"Was?! Nicht drogenabhängig? Das gibt aber eine Strafschärfung!"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.11.2016
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Ganz so war es sicher nicht. Das LG hatte in einer Berufungssache die Strafzumessungsgründe verfehlt formuliert. Am Ende klang es wohl so, als sei tatsächlich zu Lasten des Betroffenen berücksichtigt worden, dass die Tat nicht aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde. Das wäre tatsächlich kurios. Wahrscheinlich ist nur die Formulierung der Urteilsgründe in die Hose gegangen. Ist aber auch egal. Die Strafzumessung war dann natürlich rechtsfehlerhaft. Klar auch, dass allein die Sachrüge ausreichte, um das Urteil zu kippen:

  Das Amtsgericht Ahaus – Schöffengericht – hat den Angeklagten mit Urteil vom 04.12.2015 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat die 14. kleine Strafkammer des Landgerichts Münster mit Urteil vom 18.04.2016 verworfen.

Gegen dieses in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers verkündete und dem Verteidiger des Angeklagten ausweislich des sich in der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses am 26.05.2016 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz vom 22.04.2016, per Fax eingegangen beim Landgericht Münster am selben Tag, Revision eingelegt. In der Revisionsbegründung vom 22.06.2016, per Fax eingegangen beim Landgericht Münster am selben Tag, hat der Angeklagte bzw. sein Verteidiger die Verletzung materiellen Rechts gerügt und beantragt, das angefochtene Urteil mit den Verstimmungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Zur Begründung hat der Angeklagte bzw. sein Verteidiger im Wesentlichen ausgeführt, dass die Strafzumessung rechtsfehlerhaft sei. Sowohl bei der Ablehnung eines minder schweren Falles als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne habe das Landgericht maßgebliche Umstände nicht berücksichtigt. Insbesondere bei der Ablehnung eines minder schweren Falles im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG habe das Landgericht strafschärfend und insoweit rechtsfehlerhaft zu seinen Lasten berücksichtigt, dass eine Betäubungsmittelabhängigkeit zum Tatzeitpunkt nicht vorgelegen habe, da er, der Angeklagte, zum Tatzeitpunkt nach seinen eigenen Angaben lediglich geringe Mengen konsumiert habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Antragsschrift vom 14.09.2016 beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, da die auf die Sachrüge hin vorzunehmende Überprüfung des Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lasse.

Der Angeklagte bzw. sein Verteidiger hat keine Gegenerklärung zu der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 14.09.2016 abgegeben.

II.

Die gemäß § 333 statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision des Angeklagten ist in der Sache teilweise begründet.

1.

Die auf die erhobene Sachrüge hin vorgenommene materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils hat im Rahmen der Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben.

a)

Auch der Rechtsfolgenausspruch ist als Rechtsanwendung vom Revisionsgericht überprüfbar (BVerfG NJW 2007, 2977).
14
Der Tatrichter muss seine Zumessungserwägungen daher in einem dem Revisionsgericht die Nachprüfung ermöglichenden Umfang darlegen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 337 StPO Rn. 34).

Allerdings trägt in erster Linie der Tatrichter die Verantwortung für die Festsetzung von Rechtsfolgen. Insbesondere die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, wobei er auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Person des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen hat (BGH NJW 1995, 340 m. w. N; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 337 StPO Rn. 34 m. w. N.). Die Beurteilung des Tatrichters ist dabei bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (BGH NStZ 1982, 114; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 337 StPO Rn. 34 m. w. N.). Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Strafzumessung ist nur dann möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen oder gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, ein gerechter Schuldausgleich zu sein (BGH NJW 2011, 819; NStZ-RR 2008, 343; NJW 1995, 340 m. w. N; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 337 StPO Rn. 34 m. w. N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und Anforderungen kann der Rechtsfolgenausspruch des Landgerichts keinen Bestand haben, weil er jedenfalls teilweise auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht.

Soweit das Landgericht im Rahmen der Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch sowohl bei der Ablehnung eines minder schweren Falles nach § 30 Abs. 2 BtMG als auch im Rahmen der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass bei ihm eine Betäubungsmittelabhängigkeit zum Tatzeitpunkt nicht vorgelegen habe, da er zum Tatzeitpunkt nach seinen eigenen Angaben lediglich geringe Mengen konsumiert habe, stellt dies einen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten dar.

Das Landgericht hat bei der Ablehnung eines minder schweren Falles nach § 30 Abs. 2 BtMG zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt und gewertet, dass er die Tat nicht aus einer Betäubungsmittelabhängigkeit heraus begangen hat. Diese Erwägung ist – wie sich aus der allgemeinen Bezugnahme im Rahmen der konkreten Strafzumessung auf die Umstände, die bereits bei der Prüfung eines minder schweren Falles berücksichtigt worden sind, ergibt – auch in die konkreten Strafzumessungserwägungen strafschärfend eingeflossen. Bei dieser Formulierung handelt es sich insoweit nicht lediglich um eine negative Beschreibung der festgestellten Beweggründe und Motivation der Tat, sondern um eine eigenständige und im vorliegenden Fall für den Angeklagten nachteilige Berücksichtigung und Bewertung der fehlenden Betäubungsmittelabhängigkeit. Das Landgericht hat nicht nur die von ihm festgestellten und für die Strafzumessung bedeutsamen Tatsachen gewürdigt, sondern einen nicht gegebenen Fall, nämlich eine Betäubungsmittelabhängigkeit, der, wäre er gegeben, zur Milderung der Strafe führen könnte, berücksichtigt und sein Fehlen als strafschärfend gewürdigt. Damit hat das Landgericht sowohl bei der Ablehnung eines minder schweren Falles nach § 30 Abs. 2 BtMG als auch im Rahmen der konkreten Strafzumessung einen fehlerhaften Maßstab angelegt. Dies stellt einen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten dar (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 81; BGH NStZ 1982, 463)

b)

Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das angefochtene Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Es besteht die Möglichkeit, dass das Urteil ohne den Rechtsfehler möglicherweise anders ausgefallen wäre (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Auflage, § 337 StPO Rn. 37).

c)

Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung gemäß § 354 Abs. 2 S. 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückzuverweisen.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 6.10.2016 - 4 RVs 121/16

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