UHaft: Zuständigkeitsverschiebung bei Beschwerdeeinlegung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.11.2016
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3237 Aufrufe

Kommt immer wieder vor: Der Ermittlungsrichter erlässt einen Beschluss. Gegen den wird Beschwerde eingelegt. In dieser Zeit wird dann Anklage erhoben. Damit ist der Ermittlungsrichter nicht mehr zuständig. Diese Verfahrenslage firmiert i.d.R. unter dem Begriff "Zuständigkeitsverschiebung". Beschwerden sind dann regelmäßig als Antraäge auf Aufhebung der Maßnahme umzudeuten. Im nachfolgenden Fall ging es um eine solche Zuständigkeitsverschiebung im Rahmen einer U-Haft:

I.

Das Amtsgericht Essen hat mit Beschlüssen vom 25. Februar 2016 (Az. 71 Gs 306/16) zum einen Untersuchungshaft gegen den Angeklagten angeordnet und zum anderen Anordnungen gemäß § 119 Abs. 1 StPO getroffen und dabei insbesondere Beschränkungen bezogen auf die Besuchskontakte, die Telekommunikation, den Schriftverkehr, die Übergabe von Gegenständen, der Unterbringung und der Ausantwortung des Angeklagten vorgenommen.

Die Staatsanwaltschaft Essen hat unter dem 03. Juni 2016 Anklage gegen den Angeklagten sowie weitere Mitangeklagte erhoben, welche mit Beschluss des Landgerichts Essen vom 14. Juli 2016 zugelassen worden ist. Zugleich ist das Hauptverfahren eröffnet worden.

Mit – noch nicht rechtskräftigem – Urteil vom 19. August 2016 hat das Landgericht Essen den Angeklagten wegen des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt. Zudem hat es die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. August 2016 hat der Angeklagte „Beschwerde gemäß § 119 Abs. 5 StPO mit dem Antrag eingelegt, den Beschränkungsbeschluss des Amtsgerichts Essen vom 25. Februar 2016, Az. 71 Gs 306/16 aufzuheben.“ Zudem hat er weitere Hilfsanträge betreffend die Beschränkungen während der Untersuchungshaft gestellt. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen und Anträge im Schriftsatz vom 25. August 2016.

Die VI. große Strafkammer des Landgerichts Essen hat mit Beschluss vom 05. September 2016 in der Besetzung mit drei Berufsrichtern „der Beschwerde nicht abgeholfen“ und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 27. September 2016 die Vorgänge ohne Antrag an den Senat übersandt und darauf verwiesen, dass eine Entscheidung des Senats derzeit nicht veranlasst sei.

II.

Eine Entscheidung des Senats ist derzeit nicht veranlasst.

Die nach § 126 Abs. 2 S. 3 StPO zuständige Vorsitzende der VI. großen Strafkammer bei dem Landgericht Essen hat zunächst über die als Aufhebungsantrag umzudeutende „Beschwerde“ des Angeklagten zu entscheiden. Erst wenn gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt werden sollte, ist der Senat zur Entscheidung berufen.

Das Landgericht Essen war nicht zu der von ihm getroffenen Nichtabhilfeentscheidung befugt. Mit der Erhebung der öffentlichen Klage vor dem Landgericht ist nicht nur die zuvor für den Ermittlungsrichter bei dem Amtsgericht Essen gegebene Zuständigkeit für die sich auf die Untersuchungshaft beziehenden richterlichen Entscheidungen und Maßnahmen entfallen und gemäß § 126 Abs. 2 S. 1 StPO auf die nunmehr mit der Sache befasste Strafkammer des Landgerichts übergegangen, sondern durch den Übergang der Zuständigkeit ist auch der bisherige Instanzenzug und Verfahrensgang beendet worden (vgl. KG Berlin NStZ-RR 1996, 365; OLG Stuttgart NStZ 1990, 141; OLG Karlsruhe, Justiz 1979, 444; OLG Oldenburg NJW 1957, 233).

Daraus folgt jedoch nicht, dass die „Beschwerde“ des Angeklagten vom 25. August 2016 gegenstandslos ist. Vielmehr ist sie wegen der fortbestehenden Beschwer des Angeklagten durch die gegen ihn erlassenen Beschränkungen in einen Antrag an das nunmehr als Haftgericht zuständige Landgericht Essen auf Aufhebung der Anordnungen nach § 119 Abs. 1 StPO aus dem Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 25. Februar 2016 umzudeuten. (vgl. KG Berlin, aaO.).

Es ist anerkannt, dass eine noch nicht beschiedene Beschwerde gegen eine amtsrichterliche Haftentscheidung nach Anklageerhebung zum Landgericht in einen Haftprüfungsantrag umzudeuten ist (vgl. KG Berlin, aaO.; OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 2014, 217). Eine erstmals nach Anklageerhebung eingelegte Beschwerde ist erst recht in einen Aufhebungsantrag umzudeuten (vgl. OLG Frankfurt a. M., aaO.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 16. Oktober 2003, Az. 1 Ws 281/03). Die Strafprozessordnung enthält zwar keine allgemeine Verfahrensvorschrift für den Fall, dass nach Übergang der Zuständigkeit durch Anklageerhebung bei Fortdauer der Anordnungen des Ermittlungsrichters zunächst eine Entscheidung des nunmehr befassten Gerichts ergehen muss, bevor die Beschwerde eröffnet ist. Aus der Handhabung bei unerledigten Beschwerden gegen einen Haftbefehl gemäß § 117 Abs. 1 StPO, gegen eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO, gegen die Anordnung des dinglichen Arrestes gemäß §§ 111d, 111e StPO und die Beschlagnahme gemäß §§ 98 Abs. 2 S. 3, 162 StPO ist jedoch ein dahingehender allgemeiner Rechtsgedanke zu entnehmen (OLG Frankfurt a. M., aaO., OLG Stuttgart, aaO.), welcher auch für Beschränkungen nach § 119 Abs. 1 StPO, welche der Haftrichter angeordnet hat, gilt.

Über den Antrag auf Aufhebung der Beschränkungen nach § 119 Abs. 1 StGB aus dem Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 25. Februar 2016 hat demnach zunächst die Strafkammervorsitzende der VI. großen Strafkammer – nicht das Kollegialgericht – gemäß § 126 Abs. 2 S. 3 StPO zu entscheiden.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 6.10.2016 - 5 Ws 341/16

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