Der alte Mann schafft es nicht mehr...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.02.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2212 Aufrufe

"Senioren im Straßenverkehr" war ja ein Thema beim diesjährigen VGT in Goslar. Im nachfolgenden Fall war der Zustand des älteren Herren derart desolat, dass er sogar manche Tests nicht verstand. Natürlich wollte er trotzdem nicht auf die Fleppe verzichten:

Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs (unter II.4. des Bescheids vom 13.10.2016) entspricht den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 VwGO. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzustellen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. Dabei sind allerdings an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Insbesondere bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, ist das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch. Ein solcher Fall lag hier aus der Sicht des Landratsamts vor. Die Behörde hat vor diesem Hintergrund das besondere Interesse am sofortigen Vollzug unter Bezug auf den Einzelfall hinreichend begründet. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt keine inhaltliche Überprüfung der Begründung der Behörde, sondern es wird eine eigenständige gerichtliche Interessenabwägung durchgeführt (BayVGH, B.v. 16.12.2015 - 11 CS 15.2377 - juris; B.v. 8.9.2015 - 11 CS 15.1634 - juris Rn. 6 m. w. N.).

2. Das Gericht hat bei der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO eine über die Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit des Sofortvollzugs hinausgehende, eigenständige Interessenabwägung vorzunehmen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird, zu bewerten. Ausschlaggebend im Rahmen der Abwägungsentscheidung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wieder hergestellt werden soll, hier also des Widerspruchs vom 24. Oktober 2016. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, so dass das Rechtsmittel mit Sicherheit Erfolg haben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung, die zugunsten des Antragstellers ausgeht, im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.

3. So liegt die Sache hier. Der Widerspruch wird nicht zum Erfolg führen. Der angefochtene Bescheid vom 13. Oktober 2016 erweist sich nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kommt somit nicht in Betracht.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, d. h. die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht erfüllt (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 StVG) Dies ist insbesondere der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 FeV).

Dies ist vorliegend der Fall, da dem Antragsteller die erforderliche psychophysische Leistungsfähigkeit (auch) zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 (Klasse 1 und 3) fehlt. Das ergibt sich eindeutig aus dem Gutachten („Verkehrspsychologische Zusatzuntersuchung“) des ... vom 23. August 2016. Die dortige Untersuchung des Antragstellers erfolgte in Form von Einzeltests an einem computergesteuerten Testgerät mit programmierter Instruktions- und Testvorgabe am Bildschirm, durchgeführt von einer Diplom-Psychologin (Fachpsychologin für Verkehrspsychologie BDP). Dabei handelte es sich um eine Überprüfung der psychischen und physischen Leistungsfähigkeit des Antragstellers durch Leistungstests nach Nr. 2.5 der Begutachtungs-Leitlinien für Kraftfahrereignung. Mit den Testverfahren können die Belastbarkeit, die Orientierungs-, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung sowie die Reaktionsfähigkeit untersucht werden (vgl. Beurteilungskriterien - Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung, Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin, 3. Aufl. 2013, Nr. 8.2.1).

Die Gutachterin (Fachpsychologin für Verkehrspsychologie BDP) führte im Rahmen der Bewertung der testpsychologischen Befunde u. a. aus, dass beim Antragsteller ausgeprägte verkehrsbedeutsame Beeinträchtigungen offenkundig seien. Insbesondere würden die in den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung geforderten Normwerte nicht einmal ansatzweise erreicht. Die gravierenden Leistungsschwächen seien als weitgehend ausfallartig zu sehen. Eine Kompensation derart weitreichender Defizite durch ausreichende Leistungen in anderen Bereichen oder durch Erfahrung sei nicht zu erwarten. Aufgrund der mangelnden Wahrnehmung der Einschränkungen sowie der Leistungsdefizite könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller diesen durch besondere Vorsicht oder Umsicht begegnen könne. Die Frage des Antragsgegners, ob der Antragsteller über ein ausreichendes Leistungsvermögen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1, Klasse 1 und 3, verfüge, ob seine psychophysische Leistungsfähigkeit in den Bereichen der visuellen Wahrnehmung, Konzentration, Reaktionsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Belastbarkeit für die Anforderungen in verkehrsbedeutsamen Bereichen ausreichend sei und ob vorliegende Defizite nach Durchführung und Auswertung der Fahrverhaltensbeobachtung ausgleichbar seien, wurde eindeutig verneint (vgl. S. 6 des Gutachtens des ...).

Entgegen den Ausführungen der Antragstellerseite kann das ...-Gutachten („Verkehrspsychologische Zusatzuntersuchung“) zur Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers auch herangezogen bzw. verwertet werden.

Der Facharzt für Neurologie und Nervenheilkunde, Dr. med. T.M., hat in seinem fachärztlichen Gutachten vom 16. Mai 2016 ausdrücklich empfohlen, „zur genaueren Einordnung der Defizite im Hinblick auf die Fahreignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 eine neuropsychologische Zusatzuntersuchung mit einem geeigneten, objektivierbaren psychologischen Testverfahren (z. B. ART 90/2020, Wiener Testsystem, Corporal)“ durchführen zu lassen (siehe zu „Ad 2“, S. 14 des Gutachtens, Bl. 47 der Behördenakte). In diesem Zusammenhang hat Herr Dr. med. T.M. noch ausgeführt, dass eine Fahrtätigkeit unter Auflagen (nur dann) möglich wäre, „sollte der Prozentrang 16 in dem angewendeten psychologischen Testverfahren (bezogen auf altersunabhängige Normwerte) in allen eingesetzten Leistungstests erreicht oder überschritten werden“ (siehe zu „Ad 3“, S. 15 des Gutachtens, Bl. 48 der Behördenakte). Der fachärztliche Gutachter hat demnach genau die Testverfahren zur Klärung der Fahreignung des Antragstellers für erforderlich erachtet, die dann vom ... auch durchgeführt wurden. Auch die Ableistung einer praktischen Fahrverhaltensbeobachtung hat Herr Dr. med. T.M nur für den Fall (noch) für erforderlich gehalten, sollten nach den psychologischen Testverfahren „dann noch Zweifel bestehen oder keine eindeutige Aussagekraft vorliegen“ (siehe zu „Ad 2“, S. 14 des Gutachtens, Bl. 47 der Behördenakte).

Dass der Antragsteller den psychologischen Testverfahren nicht mehr gewachsen war und bei den durchgeführten Tests den Mindestprozentrang 16 nicht einmal annähernd erreichte oder z. B. den „Test zur Messung der Belastbarkeit und des Reaktionsvermögens“ deswegen nicht ableisten konnte, weil er die Testanweisung nicht verstand, kann demnach nicht dazu führen, von noch nicht ausgeräumten Zweifeln an seiner Fahreignung, geschweige denn vom Vorliegen einer auch nur bedingten Fahreignung auszugehen.

Insoweit verkennt die Antragstellerseite die maßgeblichen Aussagen des Herrn Dr. med. T.M. Dieser hat im Gutachten vom 16. Mai 2016 gerade nicht festgestellt, dass der Antragsteller die wegen seiner Demenzerkrankung bestehenden Defizite aufgrund seiner langjährigen Fahrpraxis ausgleichen könne. Vielmehr hat der Gutachter lediglich ausgeführt, es sei aufgrund der langjährigen Fahrpraxis des Antragstellers davon auszugehen, dass er in der Lage sei, seine Defizite „zu einem gewissen Teil“… auszugleichen. Eine eindeutige Aussage trifft der Gutachter im Hinblick auf Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 (keine Fahreignung). Hinsichtlich der Fahreignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 äußert der Gutachter jedoch „Bedenken“, die er insbesondere aus den „vorliegenden Störungen der Auffassungsgabe, des Kurzzeit- und des mittelfristigen Gedächtnisses, des abstrakten Denkens und der Rechenleistung“ ableitet. Auch hält er Fehleinschätzungen des Antragstellers bezüglich seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit für möglich. Eine eindeutige Aussage zum Vorliegen oder Nichtvorliegen der Fahreignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 trifft der Gutachter Dr. med. T.M. daher gerade nicht, sondern empfiehlt zur weiteren Aufklärung eine „neuropsychologische Zusatzuntersuchung mit einem geeigneten, objektivierbaren psychologischen Testverfahren (z. B. ART 90/2020, Wiener Testsystem, Corporal)“. Diese dann vom ... durchgeführte „Verkehrspsychologische Zusatzuntersuchung“ kam schließlich zu dem Ergebnis, dass dem Antragsteller die erforderliche psychophysische Leistungsfähigkeit (auch) zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 (Klasse 1 und 3) fehlt.

Aufgrund dieser gutachtlich festgestellten Fahrungeeignetheit des Antragstellers hatte die Behörde dessen Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen; ein Ermessen stand ihr bei dieser Entscheidung nicht zu.

VG Augsburg Beschl. v. 15.12.2016 – 7 S 16.1493, BeckRS 2016, 112561

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