Neue Gesetze gegen Terror?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 23.12.2016

Terroranschläge können nicht absolut verhindert werden. Weder durch eine andere Flüchtlingspolitik noch durch andere Ausländer-oder Strafgesetzgebung lässt sich ausschließen, dass ideologisch oder religiös verblendete Menschen an einer der Stellen zuschlagen, die in einer freien Gesellschaft einfach nicht vollständig geschützt werden können. Ein fast vollständiger Schutz könnte allenfalls dann gelingen, wenn wir im Gegenzug unsere Lebensweise erheblich einschränkten. Wir wollen aber OpenAir-Konzerte, wir  wollen Weihnachtsmärkte, wir wollen freien Zugang zu Bahnhöfen und zu Fußgängerzonen, wir wollen draußen Silvester feiern. Das alles gehört zu unserem Lebensstil, den wir uns von Terroristen nicht verderben lassen wollen und werden.

Aber es  ist selbstverständlich richtig und legitim, alle Möglichkeiten des Rechtsstaats auszuschöpfen, um Sicherheit so weit wie irgend vertretbar herzustellen. Deshalb muss auch im Fall des Anschlags von Berlin analysiert werden, welche Maßnahmen diese konkrete Tat erschwert oder verhindert hätten, um solche zumindest künftig anwenden zu können. Nun hat sich herausgestellt, dass man den Attentäter – mit sehr großer Wahrscheinlichkeit der inzwischen in Mailand getötete Tunesier Amri –  seitens der Sicherheitsbehörden (Polizei, Verfassungsschutz) schon länger  „auf dem Schirm“ hatte, dass sein Asylantrag abgelehnt wurde, dass er ausreisepflichtig war, dass er teilweise auch überwacht wurde, dies aber nicht konsequent geschah. Das ist nicht nur ein tragischer Zufall, sondern zeigt, dass es möglich gewesen wäre, diesen mörderischen islamistischen Terrorakt zu erschweren oder ihn sogar zu verhindern.

Nun wird überlegt, mit welchen neuen gesetzlichen Maßnahmen man auf den Terrorakt reagieren kann. Aber indem man seitens der Bundesregierung und der für die Sicherheit primär zuständigen Landesinnenministerien argumentiert, gegen eine wirksamere Überwachung des als „Gefährder“ eingestuften Amri sei man rechtsstaatlich gehindert  gewesen, wird das schon vorhandene gesetzliche Arsenal verschwiegen und dem Publikum der sprichwörtliche Bär aufgebunden. Die Schuld schiebt man lieber den konkurrierenden politischen Parteien zu, die angeblich strengere Gesetze blockiert hätten oder –  noch bequemer – dem Ausland, hier also Tunesien, das nicht bereit gewesen sei, den tunesischen Staatsbürger Amri  zurück zu nehmen.

Ex-Staatsanwalt Heribert Prantl hat demgegenüber in der Süddeutschen Zeitung  zutreffend darauf hingewiesen, dass das Arsenal an Maßnahmen und rechtlichen Möglichkeiten gegen Amri offensichtlich nicht ausgeschöpft worden sei; insbesondere die Möglichkeit des Aufenthaltsgesetzes, als „gefährlich“ eingestufte und zur Ausreise verpflichtete Personen per Auflagen zu beaufsichtigen und bei Verstößen ggf. zu inhaftieren. So erlauben die §§ 56 („Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit“), 58a („Abschiebungsanordnung“) und 61 („Räumliche Beschränkung, Wohnsitzauflage, Ausreiseeinrichtungen“) des Aufenthaltsgesetzes schon nach derzeitigem Stand einschneidende und umfangreiche Maßnahmen, die bei Amri – obwohl er mit seinen Vorbelastungen auf den ersten Blick sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllte und es sogar konkrete Warnungen vor einem Terroranschlag gab  – offensichtlich nicht ergriffen bzw. nicht durchgesetzt wurden. Nach § 95 AufenthG sind Verstöße gegen entspr. Meldeauflagen strafbar.

Die nun demnächst auf neue Überwachungsgesetze pochenden Innenminister der Länder und des Bundes sollten beizeiten von der Medienöffentlichkeit daran erinnert werden, dass neue Gesetze keinen Sinn machen, wenn man die schon bestehenden nicht konsequent nutzt bzw. anwendet. Zudem: Wie soll z.B. eine Videoüberwachung aller Bürger ein Delikt verhindern, bei dem die Täter ohnehin nicht darauf setzen, unerkannt zu bleiben? Eine Überwachung macht allenfalls Sinn für die Aufklärung und Beweissicherung von Verbrechen, deren Täter typischerweise unerkannt bleiben wollen, nicht aber bei Terroristen, die ohnehin lieber sterben als sich einem Strafprozess auszusetzen und die passenderweise sogar ihre Personalpapiere und ihr Handy am Tatort zurücklassen.

Sollte  sich allerdings, wie Prantl andeutet, herausstellen, dass, wie schon im Fall des NSU, die Sicherheitsbehörden lieber eine neue „Quelle“ abschöpfen wollten als eine gefährliche Person festzusetzen, dann sollte auch hier die politische Führung konsequent reagieren. Geheimdienste, die nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit produzieren, können und dürfen wir uns nicht leisten.

Update 27.12.2016: Politiker machen nun einige Vorschläge. Aber was ist davon zu halten?

Nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein allgemeines Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des mutmaßlichen Attentäters Anis Amri bestritten.

Niemand behauptet ein "allgemeines Versagen". Meiner Meinung nach geht es um das spezielle Versagen, die gesetzlichen Möglichkeiten gegen Herrn Amri tatsächlich zu nutzen. Verantwortlich sind dafür die Personen in den Sicherheitsbehörden, die über die Anwendung des AufenthG (zB in NRW) konkret entscheiden. Die politische Verantwortung trägt der dortige Innenminister. Hier wird der einzelne Polzeibeamte in Schutz genommen - was richtig ist, und immer gut ankommt -, um die politische Verantwortung dahinter zu verstecken.

"Es gibt bisher juristisch keine ausreichende Möglichkeit, jeden dieser Gefährder rund um die Uhr überwachen zu lassen", sagte der CDU-Politiker der "Bild am Sonntag".

Das kann so sein, aber warum hat nicht stattdessen wenigstens die Möglichkeiten genutzt, die das AufenthG jetzt schon bietet (siehe oben)? Hier wird ein Strohmann-Argument aufgebaut, um die Verantwortung wegzuschieben.

Zu diesem Zeitpunkt schon ein abschließendes Fazit zu ziehen, wäre nicht seriös, betonte de Maizière. "Selbstverständlich werden wir den Fall aber bis ins Detail aufarbeiten und einen entsprechenden Bericht vorlegen."

Ja, darauf warten wir. Ich bin ziemlich sicher, dass man mit der internen Analyse so lange brauchen wird, bis kein Journalist mehr konkrete, unangenehme Fragen stellen kann, oder bis die Öffentlichkeit nicht mehr hinreichend interessiert ist.

Der nordrhein-westfälische CDU-Parteichef und Bundesvize Armin Laschet forderte rechtliche Konsequenzen nach dem Anschlag. Man müsse jetzt genau untersuchen, "was schief gelaufen ist", welche gesetzlichen Regelungen verbessert und welche Lücken in der Inneren Sicherheit geschlossen werden müssten, sagte Laschet am Samstag im "Morgenecho" auf WDR 5.

Bevor die Untersuchung beginnt, schon einmal rechtliche Konsequenzen zu fordern, nimmt das Ergebnis der Untersuchung (rechtliche Mängel) vorweg.

Tagesspiegel:

De Maizière (CDU) forderte den Berliner Senat auf, seine Haltung zur Videoüberwachung „dringend“ zu überdenken. De Maizière verwies in der „Bild am Sonntag“ auf die Linie der Bundesregierung: „Das Bundeskabinett hat am Mittwoch ein Gesetz beschlossen, das die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen erleichtert und damit einen wichtigen Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung leisten wird.“

Auch das ist eine Ablenkung. Videoüberwachung mag ja an bestimmten Stellen sinnvoll sein, um bestimmte Arten von Straftaten zu verhindern oder deren Aufklärung zu erleichtern. Jeder rational denkende Mensch weiß aber, dass Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen keine terroristischen Akte verhindern kann. Der Anschlag und seine Opfer werden hier benutzt, um alte Forderungen durchzusetzen.

Update (28.12.2016): Leyendecker in der Süddeutschen wundert sich:

Der Mann war nur einer von 549 Gefährdern, und dennoch wussten sie fast alles über ihn: mit welchen wirklich üblen IS-Sympathisanten er sprach, wen er anrief, wessen Telefone er benutzte. Alles bekannt - auch weil die Behörden in die Szene einen V-Mann eingeschleust hatten. Sie kannten die vielen Alias-Namen des Tunesiers, sie wussten, wo er welche und wie viele Moscheen (15) besucht hatte. Der Generalbundesanwalt war eingeschaltet, der Berliner Generalstaatsanwalt auch. Als sich Amri im Februar dieses Jahres in einem Chat jemandem vom IS als Selbstmordattentäter anbot, wurde seine Offerte von Sicherheitsbehörden mitgelesen.

(...)

Und dann ist doch passiert, was nie hätte passieren dürfen. Die Staatsschützer hatten keinerlei Fortune. Sie haben ihn am Ende doch falsch eingeschätzt. Vermutlich haben sie ihn doch irgendwie für einen Schwätzer gehalten, der zwar über Attentate redete, aber letztlich nur schwadronierte.

Am Ende stellt Leyendecker die richtigen Fragen:

Was bleibt, sind andere Fragen, und die meisten zielen auf die Regierenden in Nordrhein-Westfalen. Wie konnte es sein, dass es in dem Bundesland für Amri keine strengen Meldeauflagen gab? Wie konnte es sein, dass ein Gefährder wie er nach der Ablehnung seines Asylantrags ungehindert umherreisen konnte? Nordrhein-Westfalen verzichtete im Fall Amri auf alles, was gegriffen hätte. Polizei, Staatsschutz machten ihre Arbeit, aber die notwendigen Konsequenzen, die sich beispielsweise aus dem Aufenthaltsgesetz ergeben, wurden nicht gezogen: Wenn einer in Nordrhein-Westfalen gemeldet ist und sich vorwiegend in Berlin aufhält, muss ihn Nordrhein-Westfalen einsacken. Das geht. Da braucht man keine neuen Gesetze.

Update (30.12.2016): NRW-Innenminister Jäger reagiert ggü. der FAZ:

Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger hat die Arbeit der Sicherheitsbehörden im Fall des mutmaßlichen Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri verteidigt. Der Tunesier sei längere Zeit beobachtet worden. Dabei hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass er konkret einen Anschlag plante, sagte der SPD-Politiker am Freitag im „Morgenmagazin“ der ARD. Es sei nicht zulässig, jemanden präventiv in Haft zu nehmen, weil er möglicherweise gefährlich sei. Gehe es um sogenannte Gefährder, also Menschen, denen zugetraut wird, einen Anschlag zu begehen, müssten die Behörden zwischen Prahlerei und tatsächlichen Hinweisen unterscheiden. Bei der Observierung Amris vor allem in Berlin sei der Eindruck entstanden, dass er sich eher vom Salafismus weg- und zur allgemeinen Kriminalität hinbewege und ins Drogenmilieu abrutsche. „Wir diskutieren heute mit dem Wissen von heute. Mit dem Wissen von damals sieht das ein bisschen anders aus“, sagte Jäger.

Ja, es stimmt, dass man Gefährder nicht unmittelbar inhaftieren kann. Aber die Duldung des Amri galt nur für NRW. Eine Reisetätigkeit nach Berlin (und auch ein Abrutschen in allg. Kriminalität außerhalb von NRW) konnte durch konsequente Anwendung des AufenthG verhindert werden (s.o.). Nur wurde das Gesetz eben nicht angewendet. Verantwortlich: Dem Innenminister unterstellte Ausländerbehörden. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, dass man seitens der Journalisten den Innenministern, die jetzt nach neuen Gesetzen rufen, nicht immer wieder diese konkreten Fragen nach der Anwendung des AufenthaltsG stellt, solange, bis eine plausible Antwort gegeben wird.

Update (4.1.2017): Mein geschätzter Kollege Prof. Kubiciel hat auf LTO eine präventive Inhaftierung von Gefährdern in die Diskussion gebracht. Ich habe mich dort an der Diskussion beteiligt und hauptsächlich zwei Kritikpunkte angeführt:

1. Bevor nicht das Vollzugsdefizit bei §§ 56, 95 AufenthaltsG untersucht wird, halte ich die Diskussion um solche weitreichenden Eingriffsgesetze für wenig sinnvoll.

2. Selbst wenn eine solche Präventivhaft existierte, zweifle ich daran, dass sie zutreffend angewendet werden würde. Diese Zweifel beruhen gerade auf der mir fehlerhaft/ungenau erscheinenden Anwendung der bisherigen gesetzlichen Möglichkeiten.

Update (5.1.2017):

Spiegel Online berichtet einige Details zu den Ermittlungen/Überwachungen des Amri im Jahr 2016. Nachdem er schon mehrfach aufgefallen sei (u.a. wegen doppeltem Kassieren von Soziallleistungen und wegen der Suche nach Anleitungen zum Bombenbau) ist nach diesem Bericht  im "Sommer 2016" die Ausländerbehörde Kleve tätig geworden:

Sommer 2016: Die Ausländerbehörde in Kleve stellt Amri eine Duldungsbescheinigung auf den Namen Ahmed Almasri aus. Die Behörden wollen ihn so in dem Glauben lassen, dass sie seine wahre Identität nicht kennen. Im Juli 2016 soll er nach Informationen eines Undercover-Agenten damit geprahlt haben, ein Blutbad anrichten zu wollen.

Einem Ausländer eine falsche Identität zu verschaffen ist eigentlich keine Aufgabe der Ausländerbehörde. Man kann - wenn die Darstellung von SPON stimmt -  hier nur vermuten, dass damit eine verdeckte Überwachung von Geheimdienstseite aufrechterhalten  werden sollte. 

Das würde die auch schon von Heribert Prantl angestellte Vermutung stützen, Amri sei behördlicherseits ganz bewusst nicht mit Meldeauflagen am Verlassen von NRW gehindert worden. Vielleicht, weil man annahm, so auf die Spur noch gefährlicherer Personen zu kommen (?). Dass man bei der sinnvollen und wichtigen geheimdienstlichen Terrorbekämpfung auch einmal unabsichtlich falsch liegen kann, ist mir bewusst. Daraus allein würde ich auch noch keinen Vorwurf formulieren. Aber ich zweifle daran, dass dieselben Behörden, die nach der Spiegel-Meldung Amri mit einer falschen Identität ausgestattet haben statt Meldeauflagen durchzusetzen,  Amris präventive Inhaftierung veranlasst hätten, selbst wenn sie die (jetzt von einigen geforderte) gesetzliche Möglichkeit dazu gehabt hätten.

Update (11.01.2017):

Der Bundesinnen- und der Justizminister haben einige Gesetzesvorschläge gemacht, die wohl schon recht bald umgesetzt werden sollen. Es geht v.a. um eine erleichterte Abschiebehaft und um die Ermöglichung (präventiver) Fußfesselüberwachung für "Gefährder".

„Dies zeigt, dass wir in sehr kurzer Zeit imstande sind, vernünftige Ergebnisse zu erzielen, die die Sicherheit der Bürger erhöhen, ohne Freiheiten einzuschränken“, kommentierte de Maizière.

Eine Folge schneller Gesetzesänderung ist, dass damit die harten Nachfragen der Journalisten gezielt abgelenkt werden können. Die Verantwortung der Exekutive für die Behandlung Amris wird dann leicht vergessen. Es ist nach wie vor nicht geklärt, warum Amri nicht mit den bisher schon geltenden gesetzlichen Maßnahmen bedacht wurde.  Dies weckt meinen Zweifel am Sinn von schnellen Neuregelungen. Insbesondere wirft dies die Frage auf: Werden denn diese neuen Regeln in vergleichbaren Fällen auch angewendet? Die Einstufung als "Gefährder" hängt bislang von polizeilichen/geheimdienstlichen Erwägungen ab. Sobald daran harte Rechtsfolgen geknüpft werden, muss die Gefährdereigenschaft aber gerichtsfest belegt werden können. Wird man, um "Quellen nicht zu verbrennen", doch wieder Gefährder lieber an der langen Leine "führen" wollen?

Zudem: Die Abschiebehaft gilt nur für einen Teil der Gefährder. Ca. die Hälfte der so eingeschätzten Islamisten haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Eine Abschiebehaft kommt für sie gar nicht in Betracht.

Und bei allem sollte man auch rechtsterroristische Gefährder nicht aus den Augen verlieren.

Update 20.01.2017

Ich habe heute ein im Auftrag der FDP-Landtagsfraktion NRW erstelltes Gutachten zu den ausländerrechtlichen und strafprozessualen Möglichkeiten im Fall Anis Amri in Düsseldorf vorgestellt.
Hier ein Pressebericht dazu: Welt.
Noch einer: Westdeutsche Zeitung
Hier ein kurzes Video-Interview dazu: YouTube.

Mein Gutachten ist jetzt von der FDP-Fraktion Online gestellt worden: Link

Update 28.01.2017:

In einem Interview mit dem Spiegel bestätigt nun Bundesinnenminister de Maiziere meine im Gutachten vertretene Auffassung:

"Im Oktober 2016 hat Tunesien einem Verbindungsbeamten des BKA mitgeteilt, dass Amri sein Staatsbürger ist. Spätestens da hätte auf Basis des geltenden Rechts ein Antrag auf Abschiebehaft gute Erfolgsaussichten gehabt."

(Kostenfreie) Quelle: T-Online

Update 26.03.2017: Heute berichten die Medien (zB BamS  RP-Online) verstärkt darüber, das Innenministerium sei schon Anfang 2016 gewarnt worden, Anis Amri plane einen Anschlag. Das ginge aus einem damals überwachten Chat hervor. Allerdings waren ähnliche Informationen schon im Dezmeber 2016/Januar 2017 verfügbar. Es war schon Grundlage meines Gutachtens, dass Anfang 2016 vor Anis Amri gewarnt wurde, weil er sich offenbar damit gebrüstet hatte, er wolle einen Anschlag mit Schnellfeuerwaffen begehen. Was heute (erneut und zutreffend) Innenminister Jäger vorgeworfen wird, ist also m.E. weniger neu als es manchem Journalisten erscheint (anders  Miriam Hollstein auf Twitter). Es bestätigt aber das Ergebnis  meines Gutachtens: Jäger ist keineswegs bis an die "Grenzen des Rechtsstaats" gegangen. Er hat nicht mal versucht, bei den Gerichten anzuklopfen.

Update 28.03.2017: Mein Kollege Bernhard Kretschmer hat gestern sein Gutachten (105 Seiten) vorgelegt, mit dem er im Ergebnis Fehler der nordrheinwestfälischen Exekutive im Fall Amri verneint. Zu seinem Gutachten haben ihm die Akten der Strafverfahren und der ausländerrechtlichen Verfahren vorgelegen, so dass seine Datenbasis umfangreicher ist als diejenige, die ich im Januar für mein Gutachten (25 Seiten) zur Verfügung hatte. Seine rechtlichen Bewertungen sind aber auch unabhängig davon in einigen Punkten abweichend. Teilweise mag das mit dem Wortlaut des Gutachtenauftrags zusammenhängen. Ich wurde beauftragt, die rechtlichen Möglichkeiten im Fall Amri zu begutachten, ob Behörden "Fehler" gemacht haben, sollten andere erst auf Grundlage des Gutachtens beurteilen. Derzeit wird darüber gestritten, ob Herr Kretschmer tatsächlich so unabhängig ist, wie die Landesregierung behauptet, da er derzeit über eine Position an der Uni Bielefeld verhandelt.

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173 Kommentare

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Wenn ich das richtig gelesen habe, dann hätten die Meldeauflagen bis zur Abschiebung aufrecht erhalten werden können oder sogar müssen. Bei einem Verstoß wäre Verschärfung oder Haft möglich gewesen. Die hier vermutete Absicht durch Laufenlassen weitere Hintergründe und mögliche Netzwerke aufzuklären, wurde wohl offiziell bisher nicht als Grund angegeben. In einem solchen Fall wäre es aber wohl auch sehr ungewöhnlich, die Überwachung einfach abzubrechen, weil der Verdächtige eine Weile die "Füsse still hält" und sich mit verschiedensten Identitäten in "normaler" Kriminalität übt. Spätestens dann hätten die Meldeauflagen eingesetzt werden müssen. Vielleicht ist ja wirklich nur etwas in der Kommunikation schief gelaufen. Aber es ist nun einmal so: Der Lokführer oder der Brummifahrer, der wegen einer Unachtsamkeit, Fehleinschätzung, Übermüdung oder einen Blackout einen schweren Unfall verursacht, muss sich seiner Situation stellen. Ein Statiker, der wegen falscher Berechnung den Einsturz eines Bauwerkes verursacht, muss sich seiner Situation stellen. Niemand wird für ihn lügen und systematisch die amtliche Aufklärung verweigern. Für Beamte haftet der Staat und ist zur Fürsorge verpflichtet. Billigt man sich etwa deshalb von Amts wegen gegenseitig eine informelle Immunität zu? Dann aber schnell weg damit, bevor es Fähigkeiten und Akzeptanz vollkommen zersetzt.            

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Lutz Lippke schrieb:

Billigt man sich etwa deshalb von Amts wegen gegenseitig eine informelle Immunität zu? Dann aber schnell weg damit, bevor es Fähigkeiten und Akzeptanz vollkommen zersetzt.            

Sehr geehrter Herr Lippke,

Sie dürfen spekulieren, so viel Sie wollen, aber das sind doch fast alles bisher Spekulationen.

Ich kann mir da durchaus vieles bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus vorstellen, was über den von Ihnen zitierten Bereich von "normalen" Beamten, Lokführern, LKW-Fahrern, Statikern usw. hinausgeht.

Dazu gibt es eben auch noch die Geheimdienste neben Interpol und Europol. Auch wenn Sie, und vielleicht andere hier, die abschaffen wollten.

Das internationale organisierte Verbrechen ist vermutlich leichter zu bekämpfen als dieser islamistische internationale Terrorismus. Im übrigen durfte ich schon einmal bei einem ganz "normalen" Strafprozeß nicht mehr zuschauen, weil ein verdeckter Ermittler der Kriminalpolizei vom Gericht vernommen wurde und das Verfahren dann nicht mehr öffentlich geführt wurde.

Aber spekulieren Sie ruhig weiter, neue Fakten oder neue Spekulationen aber haben Sie noch nicht gebracht, die über andere, die es auch schon hier zu lesen gab, hinausgehen.

Besten Gruß

GR

 

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Universität Hannover
Fachbereich Rechtswissenschaften
Priv.-Doz. Dr. Matthias Krahl
 
Strafrechtliches Seminar - Sommersemster 2000
 
„Verdeckter Ermittler und V-Mann bei der Beweiserhebung und
Beweisverwertung in der Hauptverhandlung unter  
besonderer Berücksichtigung der §§ 52, 136a, 136/163a, 252 STPO“

 

Wer Lust dazu hat, kann das ja mal durcharbeiten, sind ja nur 51 Seiten eines PDF.

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Zitat:

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) haben als Konsequenz aus dem Anschlag in Berlin eine Reihe von Gesetzesverschärfungen vereinbart.

Da die LTO ein Produkt für Juristen ist, erstaunt mich die Selbstverständlichkeit mit der hier der Exekutive sogleich die Funktion der Legislative und Judikative zugeordnet wird. Die Minister können sicher die strikte Anwendung bereits geltender Gesetze durch die Exekutive vereinbaren und im Rahmen der Dienstaufsicht auch die Judikative dazu anhalten. Das entspräche der Überschrift "Bun­des­re­gie­rung geht schärfer gegen Gefährder vor". Davon ist aber im Artikel gar nichts zu lesen. Natürlich können sie auch Gesetzesentwürfe vereinbaren. Es müsste dann sinngemäß korrekt heißen: "vereinbarten einen Entwurf zur Verschärfung von Gesetzen". Damit wäre die Überschrift aber wieder falsch. Diese müsste dann sinngemäß lauten "Bundesregierung beabsichtigt schärferes Vorgehen gegen Gefährder".       

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Tja, wahrscheinlich ist man sich seiner Regierungsmehrheit so sicher... Angesichts der Popularität von allem, wo Sicherheit drauf steht, wird aber wahrscheinlich wirklich aus dem Parlament kein Widerstand zu erwarten sein. So wäre die Überschrift zwar rechtlich verkürzt, aber inhaltlich praktisch gar nicht so falsch...

Die Judikative kann man übrigens nicht zu irgendwas anhalten. Zwar besteht gegenüber der Staatsanwaltschaft nominell auch eine Fachaufsicht der Ministerien, aber Einmischungen hier werden schnell zum Politikum, wie man ja vor gar nicht so langer Zeit gesehen hat. Und die Dienstaufsicht gegenüber den Gerichten betrifft nur Äußerlichkeiten, nicht die Gesetzesanwendung... Eine Einwirkung auf die Entscheidungen der Judikative geht insoweit tatsächlich nur über Gesetze, die die Regierung ja immerhin initiieren kann.

Und das kann man heute dort lesen:

"Fußfesseln, Abschiebehaft u.a.:  Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Bundesjustizminister Heiko Maas haben sich auf einen "Zehn-Punkte-Plan" geeinigt, der für mehr Sicherheit und Schutz gegen Terror sorgen soll. Der Entwurf sieht unter anderem eine erleichterte Abschiebehaft für mögliche ausländische Terroristen und auf Bundesebene den Einsatz elektronischer Fußfesseln zur Überwachung von sogenannten Gefährdern vor, die nicht strafrechtlich verurteilt wurden. Außerdem solle mehr Druck auf die Herkunftsländer ausgeübt werden, damit diese ihre abzuschiebenden Bürger wieder aufnehmen. Es berichten die SZ (nif), das Hbl (Frank Specht u.a.) und der Tsp (Jost Müller-Neuhof). Mit der Wirksamkeit und Notwendigkeit dieser und anderer Maßnahmen setzt sich die taz (Christian Rath u.a.) ausführlich auseinander.

Reinhard Müller (FAZ) kommentiert, dass die von de Maizière und Maas vorgeschlagenen Maßnahmen zwar Eingriffe in die Grundrechte darstellten, jedoch verhältnismäßig seien."

Die SZ berichtete gestern auch von Kretschmanns "klarer Linie" in Baden-Würtemberg.

"Meine Linie ist da ganz klar. Wir werden bei den Gefährdern bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen gehen, wenn das erforderlich ist", sagte Kretschmann zu möglichen Konsequenzen aus dem Terroranschlag von Berlin. Im Detail habe sich seine grün-schwarze Regierung noch keine Meinung zu den Reformideen gebildet.

Alles klar?

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Man darf auf den Gesetzestext mal gespannt sein. Gesetze mit heißer Nadel in unmittelbarer Nähe von Grundrechten sind ja immer die Garantie für einen Eiertanz von Verwaltung und Rechtsprechung, die damit irgendwas Vernünftiges und nach Möglichkeit Verfassungsgemäßes anstellen sollen. Ehrlich gesagt, ist die Abschiebehaft für Terroristen (!) ein marginales Problem: Die Abschiebung aus der Strafhaft ist in der Regel gut organisierbar. Lustig ist, wie derzeit alle mit dem Begriff des "Gefährders" umgehen. Bei wegen entsprechenden Taten Verurteilten kann man sicherlich über weitere Maßregeln gut diskutieren. Lustig wird es bei den "nichtverurteilten Gefährdern". Hier wird einerseits die Definition interessant. Zwar gilt die Unschuldsvermutung nur im Strafrecht, aber auch polizeirechtlich sind an Grundrechtseingriffe (gottseidank) Voraussetzungen geknüpft. Und angesichts der doch mittlerweile recht umfassenden Vorfeldstrafbarkeit im Staatsschutzbereich darf man gespannt sein, wo ein sinnvolles Anwendungsfeld bestehen wird, in dem man eine von dem "Gefährder" ausgehende, konkrete Gefahr aufgrund eines Verhaltens wahrnehmen und zur Not vor dem Verwaltungsgericht beweisen kann, welches noch keine Straftat darstellt. Die Einordnung als "Nafri" wird wohl nicht reichen.

Habe nun oben im Beitrag noch ein Update eingefügt.

Grüß Gott Herr Professor,

ich habe Ihren Wikipedia-Artikel um einen zusätzlichen Absatz ergänzt:

https://de.wikipedia.org/wiki/Henning_Ernst_M%C3%BCller

Es geht dabei um Ihre Position in der gegenwärtigen rechtspolitischen Debatte. Sollte ich den Absatz noch um Differenzierungen ergänzen oder ist der Wikipedia-Artikel in Ihrem Sinne? 

Viele Grüße aus München

Den Erwägungen im Update kann man sich anschließen. Die Frage

Wird man, um "Quellen nicht zu verbrennen", doch wieder Gefährder lieber an der langen Leine "führen" wollen?

impliziert eine Vermutung, zu der es bisher keine offiziellen Aussagen gibt. Kann oder muss es die geben? Ich denke ja. Wenn die Tatsachen dazu aus Gründen der Sicherheit nicht offengelegt werden können, ist zumindest eine Übernahme der Verantwortung notwendig. Angenommen die Vermutung einer geheimdienstlichen Überwachung trifft zu, dann wurde mit "an der langen Leine führen" der Anschlag wissentlich oder unwissentlich in Kauf genommen. Wenn Amri dagegen nach erfolgloser geheimdienstlicher Sonderbehandlung von der "langen Leine wieder losgelassen" wurde, wie es einige Meldungen vermuten lassen, lag das Versäumnis in der unterlassenen Überführung in die gesetzlich bereits vorgesehene Behandlung als Gefährder (z.B. Meldeauflagen etc.). Da Entscheidungen dazu nicht von geheimdienstlichen Quellen oder ausführenden Beamten getroffen werden, kann und müssen Vorgesetzte oder die politische Führung dafür Verantwortung übernehmen. Das gehört zum Job. Welche Institution war am 19.12.2016 grundsätzlich für Amri zuständig?      

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Weil man gegen solche Attentate sehr wenig präventiv im Vorfeld tun kann, werden eben nun schnell neue Regelungen gezimmert.

Auch eine Abschiebung allerdings wird eine illegale Wiedereinreise nicht völlig verhindern können, darum sind aber genaue Einreisekontrollen nicht schon völlig obsolet.

Die nachträgliche intensivere Überprüfung der vielen Eingereisten aus dem Jahr 2015, die auch in vollen Zügen ankamen, wäre auch noch abzwarten, in der Eile damals wurden auch nur wenige Fingerabdrücke genommen.

Wem geben die heutigen Kritiker denn dafür nun die Schuld?

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Was hilft die Frage nach der Schuld? Die deutschen Behörden vor Ort haben, soweit ich das verfolgen konnte, getan, was sie konnten. Die Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, kam von der Bundesregierung. Schuld also dort? Ich hätte in dem Winter auch nicht wirklich ohne Schuldgefühle mein warmes Essen in meiner warmen Wohnung essen können, wenn ein paar Kilometer weiter zehntausende Menschen zu erfrieren drohen, die vor Konflikten geflohen sind, an denen auch wir Westler in historischer und nicht so historischer Weise eine Verantwortung tragen. Also Schuld durch fehlerhafte Organisation? Tja, ich war auch über den Zusammenbruch einer der effizientesten Verwaltungen/Personenstandswesen der Welt erschrocken, aber andererseits tickte die Uhr und Entscheidungen mussten unter großem Druck her. ME hat in dem Zusammenhang einfach die EU komplett versagt, aber da von Schuld zu sprechen, macht das Ganze auch wieder zu abstrakt.

Unabhängig davon wird man wohl, auch wenn es unpopulär ist, individuelle Freiheiten auch ggü behaupteten Sicherheitsverbesserungen einführen können. So sollten zB vor großflächiger Einführung bzgl. der Videoüberwachung überlegt werden: Wie sollen die ganzen Daten ausgewertet werden? Wie werden die Daten geschützt? Wann und wie werden Daten vernichtet? Wo lohnt das Kosten/Nutzen-Verhältnis, wo nicht? Welcher Gewinn kann durch eine Zentralisierung der Sicherheitsbehörden erzielt werden, der nicht durch bessere Zusammenarbeit/Datenabgleich erreicht werden kann? Föderalismus hat im Sicherheitsbereich eben auch seinen freiheitssichernden Charakter; ein Aspekt der angesichts der sich ausbreitenden Sympathie auch im Inland für "starke Männer" und Erfolgen populistischer Parteien auch in Nachbarländern mit langen demokratischen Traditionen vielleicht nicht vergessen werden sollte. Bei aller Sorge um die Sicherheit sollte man auch der eigenen Staatsgewalt nie ganz unkritisch gegenübertreten und zukünftige Missbrauchsgefahren im Auge behalten.

Was hilft die Frage nach der Schuld? Die deutschen Behörden vor Ort haben, soweit ich das verfolgen konnte, getan, was sie konnten. Die Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, kam von der Bundesregierung. Schuld also dort?

Juristisch könnte sich auch die Frage der Schuld noch stellen. Es gibt unmittelbar Geschädigte des Anschlags. Der deutsche Rechtsstaat funktioniert nun mal so. Manches muss dabei perspektivisch gesehen, nicht die letzte Weisheit sein. Darum geht es hier zunächst aber nicht. Es geht auch nicht vordergründig um Grenzöffnung, die EU oder Fragen zu den Fluchtursachen. Der vermutliche Täter Amri war als Gefährder identifiziert, hatte sich entsprechend verhalten und war unabhängig von den Flüchtlingsströmen bei den Behörden auf dem Schirm. Hier geht es also um konkretes Fehlermanagement und um Verantwortung in Fragen der Terrorprävention, ganz zweckgebunden in zweierlei Hinsicht. Erstens, um für notwendige Sicherheitsmaßnahmen die richtigen Schlüsse zu ziehen und somit den zukünftigen Herausforderungen wirklich gewachsen zu sein. Zweitens, um den rechtsstaatlichen und demokratischen Regeln zum Amtshandeln rechtsstaatlich zu folgen bzw. diese demokratische Selbstverständlichkeit auch wieder in Übung zu bringen. Eine Immunität gegen Verantwortungsübernahme nach Belieben der Verantwortungsträger existiert in einem demokratischen Rechtsstaat nicht. Da sollte man sich auch nichts zurechtkonstruieren. Verantwortung ist aber auch nicht mit Schuld gleichzusetzen. Möglicherweise hat sich in manchen politischen und staatlichen Ämtern aber die Vorstellung verbreitet, dass die Bürger schon mit dem reinen Habitus eines resoluten Machers, des alles im Griff habenden Verwalters und rechtschaffenden Kümmerers ausreichend bedient sind. So manche Statements und Vorschläge nach dem Anschlag weisen auf eine solche Neigung hin. Das wäre angesichts der tatsächlichen Herausforderungen aber fatal. Der Anschlag offenbart eindringlich, dass es um tatsächliche Fähigkeiten und ganz konkret um die an Tatsachen orientierte, fachlich fundierte Abwägung notwendiger Korrekturen und ggf. ergänzender Maßnahmen geht.

         

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Herr Obermann, sehen Sie den Föderalismus schon in ernster Gefahr, wenn es mal etwas weniger Bundesländer als heute gäbe mit so großen Unterschieden?

Eine theoretische Diskussion sicherlich, aber auch andere Diskussionen erschöpfen sich inzwischen ja im Theoretisieren.

Gerade war wieder mal die "Ruck-Rede" von Roman Herzog zu hören, wie vorausschauend die doch war.

Aber wer für Herrn Amri nicht nur theoretisch verantwortlich war, das möchte  ich auch noch gerne erfahren.

 

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Deutschland: Kraft plädiert für Sonderermittler auf Bundesebene in Fall Amri   11. Januar 2017, 11:18 Uhr


Düsseldorf (AFP) Im Fall des Berliner Weihnachtsmarktattentäters Anis Amri hat die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) für einen Sonderermittler auf Bundesebene plädiert. "Der Bund sollte von seiner Möglichkeit Gebrauch machen und einen Sonderermittler einsetzen", sagte Kraft am Mittwoch vor Journalisten in Düsseldorf. Zugleich sprach sie sich für eine "gemeinsame unabhängige Begutachtung" des behördlichen Vorgehens auf Landesebene aus.

aus: DIE ZEIT

http://www.zeit.de/news/2017-01/11/deutschland-kraft-plaediert-fuer-sond...

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Auch heute morgen der Bericht, was auf LTO zum Thema zu lesen ist:

"De Maizière und der Terror: In einem ganzseitigen Interview mit der ZEIT (Marc Brost/Mariam Lau - zeit.de-Zusammenfassung) sagt Innenminister Thomas de Maizière: "Wir müssen uns jetzt vorbereiten auf unvorhergesehene große Krisen." Er fordert erneut mehr Kompetenzen für den Bund. Das wünsche auch die Bevölkerung, die keine Sorgen vor einem zu starken Zentralstaat habe. Maßnahmen gegen Gefährder, wie Anis Amri einer war, dürften nicht im Ermessen der Bundesländer liegen. Der Minister lehnt einen Kulturkampf gegen den Islam ab, fordert die Länder aber auf, salafistische Moscheen zu schließen.

Prantl und der Terror: Heribert Prantl (SZ) schlägt einen Ein-Punkt-Plan zur Überwachung islamistischer Gefährder vor: Jenes Instrumentarium, das zusammen mit § 58a Aufenthaltsgesetz eingeführt wurde, müsse endlich angewandt werden. Entsprechende Aufenthaltsauflagen könnten durch eine elektronische Fußfessel kontrolliert werden.

Elektronische Fußfessel: Die FAZ (Eckart Lohse) erklärt, welche Anwendungen heute schon rechtlich und technisch möglich sind und was künftig geplant ist. Die im BKA-Gesetz geplante Regelung einer Fußfessel für noch nicht verurteilte Gefährder werde nur wenige Personen betreffen, weil die meisten Gefährder nach Landesrecht überwacht werden."

Und das schreibt LTO zur Elektronischen Fußfessel: focus.de fasst Zweifel an der elektronischen Fußfessel für Gefährder zusammen. Kritiker monierten etwa, sie beschränke Selbstbestimmung und Freiheit des Betroffenen enorm. Es sei auch fraglich, ob die Maßnahme überhaupt dazu geeignet sei, terroristische Angriffe zu verhindern. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) habe beim Vorsitz der Innenministerkonferenz angeregt, schnellstmöglich eine länderübergreifende Umsetzung der Regelungen zu gewährleisten.

Eine rein mit Polizeipersonal durchgeführte Observierung eines "Gefährders" über 24 Stunden an 7 Tagen pro Woche erfordert und bindet vielleicht 20 Personen. Das Dunkelfeld bei diesen bereits jetzt schon bekannten "Gefährdern" aus der islamistischen Szene aber dürfte noch mit einem ein- oder sogar zweistelligen Faktor höher sein, außerdem gibt es noch die sog. "Sympathisanten", die traditionell nicht mit Polizeikräften zusammenarbeiten, die dürfen auch nicht dabei unterschätzt werden.

Wie das aber alles zu bewältigen ist, bleibt doch bisher im Unbestimmten.

"Weiße Salbe" mit der elektronischen Fußfessel wird m.E. nun angeboten, oder anders ausgedrückt, man streut dem Publikum damit Sand in die Augen.

Das zu erkennen und auch mal auszusprechen, sollte man aber nicht nur Rainer Wendt überlassen, der sich damit natürlich auch unbeliebt machte. Wem eine Botschaft nicht paßt, der schimpft dann auf den Überbringer, war auch schon in der Antike so üblich, Herr Lippke, mit Verlaub und allem Respekt.

Den Überwachungsstaat will er auch nicht, aber er kennt doch die Probleme der praktischen Umsetzung aller Maßnahmen.

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Sisiphos oder Schilda lassen Grüßen, wenn eine Regierung zuerst unkontrolliert Gefährder ins Land hinein lässt, und dann später jammert, sie habe zu wenig Mittel und Personal um die Gefährder ausreichend zu überwachen. 

Verschwörungstheoretiker würden vielleicht anmerken "ein Schelm wer Böses dabei denkt!".

Aber vermutlich hatte unsere Regierung keine bösen Absichten, sondern war einfach planlos und inkompetent.

Zur Sicherung gegen Terrorgefahren muß auch eine Kontrolle der Grenzen und einreisen gehören. Für die USA oder Kanada oder Großbritannien oder Australien oder Japan ist das selbstverständlich, aber hierzulande wird es oder wurde es ignoriert.

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In der LTO ist heute morgen zu lesen:

"U-Ausschuss im Fall Amri: Ein Untersuchungsausschuss soll im Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri Fehler der Behörden aufarbeiten, dafür haben sich am Wochenende der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU) ausgesprochen, wie die Montags-FAZ (Heike Schmoll), die Montags-SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo) und die Montags-taz (Konrad Litschko) berichten. Amri habe, wie nun bekannt wurde, Kontakte zu einem V-Mann des Landeskriminalamtes Düsseldorf gehabt. Insbesondere solle nun geprüft werden, ob die Behörden die Informationsbeschaffung aus der Islamistenszene über die Gefahrenabwehr gestellt hätten.

Julian Staib (FAZ) spricht sich für Ermittlungen durch einen unabhängigen Sonderermittler aus, der raschere und eindeutigere Ergebnisse liefern könne als das langwierige Prozedere eines Untersuchungsausschusses.

Berlin-Attentat: Bundesjustizminister Heiko Maas räumte im Umgang mit dem "Weihnachtsmarktsmarkt-Attentäter" Behördenfehler ein. Es solle geprüft werden, weshalb der Anschlag nicht verhindert werden konnte, obgleich Anis Amri den Behörden bekannt war, wie u.a. lto.de meldet. Ein ausführlicher Bericht über die Arbeit und das mögliche Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall Anis Amri findet sich in der Samstags-FAZ (Reiner Burger).

 

Abschiebungsanordnung: Der Spiegel (Dietmar Hipp u.a.) befasst sich mit § 58a Aufenthaltsgesetz, der vorsieht, dass ein Landesinnenminister oder in besonderen Fällen der Bundesinnenminister selbst eine Abschiebung anordnen kann und damit für die erleichterte Abschiebung von Ausländern, von denen eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehe, sorgen solle. Die Regelung wurde seit ihrer Einführung vor 15 Jahren nur einmal angewendet und sei praxisuntauglich.

Desinformation und Abschiebungen: Bundesjustizminister Heiko Maas spricht im Interview mit der WamS (Manuel Bewader u.a.) über die Gefahren von Desinformationskampagnen im kommenden Wahlkampf und über Abschiebungen von "Gefährdern". Das größte Hindernis bei Abschiebungen stelle der Widerstand der Herkunftsstaaten dar, die Ausreisepflichtigen wieder aufzunehmen. Deutschland solle aber nicht nur als "reiner Bittsteller" auftreten, sondern den Druck auf diese Staaten erhöhen, so Maas.

Elektronische Fußfessel: Der Spiegel (Martin Knobbe u.a.) beschäftigt sich mit der Wirksamkeit des Einsatzes einer elektronischen Fußfessel für nicht verurteilte "Gefährder" und den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen dieses Vorgehen. Im Leitartikel schreibt Martin Knobbe (Spiegel), dass die elektronische Fußfessel eine vorweggenommene Strafe darstelle, die mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar sei. Auch Thomas Darnstädt (spiegel.de) sieht in der Fußfessel für "Gefährder" keine rechtsstaatliche Methode, insbesondere gebe es keine stichhaltige juristische Definition für das Vorliegen der Gefährdereigenschaft."

Heute morgen schreibt die LTO zum Fall Amri:

"Nach dem nun auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorgelegten Bericht von Bundesinnen- und -justizministerium war der Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz seit dem Jahr 2015 regelmäßig Thema von Sicherheitsbesprechungen. Einschätzungen kamen sowohl vom Generalbundesanwalt, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, als auch von Landesbehörden aus Nordrhein-Westfalen und Berlin, berichtet die FAZ (Reiner Burger/Eckart Lohse). Sie hätten dabei übereingestimmt, dass mit dem "Eintritt eines schädigenden Ereignisses" durch Anis Amri trotz dessen Gefährlichkeit nicht zu rechnen gewesen sei. Bundesbehörden verneinten, dass er für sie als V-Mann tätig war.

Jost Müller-Neuhof (Tsp) hält in einem Kommentar weitere Aufklärung für nötig. Insbesondere müsse geklärt werden, warum von einer erwogenen Abschiebungsanordnung nach § 58a Aufenthaltsgesetz Abstand genommen wurde. Die Vorschrift sei schließlich eigens geschaffen worden, "um mit ausländischen Terrorplanern kurzen Prozess zu machen". Um wahlkampfbedingten Aufklärungsschwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, schlägt Heribert Prantl (SZ) die Bestellung eines Sonderermittlers vor. Als dessen "Ur-Vorbild" könne Hermann Höcherl gelten. Der CSU-Politiker habe 1978 "konkret und lehrreich" in kürzester Zeit dargelegt, welche Pannen bei der Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers passierten."

Gestern gab es auch die Sendung "hart aber fair" mit Frank Plasberg zu diesem Thema. Sehr interessant wurde es dann dabei, als diese Berliner Koalitionsvereinbarung eingeblendet wurde:
"Die Koalition hält Abschiebehaft und Abschiebegewahrsam grundsätzlich für unangemessene Maßnahmen und wird sich deshalb auf Bundesebene für deren Abschaffung einsetzen."
Und von den Behörden in Berlin und im Bund verlangen dann jene auch den Vollzug bestehender Gesetze, die das so beschlossen hatten.

Ergibt Sinn.

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Die Berlner Koalitionsvereinbarung hatte tatsächlich sicher keine Auswirkung auf Amri und den Anschlag am Breitscheidplatz. Das Zitat betrifft auch nicht die Terrorabwehr, sondern Integration und Aufenthaltsrecht unter dem Punkt "Aufenthaltsrecht berechenbar ausgestalten". Auf S. 151 heißt es: "An die Stelle einer reinen Abschiebepolitik soll die Förderung einer unterstützten Rückkehr treten. Dafür wird die Koalition bestehende Programme mehr als bisher nutzen und bei Bedarf durch ein Landesprogramm verstärken. Direktabschiebungen aus Schulen, Jugendeinrichtungen und Krankenhäusern sowie die Trennung von Familien bei Abschiebungen und Rückführungen in Regionen, in die Rückführungen aus humanitären Gründen nicht tragbar sind, wird es nicht mehr geben." In diesem Zusammenhang steht auch das bei "Hart aber fair" eingeblendete Zitat. Ein Bezug zur Terrorabwehr ist also konstruiert.

Zum Thema "Öffentliche Sicherheit" wird eine Stärkung, bessere Ausstattung und Präsenz der Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste und Strafverfolgung thematisiert. Zum Thema Verfassungsschutz reformieren heißt es auf S. 201: Bei einer sich ergebenden Zuständigkeit der Polizei (Gefahrenabwehr) oder der Staatsanwaltschaft (Strafaufklärung) ist eine eigene Tätigkeit des Verfassungsschutzes in diesem Sachverhalt ausgeschlossen.

Der Sinn von sinnentstellenden Zitaten ist Täuschung. Aber das wird "Hart aber fair" im Faktencheck wohl übersehen haben.

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Lutz Lippke schrieb:

 In diesem Zusammenhang steht auch das bei "Hart aber fair" eingeblendete Zitat. Ein Bezug zur Terrorabwehr ist also konstruiert. [...]

Der Sinn von sinnentstellenden Zitaten ist Täuschung. Aber das wird "Hart aber fair" im Faktencheck wohl übersehen haben.

Was meinen Sie dann zu diesem Zitat von Stefan Aust, auch im TV bei einer anderen Runde so geäußert, das ich nur sinngemäß wiedergeben kann, als er meinte, daß "der Terror der RAF erst aufhörte und sich auch Fahndungserfolge einstellten, als sich auch die Symphatisanten dann davon abwandten".

Dazu dürfen Sie dann auch wieder die Fakten auf Konstruktionen checken, Herr Lippke.

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Was Sie damit konstruieren wollen, erschließt sich mir kaum. Dass der laxe Umgang der Sicherheitsbehörden mit Amri, der Anschlag am Breitscheidplatz und die jetzigen Verrenkungen bei der Aufarbeitung etwas mit konkreten Sympatisanten außerhalb der Islamistenszene zu tun hat? Wen meinen sie mit diesen Symphatisanten, V-Männer, die Sicherheitsbehörden oder die Berliner Koalition?

 

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Lutz Lippke schrieb:

Was Sie damit konstruieren wollen, erschließt sich mir kaum. Dass der laxe Umgang der Sicherheitsbehörden mit Amri, der Anschlag am Breitscheidplatz und die jetzigen Verrenkungen bei der Aufarbeitung etwas mit konkreten Sympatisanten außerhalb der Islamistenszene zu tun hat? Wen meinen sie mit diesen Symphatisanten, V-Männer, die Sicherheitsbehörden oder die Berliner Koalition?

 

Herr Lippke, ich gehe davon aus, daß Sie inzwischen den FAZ-Artikel ganz gelesen haben und auch verstanden haben, was Stefan Aust damit ausgedrückt hatte. Ich bringe auch ein Zitat noch daraus, auf der Seite 2.

Besonders bemerkenswert allerdings finde ich, daß Ihnen bei Symphatisanten von islamistischen Terroristen, auch des Herrn Amri, nur "V-Männer, die Sicherheitsbehörden oder die Berliner Koalition" zur Auswahl eingefallen sind.

Aber jetzt kommt das Zitat aus dem Artikel:

"Zu Beginn gab es die Faszination RAF durchaus. Obwohl bereits 1970, also bei der Baader-Befreiung, geschossen wurde, obwohl dabei Georg Linke, der Angestellte im „Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen“, schwer verletzt wurde und auch hätte zu Tode kommen können, hat die linke und die linksliberale Öffentlichkeit gern über solche Gewaltakte hinweggesehen und das Ganze als eine Art moderne Robin-Hood-Geschichte betrachtet. Der Untergrundkampf hatte Glamour. Wie würde ich mich verhalten, wenn es klingelte und Ulrike Meinhof stünde vor der Tür? Das war damals ein beliebtes Selbstbefragungsspiel. Und eine typische Argumentation war: Die tun wenigstens etwas, während wir immer nur reden. Denken Sie nur an die ganze Guerrilla-Mythologie. Die Identifikation mit den Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt zog sich wie ein roter Faden durch das ganze RAF-Thema hindurch."

Aber noch haben Sie die Gelegenheit, Ihre Liste der Symphatisanten zur Auswahl zu ergänzen.

Wo hatten die Attentäter von Paris Unterschlupf gesucht, und mit welchen Worten schießen viele der islamistischen Attentäter um sich oder sprengen sich und andere in die Luft?

Ich habe aber auch registriert, daß Jaber Al-Bakr sich ebenfalls da Hilfe holen wollte, nur ging seine Rechnung nicht auf.

Auch dazu zitiere ich aber dieses mal DIE ZEIT:

"Der Fall Al-Bakr hatte in den vergangenen Tagen auch den Ruf des Freistaats Sachsens und der dortigen Justiz und Polizeibehörden beschädigt. Zunächst war der Syrer bei einem Polizeieinsatz in Chemnitz am 8. Oktober knapp dem Zugriff der Beamten entkommen. In einer von ihm genutzten Wohnung wurden eineinhalb Kilogramm hochexplosiven Sprengstoffs gefunden. Mehrere Syrer, bei denen Al-Bakr dann in Leipzig um einen Übernachtungsplatz bat, überwältigten und fesselten den 22-Jährigen. Am Mittwoch vergangener Woche erhängte sich Al-Bakr, der mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Verbindung gestanden haben soll, in der Justizvollzugsanstalt Leipzig."

Quelle: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-10/suizid-jaber-al-bakr-sach...

Ihre Liste von Sympathisanten zur Auswahl war also stark verkürzt, ich unterstelle Ihnen aber bisher keine Absicht, eher daß Sie das "im Faktencheck wohl übersehen haben", aber bleiben Sie auch jetzt immer noch dabei?

 

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außerhalb der Islamistenszene war die Vorbedingung für meine fragende Auswahl. Manchmal ist eine Frage wohl so herausfordernd, dass antworten schwer fällt. Wenn Sie mit der hohen Zahl von nicht identifizierten Flüchtlingen in D die Gefahr verbinden, dass sich darunter Dulder und Unterstützer von Terroristen befinden, kann ich das sehr wohl nachvollziehen. Wenn Sie Flüchtlingen und deren Unterstützer jedoch pauschal Sympathie für Terror unterstellen wollen, dann müssen Sie klare Anhaltspunkte liefern. Bisher wissen wir zu Amri nur, dass die deutschen Behörden ihn gewähren und chauffieren ließen, obwohl Warnungen aus Tunesien und weitere Erkenntnisse gegen ihn vorlagen. Vieles ist zu Amri, dem fragwürdigen Vorgehen der Behörden und dem Anschlag noch ungeklärt. Es sind deutsche Beamte, Politiker und Medien, die die Aufklärung bisher blockieren bzw. mit allerlei ausgedachtem Ballast erschweren.

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Lutz Lippke schrieb:

außerhalb der Islamistenszene war die Vorbedingung für meine fragende Auswahl. Manchmal ist eine Frage wohl so herausfordernd, dass antworten schwer fällt. Wenn Sie mit der hohen Zahl von nicht identifizierten Flüchtlingen in D die Gefahr verbinden, dass sich darunter Dulder und Unterstützer von Terroristen befinden, kann ich das sehr wohl nachvollziehen.

Stefan Aust jedenfalls zog seine Bezeichnung für Sympathisanten nicht so eng,  wie Sie  es jetzt gerade tun.

Sein Zitat ist ja wohl eindeutig genug, auch wenn Sie das nun vielleicht als zu pauschal nennen würden. Das Strafrecht kennt aber auch viele Graduierungen noch außer dem Vorsatz, auch noch die Fahrlässigkeit für strafbares Handeln. Daneben aber gibt es auch die Leichtfertigkeit, selbst Unwissenheit kann nicht immer vor Strafe schützen.

Daß Ihnen aber diese Debatte über Sympathisanten im Sinne von Stefan Aust nicht sonderlich gelegen kommt, das dürfte ja nun auch deutlich genug geworden sein.

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Aust geht in dem Interview doch gar nicht auf die ungeklärten Fragen zu Amri und den Anschlag am Breitscheidplatz ein.

Noch einmal aus dem Berliner Koalitionsvertrag: "Zum Thema Verfassungsschutz reformieren heißt es auf S. 201: Bei einer sich ergebenden Zuständigkeit der Polizei (Gefahrenabwehr) oder der Staatsanwaltschaft (Strafaufklärung) ist eine eigene Tätigkeit des Verfassungsschutzes in diesem Sachverhalt ausgeschlossen."

Dazu Fragen:

1. Wie sind die Zuständigkeiten derzeit rechtlich und praktisch geregelt? Kann der Verfassungsschutz unmittelbar mit Weisungen in die Arbeit der Polizei und Staatsanwaltschaft eingreifen? Oder welche übergeordnete Behörde hat dazu die gesetzliche Befugnis? Wie ist das gesetzlich ausgestaltet und überprüfbar?

2. Ist die oben zitierte Koalitionsaussage praktikabel und tatsächlich durchsetzbar?

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Lutz Lippke schrieb:

Aust geht in dem Interview doch gar nicht auf die ungeklärten Fragen zu Amri und den Anschlag am Breitscheidplatz ein.

 

Aber er hatte sich mit Sympathisanten von Terroristen beschäftigt und ihrer unterstützenden Bedeutung.

"Der Revolutionär muss sich in den Volksmassen bewegen, wie ein Fisch im Wasser."

Das ist der gedankliche Hintergrund dabei, es müssen ja nicht gleich ganze Volksmassen sein, aber größere Teile reichen da unter Umsatänden schon dafür aus.

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Die richtige Schreibweise ist übrigens Sympathisanten, damit kritisiere ich aber niemanden, will nur neue Kommentare vermeiden, die sich ausschließlich darauf stürzen.

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Das steht heute morgen in der LTO zum Thema Sonderermittler zu lesen:

"Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz kritisiert in der FAZ die Forderung, der Fall Amri müsse durch einen Sonderermittler aufgeklärt werden. Dafür gebe es in Deutschland keine Rechtsgrundlage. Deshalb könne ein Sonderermittler nicht in Rechte Dritter eingreifen und sei auch datenschutzrechtlich kein zulässiger Empfänger von Daten."

In den Kontext des vorliegenden Themas gehört auch das Thema "Racial Profiling". Dazu schreibt die LTO heute morgen:

"Die taz (Linda Gerner) beschäftigt sich – exemplarisch an einem Fall vor dem Amtsgericht Rheda-Wiedenbrück – mit der Thematisierung von "Racial Profiling" vor deutschen Gerichten. Eine Prozessstrategie von Polizeibeamten sei es – seit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz, wonach "Racial Profiling" eine Diskriminierung darstelle – den Betroffenen andere Gründe für eine Kontrolle zuzuschreiben, um sich nicht dem Vorwurf der Diskriminierung ausgesetzt zu sehen."

Zum "Racial Profiling" auch der "Standpunkt" von Prof. Ennuschat im aktuellen Heft der NJW, genaue Fundstelle: NJW-aktuell 5/2017, S. 17 

Ich habe heute ein im Auftrag der FDP-Landtagsfraktion NRW erstelltes Gutachten zu den ausländerrechtlichen und strafprozessualen Möglichkeiten im Fall Anis Amri in Düsseldorf vorgestellt.
Hier ein Pressebericht dazu: Welt.

Hier noch einer: Westdeutsche Zeitung.

Hier noch ein kurzes Video-Interview dazu: YouTube.

 

Mein Gutachten ist jetzt von der FDP-Fraktion NRW Online gestellt worden: Link

Auch DIE WELT kann mit neuer Nachricht aufwarten:

"Italiens Behörden verschwiegen schwere Panne im Fall Amri"

https://www.welt.de/politik/deutschland/article161386891/Italiens-Behoer...

In Sachen Amri kommt natürlich auch eine europäische Dimension hinzu. Aber das Ausmaß dieser Dimension ist schon beachtlich, eine saloppe Charakterisierung verkneife ich mir aber diesmal.

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Den tunesischen Behörden zufolge verursachten falsche Angaben aus Deutschland die Verzögerung. ... „Leider wurde uns erst ein falscher Name genannt, also gab es eine negative Antwort unsererseits“, sagte der Minister für Zivilgesellschaft und Menschenrechte, Mehdi Ben Gharbia, dem ZDF. „Als dann der richtige Name vorlag, haben wir ihn so schnell wie möglich verifiziert und einer Rückführung zugestimmt.“ Welt 20.01.2017

 

Wie aus der Antwort [Anm.: der Bundesregierung] weiter hervorgeht, hatten die deutschen Behörden Amri nach seiner Einreise nicht in die Datenbank Eurodac eingetragen. Demnach wurde der tunesische Islamist am 6. Juli 2015 erstmals in Deutschland wegen unerlaubter Einreise registriert. ... Fast zehn Monate später, am 28. April 2016, erfolgte eine erkennungsdienstliche Behandlung seiner Person – einschließlich Eurodac-Abgleich, der keinen Treffer lieferte. Auch in Italien war Amri nicht in der Datenbank registriert worden, obwohl dies im Falle der unerlaubten Einreise eines Ausländers an der Außengrenze der Europäischen Union verpflichtend ist. Welt 19.01.2017

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Nichts neues:
Es ist nahezu völlig egal, wie streng die Gesetze zur Terrorbekämpfung auf dem Papier sind, solange die erlaubten bzw. in den Normen geforderten Maßnahmen nicht umgesetzt werden.

Das steht heute morgen in der LTO zu den Sicherheitsgesetzen:

"In der Samstagsausgabe des neuen deutschland (Ellen Wesemüller) ist ein Interview mit dem Juniorprofessor für Strafrecht Tobias Singelnstein erschienen, in dem dieser die Verschärfung der Sicherheitsgesetze durch die Berliner Koalition kritisiert. Einschränkungen der Bewegungsfreiheit könnten nicht auf "unbestimmte und weitreichende Kategorien" wie die des "Gefährders" gestützt werden. Forderungen nach mehr Videoüberwachung bescheinigt er "symbolischen Aktionismus".

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