Die Vermessung der süß klingenden Kassen

von Prof. Dr. Claus Koss, veröffentlicht am 21.11.2016

Es muss wieder auf Weihnachten gehen. Im Posteingang finden sich wieder vermehrt Spendenaufrufe. Für den Bilanzrechtler die Frage, wann die Spenden erfolgswirksam von der empfangenden Organisation vereinnahmt werden?

Sachverhalt:

Aufgrund eines Spendenaufrufs für eine Naturkatastrophe gehen im Dezember 2016 auf dem Spendenkonto hundert Geldeinheiten (GE 100) ein. Davon kann Organisation GE 30 noch in 2016 verwenden, weitere GE 50 können in 2017 verbraucht werden.

Buchhalterische Erfassung:

Beim Zahlungseingang in 2016 wird gebucht:

(1) Per Flüssige Mittel GE 100 an Sonderposten "Noch nicht verbrauchte Spendenmittel" GE 100

-> Auswirkung: keine Veränderung des Jahresergebnisses, nur erfolgsneutrale Bilanzverlängerung

Die Verwendung der Mittel in 2016 wird gebucht:

(2) Per Aufwand aus satzungsgemäßer Mittelverwendung GE 30 an Verbindlichkeiten/Flüssige Mittel GE 30

(3) Per Sonderposten aus Spendenverbrauch GE 30 an Ertrag aus Spendenverbrauch GE 30

-> Auswirkung: 'Unter dem Strich' verändert sich das Jahresergebnis nicht, da sich Aufwand und Ertrag in gleicher Höhe gegenüberstehen. Außerdem wird in der Bilanz der Sonderposten "Noch nicht verbrauchte Spendenmittel" mit GE 70 ausgewiesen.

Im Folgejahr (2017) erfolgt die gleiche Verbuchung bei der Verwendung:

(4) Per Aufwand aus satzungsgemäßer Mittelverwendung GE 50 an Verbindlichkeiten/Flüssige Mittel GE 50

(5) Per Sonderposten aus Spendenverbrauch GE 50 an Ertrag aus Spendenverbrauch GE 50

-> Der noch nicht verbrauchte Sonderposten in Höhe von GE 100 - GE 30 - GE 50 = GE 20 bleibt als Passivposten stehen.

Kritik:

Die Kritik an der Regelung in der IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Besonderheiten der Rechnungslegung Spenden sammelnder Organisationen (IDW RS HFA 21) entzündet sich an der ersten Buchung (1), der erfolgsneutralen Vereinnahmung (IDW RS HF 21, Tz. 17). Man müsse, so kommt vor allem aus der steuerrechtlich und juristisch geprägten Ecke der 'Hüter der reinen Lehre', doch die GE 100 sofort bei Zufluss erfolgswirksam vereinnahmen - Buchung:

(1+) Per Flüssige Mittel GE 100 an Spendenertrag GE 100

Da der volle Spendenertrag in einem Passivposten 'versteckt' werde, sei das ein Verstoß gegen die Generalnorm 'true and fair view'. Für Nicht-Buchhalter: 'true and fair view' ist das gleiche 'Totschlagargument' wie die nicht näher nachgewiesene "hM" in der Kommentarliteratur.

Zurück zur Fachfrage mit drei Parallelbeispielen:

(A) Angenommen, eine Organisation oder ein Unternehmen erhielte aus einer öffentlichen Kasse eine Anschubfinanzierung für ein innovatives Forschungsprojekt. Ganz "hM": soweit noch nicht verbraucht, wird in einen Sonderposten eingestellt (vgl. SIC-10 'Government Assistance - no specific relation to operating activities')

(B) Ein Automobilhersteller zahlt einem Zulieferer einen Werkzeugkostenzuschuss, der über die Abnahme von Teilen 'getilgt' wird; eine Brauerei gewährt ein sog. 'Wirtedarlehen', das über die Abnahme von Bier 'getilgt' wird. Immer erfolgt die Passivierung eines 'zinslosen Darlehens'.

(C) Ein Kunde bestellt eine Sonderleistung und leistet hierfür eine Anzahlung. Hier kein vernünftiger Buchhalter auf die Idee, diese Anzahlung sofort erfolgswirksam zu vereinnahmen.

Warum? Weil ein Ertrag erst dann realisiert wird, wenn der Schuldner das seinerseits Erforderliche für die Leistung getan und damit Anspruch auf die Gegenleistung hat.
Warum leistet der Spender? Weil die Organisation damit Gutes tun soll. Will heißen: erst bei Mittelverwendung ist der Ertrag realisiert (so auch die Stellungnahme des IDW).

Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Fragen:

  • Was ist bei Spenden ohne bestimmten Zweck, sog. 'freie Spenden'? Beispiel: Spendenaufruf 'Unterstützen Sie unsere Organisation!'
    Dann ist realisiert, soweit die Mittel allgemein verwendet werden, z.B. durch Personalaufwand.
  • Was ist mit noch nicht verwendeten Spendenmitteln, im Zahlenbeispiel GE 20? Bleiben diese bis zur nächsten vergleichbaren Katastrophe stehen?
    Das ist keine bilanzielle Frage mehr, sondern vor allem eine zivilrechtliche Frage: Darf eine Organisation, die für Spenden für die Opfer eines Tsunamis wirbt, diese dann auch bei der Hungerkatastrophe in Afrika einsetzen? Soweit bekannt, gibt es hierzu noch keine 'hM'.

Die 'bittere' Wahrheit für den Bilanzspezialisten ist: es interessiert niemanden, zumindest nicht die Spender. Hat schon einmal jemand vor einer Spende einen Blick in den Jahresabschluss der Organisation geworfen - und dann von einer Spende Abstand genommen, weil die Organisation 'zu reich' war?

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