Bundesteilhabegesetz: Neue Hürde für die Kündigung schwerbehinderter Menschen

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 07.12.2016
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht2|8809 Aufrufe

In der vergangenen Woche hat der Deutsche Bundestag das Bundesteilhabegesetz verabschiedet. Stimmt der Bundesrat erwartungsgemäß zu, tritt das Gesetz am 1.1.2017 in Kraft. Es enthält zahlreiche Änderungen des SGB IX, vornehmlich im Bereich des Sozialrechts. Für das Arbeitsrecht von Interesse ist eine Änderung, die erst im Verlaufe der Beratungen infolge der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (BT-Drucks. 18/10523, S. 15 unter nn) in das Gesetzespaket Eingang gefunden hat:

Nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX n.F. ist eine Kündigung, die ein Arbeitgeber ohne vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, unwirksam.

Damit erweitert das Gesetz den bisherigen § 95 SGB IX um eine individualrechtliche Sanktion. Schon bisher musste der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören; er hatte ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung stellte zwar eine (selten verfolgte) Ordnungswidrigkeit dar, blieb individualrechtlich jedoch ohne Sanktion. Dies ändert sich nunmehr. Für die Wirksamkeit der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ist daher künftig

- neben der Zustimmung des Integrationsamtes (bisher § 85 SGB IX, künftig § 168 SGB IX)

- und der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats (§ 102 BetrVG)

- auch die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (§ 178 Abs. 2 SGB IX n.F.) erforderlich.

- Einen Kündigungsgrund, der im Anwendungsbereich des KSchG die Kündigung sozial zu rechtfertigen vermag (§ 1 Abs. 2 KSchG), braucht man natürlich auch noch.

Als problematisch dürfte sich für die Praxis vor allem erweisen, dass das Verfahren zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vom Gesetz nur rudimentär ausgestaltet ist. § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mag man entnehmen, dass die Schwerbehindertenvertretung sieben Tage Zeit hat, sich zu äußern. Ob sich diese Frist aber z.B. (wie nach § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG) auf drei Tage verkürzt, wenn der Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung auszusprechen beabsichtigt, ist unklar.

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2 Kommentare

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Wenn man sich damit befasst garantiert - hat aber keiner so richtig Lust zu scheint mir. Schwerbehinderte Menschen werden sogar mit bis 75 Prozent ihrer Lohkosten gefördert.

 

wenn der AG ohne ordnungsgemäße Beteiligung der SchwerbehindertenV kündigt, dürfte auch 15 Abs.2 AGG greifen, weil der AG dem AN eine gesetzliche Chance, nämlich das Sichverwenden der SchwerbehindertenV / Interessenwahrnehmung, genommen hat

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Als Fraun mit einer Schwerbehinderung fand ich es bisher schon diskriminierend, dass eine gesonderte Stelle einer Kündigung zustimmen muss, nun noch eine Institution mehr, das macht es kompliziert, unattraktiv für Arbeitgeber. Da ich für mich Gleichbehandlung fordere, so auch im Kontext des Arbeitslebens. Der neue Gesetzesentwurf fördert Abhängigkeit anstatt selbstbewusst und eigenständig im Arbeitsleben stehen zu können. Sabine Haberkorn

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