Das Vereinsrecht muss weg!

von Prof. Dr. Claus Koss, veröffentlicht am 19.11.2016
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtWeitere ThemenSteuerrecht9|4649 Aufrufe

Das deutsche Volk ist zweigeteilt: Vereinsmitglieder und solche, die sich in Vereinen engagieren. Das deutsche Vereinsrecht ist auch zweigeteilt: da gibt es den nicht wirtschaftlichen Verein21 BGB), der durch Eintragung in das Vereinsregister Rechtsfähigkeit erlangt - und da gibt es den wirtschaftlichen Verein22 BGB), der durch staatliche Verleihung Rechtsfähigkeit erlangt. Auch das deutsche Vereinssteuerrecht teilt die Vereine in zwei Lager: die steuerbegünstigten Körperschaften und die nicht-ertragsteuerbefreiten Vereine. Die Rechtsfähigkeit spielt im Steuerrecht grundsätzlich keine Rolle.

Die große Unruhe unter den deutschen Vereinen begann wohl in Rheinland-Pfalz. Das OLG Zweibrücken (Beschluss vom 03.09.2013 - 3 W 34/13) entschied, dass ein Fitnessstudio könne nicht als Idealverein in das Vereinsregister eingetragen werden, weil es sich im Regelfall um einen wirtschaftlichen Verein handelt. Siehe hierzu bereits: http://community.beck.de/2014/03/12/ein-fitnessstudio-als-eingetragener-verein.

Das wirkliche Beben ging dann vom Kammergericht aus: Mit Beschluss vom 07.03.2012 - 25 W 95/11 hatte dieses die Eintragung eines Vereins abgelehnt, der seine steuerbegünstigten Zwecke im Wesentlichen als Konzertveranstalter verwirklichen wollte.
Mit zwei Beschlüssen, jeweils vom 16.02.2016 - 22 W 88/14 bzw. 22 W 71/15, wurde die Löschung von zwei Kindertagesstätten-Betreibern verfügt, Begründung immer:

  1. Ein Verein, der mehrere Kindertagesstätten betreibt, ist kein Idealverein, wenn er Kinderbetreuung nur oder  im Wesentlichen am freien Markt in Konkurrenz zu Dritt-Anbietern anbietet.
  2. Es kommt bei der Frage 'Idealverein oder nicht?' nicht auf die eigentlichen Satzungszwecke an.
  3. Die Anerkennung als steuerbegünstigte Körperschaft (vom KG mit dem steuerrechtlich laienhaften Begriff "Bestehen von Gemeinnützigkeit" beschrieben) sei unerheblich.

Geht der Berater die Liste der klassischen Vereinszwecke (Sport, Wohlfahrtspflege, Geselligkeit) durch, kommt er schnell zu dem Ergebnis, dass es eigentlich keinen Vereinszweck mehr gibt, bei dem es nicht eine Konkurrenz zu Dritt-Anbietern gibt. Der Verfasser kennt zumindest keinen. Wenn die Entscheidungen des KG herrschende Meinung wird, gibt es bald keinen Idealverein mehr.

Zweite Überlegung: was bedeutet die Löschung? Oder dogmatisch gefragt: ist die Eintragung in das Vereinsregister deklaratorisch oder konstitutiv? Was heißt die Löschung dann für die Verantwortlichen im Verein? Stehen sie dann rückwirkend seit Gründung des Vereins in der persönlichen Haftung? Wer möchte sich dann noch in einem Verein engagieren?

Der Lösungsvorschlag des Verfassers: weg mit der Zweiteilung im deutschen Vereinsrechts!

Warum soll nicht ein Verein - wie die Kapitalgesellschaften - zu jedem beliebigen Zweck gegründet werden dürfen? Um die Wettbewerbsgleichheit der Rechtsformen aufrecht zu erhalten und den Rechtsverkehr zu schützen, bedarf es der gleichen Anforderungen an die Transparenz aller rechtsfähigen Körperschaften.

Konkret: Bevor eine Bank ein Darlehen an eine GmbH ausreicht, kann sie sich durch die Vorlage der Jahresabschlüsse und aus allgemein zugänglichen Quellen informieren (z.B. Handelsregister, Bundesanzeiger). Außerdem wissen die Geschäftspartner einer Kapitalgesellschaft, dass die Anforderungen an die Erhaltung des gesetzlich vorgeschriebenen oder statuarischen Kapitals gesetzlich normiert sind - Kapitalgesellschaften besitzen damit eine grundsätzlich höhere Kreditwürdigkeit als ein Verein - der ohne Eigenkapital gegründet werden kann.
Lassen wir doch den Rechtsverkehr, Ökonomen würden sagen: 'den freien Markt', entscheiden, ob ein Verein genug Kredit aufnehmen kann, um ein neues Krankenhaus zu bauen oder eine Kindertagesstätte zu betreiben.
Der Gesetzgeber müsste nur die gleichen Rechnungslegungs- und Offenlegungsvorschriften für alle juristischen Personen gelten lassen. Wenn die Lieferanten das Sommerfest bestücken oder die Sporthalle bauen, ohne sich vorher über die finanzielle Situation zu informieren, ist das ihr Problem. Wenn aber keine nach anerkannten Rechnungslegungsstandards ermittelten Zahlen verfügbar sind und damit keine Vergleichbarkeit gegeben ist, dann tut sich auch der willigste Kreditor mit einer Beurteilung schwer.
Wem die Transparenz zu viel oder die kaufmännische Buchhaltung zuviel ist, der kann seine Aktivitäten ja als nicht-rechtsfähiger Verein betreiben. Diese Mühen sind eben der Preis für die Beschränkung der Haftung auf das Vereinsvermögen.

Auf einer zweiten Stufe sollten dann Finanzbehörden entscheiden, ob die Satzung und tatsächliche Geschäftsführung den Anforderungen den Gemeinnützigkeitsrechts in einem Maße entsprechen, dass der Fiskus auf seinen Anspruch der Ertragsbesteuerung grundsätzlich verzichtet. Das ist dann aber keine Frage der Rechtsfähigkeit mehr, sondern einer fiskalischen Entscheidung, welche Zwecke dem Gemeinwohl dienen.

Damit wäre für Vereine Rechtssicherheit geschaffen. Denn für das Gemeinnützigkeitsrecht gibt es durch die Abgabenordnung, Finanzrechtsprechung und Verwaltungsanweisungen einen hinreichend beschriebenen und weitgehend bundeseinheitlich geltenden Rechtsrahmen.

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9 Kommentare

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Gestützt werden meine Überlegungen zur 'Wettbewerbsneutralität' der Rechtsformen durch die in Vereinsregistern eingetragenen Werbegemeinschaften. So ist beim Amtsgericht Dresden eine solche als rechtsfähiger Verein eingetragen (vgl. AG Dresden, Urteil v. 6.3.2014 - 101 C 6311/13, BeckRS 2016, 09018). Deren Rechtsstreit zu einer Pflichtmitgliedschaft hat es sogar bis vor den BGH geschafft (BGH, Urteil v. 13.4.2016 - XII ZR 146/14, NJW 2016, 2489).

Bei den Werbegemeinschaften scheint wohl auch die GbR eine Alternative zu sein (so die Rechtsform bei der Werbegemeinschaft eines Einkaufszentrums bei: BGH, Urteil v. 11.5.2016 - XII ZR 147/14, Vorinstanz: AG Ludwigshafen (Urt. v. 20.3.2014 –  C24213 2 e C-242/13, BeckRS 2016, 08281).

Die in dem Blog-Beitrag beschriebene Problematik taucht auch in anderem, prominentem Zusammenhang auf:

  • Der FC Bayern e.V. darf im Vereinsregister bleiben. Denn, so das AG München, die Mehrheitsbeteiligung von 75,01% an der FC Bayern München AG mache den Verein nicht zu einem wirtschaftlichen Verein (zu den Einzelheiten siehe das Interview mit Segna in NJW-aktuell 44/2016, S. 12 f.).
  • Der ADAC e.V. hat seine Organisationsstruktur durch Ausgliederungen verändert, um das sog. Nebenzweckprivileg zu erhalten.

Warum soll nicht ein Verein - wie die Kapitalgesellschaften - zu jedem beliebigen Zweck gegründet werden dürfen?

Weil der Wirtschaftsverein wegen des eingebrachten Kapitals und seiner wirtschaftlichen Tätigkeit eine viel stärkere Kontrolle und stabilere Struktur benötigt als ein wirtschaftlich grundsätzlich uninteressierter, bzw. nur nebenzweckinteressierter Kaninchenzüchter-oder Männerchor-Idealverein. Deshalb wurden für "Vereine" mit wirtschaftlichen Zwecken die bekannten handelsrechtlichen Gesellschaftsformen strukturiert und gesetzlich verfaßt, an die man sich grundsätzlich zu halten hat.

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Blicken wir noch einmal nach Berlin zum Thema Vereinsrecht:

Wieviel Kapital, wirtschaftliche Tätigkeit, Kontrolle und "stabilere Struktur" benötigt der Veranstalter eines fünftägigen Veranstaltungsmarathons mit rund 100.000 Dauerteilnehmern, zuzüglich mehrerer tausend Tagesteilnehmer, in Berlin?

Der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag Berlin 2017 wird in der Rechtsform des eingetragenen Vereins geführt (VR 343897 B).

Warum soll die Rechtsform des Vereins dann einem (gemeinnützigen) Konzertveranstalter oder ein Kindertagesstätten verschlossen bleiben?

Warum soll die Rechtsform des Vereins dann einem (gemeinnützigen) Konzertveranstalter oder ein Kindertagesstätten verschlossen bleiben?

Für solche Zwecke gibt es, wie allgemein bekannt, die gGmbH.

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Ende des 19. Jahrunderts schuf man eine Form, die es Bürgern ermöglichte, in freier, gleicher, demokratischer und transparenter Selbstbestimmung idealistischen gemeinsamen Interessen gemeinsam rechtlich geschützt und geordnet nachzugehen: den Verein.

Heutzutage versuchen profitorientierte Einzelpersonen, diese historische Errungenschaft und deren Regelungen entgegen deren eigentlicher Zweckbestimmung zu gebrauchen (oder zu mißbrauchen), um sich dadurch unverdient Vorteile gegenüber der Konkurrenz und dem Staat zu verschaffen.

Gegen Letzteres muß man (der Gesetzgeber und die Behörden) angehen.

Das Vereinsrecht gleich ganz abzuschaffen, wäre wohl ein "das Kind mit dem Bade ausschütten".

Wer meint, daß das Vereinsrecht verzichtbar wäre, sollte bitte zunächst einmal näher darlegen, wie die Vereine denn dann zukünftig organisiert werden sollen, und welche Vor- und Nachteile dies für alle Beteiligten hätte.

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Wer meint, daß das Vereinsrecht verzichtbar wäre, sollte bitte zunächst einmal näher darlegen, wie die Vereine denn dann zukünftig organisiert werden sollen, und welche Vor- und Nachteile dies für alle Beteiligten hätte.

Man sollte heute nicht mehr davon ausgehen, dass jeder, der wieder einmal eine halbgare Idee als geniale Weisheit äußert, diese bis in die zweite oder höhere Verästelung auch durchdacht hat.

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Der Verfasser hat nicht für eine Abschaffung des Vereinsrechts plädiert, sondern nur für den Wegfall der Unterscheidung zwischen Ideal- und wirtschaftlichem Verein.
 

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