Verbesserte Nachrichtendienstkontrolle durch immer weitere Leaks? Mitnichten!

von Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker, veröffentlicht am 10.12.2016

Seit dem „Summer of Snowden“ im Jahre 2013 erscheinen in regelmäßig wiederkehrenden Abständen neue Veröffentlichungen und Leaks, welche unter anderem die transnationalen nachrichtendienstlichen Überwachungspraktiken der vergangenen Jahre dokumentieren. So jüngst auch wieder Anfang Dezember dieses Jahres: Diesmal war es die Plattform „Wikileaks“, die 2.420 vertrauliche Dokumente aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags im Internet veröffentlichte. Schon 2015 veröffentlichte „Wikileaks“ Dokumente aus ebenjenem Ausschuss – jedoch mit dem bedeutenden Unterschied, dass die darin enthaltenen Informationen damals ohnehin veröffentlicht werden sollten, wohingegen das in diesem Monat veröffentlichte Material als „Verschlussache – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft ist. Gemein ist beiden Leaks aber, dass sich trotz ihres inhaltlichen Umfanges nur wenig Konkretes in den publizierten Dokumenten findet – bis auf die Tatsache, dass es eben eine nachrichtendienstliche Überwachung der Bürger gegeben hat und gibt und Kommunikationsvorgänge zwischen den einzelnen zuständigen Behörden stattgefunden haben. Kann diese Erkenntnis aber ausreichend sein, um im Sinne der Förderung des freien, investigativen Journalismus als Rechtfertigung zu dienen? Wohl kaum, denn der aktuelle „Trend“, der Geheimhaltung unterliegende behördliche Dokumente an die Öffentlichkeit zu bringen mit dem Ziel, quasi als Ersatz für eine parlamentarische Kontrolle mehr allgemeine Transparenz zu schaffen, hat tatsächlich im Ergebnis nur wenig Klarheit gebracht. Nach wie vor gibt es keine wirklichen Informationen darüber, wer von wem auf welche Weise überwacht wird, vielmehr hat die so praktizierte Form der öffentlichen Aufklärung der vergangenen Jahre mit der großen Zahl veröffentlichter Dokumente nur zu einem Gefühl der Unsicherheit im digitalen Raum beigetragen, aber keine wirklichen Lösungen gebracht.

Diese Entwicklung mag sicher auch darauf zurückzuführen sein, dass die meisten Veröffentlichungen nur rückblickend auf das, was bereits geschehen ist, abzielen, aber in ihrer Zielrichtung nicht zukunftsgerichtet sind. Oder falls sie die Intention haben, die zukünftige Situation zu ändern, kaum Konkretes bringen, wie dies denn zu realisieren sein könnte. Das ist auf Dauer frustrierend: Die Öffentlichkeit ist zwar auf einer unterschwelligen Ebene über das, was in den weltweiten Datennetzen geschieht, zu einem gewissen Grade aufgeklärt, aber passieren tut – wie bisher immer auch – eigentlich nichts. Und hier stellt sich spätestens die Frage, ob die zunehmenden Leaks überhaupt noch einen tieferen Sinn haben oder vielmehr nur bloßer Aktionismus sind, der in der Sache nichts ändert, sondern vielmehr dazu führt, dass die Nachrichtendienste in Zukunft noch mehr mauern, wenn es um ihre (parlamentarische) Kontrolle gehen sollte. Ähnliches stellte für den aktuellen Fall auch der Grünen-Politiker Konstantin von Notz fest, denn „parlamentarische Kontrolle und alles öffentlich stellen seien nicht dasselbe“. Transparenz ist dringend notwendig, aber sie sollte für die Zukunft in geordneteren Bahnen erfolgen, als dies bisher der Fall ist, damit es auch möglich ist, sinnvolle und langfristige Lösungsansätze für das derzeitige Überwachungsdilemma zu entwickeln.

Darüber hinaus bringen die sich verstetigenden unbefugten Veröffentlichungen geheimen Datenmaterials nicht nur wenig, sondern stellen – ganz im Gegenteil ihrer Intention – selbst eine Gefahr für die informationelle Selbstbestimmung der Bürger dar: Indem es scheinbar zu immer neuen „Überwachungsskandalen“ am laufenden Band kommt, tritt eine Gewöhnung sowohl auf Seiten der Bürger wie auch der Politik ein. Es kommt zu einer Daueralarmstimmung, die zunehmend mit Schulterzucken der beteiligten Akteure abgetan wird. Seit 2013 hat sich nicht wirklich viel getan im Bereich der Nachrichtendienstkontrolle, Folgen hatte dies bisher keine. Warum sollte dann für die Zukunft auch nur irgendetwas geändert werden? Die unkontrollierten Veröffentlichungen geheimer Dokumente haben auch kaum mehr etwas mit dem Whistleblowing zu tun, wie es Edward Snowden sinnvollerweise praktiziert hat, um einmalig auf einen bestehenden Missstand aufmerksam zu machen.

Eine rasch herbeigeführte Neuregelung des Nachrichtendienstrechts im Sinne von weniger Überwachung und mehr Kontrolle jedenfalls scheint in Anbetracht der gegenwärtigen rechtspolitischen Situation illusorisch – auch hier ist das Gegenteil der Fall: Nachrichtendienstliche Befugnisse und Maßnahmen der Gefahrenabwehr erfahren einen immer weiteren Ausbau, der Eingriff in die informationellen Grundrechte zugunsten der öffentlichen Sicherheit lässt sich scheinbar immer leichter und zunehmend auch pauschal rechtfertigen. Es besteht weder ein offensichtlicher Wille für Gesetzesnovellen in die andere Richtung, noch sind die Geheimdienste, was wenig verwundert, von sich aus bereit, für einen allgemein höheren Transparenzmaßstab ihre Eingriffsmaßnahmen betreffend zu sorgen. Auch geht es vorrangig nicht um Fragen der „politischen Verantwortlichkeit“, wie es nicht selten heißt. Die politische Verantwortung, die hier in Rede steht, dürfte sich in den allermeisten Fällen auf ein vergangenes Handeln beziehen; was jedoch benötigt wird, sind konkrete Lösungsentwürfe für die naheliegende Zukunft. Gerade die transnationale Datenübermittlung im Nachrichtendienstbereich führt zu nur schwer lösbaren Problemen, indem diese in zahlreichen Fällen wohl kaum auf einem juristisch validen Fundament stehen dürfte, das sich durch Gerichte oder andere Kontrollinstanzen überprüfen ließe. Fraglich ist allein schon, ob das Recht in dieser Grauzone auf absehbare Zeit überhaupt eine Kontrolle ermöglicht, so sind neben den rechtsbewertenden Instanzen nicht selten auch die Rechtsgrundlagen unklar, ganz zu schweigen von den Sanktionsdefiziten in diesem Bereich. Die nachrichtendienstlichen Behörden versuchen gerade, sich jedweder Form einer hinreichend bestimmten und transparenten, rechtlich verbindlichen Verpflichtung zu entziehen, um sich ein Maximum an Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Das liegt – so frustrierend diese Feststellung im Ergebnis wohl auch sein mag – in der Natur nachrichtendienstlicher Tätigkeit begründet, die sich gerade auch durch das Geheime auszeichnet.

Hinnehmen können wird man das aber trotzdem nicht ohne Weiteres, denn es besteht, wie seit 2013 bereits unzählige Male aufgezeigt wurde und auch aktuell noch wird, dringender Handlungsbedarf. Was kann man aber tun, will man sich nicht auf die zu einem unbestimmten Zeitpunkt oder vielleicht nie stattfindende Lichtung des Nebels transnationaler Geheimdienstkooperationen durch die nationalen Parlamente verlassen? Lösungsansätze sind vorrangig im nationalen Wirkbereich speziell auch außerhalb des Nachrichtendienstrechts zu suchen, denn hier können mittelfristige Forderungen für den Grundrechtsschutz gestellt werden, ohne dass diese eine vorzeitige Ausbremsung durch übernationale politische Beziehungen erfahren. Hier erhält auch der in der Überwachungsdebatte schon oft gefallene Begriff der „staatlichen Schutzpflicht“ für die informationelle Selbstbestimmung wieder einen neuen Sinn: Diese unzweifelhaft bestehende rechtliche Gewährleistung wird nicht durch die mangelnde Realisierbarkeit aufgrund von außenpolitischen Vorgängen ausgebremst, sondern kann sich voll entfalten. Dies kann in der Form geschehen, als dass den Staat die nationale Gewährleistungsverantwortung trifft, den Bürger bei der Umsetzung von Datensicherheitsmaßnahmen zum Schutz seiner eigenen IT-Infrastruktur aktiv zu unterstützen. Der Einzelne wird folglich nicht dem Selbstschutz vor der Ausspähung überlassen, was zwangsläufig eine Teilentwertung seiner informationellen Grundrechte zur Folge hat, sondern staatliche Institutionen müssen aktiv eingreifen und der Gesetzgeber die hinreichenden Grundlagen dafür schaffen, damit jeder, der ein informationstechnisches System nutzt, in die Lage versetzt wird, Angriffe Dritter abzuwehren. Zu denken ist hier vor allem an endgerätebezogene technische Lösungen, die von einer unabhängigen Stelle zertifiziert werden. Der bisher passive Schutz der informationellen Selbstbestimmung muss folglich in eine aktive Strukturverantwortung umgewandelt werden, die es dem Einzelnen ermöglicht, trotz der nachrichtendienstlichen Datenauswertung weiterhin guten Gewissens die ihm zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Der Schutzzweck ist dabei nicht auf staatliche Dateneingriffe begrenzt, sondern kann ebenso den Schutz vor privat organisierten Hackern umfassen, wie möglicherweise auch der jüngste IT-Security-Vorfall bei den Speedport-Routern der Telekom gezeigt hat. Gerade für Deutschland als Technologiestandort dürfte es auf Dauer sinnvoll sein, die Anforderungen an einen hinreichend datensicheren und vertrauensvollen Technologiegebrauch möglichst frühzeitig rechtlich abzusichern, um nicht langfristig die damit verbundenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Innovationspotenziale zu hemmen.

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