Werbestrategie: Nachlass der Zuzahlung auf Diabetes-Produkte

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 10.12.2016
Rechtsgebiete: Weitere ThemenMedizinrecht|5101 Aufrufe

Eine der effizientesten Werbestrategien ist es, vom „Normalpreis“ mittels einer Werbegabe (Ware oder Leistung) abzuweichen. Das dachte sich auch ein Internetunternehmen, das mit medizinischen Hilfsmitteln, insbesondere solchen zur Behandlung von Diabetes handelte. Der Online-Versandhandel hatte bei seinem Internetauftritt mit Sätzen wie: „Zuzahlung bezahlen Sie übrigens bei uns nicht, das übernehmen wir für Sie!“ geworben. Das ist rechtens, sagten die Richter des Bundesgerichtshofs, Urteil vom 01.12.2016 - Az.:  I ZR 143/15.

Der medizinrechtliche Hintergrund

Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten, Verbandmitteln und Hilfsmitteln müssen Patienten einen Anteil der Kosten selbst tragen. Für die Hilfsmittel müssen die gesetzlich versicherten Patienten zehn Prozent zuzahlen, jedoch mindestens fünf, höchstens zehn Euro (§ 61 Satz 1 SGB V). Sind die Hilfsmittel zum Verbrauch bestimmt, beträgt die Zuzahlung zehn Prozent des Preises. Begrenzt ist dies auf zehn Euro pro Monat (§ 33 Abs. 8 SGB V).

Was passiert mit den Zuzahlungen? Auch das ist geregelt. Nach § 43c Abs. 1 SGB V haben Leistungserbringer Zahlungen, die Versicherte zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen.

Der GKV-Spitzenverband erstellt regelmäßig ein Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V). Aufgelistet sind darin die Hilfsmittel, die von den Kassen nach einer entsprechenden Verordnung übernommen werden können. So umfassen die Hilfsmittel für Diabetiker von Blutzuckerteststreifen bis zur Insulinpumpe eine Vielzahl von Produkten. Dabei sind die meisten Bedarfsmittel für diese Krankheit zum Verbrauch bestimmt. Der Markt ist riesig. Laut dem „Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2016“ sind in Deutschland mehr als 6 Millionen Menschen von der Erkrankung Diabetes betroffen.http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/presse/ddg-pressemeldungen/meldungen-detailansicht/article/neue-zahlen-zum-weltdiabetestag-am-14-november-2015-deutscher-gesundheitsbericht-diabetes-2016.html.

Die Entscheidungen der Gerichte

Gegen die Angaben des Internethändlers hatte die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs geklagt. Sie argumentierte, der Online-Versandhandel verstoße gegen die Regelungen zur Zuzahlung in § 33 Abs. 8 SGB V und § 43c Abs. 1 SGB V. Außerdem hätte das Unternehmen gegen das Verbot von Werbegaben in § 7 Abs. 1 HWG verstoßen.

Das LG Ulm, Urteil vom 23.06.2014 – Az.: 3 O 4/14 hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung der Wettbewerbszentrale hatte dagegen zunächst Erfolg. Das OLG Stuttgart, Urteil vom 09.07.2015 – Az.: 2 U 83/14, war der Auffassung, der Verzicht auf die Zuzahlung widerspreche der gesetzlichen Pflicht, die Zuzahlungen für Hilfsmittel einzuziehen. Das sei eine im Gesundheitswesen verbotene Werbegabe. Erfolgreich für den Händler war die Revision beim Bundesgerichtshof. Dieser stellte die die Klage abweisende Entscheidung des Landgerichts wieder her.

Der BGH argumentierte: Die gesetzlichen Zuzahlungsregelungen dienten der „Kostendämpfung im Gesundheitswesen“. Nicht geschützt seien die Mitbewerber. Die Einhaltung dieser Regeln könne von vornherein nicht mit Mitteln des Lauterkeitsrechts durchgesetzt werden.

Das LG Ulm formulierte es in seinem Urteil vom 23.06.2014 so: „Über § 33 Abs. 8 SGB V nimmt der Gesetzgeber keinen Einfluss auf die Preisgestaltung eines Anbieters; insofern kann es auch nicht Sinn der Regelung sein, "Rabattschlachten" bzw. einen "Verdrängungswettbewerb" zu verhindern. Anders als im Arzneimittelbereich (§ 78 AMG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 3 Abs. 1 AMPreisV) gibt es im Hilfsmittelbereich keine Preisvorschriften.“

Der Zuzahlungsverzicht sei auch keine verbotene Heilmittelwerbung, urteilten die Richter des BGH. Nach dem HWG seien bestimmte oder auf bestimmte Art zu berechnende Rabatte jeder Art für nicht preisgebundene Arzneimittel, Medizinprodukte und andere Heilmittel erlaubt. Bei den Hilfsmitteln sei die Berechnung von Zuzahlungen an die Höhe des Abgabepreises gekoppelt und ohne weiteres möglich.

Auch die sozialrechtlichen Regelungen zur Zuzahlung stünden einem solchen Rabatt bei Hilfsmitteln nicht entgegen. Entscheidend sei, dass nach § 33 Abs. 8 SGB V bei Hilfsmitteln der Verkäufer und nicht die Krankenkasse Inhaber der Zuzahlungsforderung gegen die Versicherten werde. Der Vergütungsanspruch des Hilfsmittellieferanten gegen die Krankenkasse verringere sich automatisch um die Zuzahlung, entschieden die Richter in Karlsruhe. Da dem Verkäufer der Hilfsmittel die Zuzahlung zustehe, stünde es ihm frei, auf sie verzichten.

Die Pressemitteilung des Gerichts zu dem noch nicht veröffentlichten Urteil vom 01.12.2016 ist unter:http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2016&Sort=3&nr=76677&pos=3&anz=223 nachzulesen. 

Bedeutung hat die Entscheidung nicht nur für Diabetes-Produkte, sondern u.a. auch für Rollstühle und Prothesen. Bei einer stetig alternden Gesellschaft wächst der Markt für die Hilfsmittel rasant.

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