Klar, wir übernehmen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.09.2016
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Das AG wollte ein Verfahren ans LG abgeben. Das LG hat die Übernahme aber vergeigt. Es hat nämlich offenbar nicht so genau in § 225a StPO reingeschaut. Darin steht etwas von einem Übernahmebeschluss. Der fehlte hier. Und der BGH hat das dann auch gemerkt...

Das Landgericht hat den Angeklagten L. wegen besonders schweren
Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe
von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung
getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten L. , mit der er
die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Urteils, auch
soweit es die Mitangeklagten R. und N. betrifft.
Die auf die Sachrüge vorgenommene Überprüfung des angefochtenen
Urteils hat ergeben, dass das Landgericht das Verfahren 932 Ls 55/14 jug
Amtsgericht Güstrow nicht wirksam übernommen hat.

1. Nachdem das Amtsgericht Güstrow die alle drei Angeklagte betreffende
Anklage der Staatsanwaltschaft Rostock wegen des Vorwurfs des beson-

ders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung mit Beschluss
vom 9. Oktober 2014 unverändert zugelassen und das Hauptverfahren
eröffnet hatte, hat es das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss
vom 5. November 2014 gemäß § 225a Abs. 1 Satz 1 StPO dem Landgericht
zur Übernahme vorgelegt (VA Bd. II Bl. 144 ff.). Ein Übernahmebeschluss
der Strafkammer in einer von allen mitwirkenden Richtern unterzeichneten
schriftlichen Fassung befindet sich nicht bei den Akten. Allerdings hat der
Vorsitzende der Strafkammer mit Verfügung vom 11. November 2014 angeordnet,
dem Amtsgericht Güstrow, der Staatsanwaltschaft Rostock und den Verteidigern
der Angeklagten mitzuteilen, dass „das Verfahren u. dem Az 12 KLs
264/14-3 hier übernommen wurde“ (VA Bd. II 149R). Mit Beschluss vom selben
Tag hat die Strafkammer zudem einen - noch an das Amtsgericht Güstrow gerichteten
- Antrag der Staatsanwaltschaft Rostock auf Außervollzugsetzung des
Haftbefehls gegen den Mitangeklagten N. zurückgewiesen.

2. Es besteht ein von Amts wegen zu beachtendes (vgl. BGH, Beschluss
vom 28. Juni 2011 - 3 StR 164/11, NStZ 2012, 46; vgl. auch Senat, Beschluss
vom 25. Mai 2011 - 2 StR 106/11; Deiters/Albrecht in: SK-StPO, 5. Aufl., § 225a
Rn. 30) Verfahrenshindernis, weil es an einem wirksamen Übernahmebeschluss
fehlt.
Die Form des Übernahmebeschlusses, der den Eröffnungsbeschluss insoweit
abändert, als er die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts abweichend
von diesem regelt (§ 207 Abs. 1 StPO im Verhältnis zu § 225a Abs. 3
Satz 1 StPO), und seine Anfechtbarkeit richten sich nach den für den Eröffnungsbeschluss
geltenden Bestimmungen (§ 225a Abs. 3 Sätze 2 und 3 StPO).
Ein ordnungsgemäßer Eröffnungsbeschluss muss schriftlich abgefasst werden
(vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13, NStZ 2014, 400,
401; Beschluss vom 3. April 2012 - 2 StR 46/12, NStZ 2012, 583, jew. mwN);

hingegen ist die Unterzeichnung eines solchen Beschlusses durch den oder die
erlassenden Richter keine Wirksamkeitsvoraussetzung (vgl. auch BGH, Beschluss
vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13, NStZ 2014, 400 f. mwN). Dies
gilt auch für den Übernahmebeschluss (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2015
- 4 StR 603/14, NStZ-RR 2015, 250, 251 mwN). An einem schriftlich abgefassten
Übernahmebeschluss fehlt es indes hier.
Die Vorsitzendenverfügung vom 11. November 2014 stellt - unbeschadet
der äußeren Form und der fehlenden Unterschriften der beteiligten Richter -
keine hinreichend deutliche schriftliche Dokumentation des Willens der Strafkammer
dar, das Verfahren zu übernehmen. Im Hinblick auf die Bedeutung des
Übernahmebeschlusses als Grundlage des Hauptverfahrens und aus Gründen
der Rechtssicherheit (vgl. auch BT-Drucks. 8/976, S. 49) ist eine schriftliche
Niederlegung der - ggfls. mit Änderungen versehenen - Entscheidung erforderlich.
Weder aus der Vorsitzendenverfügung vom 11. November 2014 noch aus
oder in Verbindung mit dem am selben Tage gefassten, von allen drei mitwirkenden
Richtern unterzeichneten Beschluss der Strafkammer betreffend den
Antrag auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Mitangeklagten
N. lässt sich dieses entnehmen.
Auf der Grundlage der dienstlichen Erklärungen der drei Berufsrichter
steht zwar im Raum, dass die Strafkammer durch diese drei Richter und damit
in ordnungsgemäßer Besetzung die Übernahme des Verfahrens beschlossen
und lediglich die schriftliche Abfassung dieser Entscheidung versäumt hatte. Ein
solches Verfahren ersetzt jedoch nicht einen ordnungsmäßigen Übernahmebeschluss,
zu dessen wesentlichen Förmlichkeiten jedenfalls die schriftliche Abfassung
durch die mitwirkenden Richter gehört.

3. Die Aufhebung des Urteils ist gemäß § 357 StPO auf die Mitangeklagten
zu erstrecken. Diese Vorschrift ist auch dann anzuwenden, wenn ein Urteil
wegen Fehlens einer von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung
aufgehoben wird (vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Januar 1986 - 1 StR
646/85, NStZ 1986, 275, 276 mwN).
4. Der Senat verweist die Sache an eine andere als Jugendkammer zuständige
Strafkammer des Landgerichts zurück. Zwar ist das Verfahren bei dem
Amtsgericht - Schöffengericht - Güstrow anhängig geblieben. Dieses Gericht
hat aber nicht nur das Hauptverfahren eröffnet, sondern die Sache auch wirksam
gemäß § 225a Abs. 1 Hs. 1 StPO dem Landgericht zur Übernahme vorgelegt.
In diesem Stadium befindet sich das Verfahren erneut nach der Aufhebung
des Urteils durch den Senat. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer
(§ 354 Abs. 2 StPO) wird daher zunächst gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2
StPO über die Übernahme der Sache zu befinden haben (vgl. BGH, Urteil vom
23. April 2015 - 4 StR 603/14, NStZ-RR 2015, 250, 251).

 BGH, Beschluss vom 14.7.2016 - 2 StR 514/15 

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Das Strafverfahrensrecht führt leider immer wieder zu unerträglichen Ergebnissen. Als zivilistisch geprägter Jurist hat man schon gar kein Verständnis für so viel nackten Formalismus ohne jeden Sinn und Verstand.

 

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