"Mit Worten läßt sich trefflich streiten"

von Prof. Dr. Claus Koss, veröffentlicht am 11.10.2016

Wer die Begriffe "Eigentum" und "Besitz" verwechselt, outet sich als Laie in der deutschen Juristerei. Der englische Begriff "ownership" hingegen folgt einer anderen Dogmatik. Treffen dann zwei Rechtssysteme in zwei unterschiedlichen Sprachen aufeinander, sind Reibungsverluste vorprogrammiert - manchmal auch bewusst in Kauf genommen.

Art. 8.27 Abs. 4 des Comprehensive Economic and Trade Agreement, kurz CETA, definiert die Qualifikation der Mitglieder für die in der Öffentlichkeit besonders umstrittenen Schiedsgerichte im Englischen als "jurists of recognized competence". In der von der EU-Kommission veröffentlichten deutschen Fassung wird die Qualifikationsanforderung gesteigert auf "Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung" [Quelle: Liebrich, "Kuriose Wortspiele im Ceta-Vertrag", Süddeutsche Zeitung, Jg. 72, Nr. 231 HBG (6.10.2016), S. 17]. Nun mag der juristisch vorgebildete Leser sich gleich über die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wundern. In der deutschen Übersetzung steht aber etwas, was nicht im englischen Original steht. Damit ist ein wunderbares Streitfeld eröffnet, z.B.: reicht für die Tätigkeit im Schiedsgericht ein Diplom als Wirtschaftsjurist aus, muss es ein Prädikatsexamen sein, oder genügt eine entsprechende Publikationstätigkeit? Warum, so fragt sich der Betrachter, hätten es die Vertragsparteien nicht beim ersten Halbsatz in Art. 8.27 Abs. 4 CETA belassen können? Dort heißt es zur Qualifikation "Die Mitglieder des Gerichts müssen die in ihren jeweiligen Ländern zur Ausübung des Richteramts erforderlichen Qualifikation besitzen ..." (a.a.O., Hervorhebung durch Verf.) Damit wäre etwas klar und eindeutig geregelt.

Bei der Übersetzung des CETA-Abkommens unterstellt die Tagespresse noch politischen Vorsatz bei der Übersetzung, bei der amtlichen Übersetzung der von der EU gebilligten Standards zur Rechnungslegung (kurz: EU-IFRS) ist die Unkenntnis der Fachbegriffe evident.
Im maßgeblichen englischen Original wird beispielsweise der Fachbegriff "recognition" verwendet (vgl. z.B. Conceptual Framework, Tz. 82) - amtliche EU-Übersetzung: "Erfassung". Es erschließt sich dem Buchhalter nicht, warum die EU-Übersetzer nicht den (richtigen und eingeführten) Fachbegriff "Ansatz" aus dem HGB verwendet haben? Vollens verwunderlich wird die mangelnde Sachkenntnis beim Blick in die Standards selber. In IAS 38, Tz. 18, zu den immateriellen Vermögenswerten wird "recognition" im Text selber mit "Ansatz" übersetzt, in der Überschrift ist dagegen von der "Erfassung" die Rede.

Diese offensichtlich inkonsistente Begrifflichkeit mag man noch als rein akademisch abtun. Ein paar Absätze weiter oben (IAS 38, Tz. 13) geht es um die materielle Frage der Aktivierungspflicht von immateriellen Vermögenswerten. Nach dem englischen Original muss das bilanzierende Unternehmen "Control" über den Vermögenswert ausüben, in der amtlichen Übersetzung muss es "Beherrschung" ausüben (so die Überschrift vor IAS 38, Tz. 13) oder "Verfügungsgewalt" (in IAS 38, Tz. 13) haben.
Ein Beispiel aus der Praxis des Verfassers: ein wirtschaftliches klammes Unternehmen wollte die Bank von seiner Kreditwürdigkeit mit einem freiwillig aufgestellten IFRS-Abschluss überzeugen. Wesentlicher Vermögenswert war ein (noch nicht eingetragenes) Geschmacksmuster für ein technisches Gerät. Wenn "Control" im Sinne von "Kontrolle" ausreicht, ist die Aktivierung, ggfs. die Bewertung mit dem beizulegenden Zeitwert, zulässig. Wenn es sich aber um eine "Verfügungsgewalt" handelt, ließe sich darüber streiten (da noch nicht eingetragen). Der Unterschied zwischen beiden Interpretation lag in einer Erhöhung des Eigenkapitals um einen einstelligen Millionenbetrag.

Goethe wusste, wovon er dichtete, als er den Mephisto zum Schüler im Studierzimmer sagen lässt:

"Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben"

Goethe war (auch) Jurist.

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4 Kommentare

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Das Problem offensichtlicher Falschübersetzungen zeigt sich auch in anderen Bereichen, etwa bei der Datenschutz-Grundverordnung. Dort tauchte beispielsweise in der deutschen Übersetzung ein Schriftformerfordernis auf, wo es im Original nicht enthalten war. Auch die Fehlübersetzung "verantwortlich" im Abschnitt 3 des TMG geht letztlich auf eine falsche Übertragung der Begriffgruppe "responsibility" schon im zugrundeliegenden Richtlinientext zurück und hat erhebliche Auswirkungen in der Rechtspraxis; richtig hätte nicht von "Verantwortlichkeit" sondern von "Haftung" gesprochen werden müssen, wobei es auch der deutsche Gesetzgeber versäumt hat, diesen Fehler zu berichtigen. Aus meiner Sicht liegt das Problem in vielen Fällen daran, daß die Übersetzer eigentlich die Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten kennen müßten, in deren Sprachen sie übersetzen, und daß sie dann auch noch in der Lage sein müßten, den zu übersetzenden Richtlinien- oder Verordnungstext bestehenden Rechtsbegriffen und Rechtsinstituten zuzuordnen oder zu erkennen, daß es solche nicht gibt, und daß daher bislang noch nicht gebräuchliche Begriffe einzuführen sind. Ein einfacher Übersetzungsspeicher, selbst wenn er Anwendungsgebiete für Begriffe unterscheidet, genügt dafür nicht, da der Übersetzer die Auswahl treffen muß. Auch ein Übersetzer, der nicht Jurist ist, oder der nicht zur Textkorrektur auf einen Juristen zurückgreifen kann, kann das nicht leisten.

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Sehr geehrter Herr Stamm, als (Voll-)Jurist und Übersetzer kann ich Ihrer Einschätzung nur aus ganzem Herzen zustimmen!

Mit dieser Problematik habe ich mich eingehend auseinandergesetzt (siehe www.ass-jur-sven-ringhof.de) und schließe mich deshalb Ihrem Kommentar und den Aussagen von Herrn Prof. Dr. Koss voll und ganz an: Die Übersetzung von Rechtstexten erfordert viel mehr als eine bloße, womöglich gar unreflektiert wörtliche Übersetzung.

 

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Vielen Dank für die Hinweise auf andere Rechtsgebiete. Ich kenne es von den großen Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften so, dass diese eine doppelte Qualitätssicherung (sprachlich und inhaltlich) haben. Aber vermutlich hätten Ungenauigkeiten gravierende finanzielle Folgen - sodass die Qualitätssicherung billiger ist.

Bei ungenauen Übersetzungen von Normen erfolgt die Qualitätskontrolle wahrscheinlich nur über die Rechtsprechung - und damit trägt die Allgemeinheit einen großen Teil der Kosten.

Ein weiteres Beispiel für vermeidbare wie folgenschwere Übersetzungsfehler:

§ 474 spricht von Verbrauchsgütergeschäften. Ein Verbrauchsgut ist dem Sprachgebrauch nach ein Gut, das man verbraucht, bspw. Radiergummis, Toilettenpapier oder Schmieröl.

Gemeint waren aber "consumer goods", also Güter für Verbraucher, nicht zum Verbrauch. Ein Diamantring ist kein Verbrauchsgut, aber "consumer good" - so etwas ist für den privaten Gebrauch bestimmt, nicht für gewerbliche Zwecke. Die Überschrift der Norm suggeriert nun leider, dass sie dafür nicht anwendbar sei, was sie aber durchaus ist.

Jedenfalls während meines Studiums sind erhebliche Zahlen von Mitstudenten darauf hereingefallen und haben einen Schutz von Verbrauchern abgelehnt, weil sie vielleicht Verbraucher waren, aber "dauerhafte" Güter erworben haben. Dem sogenannten einfachen Bürger mag das noch leichter passieren, und mich würde nicht wundern, wenn wir auch ein paar Rechtsanwälte und Amtsrichter finden, die diesen Übersetzungsfehler nicht erkennen. So kann man Verbraucherschutz (bewusst oder unbewusst) auch torpedieren...

Die von Ihnen beim CETA aufgezeigten Unklarheiten und blanken Fehler mögen aber noch größere Tragweite entfalten. Dass bei einem so kontroversen Thema so unsauber gearbeitet wird, enttäuscht.

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