Studie: Mindestlohn-Ausnahme für Langzeitarbeitslose hat kaum praktische Bedeutung

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 14.11.2016
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2733 Aufrufe

Als das Mindestlohngesetz 2015 in Kraft getreten ist, hat man vor allem auch über die Berechtigung der dort genannten Ausnahmen für Langzeitarbeitslose gestritten. Diese haben nach § 22 Abs. 4 MiLoG die Möglichkeit, sich für die ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde beschäftigen zu lassen. Durch diese Ausnahmeregelung wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass der Mindestlohn die Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt nicht erschwert. Manche Ökonomen und Politiker fordern übrigens zur Zeit eine ähnliche Ausnahmeregel für Asylbewerber, da dieser Personenkreis häufig mangels Sprachkenntnissen und Qualifikationen zunächst nur eine geringe Produktivität aufweise. Vor diesem Hintergrund verdient eine neue empirische Studie des IAB Beachtung, die praktische Wirksamkeit der Ausnahme für Langzeitarbeitslose untersucht hat. Das Ergebnis lautet: Die Mindestlohn-Ausnahme für Langzeitarbeitslose wird selten genutzt. Die Studie beleuchtet die Ausnahmeregelungen von verschiedenen Blickwinkeln aus. Die Pressemitteilung fasst die Ergebnisse wie folgt zusammen:

Eine Befragung von 84 Jobcenter-Mitarbeitern ergab, dass nach ihrer Einschätzung der Einsatz der Regelung weder für Jobcenter, noch für Arbeitgeber und Langzeitarbeitslose attraktiv sei. Die Ausnahmeregelung spielt in der täglichen Vermittlungspraxis der sechs ausgewählten Jobcenter kaum eine Rolle, haben die Forscher herausgefunden. Für den Ausgleich individueller Leistungseinschränkungen von Langzeitarbeitslosen stünden aus Sicht der befragten Jobcenter-Mitarbeiter beispielsweise Eingliederungszuschüsse als passgenaueres Förderinstrument zur Verfügung.

Auch aus Arbeitgebersicht sei die Anwendung der Ausnahmeregelung nicht sehr attraktiv, so die befragten Jobcenter-Mitarbeiter: Vorbehalte gegenüber der Arbeitsmotivation oder den Arbeitstugenden von Langzeitarbeitslosen ließen sich nicht über niedrigere Löhne ausräumen. Sehe man aber bei einem Langzeitarbeitslosen eine Passung zu den Stellenanforderungen, so dürfte eine Entlohnung nach Mindestlohn nicht mehr das entscheidende Einstellungshemmnis sein. Ein Abweichen vom Mindestlohn kann nach Einschätzung der befragten Jobcenter-Mitarbeiter möglicherweise sogar kontraproduktiv sein, wenn dies die Arbeitsmotivation einschränke, in der übrigen Belegschaft ein Gefühl der Lohnkonkurrenz schaffe oder die Reputation als guter Arbeitgeber gefährde.

Aus der Perspektive der Langzeitarbeitslosen selbst erscheine eine Beschäftigung unterhalb des Mindestlohnniveaus ohnehin wenig attraktiv: „Schließlich, so die Befragten in den Jobcentern, müssten die Langzeitarbeitslosen auch bereit sein, bei der Arbeitssuche von der Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen und gegebenenfalls ein halbes Jahr weniger als den Mindestlohn zu verdienen“, schreiben die IAB-Forscher. Gerade die Höhe und die Angemessenheit des Lohns sowie die Aussicht, den Arbeitslosengeld- oder Arbeitslosengeld-II-Bezug durch die Arbeitsaufnahme verlassen zu können, dürften die Langzeitarbeitslosen besonders motivieren. Bei einem Lohn unterhalb des Mindestlohnniveaus könne dagegen ein Gefühl der Diskriminierung entstehen.

Bei einer Befragung von 5450 Langzeitarbeitslosen, die eine Stelle gefunden haben, gaben weniger als zwei Prozent an, in ihrem Jobcenter eine Bescheinigung beantragt zu haben. Zum Einsatz kam eine entsprechende Bescheinigung dann nur bei rund einem Prozent der Befragten. Hinzu komme, dass vielen Langzeitarbeitslosen die Ausnahmeregelung gar nicht bekannt sei. Bei der Befragung der Langzeitarbeitslosen gab nur jeder vierte an, schon von ihr gehört zu haben.

Passend zu den Befragungsergebnissen zeigen statistische Analysen des IAB, dass keine messbaren Beschäftigungseffekte der Ausnahmeregelung vorhanden sind.

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