BGH: "Urteil der Jugendkammer ist ganz schön daneben gegangen!"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.01.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|2762 Aufrufe

Eigentlich ganz einfach: Was schon im Tatbestand vom Tatunrecht erfast wird, kann nicht nochmals erschwerend gewertet werden. Klar. Passiert trotzdem immer wieder, dass hier Fehler vorkommen. Das war auch in der unten dargestellten Sache so. Erstaunlicher ist da schon, dass die Jugendkammer nicht wusste, dass gerade in Jugendsachen die Urteile, die in eine Einheitsjugendstrafe einbezogen werden, ausführlich darzustellen sind. Üblich ist es hier, fast das ganze einbezogene Urteil einfach "einzurücken". Und dann wird in Jugendsachen das Urteil einbezogen, nicht nur eine Strafe:

1. Der Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten P. begegnet
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat zu seinen Lasten
berücksichtigt, dass er bei der Begehung der Tat das Messer bei sich geführt
und damit das Tatopfer bedroht habe. Damit beschreibt es allein den Tatvorwurf
des besonders schweren Raubes gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Dies verstößt
gegen § 46 Abs. 3 StGB und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, da
der Senat nicht ausschließen kann, dass das Tatgericht ohne Berücksichtigung
dieses Umstands zu einer geringeren Strafe gelangt wäre.
2. Auch der Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten M. hält rechtlicher
Nachprüfung nicht stand. Es ist zwar nicht zu beanstanden, dass die Jugendkammer
die Verhängung einer Jugendstrafe gegen den Angeklagten für
erforderlich erachtet hat. Sowohl schädliche Neigungen wie auch die Schwere
der Schuld hat das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen. Hingegen begegnen
die Ausführungen zur Höhe der Einheitsjugendstrafe durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Die Jugendkammer hat diese – wie sich dem Tenor der
angefochtenen Entscheidung entnehmen lässt – "unter Einbeziehung der Strafe
aus dem Urteil des Amtsgerichts Stralsund – Zweigstelle Bergen – vom
14. Januar 2016 (35 Ls 20/15 jug.)" gebildet. Dies ist rechtsfehlerhaft.
Bei Anwendung von § 31 Abs.2 JGG wird nicht lediglich die Strafe, sondern
das Urteil in die Bildung der Einheitsjugendstrafe übernommen. Dabei hat
der Tatrichter eine neue, selbständige, von der früheren Beurteilung unabhängige
einheitliche Rechtsfolgenbemessung für die früher und jetzt abgeurteilten
Taten vorzunehmen (BGHR JGG § 31 Abs. 2 Einbeziehung 4, 5). Ist – wie
hier – in der einzubeziehenden Entscheidung bereits eine frühere Entscheidung
einbezogen worden, sind sämtliche Entscheidungen unter Neubewertung zur
Grundlage einer einheitlichen Sanktion zu machen (BGHR JGG § 31 Abs. 2
Einbeziehung 7). Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat zwar im Rahmen der
konkreten Strafbemessung berücksichtigt, dass der Angeklagte erheblich vorbestraft
ist und unter laufender Bewährung stand. Es hat auch einleitend – ohne
nähere Erläuterung, und im Widerspruch zur Tenorierung – das "Urteil" des
Amtsgerichts Stralsund – Zweigstelle Bergen – vom 14. Januar 2016 einbezogen.
Gleichwohl lassen die Ausführungen der Jugendkammer besorgen, dass
sie sich der Notwendigkeit, eine neue, selbständige Bewertung aller früher und
jetzt abgeurteilten Taten vornehmen zu müssen, nicht bewusst war. Die Strafzumessungserwägungen
beziehen sich lediglich auf die jetzt neu abzuurteilende
Tat. Eine Auseinandersetzung mit den früheren Entscheidungen und ihrer
Bedeutung für den Erziehungsbedarf lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
Die "Einbeziehung" des Urteils des Amtsgerichts Stralsund vom
14. Januar 2016 erfolgt lediglich formelhaft und erfasst zudem – obwohl geboten
– auch nicht die in die genannte Entscheidung einbezogene frühere Verurteilung
des Amtsgerichts Stralsund – Zweigstelle Bergen – vom 26. August
2014.
Der Senat kann – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts –
nicht ausschließen, dass der Strafausspruch auf dem dargelegten Rechtsfehler
beruht. Zwar ergibt sich aus den Ausführungen der Jugendkammer ein erheblicher
Erziehungsbedarf des Angeklagten, doch ist nicht von vornherein auszuschließen,
dass bei der gebotenen Gesamtwürdigung der nach § 31 Abs. 2
Satz 1 JGG einzubeziehenden Vorahndungen auf eine geringere als die ausgesprochene
Einheitsjugendstrafe erkannt worden wäre. Dies gilt insbesondere
vor dem Hintergrund, dass die jetzt abgeurteilte Tat nicht in einem engen zeitlichen
und situativen Zusammenhang mit den Taten der einbezogenen Urteile
steht, auch einen gänzlich anderen Tatvorwurf betrifft und deshalb eine differenzierte
Bewertung der verschiedenen Straftaten des Angeklagten angezeigt
gewesen wäre. 

BGH, Beschl. v. 16.11.2016 - 2 StR 316/16 

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Etwas ist eigentlich ganz einfach und wird trotzdem immer wieder falsch gemacht?

Haben wir ein Problem mit der Ausbildung, ein Problem bei der Auswahl des Personals oder sind unsere Gesetze zu kompliziert?

Und das, wo es um die Freiheit von Bürgern geht...

 

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