Mindestlohn und Ehrenamt: Unbestimmte Rechtsbegriffe – oder: wie lügt der Staatsmann nicht?

von Prof. Dr. Claus Koss, veröffentlicht am 27.09.2016
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Es kommt auf die Formulierung an – niemand weiß das besser als Juristen. Legendär ist beispielsweise die Formulierung des gelernten Rechtsanwalts, ehemaligen Präsidenten und möglichen Präsidentengattens, Bill Clinton: „I did not have sexual relations with that woman…“ Zwar wurde ihm in Zusammenhang mit dieser Aussage seine Anwaltslizenz entzogen, aber es war kein Meineid. Zwar nicht justiziabel, aber eine Spielart um die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe erleben wir gerade in Deutschland. Der Deutsche Fußballbund (DFB) und Franz Beckenbauer haben immer beteuert, Beckenbauer habe das Organisations-Komitee der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ehrenamtlich geleitet. Jetzt ist der Tagespresse und dem Internet zu entnehmen: Der Kaiser bekam 5,5 Millionen Euro – und hätte die Einnahmen erst versteuert, als diese durch eine Betriebsprüfung aufgedeckt wurden. Hat der gerade 71 Jahre alt gewordene Ehrenpräsident des FC Bayern München (Geburtsdatum: 11. September 1945) und Mannschaftskapitän des Fußball-Weltmeisters 1974 gelogen? Klares Nein! Denn als Chef des Organisationskomitees war Franz Beckenbauer – so die nie widerlegte Beteuerung – immer ehrenamtlich tätig. Der in fünf Raten zwischen Februar 2005 und Oktober 2006 ausgezahlte Betrag von 5,5 Millionen Euro seien, so die Bestätigung aus der DFB-Zentrale, ein anteiliges Werbehonorar aus dem Sponsoringvertrag mit dem Wettanbieter Oddset. Der Kaiser hätte damit nicht einmal Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro/Stunde gehabt, selbst wenn der Zeitraum des Sommermärchens in den zeitlichen Anwendungsraum des Mindestlohngesetzes gefallen wäre!

§ 22 Abs. 3 Mindestlohngesetz (MiLoG) definiert: „Von diesem Gesetz nicht geregelt wird die Vergütung von … ehrenamtlich Tätigen.“ Nur: wer ist ‚ehrenamtlich tätig‘? Nun könnte man die Auslegung und die Wortklauberei klugen Zeitschriftenaufsätzen und künftigen Dissertationen überlassen – wenn die Abgrenzung nicht gravierende Konsequenzen hätte! 12,96 Millionen Menschen in Deutschland sind ehrenamtlich tätig, rund ein Drittel der Berufstätigen üben neben noch ein Ehrenamt aus. Barkow von Creytz/Rittweger/Zieglmeier (DStR-Beihefter 2015, 75) beschreiben zutreffend das Beitragsrisiko in der gesetzlichen Sozialversicherung. Für die Beitragspflicht zählt alleine das Entstehungsprinzip (§ 22 SGB IV). Das bedeutet: jeder Verein, jede Stiftung, die einem nach eigener Einschätzung Ehrenamtlichen nur beispielsweise 4,50 Euro die Stunde Aufwandsentschädigung zahlt, haftet für die Sozialversicherungsbeiträge auf die Differenz zu 8,50 Euro seit 1. Januar 2015 bis zu vier Jahre rückwirkend – wenn, ja wenn der Außenprüfer der Rentenversicherung den Ehrenamtlichen nicht als Ehrenamtlichen, sondern als ‚normalen Arbeitnehmer‘ einschätzt. Den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und des Deutschen Fußballbundes (DFB) war das Thema so wichtig, dass sie mit der federführenden Ministerin für Arbeit und Soziales sogar in der Tagesschau auftraten. Es geht um Tausende Trainer und Spieler.

Also zurück zur Ausgangsfrage: Wie ist der unbestimmte Rechtsbegriff ‚ehrenamtlich Tätiger‘ auszulegen? Die Prüfer der Deutschen Rentenversicherung Bund als größter Rentenversicherungsträger wissen es selber noch nicht. „Wir schwärmen jetzt erst einmal aus und sammeln Praxiserfahrung“, heißt es aus informierten Kreisen. Dann, so steht zu befürchten, kommen die Nachzahlungsbescheide. Die Befürchtungen haben sich Anfang 2015 bereits in Realitäten umgewandelt: mancher Verein schloss seine Hütten und Angebote. Begründung: der Mindestlohn ist nicht refinanzierbar und die Gefahr der Haftung zu hoch.

Für ein Werk der Praktikerliteratur („Mindestlohn bei gemeinnützigen Organisationen“, Kompaktwissen Lohn und Personal, Nürnberg: DATEV eG, Juli 2015) hat der Verfasser einmal gesammelt, was es da so an Definitionen des "Ehrenamtlichen" gab. Jeder Einführungsaufsatz aus der Fachliteratur und vier Gesetze kamen mit einer möglichen Definition des Ehrenamtes daher – nur die Gesetzesbegründung zu § 22 Abs. 3 MiLoG war beredt nichtssagend, Zitat:

„Absatz 3 hat klarstellenden Charakter. Die dort genannten Personen werden bereits statusrechtlich nicht in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt. Nicht geregelt wird die Vergütung von  zu  ihrer Berufsausbildung  Beschäftigten sowie ehrenamtlich Tätigen.  Hierzu  zählen auch Personen, die einen freiwilligen Dienst im Sinne des § 32 Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe d des Einkommens[sic!]steuergesetzes leisten.“ (Tarifautonomiestärkungsgesetz-RegE, zu § 22 Abs. 3 MiLoG, S. 51).

Wenn in einem Jahressteuergesetz der „klarstellende Charakter“ zur Begründung angeführt wird, weiß der sachkundige Leser: hier korrigiert der Fiskus eine missliebige höchstrichterliche Entscheidung. Der zweite Satz ist falsch. Denn der Status „Arbeitnehmer“ hat nichts mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit zu tun. Satz 3 ist die bloße Wiederholung des Gesetzeswortlautes. Die ‚Krönung‘ ist jedoch der Tippfehler im letzten Satz: Das Einkommensteuergesetz schreibt sich ohne Fugen-S.

Warum, so fragt sich der Anwender, macht es der Gesetzgeber dem Anwender ohne Not so schwer? Ein paar Paragraphen weiter vorne im Einkommensteuergesetz ist eine in der Praxis bewährte Definition von ehrenamtlicher Tätigkeit: der Übungsleiter– (§ 3 Nr. 26 EStG) bzw. der ‚Ehrenamts’freibetrag (§ 3 Nr. 26a EStG).

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