes durch den Richter die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, in dem das Gericht mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung befasst wird. Dies ist der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft dem zuständigen Richter den Antrag tatsächlich unterbreitet hat, so dass dieser in eine erste Sachprüfung eintreten kann.

Auch soweit während des durch den Richter in Anspruch genommenen Entscheidungszeitraums nach dessen Befassung die Gefahr eines Beweismittelverlustes eintritt, etwa weil dieser auf ein mündlich gestelltes Durchsuchungsbegehren hin die Vorlage schriftlicher Antragsunterlagen oder einer Ermittlungsakte fordert, Nachermittlungen anordnet oder schlicht bis zum Eintritt der Gefahr eines Beweismittelverlusts noch nicht entschieden hat, lebt die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nicht wieder auf. Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die richterliche Entscheidung über den Durchsuchungsantrag unterbleibt (BVerfG NJW 2015, 2787 ff).

Die Eilkompetenz lebt auch nicht wieder auf, wenn der mit der Sache befasste Richter eine Entscheidung nicht trifft. Der Annahme einer Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden im Fall des „mutwillig“ nicht entscheidenden Richters steht nämlich der Umstand entgegen, dass der Richter nicht befugt ist, durch den Verzicht auf eine Sachentscheidung über die Gewährung präventiven Grundrechtsschutzes zu disponieren. Er ist, wie alle Gerichte und Behörden, an das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gebot der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege und das Gebot effektiver Strafverfolgung (Art. 20 Abs. III Grundgesetz) gebunden.

Ab dem Zeitpunkt seiner Befassung trägt grundsätzlich allein der Richter die Verantwortung für die Anordnung der Durchsuchung, so dass ihm auch die Abwägung und Entscheidung obliegt, ob und inwieweit durch den von ihm zu verantwortenden Prüfungsvorgang der Ermittlungserfolg gegebenenfalls gefährdet wird (BVerfG a. a. O.)
Zwar betrifft der vorliegende Fall nicht den verfassungsrechtlich, sondern lediglich den in § 81 a Abs. 2 StPO einfachrechtlich angeordneten Richtervorbehalt. Darüber hinaus ist es im vorliegenden Fall so, dass die angerufenen Richter noch nicht in eine Sachprüfung eingetreten waren, sondern schon ihre Zuständigkeit verneint hatten.

Das ändert aber in der Sache nichts:
Ein Richter, der nicht bereit ist, ohne Vorlage der Ermittlungsakte zu entscheiden, verweigert eine zeitnahe Entscheidung ebenso wie derjenige, der sich auf seine fehlende Zuständigkeit beruft. Da zweifellos entweder der Richter am Sitz der Verwaltungsbehörde oder der Richter am Sitz der Staatsanwaltschaft zuständig war, ist das Tätigwerden zumindest durch einen der beiden „mutwillig“ verweigert worden. Insofern besteht kein Unterschied zu den Sachverhalten, die der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lagen.
Zwar ist der präventive Richtervorbehalt bei einer Verneinung der Zuständigkeit ebenso wenig wirksam, wie bei einem nicht erreichbaren Richter (vgl. hierzu: BVerfG 2 BvR 1596/10 u. 2 BvR 2346/10, juris), dennoch können diese Fälle nicht gleichgesetzt werden: Durch die Erreichbarkeit beider Richter war die weitere Entscheidung über die Anordnung der Blutentnahme in die Verantwortung der Gerichte übergegangen und damit den Ermittlungsbehörden entzogen. Wenn die Gerichte der ihnen zukommenden Verantwortung nicht gerecht werden, darf das nicht dazu führen, dass der Richtervorbehalt sanktionslos missachtet werden dürfte.

Aber auch der Umstand, dass hier nur der einfachrechtliche Richtervorbehalt verletzt worden ist, spricht nicht gegen ein Beweisverwertungsgebot.

Es ist nämlich nicht so, dass ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. StPO im nachfolgenden Strafverfahren keine verfassungsrechtliche Bedeutung erlangen kann. Es ist vielmehr zu prüfen, ob die maßgeblichen strafrechtlichen Vorschriften unter Beachtung des Fairnessgrundsatzes und in objektiv vertretbarer Weise, also ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot (Art 3 Abs. 1 GG), ausgelegt und angewandt worden sind (BVerfG 2 BvR 2346/10, juris).
Vor diesem Hintergrund kommt auch nicht deshalb kein Beweiserhebungsverbot in Betracht, weil der Zuständigkeitsstreit zwischen den Amtsgerichten erstmals aufgeflammt wäre und die Verweigerung richterlichen Tätigwerdens nicht systematisch erfolgte, sondern „nur“ bis zu einer Entscheidung des den Amtsgerichten übergeordneten Landgerichtes. Wie sich nämlich aus den Feststellungen des angefochtene Urteils ergibt, hat das Landgericht in der Vergangenheit eine Entscheidung über die Zuständigkeit für derartige Fälle getroffen, ohne dass damit der negative Kompetenzkonflikt beigelegt worden wäre. Damit kommen die Gerichte der ihnen übertragenen Verantwortung in objektiv nicht nachvollziehbarer Art und Weise nicht nach.
Die Schwere des Verstoßes ergibt sich hier also nicht daraus, dass ein Polizeibeamter im Einzelfall die Voraussetzung des Richtervorbehalts verkannt oder nicht geprüft hat, sondern daraus, dass dessen Voraussetzungen aufgrund eines „Fehlers im System“ ungeprüft geblieben sind (OLG Hamm, Beschluss vom 12.03.2009, 3 Ss 31/09, juris).

Auch wenn hier - anders als bei der Entscheidung des OLG Hamm- möglicherweise keine langjährige Praxis vorliegt, liegt der Fehler im System darin, dass sich zwei Gerichte nicht über ihre Zuständigkeit einigen, was die Ermittlungsbehörden dem Dilemma aussetzt, die in der Sache gebotene Ermittlungsmaßnahmen nicht ergreifen zu können. Die Lösung kann allerdings auch nicht darin bestehen, dass durch die Verweigerung der Gerichte eine im Gesetz so nicht vorgesehene Eilzuständigkeit geschaffen wird. In einer Anmerkung von Dencker zur oben genannten Entscheidung des OLG Hamm (DAR 2009, 257, 263) heißt es:

„... Objektive Willkür dagegen liegt jedenfalls dann vor, wenn das zur Gesetzesanwendung berufene „System“ falsch eingestellt ist, also in einer Weise, die ein vom Gesetz abweichendes Vorgehen als den Normalfall vorprogrammiert“.
Der gesetzliche Normalfall ist aber die Entscheidung über die Anordnung einer Blutentnahme durch den Richter und nicht durch die Ermittlungsbehörden. So wäre es aber hier, wenn man -weil zwei Gerichte sich nicht einigen können- eine im Gesetz nicht vorgesehene Zuständigkeit zulassen würde,
Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben. Da es an einer rechtlich zulässigen Grundlage für den Nachweis einer Fahrt des Betroffenen unter Drogeneinfluss fehlt und nicht ersichtlich ist, dass dieser auf andere Weise erlangt werden kann, war der Betroffene durch den Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG freizusprechen. Die Feststellung, dass der Betroffene unter der Wirkung berauschender Mittel im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug geführt hat kann nicht getroffen werden. Eine solche Wirkung liegt nämlich nur vor, wenn eine der in der Anlage zu § 24 a StVG genannten Substanzen im Blut nachgewiesen wird. Dieser Nachweis ist wegen der Unverwertbarkeit der Blutprobe nicht möglich.

Der Senat verkennt nicht, dass diese Konsequenz für die Polizei frustrierend und demotivierend ist, sieht sich aber mit seinen Möglichkeiten nicht in der Lage, an dieser unhaltbaren Situation etwas zu ändern. Denkbar erscheint u. a., dass die zuständige Behörde im Wiederholungsfall versuchen könnte, nach Ablehnung der Anordnung durch das Amtsgericht, eine sofortige Entscheidung der zuständigen Beschwerdekammer zu erreichen.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.06.2016 - 2 Ss OWi 152/16

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6 Kommentare

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So sieht der Rechtsstaat aus! Kein Heckmeck, kein Treu und Glauben, kein Rechtsmissbrauch, keine Gefahr im Verzug, kein Richterkönigtum, sondern judicial self-restraint. Kein Geschwurbel, kein Gedöns, keine Phrasendrescherei. Nur Rechtsstaat. Glückwünsche nach Oldenburg!

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Und da eigentlich immer ein "Fehler im System" vorliegt, wenn gerade kein Richter erreichbar ist bzw entscheiden will  -  denn es ist kaum ein Fall denkbar, der sich durch perfekte Organisation nicht verhindern ließe  - , kann man bei dieser Auslegung die zweite Alternative des § 81a Abs. 2 StPO eigentlich als gestrichen behandeln. Ob das eine sinnvolle Gesetzesinterpretation ist? "Judicial self-restraint" ist es jedenfalls nicht.

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In Oldenburg wird halt Qualität produziert: ein sauberes Urteil, das dabei die Auswirkungen auf die Praxis nicht verkennt und Hinweise an die Beteiligten für den zukünftigen Umgang mit der Thematik.

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@Leser: Das Urteil ist sicher sauber, der zukünftige Umgang mit dieser - vermutlich seltenen Problematik des Zuständigkeitsstreits -  wird aber eher darin bestehen, das Ganze bei richterlicher Entscheidungsverweigerung bleiben zu lassen und nur noch auf präventivpolizeilicher Grundlage den Autoschlüssel wegzunehmen.

Eine richtige Lösung ist der Vorschlag mit der Beschwerdekammer ja auch nicht. Da sind viele Dinge zweifelhaft

- gibt es nach Einführung der Regelungen zu den Rechtsbehelfen bei überlanger Verfahrensdauer überhaupt noch eine Untätigkeitsbeschwerde

- ist die Weigerung des Ermittlungsrichters, in der Sache zu entscheiden, mit der Beschwerde angreifbar

-  selbst wenn: die Polizei hat ja in der Regel dann, wenn Richter prinzipiell verfügbar wären, aber keinen Finger krumm machen wollen, keine Handhabe, den Beschuldigten festzuhalten bis die Beschwerdekammer entscheidet,  das Beweismittel Blutprobe geht also ziemlich sicher verloren

- soweit ich weiß gibt es bei den Landgerichten  nur Bereitschaftsdienste am Wochenende und an Feiertagen, aber nicht einen nächtlichen Bereitschaftsdienst, der zeitlich synchron zum ermittlungsrichterlichen Dienst ist. Bzw. zeitlich ja noch darüber hinaus tätig sein müsste, denn wenn der ermittlungsrichterliche Bereitschaftsdienst um 22 Uhr endet und um 21:50 die Entscheidung abgelehnt/verweigert wird, müsste die Beschwerde ja einigermaßen zeitnah eingelegt und darüber entschieden werden. Da dürfte es zudem mehr oder weniger subtilen Widerstand bei den Landgerichten geben, sowohl was die Einrichtung eines Beschwerdebereitschaftsdienstes angeht als auch die Frage, ob denn die  Kammer (wie ja schon der eine oder andere Ermittlungsrichter) sich auf den Standpunkt stellt, dass sie ohne ausführliche schriftliche Unterlagen und Akte gar nicht derartig schwerwiegende Fragen entscheiden kann.

 

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