BGH: Mutterschutz ist Mutterschutz. Auch bei großer Strafkammer. Basta!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 07.11.2016
Rechtsgebiete: Strafrecht31|8289 Aufrufe

Nur ein kurzer Hinweis auf eine BGH-Entscheidung vom heutigen Tage. Da war eine Richterin des Spruchkörpers schwanger, was ja durchaus erfreulich ist. Die Schwangerschaft dauerte auch während der Hauptverhandlung an. Über Weihnachten war die HV unterbrochen. Vom 20.12.2013 bis zum 03.01.2014. Und in der Zeit gebar die Richterin ein Kind. Sie arbeitete also auch während des Mutterschutzes. Klar: Das Verfahren sollte ja auch weiterlaufen und nicht neu begonnen werden. Insgesamt dauerte es nämlich 20 Monate. Eine neue Verhandlung hätte viel bereits geleistete Arbeit vernichtet. Jetzt ist das Urteil vom BGH gekippt worden. Das Gericht war nämlich nach Ansicht des BGH falsch besetzt. Mutterschutz ist eben Mutterschutz und steht nicht zur Disposition. Ich meine: Gut so! Oder?! 

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31 Kommentare

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Dass es so gar nicht darauf ankommen soll, ob die Teleologie des Beschäftigungsverbots nach dem MuSchG etwas mit der des "gesetzlichen Richters" zu tun hat, irritiert dann aber doch. Oder?!

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Die Entscheidung ist völlig richtig. Aber warum hat die Kammer nicht nach § 229 Abs. 3 StPO die Hemmung festgestellt?

Dazu auch zwei Links (FAZ und juris):
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/richterin-in-darmstadt-...
https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?cmsuri=/juris/de/na...
(Zitat juris: "Die Verteidiger erhoben einen Besetzungseinwand, den die Strafkammer durch Beschluss zurückwies. Sie erklärte, dass die Besetzung des Gerichts ordnungsgemäß sei.")

Okay, da scheint irgendwas technisch bei LTO zu klemmen, jedenfalls findet sich auf LTO ebenfalls ein sehr interessanter Artikel zu diesem Thema.

Ich halte die Entscheidung für richtig. Wenn § 6 Abs. 1 MuSchG ein allgemeines Beschäftigungsverbot enthält, dann betrifft das auch die Beschäftigung als Richterin. Die Ansicht Strafkammer, der Richterin stehe aufgrund ihrer Unabhängigkeit die Ausübung des Richteramts in der Zeit des gesetzlichen Mutterschutzes frei, ist mit dem Verbot nicht vereinbar. Das Gericht ist mit einer Richterin besetzt, der die Ausübung des Richteramtes verboten ist, also falsch besetzt. Die "Teleologie des Beschäftigungsverbots", nämlich das allgemeine Beschäftigungsverbot, besagt nichts anderes.

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Aber warum hat die Kammer nicht nach § 229 Abs. 3 StPO die Hemmung festgestellt?

Schwangerschaft ist keine Krankheit. Schwangerschaft ist ein natürlicher und kein krankhafter Zustand.

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Na, ich hätte aber in jedem Falle die Vorschrift mutig entsprechend angewendet, bevor ich mich auf das dünne Eis des Verstoßes gegen das MuschG begeben hätte. Siehe auch BGH 3 StR 544/15 für den ungekehrten Fall (dort wurde der Ergänzungsrichter pflichtwidrig eingesetzt, anstatt auf die schwangere Richterin "zu warten").

Na, ich hätte aber in jedem Falle die Vorschrift mutig entsprechend angewendet

Das wäre nicht "mutig", sondern falsch.  § 229 Abs. 3 StPO ist nämlich ausdrücklich auf "Krankheit" beschränkt, wobei der Gesetzgeber durchaus auch die "analogen" Zustände "Krankheit oder Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse" kennt, die er zwar in § 223 Abs. 1 StPO normiert hat, aber offensichtlich bewußt nicht in § 229 Abs. 3 StPO, was zeigt, dass hier die "analogen anderen Umstände" nicht gemeint und damit ausgeschlossen sind.

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Haben Sie die verlinkte BGH-Entscheidung BGH 3 StR 544/15 gelesen? Dort scheint man zumindest davon auszugehen, dass es auch in der Schwangerschaft Zustände geben kann, die man unter § 229 Abs. 3 StPO fassen kann.

Ich zitiere:

Zu Beginn des 15. Verhandlungstages am 30.Juni 2015 teilte der Vorsitzende mit, dass eine beisitzende Richterin an der weiteren Mitwirkung in der Hauptverhandlung verhindert sei, weil ihr wegen einer Komplikation bei ihrer Schwangerschaft aus medizinischen Gründen zunächst für die Dauer von zwei Wochen ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen worden und ungewiss sei, ob sie danach wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werde; deshalb sei der Ergänzungsrichter eingetreten. [...]

Die Angeklagten beanstanden zu Recht, dass das erkennende Gericht seit dem 30. Juni 2015 nicht mehr vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei. Denn die Voraussetzungen für den Eintritt des Ergänzungsrichters nach § 192 Abs. 2 GVG waren nicht erfüllt. [...]

Danach waren die Voraussetzungen für die Feststellung des Verhinderungsfalls und den Eintritt des Ergänzungsrichters hier nicht erfüllt. Die beisitzende Richterin war zwar aufgrund des Beschäftigungsverbots aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert, am 30. Juni 2015 zur Hauptverhandlung zu erscheinen. Das Beschäftigungsverbot galt aber zunächst nur für die Dauer von zwei Wochen und es stand nicht fest, dass die Richterin auch nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung nicht mehr an der Hauptverhandlung würde teilnehmen können. Durch die Entscheidung des Vorsitzenden, die beisitzende Richterin für verhindert zu erklären und die Hauptverhandlung sogleich mit dem Ergänzungsrichter fortzusetzen, sind die Beschwerdeführer mithin ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden (§ 338 Nr. 1 StPO).

Zugegeben, die Problematik "Ist die Schwangerschaft eine Krankheit?" wird dort nicht gesehen, aber immerhin das medizinisch begründete Beschäftigungsverbot mit der Krankheit gleichgesetzt, was mit dem Mutterschutzfall ziemlich gut vergleichbar sein dürfte.

In der Sache sind wir uns übrigens einig: Auch ich sehe die Schwangerschaft nicht als Krankheit. Das hindert aber mE eben gerade nicht, sie als Verhinderungsgrund nach § 229 Abs. 3 StPO zu behandeln.

Die "Komplikation bei ihrer Schwangerschaft" ist natürlich selbstverständlich eine "Krankheit", aber nicht die normale (komplikationslose) Schwangerschaft. Da sehe ich keinerlei Widerspruch. So ist z. B. auch das "Wandern" keine Krankheit, aber der Beinbruch beim Wandern und auch der Alkohol ist keine Krankheit, wohl aber die Komplikation "Leberzirrhose".

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Schwangerschaft ließe sich durchaus unter dem Begriff der Krankheit subsumieren - an dieser Stelle in der Strafprozessordnung! Krankheit ist kein abschließend definierbarer Begriff, die Frage, ob etwas krank ist, oder nicht, ist, man mag es kaum für möglich halten, eine Rechtsfrage. Einen abstrakten Krankheitsbegriff gibt es nicht, die Rechtsgebiete definieren Krankheit an jeder Stelle anders, immer auf bestimmte Tätigkeiten, Fähigkeiten, Zustände oder Rechtsverhältnisse bezogen.

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Selbst dann: Mutterschutz läuft 2 Monate. Hemmung kann auch bei Krankheit maximal 6 Wochen lang eintreten. Hilft auch nicht.

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Sie müssen anders rechnen: Die 6 Wochen des § 229 Abs. 3 StPO und die 3 Wochen des § 229 Abs. 1 StPO ergeben zusammen 9 Wochen (siehe § 229 Abs. 3 letzter Halbsatz). Wenn Sie also kurz vor dem Beginn des Mutterschutzes verhandeln, kann es bis danach reichen.

Was ist nun die Moral dieser Geschichte, werden sich viele Nicht-Juristen draußen "in diesem, unserem Lande" nun womöglich fragen, die sich nicht mit den prozessualen Finessen auskennen und sich auch  damit nicht noch lange befassen wollen.
Da hat einmal eine Juristin und Richterin einen ganz ungewöhnlichen Arbeitseifer gezeigt, und schon war es wieder nicht recht, so könnte das doch vermutlich auch aufgefaßt werden.

Wie der "Normalbürger" die Arbeit mancher (oder vieler?)  Juristen sieht, das hat mal jemand sarkastisch oder satirisch so dargestellt:

"Ganz am Anfang wird als allererstes Sieb die eigene Zuständigkeit geprüft und danach auch gleich ausgesiebt, was nicht fristgerecht eingeht.
Dann wird ausgesiebt, was nicht den Formalitäten entspricht.
Und dann kann fast jede Kritik immer auch als unbegründet noch verworfen werden.
Eine besondere Eile bei der Bearbeitung danach muß auch nicht immer an den Tag gelegt werden.
Ganz am Ende erst kommt vielleicht dann etwas beim Bürger als Reaktion an, falls man es erlebt, oder die Verjährung noch nicht eingesetzt hat.
Was dann vielleicht doch noch kommt, das kann auch noch sehr dünn sein: "man habe ja nicht anders handeln können", oder "man habe keinen eigenen Ermessenspielraum gehabt". Oder es wird nur auf einen winzigen Teilaspekt der Kritik eingegangen, und nur das gänzlich Unübersehbare / Unvermeidbare wird eingeräumt, eine z.B. Marginalität wird auch schon mal eingeräumt, das Wesentliche der Kritik aber weiter hartnäckig ignoriert.
Als Ausweg bietet sich auch immer ein kleines Allgemeinplätzchen an wie: "man werde der Sache nachgehen."

"Nemo tenetur" ........ laborare.  (Wie es der Lateiner sagt im Juristen.)

(Warum sich mit Arbeit belasten, wenn es auch anders geht.)

Das Verfahren hat sich bewährt."

Jedenfalls regt das doch m.E. vielleicht zu einem Blick in den Spiegel an .......

Nach einem Bericht in der Süddeutschen Zeitung heutigen Datums soll der Senatsvorsitzende Fischer bei der Urteilsverkündung dem Gesetzgeber mitgegeben haben, die zwingende Rechtslage zu überprüfen und ggf. zu ändern.

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Die Entscheidung ist, wenn man sie konsequent durchdenkt und auf andere Berufe überträgt, absurd.

Darf eine Anwaltskanzlei dann auch die Arbeit einer eigentlich im Mutterschutz befindlichen Anwältin gar nicht abrechnen, wenn sie sie dennoch eingesetzt hat? Ist eine dennoch erfolgte Abrechnung strafbar als (versuchter oder vollendeter) Betrug?

Ist die Beurkundung einer Erbschaftsausschlagung durch eine schwangere Rechtspflegerin, die eigentlich im Mutterschutz sein müsste unwirksam?

Hindert der Einsatz einer MuSchG-pflichtigen Ärztin die Abrechnung nach GOÄ, die einer Architektin eine Abrechnung nach HOAI? 

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Sie haben ja mit Ihren unangenehmen Fragen völlig Recht. Auf Anhieb fallen mir zwei mögliche methodische Instrumente ein, um den Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes einzugrenzen: Das sind die Instrumente

"Schutzbereich der verletzten Norm" und

"Prozessuale Überholung", vulgo: Was geschehen ist, ist geschehen.

Mit diesen beiden Instrumenten sollten die von Ihnen geschilderten Fallgestaltungen in Griff zu kriegen sein. Und nein, ich habe allerdings auch keine Antwort auf Ihre Frage, warum diese beiden Instrumente nicht auch auf die vom BGH entschiedene Fallgestaltung Anwendung finden sollten.

 

 

Vielleicht sollte ich noch nachschieben,  dass es bei dieser Diskussion offenbar einen arbeitsrechtlichen "Frontverlauf" gibt, den ich allerdings nicht kenne. Ich bin auch kein Arbeitsrechtler, geschwege denn einer der Kombattanten, die hier hauptsächlich die konträren Positionen vertreten.

Das sind interessante theoretische Fragen, die aber - außerhalb des gegenständlichen Falles - kaum virulent werden dürften, da zum einen das Beschäftigungsverbot für selbstständige Berufe nicht gilt und zum anderen im Bereich abhängiger Beschäftigung wohl strikt beachtet wird. Ich schlage vor, die Urteilsbegründung abzuwarten, um zu sehen, welche Gedanken sich der BGH zu seiner strengen Linie gemacht hat. In dem ähnlichen Fall des Schwarzarbeitsverbots fährt der BGH übrigens neuerdings auch eine sehr strenge Linie und fordert eine "strikte Anwendung" dieser Vorschrift (BGH , U. v. 11.06.2015 - VII ZR 216/14).

Inzwischen habe ich die Sache einer altgedienten Betriebsrätin geschildert, einfach um einen anderen Blickwinkel auf das Thema kennenzulernen.  Von der altgedienten Betriebsrätin kam im wesentlichen der Leitsatz: "Der Mutterschutz ist heilig." Aus arbeitsrechtlicher Sicht besteht vor allem die Befürchtung, einen Präzedenzfall zur Aufweichung des Arbeitsschutzrechts zu schaffen. So ärgerlich das Ergebnis sein mag, aber es scheint tatsächlich der Gedanke "Einheit der Rechtsordnung" entscheidend zu sein. Auf diese Weise müssen es sich eben Strafrechtler gefallen lassen, mit Erwägungen aus dem Arbeitsschutzrecht behelligt zu werden.   

@Dr. Rübenach:

Ich hätte wohl klarstellend schreiben sollen: angestellte Anwältin; natürlich können Freiberufler machen was sie wollen.
 Dass Sie so optimistisch sind, was die Einhaltung des MuSchG angeht, wundert mich angesichts Ihres ansonsten durchaus vorhandenen Misstrauens gegen die Gesetzestreue von manchen Arbeitgebern im Hinblick auf das AGG etwas. Hinzu kommt, dass das Beschäftigungsverbot (anders als das Kündigungsverbot)  ungeachtet der Kenntnis des Arbeitgebers eintritt; sollte also eine Schwangerschaft aus welchen Gründen auch immer nicht bemerkt oder verheimlicht worden sein, stünde man vor demselben Problem.

Ob in einigen Großkanzleien für die angestellten Anwälte die ArbeitszeitVO tatsächlich eingehalten wird, soll ja auch zweifelhaft sein.

Von daher : ja, die absolute  Zahl der Fälle , in denen man sich nicht an das MuSchG hält, dürfte wohl  gering sein.  aber es gab ja auch den lieben Kollegen in Berlin , der das nicht so richtig einsehen wollte ( ArbG Berlin, Urteil v. 13.05.2015, Az.: 28 Ca 18485/14).

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Dass Sie so optimistisch sind, was die Einhaltung des MuSchG angeht, wundert mich angesichts Ihres ansonsten durchaus vorhandenen Misstrauens gegen die Gesetzestreue von manchen Arbeitgebern im Hinblick auf das AGG etwas.

Wie schön, dass Sie doch immer wieder die Kurve kriegen und eine weitere Gelegenheit finden, mir eins auszuwischen. Im Bereich des MuSchG sehe ich wirklich kaum Verstöße, im Bereich des (offenbar von interessierter Seite gesteuerten) AGG aber sehr wohl, wie Sie wissen. Sie könnten ja den Herrn Kollegen Strafverteidiger, der sich hier als Revisionsführer betätigt hat, als rechtsmißbräuchlichen "MuSchG-Hopper" denunzieren, weil es ihm eigentlich nicht ernsthaft um die Mutterschaft der Richterin ging und er sich im Grunde nur eine "neue Revisionsquelle" erschließen wollte. Wie wäre das? :-)

Man könnte natürlich auch das Kriegsbeil begraben und die Friedenspfeife rauchen, jetzt, wo sich der Pulverdampf dank des Grundsatzes "roma locuta, causa finita" zu verziehen beginnt...

Sehr geehrter Herr Dr. Johannes Rübenach,

Frauen im Richteramt bleiben eben Frauen, sind also rein biologisch nicht so (um im Bilde des "Pulverdampfs", des "Kriegsbeils" und der "Friedenspfeife" von Dr. J. Rübenach zu bleiben) "kriegsverwendungsfähig" wie Männer.

Wollten Sie uns das also damit zum Schluß sagen?

Freundlich fragt und grüßt nach Regensburg

(mit einem kleinen Schmunzeln)

(Günter) Rudolphi

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Und heute sind zwei Entscheidungen zum Az 2 StR 9/15 beim BGH im Volltext eingestellt, das MuSchG- Urteil  hat es immerhin zum Leitsatz geschafft.
Bemerkenswert ist, dass über die Anfang 2015 eingegangene  Revision (9/15) gegen ein Urteil vom 11.April 2014 beim 2. Senat immerhin schon am 7.11.2016 entschieden wurde.  Herr RiOLG S-K  wäre angesichts dieser Gründlichkeit vermutlich begeistert!
 

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