BGH: Schuldunfähig wegen Schizophrenie? Bitte nicht zu schnell bejahen!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.12.2016
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|20255 Aufrufe

Die Unterbringung nach § 63 StGB ist ein scharfes Schwert, mit dem man dementsprechend vorsichtig umgehen muss. Daran hat einmal mehr der BGH erinnert. Das Tatgericht hatte Schuldunfähigkeit wegen Schizophrenie zu pauschal angenommen...und kam dann zur Bejahung der Voraussetzungen des § 63 StGB:

Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine
Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel
ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beging der mehrfach
vorbestrafte Angeklagte in der Zeit vom 25. März 2015 bis zum
13. Februar 2016 mehrere Straftaten. Mehrfach beschimpfte, beleidigte und
bedrohte er Nachbarn. In einem Fall reagierte er auf die Ansprache von Polizeibeamten
verbal und körperlich aggressiv. Außerdem bewarf er den Inhaber
eines Schuhgeschäfts mit einem Herrenslipper, ohne ihn zu treffen. Kurze Zeit
später schleuderte er einen Aluminiumstuhl mit erheblicher Wucht in Richtung
des Kopfes eines Passanten. Dieser konnte den Stuhl mit seinem Arm abwehren
und verletzte sich dabei. In zwei weiteren Fällen verhielt sich der Angeklagte
ebenfalls verbal und körperlich übergriffig.
Die Strafkammer hat dem gehörten psychiatrischen Sachverständigen
folgend weiter festgestellt, der Angeklagte leide an einer als krankhafte seelische
Störung einzuordnenden paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem
Formenkreis der Schizophrenie. Diese sei akut dekompensiert gewesen. Deshalb
sei im gesamten Tatzeitraum die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
sicher erheblich vermindert gewesen; daneben könne die Aufhebung der Einsichtsfähigkeit
des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden.

1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme,
die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen
darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn u.a. zweifelsfrei
feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund
eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig
war und die Tatbegehung hierauf beruht. Das Tatgericht muss die die Unter-
bringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen,
dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen

(st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2014 - 3 StR
113/14, juris Rn. 5; vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5). Das Tatgericht
ist insbesondere gehalten, konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden
Auswirkungen der Störung zu den jeweiligen Tatzeitpunkten zu treffen

(BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016,
135; vom 2. August 2016 - 2 StR 574/15, juris Rn. 6).

b) Hieran gemessen bestehen mit Blick auf die bisherigen, insgesamt
zur Schuldfähigkeit des Angeklagten und zur Unterbringung nach § 63 StGB
eher knappen Ausführungen des Landgerichts durchgreifende Bedenken. Die
Urteilsgründe belegen nicht, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten
schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war. Sie beschreiben lediglich in
allgemeiner Form das vom Sachverständigen diagnostizierte und von der Strafkammer
angenommene Störungsbild, setzen sich aber mit dem konkreten Zustand
des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten und den Auswirkungen der Erkrankung
in den konkreten Tatsituationen nicht auseinander. Dies ist jedoch
gerade in den Fällen der Schizophrenie unabdingbar; denn diese führt für sich
genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume
überdauernden Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (st. Rspr.; vgl. etwa
BGH, Beschluss vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Allein
die pauschale, nicht näher begründete Aussage zu dem Zustand des Angeklagten
während des gesamten Tatzeitraumes von immerhin fast einem Jahr genügt
deshalb insoweit nicht. Nicht näher dargelegt wird auch, wieso die Erkrankung
des Angeklagten sich einerseits derart auf seine Steuerungsfähigkeit
auswirkte, dass diese erheblich vermindert war, andererseits zugleich nicht
ausschließbar zu einem Ausschluss der Einsichtsfähigkeit geführt haben soll.
Regelmäßig darf nicht offen bleiben, ob die psychische Störung die Einsichtsoder
die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten vermindert oder aufgehoben
hat; für die Feststellung der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB muss deshalb
grundsätzlich zwischen Einschränkungen der Einsichts- und solchen der
Steuerungsfähigkeit unterschieden werden.
Insbesondere die - nach den Feststellungen
hier nicht ausgeschlossene - Anwendung des § 21 StGB kann nicht
zugleich auf beide Alternativen gestützt werden (vgl. BGH, Beschluss vom
30. Juni 2015 - 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273; vgl. zum Ganzen auch
Fischer, StGB, 63. Aufl., § 20 Rn. 3, 44a; § 63 Rn. 11a jew. mwN). Ohne nähere
Erläuterung ist es deshalb nicht möglich nachzuvollziehen, ob hier einer derjenigen
Fälle vorliegt, bei denen die Krankheit des Angeklagten sich ausnahmsweise
sowohl auf die Einsichts- als auch auf die Steuerungsfähigkeit
auswirken kann.

2. Die aufgezeigten Rechtsfehler bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung
durch das Landgericht betreffen auch den freisprechenden Teil des Urteils. Die
Aufhebung des Freispruchs wird nicht dadurch gehindert, dass allein der Angeklagte
Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss
vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch
1). Von der Aufhebung ausgenommen sind allerdings die rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen zu den äußeren Geschehensabläufen (s. § 353
Abs. 2 StPO).

BGH, Beschluss vom 13.10.2016 - 3 StR 351/16

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1 Kommentar

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Bei der sog. "Einsichtsunfähigkeit" ist m.E. auch noch eine Differenzierung notwendig:

a) es fehlt Einsicht in das Unrechtmäßige des eigenen Tuns.

b) es fehlt Einsicht in ein eigenes "psychisches Kranksein".

Eine Anmerkung dazu: Der Begriff der "psychischen Krankheit" bzw. des "psychischen Krankseins" ist ein ganz umstrittener Begriff, nicht nur in der Medizin. Im forensischen Bereich überläßt die Justiz gewöhnlich den Psychiatern die Deutungshoheit darüber, und da liegt ja nicht nur seit Gustl Mollath und vielen psychiatrischen Fehldiagnosen auch vieles immer noch im argen.

Aber auch wenn ein Mensch sich selber für schizophren und psychisch krank hält, muß damit noch nicht seine eigene Einsicht in das Unrechtmäßige eines eigenen Tuns automatisch und immer - damit auch zeitlich - aufgehoben sein.

Auch er kann ganz gewöhnliche kriminelle Taten, wie jeder andere Mensch auch, noch begehen aus genau den gleichen Motiven heraus, wie jeder andere Kriminelle.

 

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