War es wirklich Mord? Zum Urteil des LG Berlin im Fall des tödlichen Autorennens auf dem Kurfürstendamm

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 27.02.2017
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Das LG Berlin hat heute die beiden Beteiligten an einem für einen unbeteiligten Autofahrer tödlich verlaufenen Autorennen auf dem Kurfürstendamm des Mordes schuldig gesprochen und zur lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Vorausschicken möchte ich meiner hier erst einmal knappen Kritik, dass ich mich wie auch andere Straßenverkehrsexperten bereits vor einigen Jahren  dafür ausgesprochen habe, die Teilnahme an illegalen Kraftfahrzeugrennen nicht nur mit einem Bußgeld zu bestrafen sondern einen eigenen Gefährdungstatbestand zu schaffen. Im Übrigen wäre auch endlich angezeigt, den § 315c StGB so zu erweitern, dass auch extreme Geschwindigkeitsüberschreitungen für sich strafbar sind. Ich habe das Anliegen - auch hier im Beck-Blog - mehrfach wiederholt (vgl. hier und hier). Die derzeitige Gesetzesinitiative  kam für diesen besonders schwerwiegenden Fall zu spät, bei dem die Staatsanwaltschaft und das Gericht offenbar meinten, das unterhalb des Mordes bereit stehende Strafrechtsarsenal genüge nicht, um der schweren Folge dieses besonders rücksichtslosen Verhaltens gerecht zu werden.

Die Frage, wie besonders schwerwiegende Regelverstöße im Straßenverkehr zu beurteilen sind, also wann bei den dadurch bewusst hervorgerufenen Gefahren Tötungsvorsatz bejaht werden kann, wirft schwierige Abgrenzungsfragen zwischen (Lebens-)gefährdungs- und Tötungsvorsatz auf, die bislang ganz regelmäßig zur Ablehnung des Tötungsvorsatzes geführt haben. Da sich die Fahrer in dieselbe Gefahr bringen, aber keinen Suizid begehen wollen, kann geschlossen werden, dass sie zumindest hofften, es "werde noch mal gut gehen". Auch die Argumentation, sie hätten, um des egozentrischen Zieles Willen im Rennen zu gewinnen, einen Unfall (nicht nur die Gefahr eines Unfalls!) bewusst in Kauf genommen - das Argument aus dem "Lederriemenfall", ist hier unpassend, weil ein solcher Unfall auch den Sieg im Rennen auf jeden Fall vereitelt.

Ich halte die Bejahung des Tötungsvorsatzes mit der bisherigen Dogmatik daher für sehr schwierig begründbar. Beim früheren Beitrag habe ich auch zu einer ähnlichen Verurteilung aus der Schweiz argumentiert (siehe dortige Diskussion).

Aus der heutigen Presseerklärung des Gerichts lässt sich leider nicht viel entnehmen:

Die Angeklagten hätten gewusst, was ihr Verhalten für eine Auswirkung auf andere Verkehrsteilnehmer haben könnte und sie hätten diese möglichen Folgen bewusst billigend in Kauf genommen, d.h. sie hätten sich mit dem Tod anderer Verkehrsteilnehmer abgefunden.

Für eine nähere Diskussion der Argumente des LG Berlin müssen wir wohl darauf warten, wie das Urteil schriftlich begründet wird.

Sollte der BGH in der sicherlich nicht ausbleibenden Revision dieses Urteil bestätigen, würde damit jedenfalls ein neues Kapitel in der Vorsatzdiskussion aufgeschlagen, mit Folgen, die wahrscheinlich hinausreichen über die konkrete Situation "Autorennen", man denke etwa auch an Fälle, in denen Mord- oder Totschlagsversuch in Betracht zu ziehen ist.

Update (1. März 2017): inzwischen haben weitere Strafrechtslehrer-Kollegen zum Fall Stellung genommen:

Michael Kubiciel (lto) hält das Urteil für zutreffend, Auszug:

"Das Urteil ist eine Zäsur; rechtsdogmatisch überraschend ist es nicht. Wer etwa die einschlägigen Partien zum bedingten Vorsatz im Lehrbuch von Claus Roxin liest, wird keine Stelle finden, mit der er die Ablehnung des bedingten Vorsatzes begründen kann. Das Gegenteil ist der Fall. (...)

Diese Wertung aber muss Maximen folgen, die jener Rechtsgemeinschaft vermittelbar sind, für die Recht gesprochen wird bzw. deren verletztes Recht wiederhergestellt werden soll. Ein Beispiel: Wer russisch Roulette spielt und schon von der zweiten der sechs im Lauf befindlichen Kugeln getroffen wird, kann nicht sagen, er habe das Risiko nicht gekannt und dieses nicht hingenommen. Eine solche Aussage wäre nicht nur der Gesellschaft nicht vermittelbar, sondern käme auch einem sogenannten performativen Selbstwiderspruch gleich.

In Berlin haben die Angeklagten nicht nur mit dem eigenen Leben gespielt, sondern auch mit fremden. Rechtsethisch gelten damit strengere Anforderungen an die Frage, über welches Risiko sie sich hätten Rechenschaft ablegen müssen. So kann man nicht mit einer Schrotflinte in eine Menschenmenge schießen und gleichzeitig behaupten, man habe darauf vertraut, dass sämtliche Schrotkugeln vorbeifliegen. Die Raser vom Ku’damm aber sollen, laut Verteidigung, darauf vertraut haben, dass man unfallfrei an rund einem Dutzend roter Ampeln in der Innenstadt Berlins vorbeifliegen könne.

Als Teil dieser Rechtsgemeinschaft möchte ich bekennen: Ich hätte es nicht verstanden, wenn das Gericht dieser Behauptung gefolgt wäre. Ebenso kontraintuitiv schiene es mir, den Angeklagten zu attestieren, sie hätten zwar die Gefährdung von Menschen, nicht aber deren Tod in Kauf genommen (...)"

Ein paar Anmerkungen: Roxin erklärt die Abgrenzung in Strafrecht AT Band I, S. 446 und S. 450, genau so, wie ich es hier in meinem Beitrag getan habe: Wenn im Straßenverkehr eine Selbstgefährdung mit der Fremdgefährdung einher geht, dann tendiert auch Roxin zur bewussten Fahrlässigkeit statt zum Eventualvorsatz. Zitat Roxin (StrafR AT I, Rn.32): "Der Umstand, dass der Täter sich selbst am meisten gefährdet, spricht - außer bei Suizidenten - für bloßen Leichtsinn." Die Beispiele Kubiciels (Russisch Roulette, Schrotflinte) hingegen passen nicht zum hiesigen Fall. Dass es "kontraintuitiv" ist, zwischen Gefährdung und Inkaufnahme des Erfolgs zu differenzieren, will ich einräumen. Dennoch ist gerade diese Unterscheidung in unserem Strafrecht derart verankert, dass wir ihr als Juristen nicht ausweichen dürfen mit dem Verweis auf (verständliche) Emotionen.

Tonio Walter (zeit-Online) stimmt mit mir in der Bewertung des Urteils überein, Auszug:

Wichtig, wenngleich schwer zu akzeptieren: Für die Gerichte kommt es nicht darauf an, ob jemand vernünftigerweise darauf vertrauen durfte, dass es gutgehen werde. Sondern es kommt nur darauf an, ob er tatsächlich darauf vertraut hat.

Das müsste im Fall der Berliner Raser dazu führen, dass der Vorsatz fehlt. Testfrage: Haben die Täter versucht – im Rahmen ihrer Wahnsinnsfahrt – Unfälle zu vermeiden? Oder waren sie ihnen egal? Hätte von ihnen aus das Rennen auch an der ersten Ampel im Crash enden dürfen? Man möchte denken: Ja, hätte es, darauf haben sie es doch offensichtlich ankommen lassen. Aber das stimmt eben nur, wenn man überlegt, was ein vernünftiger Mensch hätte denken müssen, und nicht, was diese beiden in ihren beschränkten Hirnen tatsächlich gedacht haben. Daher dürfte es juristisch der ehrlichere Weg sein, den Vorsatz zu verneinen.

Beide Kollegen stimmen mit mir darin überein, dass die bisherigen gesetzlichen Regeln für "Raser", sei es bei Rennen, sei es auch unabhängig von Rennen, nicht ausreichen. Ich habe dies schon vor sechs Jahren so vertreten, andere sogar schon vor noch längerer Zeit.

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121 Kommentare

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Henning Ernst Müller schrieb:

Ich habe oben im Beitrag ein Update eingefügt mit dem Hinweis auf Beiträge meiner Kollegen Kubiciel und Walter.

update: Wenn im Straßenverkehr eine Selbstgefährdung mit der Fremdgefährdung einher geht, dann tendiert auch Roxin zur bewussten Fahrlässigkeit statt zum Eventualvorsatz. Zitat Roxin (StrafR AT I, Rn.32): "Der Umstand, dass der Täter sich selbst am meisten gefährdet, spricht - außer bei Suizidenten - für bloßen Leichtsinn." Die Beispiele Kubiciels (Russisch Roulette, Schrotflinte) hingegen passen nicht zum hiesigen Fall.

Dann versuche ich es mal mit diesem fiktiven Szenario, analog zu den Brücken-Steinewerfer-Fällen.

Jemand wirft immer größere Steine auf eine befahrene Fahrbahn, nichts passierte außer diversen Schreckreaktionen von den Verkehrsteilnehmern auf der Fahrbahn. Beeindruckt von seiner eigenen Macht über andere und auch von seinen eigenen Glücksgefühlen hält er sich nun für großartig und eigentlich unverwundbar, springt dann selber noch herunter, um das auch noch auszutesten, durchschlägt eine Windschutzscheibe, tötet dabei den Fahrer und überlebt selber fast unverletzt wie durch ein Wunder.

Bekommt der nun eine Anklage wegen Mord, oder wegen Totschlag, mit Vorsatz, mit bedingten Vorsatz, mit Fahrlässigkeit?

Ohne Alkohol oder Drogen im Blut, nur voller Adrenalin bis zum Anschlag als körpereigener Droge zur Tatzeit dürfte auch der § 21 StGB vermutlich für ihn ja nicht in Frage kommen.

Mit Alkohol oder Drogen schon, hätte er doch besser mal die genommen und dann gäbe es auch vermutlich keine größeren Probleme bei der Urteilsfindung, auch nicht mit der Rechtsdogmatik.

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@GR, Sie fragen:

Bekommt der nun eine Anklage wegen Mord, oder wegen Totschlag, mit Vorsatz, mit bedingten Vorsatz, mit Fahrlässigkeit?

Der bekommt eine Anklage wg § 315b Abs.1 Nr.3, Abs.3 StGB mit einer Strafdrohung bis zehn Jahre. Der dafür ausr. Gefährdungsvorsatz ist gegeben.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Henning Ernst Müller schrieb:

@GR, Sie fragen:

Bekommt der nun eine Anklage wegen Mord, oder wegen Totschlag, mit Vorsatz, mit bedingten Vorsatz, mit Fahrlässigkeit?

Der bekommt eine Anklage wg § 315b Abs.1 Nr.3, Abs.3 StGB mit einer Strafdrohung bis zehn Jahre. Der dafür ausr. Gefährdungsvorsatz ist gegeben.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Damit wäre ein Strafrahmen vorgesehen von 1 bis 10 Jahren, wenn ich es richtig sehe. Eine Tateinheit mit einem Tötungsdelikt käme für Sie da also nicht in Betracht.

(Ich hatte übrigens einmal eine Tat gemäß § 315b, aber ohne die besonderen Voraussetzungen des Abs. (3) angezeigt gehabt, da wurden an meinem Fahrrad eine Achsmutter und eine Schraube zur Lenkerbefestigung gelockert.

Das Fahrrad stand ausgerechnet vor einem AG und LG und auch noch neben einem großen Polizeirevier.)

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Wichtig, wenngleich schwer zu akzeptieren: Für die Gerichte kommt es nicht darauf an, ob jemand vernünftigerweise darauf vertrauen durfte, dass es gutgehen werde. Sondern es kommt nur darauf an, ob er tatsächlich darauf vertraut hat.

Es gibt einfach Situationen, in denen kann man bei der objektiven Handlung nicht mehr davon ausgehen, es werde gutgehen. Und dann ist auch der Schluss gerechtfertigt, dass der Täter nicht darauf vertraut hat. Wenn man der Einlassung der Verteidigung hier folgte (kein Vorsatz, weil maßlose Überschätzung) dann wäre das im Endeffekt das Ende des bedingten Vorsatzes überhaupt. Dann verschätzen sich bald auch Täter maßlos dabei, wieviel Gewalt man einem ungeschützten Kopf anwenden kann, ohne dass das Opfer verstirbt. Es kann nicht allein die Einlassung sein, die hier maßgeblich ist.

Im Grundsatz ist auch Roxins Überlegung richtig, dass bei Einhergehen von Selbstgefährdung und Fremdgefährdung erst einmal viel für Fahrlässigkeit spricht. Aber eben nicht immer. Insoweit ist hier auch überzeugend dargelegt worden, dass teilweise den Juristen auch die Vorstellungskraft fehlt, wie wenig manch einem das Leben anderer sowie auch das eigene Leben wert sind.

Aus meiner Sicht hat das Gericht aus allen objektiven Tatsachen, zurecht auf einen bedingten Vorsatz geschlossen. Die Brisanz liegt allein darin, dass zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit hier in der Bewertung ein so schmaler Grad liegt, bei den Rechtsfolgen aber Welten.

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@joey: Sie schreiben:

Die Brisanz liegt allein darin, dass zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit hier in der Bewertung ein so schmaler Grat liegt, bei den Rechtsfolgen aber Welten.

Da stimme ich vorbehaltlos zu, auch wenn Sie im Ergebnis anderer Auffassung sind als ich. 

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Man kann es mal ganz krass zeichnen: Wenn niemand getötet wird, liegt die Spanne bei Bußgeld und Punkten (Fahrlässigkeit -> OWi) bis mehrjähriger Haft (Vorsatz -> versuchter Mord). Es gibt zwar noch ein paar Zwischenschritte wie Straßenverkehrsgefährdung, die erfüllt sein können, aber die bloße Spanne erscheint mir schon kurios.

Ich persönlich würde dabei allerdings dafür plädieren, das untere Ende der Spanne anzuheben: bei rücksichtslosem Rasen direkt den Führerschein entziehen, Auto beschlagnahmen, mindestens 1 Monat "Warnschussarrest". Und mehr Verkehrskontrollen, die nicht dem Generieren von möglichst vielen Bußgeldern, sondern dem Aussortieren unsicherer Fahrer dienen.

Mag das mal eine Partei in ihr Wahlprogramm aufnehmen? Vielen Dank.

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"Die Beispiele Kubiciels (Russisch Roulette, Schrotflinte) hingegen passen nicht zum hiesigen Fall. "

Wieso nicht?

Wenn sich der Täter mit der von Ihnen zitierten Erklärung "Ich bin so unglaublich dumm, dass ich geglaubt habe, es werde schon alles gut gehen." herausreden kann, müssten wir das folgerichtig als Ausrede auch für jede andere offensichtliche Vorsatztat akzeptieren:

"Ich weiß, dass 'Nein' 'Nein' heißt, aber ich dachte, die Schlampe ist so dumm, die meint bestimmt 'Ja' und verspricht sich nur. Und ich selbst bin so dumm, dass ich das auch glauben darf, ohne dafür bestraft zu werden. Und Ihr seid dumm genug, mir das zu glauben, oder?"

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Im Ergebnis kann man sich wahrscheinlich darauf einigen, dass bei Rasern ein Tötungsvorsatz möglich ist, aber nicht (allein) auf eine Geschwindigkeitsübertretung gestützt werden kann.

Die schriftliche Urteilsbegründung zu den Umständen des Einzelfalls wird ja deshalb so spannend, weil man dann erfährt, ob letztlich nur besondere Umstände des Einzelfalls zur Annahme des Vorsatzes führen, oder ob jedenfalls maßgeblich die erkannte allgemeine Gefährlichkeit der erheblichen Geschwindigkeitsübertretung herangezogen wird.

Die paar Details, die ich über die Gutachten und das Verhalten der Angeklagten im konkreten Fall gelesen habe, scheinen mir eher gegen Vorsatz und für eine - schwer verständliche, aber letztlich Vorsatz als psychisches Faktum ausschließende Selbstüberschätzung - zu sprechen.

Wenn ich über einen solchen Fall zu entscheiden hätte, wäre für mich wohl entscheidend, ob die Täter in der Tatsituation Menschen im Umkreis wahrgenommen haben - konkret den sich näherden Jeep - und gleichwohl nicht gefahrmindernd reagiert haben. Nur dann wäre für mich (hinreichend sicher) begründbar, dass ihnen das (in der konkreten Situation bestehende) Risiko nicht entgangen sein kann und sie den "Erfolg" entsprechend in Kauf genommen habe, sodass ich eine evtl. entgegenstehende Äußerung als Schutzbehauptung ansehen könnte. Nur für solche Fälle greift die mir bekannte Rechtsprechung des BGH zum Risiko als Indiz für Vorsatz. Nur in solchen Fällen sind außerdem Parallelen zum Steinewerfer (was ja idR entweder ein gezielter Angriff auf bestimmte wahrgenommene Autofahrer ist oder eine latente Gefahrensituation erzeugt und erzeugen soll, die solange fortwirkt udn fortwirken soll, bis ein Auto in den Gefahrenbereich hineingerät) und zum Geisterfahrer aufzeigbar.

Wenn man nur auf die (vom Täter erkannte) generelle Gefährlichkeit einer bestimmten OWi für den Verkehr als solchen - also ohne Rücksicht auf eine Wahrnehmung des Opfers - abstellen will, stellt sich ein erhebliches quantitatives Problem zur Bewertung der Gefährlichkeit von Verkehrsverstößen. Allein das Strafbedürfnis sollte jedenfalls weder den Vorsatzbegriff aufweichen noch die an die Feststellung / den Beweis zu knüpfenden Anforderungen. Für Strafbedürfnisse ist der Gesetzgeber zuständig.

 

Ich möchte noch mal das Körperverletzungsthema aufgreifen und bitte um Kommentierung:

Die Täter werden in Kauf genommen haben, dass andere Menschen körperlich verletzt werden, § 223, 15 StBG. Dem kann m.E. auch nicht mit dem Argument begegnet werden, das Ziel, "Sieg im Rennen" oder eigenverantwortliche Selbstgefährdung resp. kein Schaden am Fahrzeug würde dem entgegen stehen. Dass ein Mensch beim Ausweichen oder beim von der Straße springen oder aus sonst irgendwelchen Gründen, Schreck z.B., verletzt werden könnte, beeinträchtigt die eigenen Ziele des Fahrers nicht. Damit kommt man unpproblematisch in den § 224 und in den § 227 StGB.

Spricht Grundstäzliches gegen diese Überlegung?

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Ja, zunächst ein,al. stellt sich die gleiche Problematik bzgl. der Feststellung des konkreten Bewusstseinsinhalts. Außerdem ist das Problem, dass ja tatsächlich niemand durch so ein Geschehen verletzt wurde und der Vorsatz auch den wesentlichen Kausalverlauf zum konkreten Erfolg umfassen muss. Verneint man das, bleibt nur Versuch, 227 klappt dann nicht. Außerdem müsste das Ansetzen geprüft werden. Nimmt man eine unwesentliche Kausalabweichung an, müsste wohl auch Tötungsvorsatz bejaht werden, weil bei einem Zusammenstoß mit solchen Geschwindigkeiten kaum nur eine Verletzung für möglich gehalten werden kann...

"zunächst einmal stellt sich die gleiche Problematik bzgl. der Feststellung des konkreten Bewusstseinsinhalts"

o.k., aber mit weniger Schwierigkeiten, weil die Argumente Rennen gewinnen, Auto heile, eigene Unversehrthaeit nicht zu berücksichtign sind. Außerdem haben wir nicht das Problem mit der Hemmschwellentheroei und den erhöhten Anforderungen an die Feststellungen zum Tötungsvorsatz.

"Außerdem ist das Problem, dass ja tatsächlich niemand durch so ein Geschehen verletzt wurde und der Vorsatz auch den wesentlichen Kausalverlauf zum konkreten Erfolg umfassen muss. Verneint man das, bleibt nur Versuch, 227 klappt dann nicht."

Doch, der Mann im Jeep wurde verletzt und ist dann gestorben. Wenn man die Wsentlichkeit der Abweichung des Kausalverlaufs beim Grundtatbestand der KV dennoch bejaht (Täter wollte nur leichte Verltzung durch wegspringendes Opfer, nicht schwere Verletzung durch Aufprall) und zur Versuchprüfung gelangt, kommt man trotzdem zum § 227. Der  Klammerzusatz  in  §  227  StGB  verweist explizit auf §§  223  –  226a  StGB und somit auch auf § 223 Abs. 2 (Versuch).

"Außerdem müsste das Ansetzen geprüft werden. Nimmt man eine unwesentliche Kausalabweichung an, müsste wohl auch Tötungsvorsatz bejaht werden, weil bei einem Zusammenstoß mit solchen Geschwindigkeiten kaum nur eine Verletzung für möglich gehalten werden kann..."

Versteh ich erhlrivch gesagt nicht ganz. Das Ansetzen kann spätestens dann angenommen werden, wenn der Täter das Geschehen aus der HAnd gibt... frühestens, wenn beide Gas geben....

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Wenn ich hier die ganzen Kommentare lese fühle ich mich ganz klein. Was das Strafmaß angeht ist das Urteil vom LG Berlin absolut überzeugend. 

Sieht man jedoch schon in dem wahnsinnigen Verhalten eines Rennes durch die Stadt mit weit überhöhter Geschwindigkeit und Todesfolge Vorsatz, der eine Verurteilung wegen Mordes rechtfertigt, so wäre kein Unterschied mehr zwischen dem gezielten Töten eines Menschen und einer Tötung die durch extreme Selbstüberschätzung und Adrinalinkick als Nebeneffekt (im speziellen Fall des Rennes) geschieht. Damit wäre meiner Meinung nach der Sinn des Gesetztes völlig verkannt. 

Zudem sollte beachtet werden, dass bei einem Rennen die Hemschwelle proportional sinkt. Hatte sich möglicherweise anfangs einer der beiden ein Limit bei 60km/h gesetzt und plante "nur" ein kleines Amplerennen kann es leicht sein, dass sich beide während des Rennens immer weiter steigerten und in einen Geschwindigkeitsrausch hineinversetzten.

Eine härtere Gesetztesregelung, die die Umstände miteinbezieht wäre hier m.M. nach zielführender als eine richterliche Gesetztesfortbildung die neue Unsicherheit mit sich bringt.

Das Urteil wird auf jeden Fall hoch interessant.

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Gast schrieb:
Sieht man jedoch schon in dem wahnsinnigen Verhalten eines Rennes durch die Stadt mit weit überhöhter Geschwindigkeit und Todesfolge Vorsatz, der eine Verurteilung wegen Mordes rechtfertigt, so wäre kein Unterschied mehr zwischen dem gezielten Töten eines Menschen und einer Tötung die durch extreme Selbstüberschätzung und Adrinalinkick als Nebeneffekt (im speziellen Fall des Rennes) geschieht.

Dolus eventualis (bedingter Vorsatz) vs. dolus directus ersten Grades (Absicht). Ein Mord kann auch in dolus eventualis erfolgen und kennt dafür keine Abstufungen im Strafmaß. Das mag man kritisieren, ist aber ggf. eine Schwäche des § 211 StGB. Aus diesem Gedanken heraus § 211 StGB einschränkend einzuwenden, wäre wiederum genau das, wovor sie warnen: richterliche Rechtsfortbildung. Jedenfalls im Strafrecht hat das in dieser Form nichts zu suchen (auch wenn es gelegentlich passiert).

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Sehr geehrter Gast,

wahrscheinlich habe ich mich nicht ganz klar ausgedrückt. Ist in diesen Eingabefeldern schwierig, finde ich. Die von Ihnen gesuchte Erleichterung bei der Feststellung beruht einerseits auf der Hemschwelle, die der BGH jetzt nicht mehr so sieht, andererseits darauf, dass Sie sich häufiger zu erwartende und für den Täter und daher auch für das Opfer nicht ganz so gefährlichere Vorgänge vorstellen, als einen Vollcrash: ein Ausweichen, einen Sprung zur Seite, die imEinzelfall zwar nicht vorsätzlich aber fahrlässig zum Tode führen können; dann ist zutreffend der Weg zu 227 eröffnet Konkret ist der Tod des Opfers aber nicht aufgrund eines dieser Ereignisse eingeteten, sondern aufgrund eines Vollcrashs. Das wirft dann unter dem Aspekt der Vorstellung über den Kausalverlauf die Frage auf, ob der Täter die Möglichkeit "Verletzung durch Vollcrash" in seine konkrete Vorstellung aufgenommen haben muss.

Nimmt man das an, stellt sich die Frage, ob die Vorstellung "Vollcrash bei 150 km/h" nicht auch Tötungsvorsatz mehr oder weniger zwingend indiziert. Dann bringt die Differenzierung wenig. Auch wenn man meint, einen Verletzungsvorsatz abschickten zu können, müsste dann immer noch die Voratellung eines Crashs belegt werden, was den oben diskutierten Problemen ausgesetzt ist. Kann man daher keine Übereinstimmung zwischen Vorstellung und Tathergang herstellen, bleibt es bei Versuch einerseits und Fahrlässigkeit andererseits. Nimmt man für das Ansetzen an, dass das konkrete Rechtsgut aus Sicht des Täters gefährdet sein muss und / oder dass der Täter das Geschehen aus der Hand gibt, ließe sich wohl auch einAnsetzen nur dann zwanglos bejahen, wenn das geplante Geschehen vom Täter als so riskant eingeschätzt wird, dass sofort und unmittelbAr nach Beginn der Fahrt mit einer Gefährdung Dritter gerechnet wird und der Täter sich im Krisenfall keine Rettungsmögichkeit mehr zuschreibt. Auch hier tauchen die diskutierten Probleme wieder auf. Im Übrigen nimmt der BGH in dem bloßen Beginn einer Trunkenheitsfahrt noch nicht einmal eine Fahrlässigkeit gegenüber einem später Geschädigten Verlehrsteilnehmer an und stellt auch hier auf die spätere Krisensituation ab.

Einen "Gewinn" bringt Ihr Vorschlag daher mE nur dann, wenn man eine unerhebliche Abweichung von dem vorgestellten Kausalverlauf annimmt, was mir schon angesichts der erheblich unterschiedlichen Eigen- und Fremdgefahr schwer begründbar erscheint...

Wenn im Straßenverkehr eine Selbstgefährdung mit der Fremdgefährdung einher geht, dann tendiert auch Roxin zur bewussten Fahrlässigkeit statt zum Eventualvorsatz. Zitat Roxin (StrafR AT I, Rn.32): "Der Umstand, dass der Täter sich selbst am meisten gefährdet, spricht - außer bei Suizidenten - für bloßen Leichtsinn."

 "Sich selbst am meisten gefährden" - genau das gilt bei den heutigen Insassenschutzsystemen gerade eben nicht. Auf einer Autobahn, wo sich alle in solchen gepolsterten Schutzzellen bewegen, kann man Roxins Argumentation noch gelten lassen; auf einer Touristenmeile in einer europäischen Hauptstadt zieht das Argument zum Glück nicht.

Erhard P. schrieb:

Wenn im Straßenverkehr eine Selbstgefährdung mit der Fremdgefährdung einher geht, dann tendiert auch Roxin zur bewussten Fahrlässigkeit statt zum Eventualvorsatz. Zitat Roxin (StrafR AT I, Rn.32): "Der Umstand, dass der Täter sich selbst am meisten gefährdet, spricht - außer bei Suizidenten - für bloßen Leichtsinn."

 "Sich selbst am meisten gefährden" - genau das gilt bei den heutigen Insassenschutzsystemen gerade eben nicht. Auf einer Autobahn, wo sich alle in solchen gepolsterten Schutzzellen bewegen, kann man Roxins Argumentation noch gelten lassen; auf einer Touristenmeile in einer europäischen Hauptstadt zieht das Argument zum Glück nicht.

Auch aus einem anderen Grund ist es bei einem Straßenrennen gerade nicht der Fall, dass mit dem Erfolg einer Fremdschädigung auch eine Selbstschädigung einhergehen muss:

Wenn ich gemeinschaftlich mit anderen ein Straßenrennen durchführe, gehört dazu nicht nur das Risiko, dass ich einen Unfall bauen könnte, sondern auch dass einer von den anderen - auf mir wegen der Gemeinschaftlichkeit zurechenbarer Weise - einen Unfall bauen kann. Vielleicht nehme ich nicht in Kauf, dass ich oder mein Auto einen Schaden erleidet, das heißt aber noch lange nicht, dass ich nicht billigen könnte, dass es dem anderen passiert.

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Schon das RG (RGSt 33,6; 59,3; 72,44; 77,229) hat zur Unterscheidung und Abgrenzung des dolus eventualis von der bewußten Fahrlässigkeit auf die sog. Einwilligungstheorie abgestellt. Nach ihr ist jeweils zu prüfen, ob der Täter den Erfolg für den Fall des Eintritts billigt (dol. event.), oder ob er - wenn auch noch so leichtsinnig (luxuria) darauf vertraut, es werde schon gutgehen (bewußte Fahrlässigkeit). Der BGH ist dieser Theorie seit BGHSt 7,363 = BGH, Urt. v. 22.04.1955 im "Lederriemenfall" gefolgt:

"1. Die Kenntnis der möglichen Folgen einer Handlungsweise und die Billigung dieser Folgen sind zwei selbständige Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes.
2. Bedingter Vorsatz kann auch dann gegeben sein, wenn dem Täter der Eintritt des Erfolges unerwünscht ist; er billigt diesen Erfolg trotzdem, wenn er, um des erstrebten Zieles willen, notfalls, d. h. wofern er anders sein Ziel nicht erreichen kann, sich auch damit abfindet, daß seine Handlung den an sich unerwünschten Erfolg herbeiführt, und ihn damit für den Fall seines Eintritts will." LS BGH a.a.O.

Zugegeben ist auch diese Theorie nicht frei von Kritik geblieben. Dennoch erscheint sie mir durch ihr voluntatives Element den vielen anderen Theorien überlegen.

Der Täterwille läßt sich dabei regelmäßig nur aus seinem Handeln im Zusammenhang mit den jeweiligen Umständen erschließen.

Präzisiert wurde dies auch vom - für die anstehende Revision - zuständigen 4. Senat in BGH, Urt. v. 14.01.2016 - 4 StR 84/15:

"Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (BGH, Urteile vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.; vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216 jeweils mwN)."

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (BGH, Urteile vom 16. September 2004 - 1 StR 233/04, NStZ 2005, 92, vom 23. Juni 2009 - 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630, und vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11). BGH, Urt. v. 22.03.2012 - 4 StR 558/11

Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements bedarf es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (BGH, Urteile vom 24. März 2005 - 3 StR 402/04, vom 9. August 2005 - 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 99, vom 25. Mai 2007 - 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640, und vom 16. Oktober 2008 aaO; Trück aaO S. 239 f.). BGH, Urt. v. 22.03.2012 - 4 StR 558/11

Ob Äußerungen oder Handlungen der Angeklagten in objektiver und subjektiver Hinsicht die Bedeutung einer bedingten Tötung mit Mordmerkmal beizumessen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln, bei der auch die Begleitumstände der Tatsituation Bedeutung erlangen können (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; OLG Köln, Beschluss vom 19. Januar 2007 - 83 Ss 110/06, NJW 2007, 1150, 1151). Diese Auslegung obliegt als tatsächliche Würdigung dem Tatrichter; dem Revisionsgericht ist eine eigene Bewertung der Äußerung oder Handlung versagt. Der BGH hat die Auslegung des Tatgerichts jedoch nach revisionsrechtlichen Grundsätzen darauf zu überprüfen, ob sie Rechtsfehler enthält. Das ist etwa dann der Fall, wenn sie lückenhaft ist und die Urteilsgründe sich nicht mit allen nach den Umständen naheliegenden Möglichkeiten auseinandersetzen sowie eine umfassende Würdigung des Inhalts, des Zwecks und der Tendenz der Äußerung vermissen lassen (vgl. zu allem BGH, Urteil vom 15. November 1967 - 3 StR 4/67, BGHSt 21, 371, 372; OLG Köln, aaO; MeyerGoßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 337 Rn. 32). BGH, Urt. v. 16.06.2016 - 3 StR 124/16 

Ob ein Täter die von ihm für möglich gehaltenen Folgen seines Handelns gebilligt hat, kann - sofern er dies bestreitet - vor allem durch Rückschlüsse aus dem äußeren Tatgeschehen festgestellt werden, (vgl. Lackner/ Kühl, StGB 24. Aufl. § 15 Rdn. 25 m. w. N.) sowie BGH, Urt. v. 21.11.2002 - 3 StR 296/02 

Deshalb drängt es sich nach dem äußeren Tatgeschehen auf, daß die Angeklagten eine Tötung eines Menschen mit gemeingefährlichen Mitteln billigend in Kauf genommen haben. Eine Billigung liegt vor allem schon deshalb sehr nahe, weil sich die Angeklagten spätestens unmittelbar vor der Kollision mit dem Wagen des Opfers auf einen glücklichen Ausgang nicht mehr vertrauen konnten, und sie es deshalb dem Zufall überließen, ob jemand durch eine Kollission durch ihre Autos zu Tode komme oder nicht.

Die naheliegende Wirkung, daß durch das illegale Rennen mit Geschwindigkeiten von bis zu 170 km/h ein Mensch durch ein Auto getötet werden kann entsteht, ist allgemein bekannt. Dies gilt insbesondere nach den zahlreichen illegalen Rennen, über deren verheerende Folgen in den öffentlichen Medien wiederholt ausführlich berichtet worden ist. 

Es liegt nahe anzunehmen, daß die Strafkammer die Einlassung der Angeklagten sie hätten darauf vertraut es passiere nichts, weil sie ja so gute Fahrer seien, für widerlegt und einen bedingten Tötungsvorsatz für erwiesen erachten durften, aber auch mußten. Dies gilt um so mehr, als das Landgericht die Einlassung der Angeklagten im Hinblick auf den gewünschten glücklichen Ausgang des Rennens, auch als bloße Schutzbehauptung hätte deklarieren können.

Dem Einwand, daß die beiden Angeklagten ihren eigenen Tod wohl nicht gewollt haben und damit auch ein Rückschluß auf die Inkaufnahme des Todes Dritter ausscheide, kann man dadurch begegen, indem man den bedingten Vorsatz als normatives Konstrukt begreift,
wodurch der Roxin`sche Einwand nicht mehr zwingend und daher irrelevant ist. 

Erhellend hierzu ist ein Aufsatz von Lorenz Leitmeier, HRRS Mai 2016: Leitmeier - Bedingter Vorsatz - ein Wertbegriff

Hier wird anhand des Diskurs zwischen Ingeborg Puppe und Thomas Fischer über den bedingten Vorsatz und seine Rechtsnatur nachvollziehbar dargestellt, daß der bedingte Vorsatz ein normatives Konstrukt ist:

"Deshalb gilt für den bedingten Vorsatz "Beweisen und Bewerten": Die Tatsachengrundlage (Wie wahrscheinlich ist der Erfolg? Was weiß der Täter darüber?) ist zu beweisen, hier gilt der Zweifelsgrundsatz. Die darauf basierende Zuschreibung "bedingter Vorsatz" ist (mit Argumenten) zu bewerten, hier gilt der Zweifelsgrundsatz nicht. Und damit gilt wie immer in den Geisteswissenschaften: Die Tatsachen zwingen, die Argumente überzeugen." Lorenz Leitmeier, a.a.O.

Und somit läßt sich der Kreis mit der BGH- Rechtsprechung - entgegen der Quadratur des Kreises - dann doch noch schließen.

Jochen Bauer schrieb

Hier wird anhand des Diskurs zwischen Ingeborg Puppe und Thomas Fischer über den bedingten Vorsatz und seine Rechtsnatur nachvollziehbar dargestellt, daß der bedingte Vorsatz ein normatives Konstrukt ist:

"Deshalb gilt für den bedingten Vorsatz "Beweisen und Bewerten": Die Tatsachengrundlage (Wie wahrscheinlich ist der Erfolg? Was weiß der Täter darüber?) ist zu beweisen, hier gilt der Zweifelsgrundsatz. Die darauf basierende Zuschreibung "bedingter Vorsatz" ist (mit Argumenten) zu bewerten, hier gilt der Zweifelsgrundsatz nicht. Und damit gilt wie immer in den Geisteswissenschaften: Die Tatsachen zwingen, die Argumente überzeugen." Lorenz Leitmeier, a.a.O.

Der Diskurs zwischen Puppe / Fischer und der Aufsatz von Leitmeier dreht sich wohl um die Frage, ob "bedingter Vorsatz" eine Tatsachenfrage mit Zweifelsgrundsatz, eine Rechtsfrage ohne Zweifelsgrundsatz oder aber eine Mischform ist. Leitmeier macht daraus jedenfalls eine Mischform, die nur bedingt dem Zweifelsgrundsatz unterliegt. Wie funktioniert das?

Eigentlich geht es auch nach Leitmeier zunächst klar um eine Tatsachenfrage:

"Wird schon gutgehen!" =  bewusst fahrlässig; "Na, wenn schon!" = bedingt vorsätzlich. Wer die Antwort ... nicht kennt, muss, da er eine "innere Tatsache" nicht aufklären kann, nach dem Zweifelsgrundsatz eigentlich Fahrlässigkeit annehmen. Mit Sicherheit aber nehmen viele Richter, obwohl auch sie nicht näher an die "psychische Tatsache" herankommen, bedingten Vorsatz an – und das mit guten Gründen.

Die guten Gründe sind: "Viele Täter denken sich im Moment der Tatausführung, was den möglichen Erfolg betrifft: nichts." ... "Wie soll man als Tatrichter aber eine Tatsache feststellen, wenn es keine gibt?" "Wenn sich ein Täter tatsächlich keine Gedanken macht, dann ist in diesen Fällen objektiv keine Tatsache zu ermitteln. Auch der Zweifelssatz hilft nicht weiter, es gibt nämlich weder die ungünstige Tatsache (Vorsatz) noch die günstige (Fahrlässigkeit) – es gibt gar keine. Wer gar nichts denkt, denkt also eigentlich zu wenig, um verurteilt zu werden. Soll man dann aber freisprechen?"

Erst über diese Frage kommt Leitmeier also zur Notwendigkeit einer richterlichen Wertung. Als Regel müsse gelten: "Auch wer ernsthaft darauf vertraut, dass ein Erfolg nicht eintritt, nimmt ihn, falls er doch eintritt, zwingend immer in Kauf." Daraus entwickelt Leitmeier dann eine regelmäßige Schnittmenge zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz. Der Zweifelsgrundsatz ist damit nicht mehr zugunsten der bewussten Fahrlässigkeit möglich, da bedingter Vorsatz ja bereits Teil der festgestellten Schnittmenge ist. Es kommen dann noch weitere abgeleitete Argumente pro Rechtsfrage.

Auffällig ist, dass eine vermutlich nicht existierende Tatsache (denkt nichts) durch richterliche Wertung zur Annahme einer doppelgesichtigen Willensbildung (Vertrauen vs. Inkaufnahme) ersetzt wird, die damit immer auch bedingten Vorsatz als Tatsache enthält. Obwohl eine richterliche Wertung zu einer Rechtsfrage eigentlich nicht dem Zweifelsgrundsatz unterliegt, wird dieser aber durch die fiktiv angenommene Existenz des bedingten Vorsatzes ausgeschlossen.

Entweder bin ich zu dumm, die Volten als schlüssige Argumentation zu verstehen oder der Aufsatz ist ein Beispiel für fragwürdiges Überwinden der tatsächlichen und argumentativen Hürden aus reinen Nützlichkeits- oder Ergebniswünschen heraus.    

 

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Lutz Lippke schrieb:

Auffällig ist, dass eine vermutlich nicht existierende Tatsache (denkt nichts) durch richterliche Wertung zur Annahme einer doppelgesichtigen Willensbildung (Vertrauen vs. Inkaufnahme) ersetzt wird, die damit immer auch bedingten Vorsatz als Tatsache enthält.

Zwischen intensivem und rationalem und reflektiertem Nachdenken über ein Geschehen / Handeln aus dem Großhirn und nichts Denken dabei gibt es jede Zwischenstufe bei Menschen, ebenfalls noch reflexhaftes Handeln aus dem Stammhirn.
 

Der Kommentator der Welt lässt erkennen, dass sein Problem eher in der Abgrenzung von Mord und Totschlag liegt. Er kritisiert, dass eine offene Hinrichtung geringer bestraft werde, als jemanden - und potentiell weitere - überraschend mit dem Auto zu überfahren.

Die Kritik am Mordparagraphen werden viele teilen, insbesondere am seltsamsten Mordmerkmal, der Heimtücke, sowie dem hier gezogenen Argument "gemeingefährliches Mittel". Auch das Fehlen eines Strafrahmens ist seltsam und ist bedenklich und eigentlich nur erträglich, weil die Rechtsprechung - m. E. contra legem - einen Strafrahmen eingeführt hat.

Aber mit dem Raserprozess hat das originär wenig zu tun - das sind Fragen für den Gesetzgeber, nicht die Rechtsprechung. Mit einer Pistole einen einzelnen Menschen gezielt zu töten, ist abstrakt weniger gefährlich, als mit einem Auto potentiell eine Menschenmenge zu überfahren. Und letzteres wird nun einmal härter bestraft, ob man das gut findet oder nicht.

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Gast schrieb:

Mit einer Pistole einen einzelnen Menschen gezielt zu töten, ist abstrakt weniger gefährlich, als mit einem Auto potentiell eine Menschenmenge zu überfahren. Und letzteres wird nun einmal härter bestraft, ob man das gut findet oder nicht.

Das Szenario wäre m.E. besser zu vergleichen mit einem mit halbgeschlossenen Augen abgegebenen scharfen Schuß in eine lockere Gruppe von Menschen, der einen Menschen dann tötlich getroffen hat. Da wird man in der Regel "nur" einen einzigen Menschen töten können, bei dieser Raserei aber hätte es auch zu einer Tötung mehrerer Menschen kommen können.

Wenn bei der Schußabgabe also von einem bedingten Vorsatz ausgegangen werden kann, dann doch m.E. umso mehr bei der Raserei.

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Damit haben Sie Recht, aber das schlechte Beispiel habe ich nur übernommen: Der Welt-Kommentator bezog sich auf einen Fall einer gezielten Hinrichtung, die weniger hart bestraft worden sei als diese allenfalls bedingte vorsätzliche Tötung. Da vergleicht der Kollege Äpfel mit Birnen, weil die härtere Strafe nicht durch den geringeren Vorsatz, sondern durch die größere Gefährlichkeit begründet wird. Das hatte ich illustrieren wollen.

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Im Augenblick sind wir alle bestenfalls auf Sekundärquellen oder Tertiärquellen angewiesen. Darum geniere ich mich auch nicht, auf eine aktuelle Diskussion im TV (ZDF) auch noch hinzuweisen:

Gesellschaft | Peter Hahne - Ende der Kuscheljustiz?

Bei vielen Menschen ist der Eindruck entstanden, dass Straftaten in Deutschland nicht streng genug geahndet werden. Viel zu oft scheinen Täter mit zu geringen Strafen davon zu kommen. Hat sich an deutschen Gerichten eine „Kuscheljustiz“ etabliert? [...]

Das Urteil zum Berliner Prozess, bei dem die beiden Auto-Raser zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden, hat für viel Aufsehen gesorgt.

(https://www.zdf.de/gesellschaft/peter-hahne/peter-hahne-vom-6-maerz-2017...)

Gäste:

Der ehemalige ZDF-Rechtsexperte Dr. Bernhard Töpper

Oberstaatsanwalt Ralph Knispel, Vorstand der Vereinigung Berliner Staatsanwälte e.V.

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Auflistung  geordnet nach den 5. Strafsenaten des BGH, mit Auszügen über die jeweils jüngsten BGH- Entscheidungen zur Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit - von Rechtsassessor Jochen Bauer, Sindelfingen    Im Zusammenhang mit dem "Ku'damm-Raser-Urteil" des LG Berlin, das am 27.02.2016 zwei Angeklagte wegen gemeinschaftlichen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt hat, ist in der Fachwelt eine heftige Diskussion darüber entbrannt, ob die grundsätzliche Bejahung eines bedingten Tötungsvorsatz mit der bisherigen Dogmatik des BGH überhaupt begründbar sei.    Siehe etwa: "War es wirklich Mord? Zum Urteil des LG Berlin im Fall des tödlichen Autorennens auf dem Kurfürstendamm" von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 27.02.2017 in der beck-community, "Mord-Urteil für die Ku'damm-Raser - Alles andere hätte ich nicht ver­standen" von Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel lto online am 28.02.17, "Illegale Autorennen: Raser sind Verbrecher, aber keine Mörder" von Prof. Dr. Tonio Walter, ZEITmagazin, 28. Februar 2017.    Bisher liegen die schriftlichen Entscheidungsgründe noch nicht vor und es bleibt auch abzuwarten, wie der BGH über die angekündigte Revison der Angeklagten entscheiden wird.   Jedenfalls erscheint mir dies Anlass genug, sich einen kurzen Überblick über die Abgrenzungsdogmatik des BGH zu verschaffen.   Schon das RG (RGSt 33,6; 59,3; 72,44; 77,229) hat zur Unterscheidung und Abgrenzung des dolus eventualis von der bewußten Fahrlässigkeit auf die sog. Einwilligungstheorie abgestellt.   Nach ihr ist jeweils zu prüfen, ob der Täter den Erfolg für den Fall des Eintritts billigt (dolus eventualis), oder ob er - wenn auch noch so leichtsinnig (luxuria) darauf vertraut, es werde schon gutgehen (bewußte Fahrlässigkeit). Der BGH ist dieser Theorie seit BGHSt 7,363 = BGH, Urt. v. 22.04.1955 im "Lederriemenfall" gefolgt:   "1. Die Kenntnis der möglichen Folgen einer Handlungsweise und die Billigung dieser Folgen sind zwei selbständige Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes.
  2. Bedingter Vorsatz kann auch dann gegeben sein, wenn dem Täter der Eintritt des Erfolges unerwünscht ist; er billigt diesen Erfolg trotzdem, wenn er, um des erstrebten Zieles willen, notfalls, d. h. wofern er anders sein Ziel nicht erreichen kann, sich auch damit abfindet, daß seine Handlung den an sich unerwünschten Erfolg herbeiführt, und ihn damit für den Fall seines Eintritts will." LS BGH a.a.O.   Anhand der nachstehenden Auflistung, soll geordnet nach den 5. Strafsenaten des BGH, ein Überblick über die jeweils jüngsten BGH- Entscheidungen - soweit ersichtlich - zur Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz zur bewußten Fahrlässigkeit gegeben werden:   1. Senat:   BGH, Beschl. v. 22.12.2016 - 1 StR 571/16   "Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Beide Elemente der inneren Tatseite müssen in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Es bedarf einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände, bei der die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Gegebenheiten zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator ist. Neben der konkreten Angriffsweise sind dabei regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit einzubeziehen (BGH, Beschluss vom 07. September 2015 – 2 StR 194/15, juris)." BGH, Beschl. v. 22.12.2016 - 1 StR 571/16   Zwei Wochen vorausgegangen war diesem Beschluss das Urteil   BGH, Urt. v. 08.12.2016 - 1 StR 351/16   "Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen getrennt voneinander geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, Rn. 7; vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 Rn. 34 f. mwN). In die Prüfung sind dabei neben der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung und der konkreten Angriffsweise des Täters auch seine psychische Verfassung bei Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen (BGH, Urteile vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, Rn. 7 und vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582 mwN)." BGH, Urt. v. 08.12.2016 - 1 StR 351/16   2. Senat:   BGH, Beschl. v. 07.09.2015 – 2 StR 194/15   " Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Beide Elemente der inneren Tatseite müssen in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. Senat, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06 , NStZ 2007, 150, 151; BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10 , NStZ 2011, 699, 702; Senat, Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 StR 504/14 ). Annahme oder Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes können nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen ( BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11 , NStZ 2012, 443, 444). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 - 1 StR 26/99 , NJW 1999, 2533, 2534). Neben der konkreten Angriffsweise ist dabei regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07 , NStZ-RR 2007, 267, 268; Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 StR 504/14 )." BGH, Beschl. v. 07.09.2015 – 2 StR 194/15   3. Senat:   BGH, Urt. v. 18. 10.2007 - 3 StR 226/07 "Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Tötungsvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ist das Willenselement des bedingten Vorsatzes gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn er mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten. Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH NStZ-RR 2000, 165, 166). Dabei liegt die Annahme einer Billigung nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotzt erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27, 35, 51)." BGH, Urt. v. 18. 10.2007 - 3 StR 226/07
  4. Strafsenat:   BGH, Urt. v. 14. 01.2016 - 4 StR 84/15   "Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolgs in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451 mwN). Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände - insbesondere die konkrete Angriffsweise - mit in Betracht zieht (BGH, Urteile vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.; vom 13. Januar 2015 - 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216 jeweils mwN). Diese Gesamtschau ist insbesondere dann notwendig, wenn der Tatrichter allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 - 1 StR 410/05, NJW 2006, 386 f.). Sie ist lückenhaft, wenn der Tatrichter sich mit wesentlichen, den Angeklagten belastenden Umständen nicht auseinandersetzt, die für die subjektive Tatseite bedeutsam sind (BGH, Urteil vom 8. September 2011 - 1 StR 38/11, NZWiSt 2012, 71 f.)." BGH, Urt. v. 14. 01.2016 - 4 StR 84/15   BGH 4 StR 558/11 - Urteil vom 22. März 2012  BGHSt 57, 183; Hemmschwellentheorie bei den Tötungsdelikten (Interpretation als Hinweis auf die gebotene freie Beweiswürdigung; Tötungsvorsatz; Vertrauen auf das Ausbleiben auf den Erfolg); fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs (konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert: Beinahe-Unfall).
  Leitsätze
  1. Zur "Hemmschwellentheorie" bei
Tötungsdelikten. (BGHSt) 
  2. Die bloße Erwähnung des Schlagworts der "Hemmschwellentheorie" ist zu "pauschal" bzw. "formelhaft". Im Verständnis des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die "Hemmschwellentheorie" in einem Hinweis auf § 261 StPO und die danach insbesondere bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes erforderliche vorsichtige Gesamtwürdigung. An den rechtlichen Anforderungen ändert sich indessen nichts, wenn die zur Annahme oder Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung ohne Rückgriff auf das Postulat einer Hemmschwelle überprüft wird. (Bearbeiter) 
  3. Der Hinweis auf die Hemmschwellentheorie entbehrt davon abgesehen jedes argumentativen Gewichts. Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements bedarf es bei einer hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen. (Bearbeiter) 
  4. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs zum Tötungsvorsatz ab. Er legt ihr vielmehr die sog. Hemmschwellentheorie in dem in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Verständnis zu Grunde. (Bearbeiter)
  5. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung - z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung - zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann. (Bearbeiter)
  6. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann. Mit der Begründung, der Angeklagte habe trotz der erkannten erheblichen Lebensgefährlichkeit eines Messerstichs ernsthaft auf das Ausbleiben des Todes vertraut, darf das Tatgericht nur abstellen, wenn es rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür feststellt, weshalb der Angeklagte trotz der Lebensgefährlichkeit des Messerstichs ernsthaft und nicht nur vage auf das Ausbleiben vertraut haben könnte. Dies ist nicht stets der Fall, wenn der Angeklagte weitere mögliche Angriffe gegen das Opfer unterlässt. (Bearbeiter) 
  7. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Es muss ein Verkehrsvorgang belegt werden, bei dem es zu einem "Beinahe-Unfall" gekommen wäre - also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, "das sei noch einmal gut gegangen". Dass sich zwei Fahrzeuge beim Querverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genügt für sich allein nicht. (Bearbeiter) 
  8. Einzelfall eines innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entbehrlichen Revisionsantrags. Freilich hat der Bundesgerichtshof wiederholt Revisionen der Staatsanwaltschaft, die ohne Antragstellung lediglich mit der allgemeinen Sachrüge begründet waren, für unzulässig gehalten. Dies betraf jedoch Strafverfahren, in denen einem oder mehreren Angeklagten eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt oder in denen der Angeklagte teilweise freigesprochen worden war und die Angriffsrichtung des Rechtsmittels bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unklar blieb. Sind Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Urteils lediglich zwei Taten, ist in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge die Erklärung der revisionsführenden Staatsanwaltschaft zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werde. (Bearbeiter)
  5. Strafsenat:   BGH, Urt. v. 13.01.2015 - 5 StR 435/14 "Der Tatsache, dass die Angeklagten nicht freiwillig mit der Misshandlung des Nebenklägers aufhörten, kann ein hoher Indizwert für ihre innere Einstellung gegenüber einer möglichen Tötung des Nebenklägers zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2007 - 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640). Das gewollte weitere Tun kann den Schluss nahelegen, dass ihnen die Folgen ihrer Tat bis hin zum möglichen Tod des Nebenklägers gleichgültig waren. Dies würde für die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz genügen und war mithin erörterungsbedürftig." BGH, Urt. v. 13.01.2015 - 5 StR 435/14

 Das Fühlen

Eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Berlin hat am 27. Februar 2017 zwei Teilnehmer eines illegalen Autorennens wegen (mittäterschaftlichen) Mordes verurteilt, weil einer von ihnen bei einem Wettrennen auf dem Kurfürstendamm an einer Kreuzung einen vorfahrtberechtigten Pkw gerammt hat, dessen Fahrer dadurch getötet wurde. 

http://www.zeit.de/gesellschaft/2017-03/sicherheit-raser-moerder-kommissare-fischer-im-recht/seite-5

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Zwischen Urteilsverkündung und Bekanntgabe der Urteilsgründe vergeht eine gewisse Zeit. Wenn ich das richtig zugeordnet habe, ist dafür § 275 StPO bindend. Demnach wäre die Frist nach 5 Wochen (bei bis zu 3 Tagen HV) abgelaufen, bei längeren Hauptverhandlungen kann die Frist aber auch mehrere Monate betragen.

Mir ist der Sinn und die Notwendigkeit dieser Regelung nicht ganz klar. Nachvollziehen kann ich, dass die Urteilsverkündung unmittelbar im Anschluss an die HV erfolgen soll und zu diesem Zeitpunkt die Urteilsgründe oft noch nicht vollständig verschriftlicht sind. Im Prinzip müssten zur Urteilsverkündung aber die Urteilsgründe den entscheidenden Richtern vollständig bekannt sein. Das Abwarten der Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels ist noch klar, da wohl bei Rechtsmittelverzicht die Urteilsbegründung gemäß § 267 (4) StPO auch ziemlich knapp ausfallen darf. Warum es aber 5 Wochen und deutlich länger dauern darf, bis die Urteilsgründe verschriftlicht und bekannt gegeben werden, erschließt sich mir nicht so ohne Weiteres. Womit ist diese lange Frist begründet?  

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Gast schrieb:

Titanic-Kolumnist Stefan Gärtner sieht in dem Urteil ein Signal für eine Klassenjustiz:

http://www.titanic-magazin.de/news/gaertners-kritisches-sonntagsfruehstu...

Aber Führerscheine hatten die beiden schon? Dann hat ihnen der Fahrlehrer sicher die Bremswege und ein ganz klein wenig Physik des Straßenverkehrs eingebläut, bis es für die Prüfung reichte. Und das reicht dann auch, nach einer solchen Amokfahrt auf Vorsatz zu schließen, finde ich. Dabei hat es das Gericht sicher nicht leicht gemacht. Aber selbst beim letzten Idioten muß angekommen sein, daß in der Innenstadt 160 km/h das Auto zur Waffe oder zum Massenvernichthngmittel macht - je nachdem ob man in ein Auto rauscht oder in eine Fußgängergruppe.

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Wenn die Behauptung von Dummheit dazu führt, dass der Vorsatz selbst bei für den Dümmsten offensichtlicher Gefährlichkeit der Tat verneint wird, will mich fürderhin dumm nennen, und stolz mein angeborenes Recht genießen, andere versehentlich zu töten, wie es mir gefällt.

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Gast schrieb:
Damit wären Sie aber ein Kandidat für die §§ 20 und auch noch 63 StGB.

Ach, sind Sie dann dafür, die beiden Todesfahrer psychiatrisch unterbringen zu lassen? Diagnose: Dummheit?

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Gast schrieb:

Gast schrieb:
Damit wären Sie aber ein Kandidat für die §§ 20 und auch noch 63 StGB.

Ach, sind Sie dann dafür, die beiden Todesfahrer psychiatrisch unterbringen zu lassen? Diagnose: Dummheit?

Doch nur für den vom Vorkommentator skizzierten Fall:

..... will mich fürderhin dumm nennen, und stolz mein angeborenes Recht genießen, andere versehentlich zu töten, wie es mir gefällt.

Da sehe ich die Voraussetzungen der §§20, 63 durchaus an, wenn das weiter so vorgebracht werden würde.

§ 20
Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

§ 63
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

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"wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln."

Scheint vom Wortlaut her ganz gut zu passen auf einen Fall, wo jemand behauptet, zu dumm zu sein, um zu erkennen, dass man andere Menschen schädigen kann, wenn man 160 km/h durch eine belebte Innenstadt rast. Dürfte nicht der aktuellen Rechtsprechung entsprechen - aber wenn man bzgl. des Vorsatzes die Dummheitsausrede zulässt, sollte man m. E. die Schwachsinnigkeit bei der Unterbringung ebenfalls weit auslegen. Augenblicksversagen, Nachlässigkeit, Nichterkennen bei komplexen Geschehensabläufen - ja, gern, das ist Fahrlässigkeit. Aber so dumm, dass man nicht erkennt, dass solche Taten Menschenleben gefährden, kann man doch gar nicht sein. Und wenn man es ist, dann bitte andere Maßnahmen ergreifen.

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Dazu aber auch noch 3 Links:

"Staatsanwaltschaft fordert Verurteilung wegen Mordes"

http://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2017/02/kudammraser-prozess-be...

"Psychologin sagt im Ku'damm-Raser-Prozess aus - "Er ist immer noch nicht wachgerüttelt" "

http://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2017/01/kudamm-raser-prozess-g...

"Verteidiger weisen Mordvorwürfe gegen Raser zurück"

http://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2017/02/autorennen-prozess-ber...

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Während sich aus dem ZDF-Hahn(e) "Ende der Kuscheljustiz?" von Rechtsexperten gefühltes Wissen und viel Empörung im "Namen des Volkes" ergießt, sind die verlinkten Beiträge des rbb tatsächlich halbwegs informativ. Dass man die Kudamm-Raser (nun) ernsthaft "durch die Mühle drehen" muss, bestreitet wohl niemand. Der rbb berichtet am 26.01.2017 von der Begutachtung der Verkehrspsychologin aus der Schweiz, die auf Antrag der Verteidigung gehört wurde 

"Bei H. hätte man schon viel früher therapeutisch tätig werden müssen. In der Schweiz braucht es viel weniger, um durch die Mühle gedreht zu werden." Wenn keine Sanktionen auf Straftaten im Straßenverkehr erfolgten, verstärke das das Fehlverhalten. 

Eine Verurteilung wegen Mordes ist nun keine verspätete Therapie. Gesellschaftlich diskutiert werden müssen also auch die Mängel in der Prävention, die offensichtlich eine rücksichtslose Raser-Karriere begünstigt. Das hat weniger mit "Kuschel-Justiz" zu tun, als mit gesellschaftlichem Versagen. Nicht zuletzt: Wenn schon 300-PS-Boliden im Straßenverkehr zulässig sind, warum keine Eignungsprüfung des Halters/Fahrers, strengere Owi-Regeln, Nutzungseinschränkung usw.?   

Staatsanwalt Fröhlich zeichnet in seinem Plädoyer das Bild zweier rücksichtsloser "Autofreaks"... "Die tödlichen Folgen einer solchen halsbrecherischen Fahrt stehen jedem Verkehrsteilnehmer vor Augen", so der Staatsanwalt. Wenn nur noch ein glücklicher Zufall einen tödlichen Unfall verhindern könne, müsse man vom "bedingten Vorsatz" beim Handeln der Täter ausgehen.

Was stand den Angeklagten vor Augen? Welche Vorerfahrungen hatten die Angeklagten mit dem tödlichen Risiko, ihrer Fahrtauglichkeit und mit rechtlichen Konsequenzen von Rücksichtslosigkeit? Sind die Raser mit jedem Verkehrsteilnehmer vergleichbar? Ist zumindest psychologisch ein Abgleich von deren Rücksichtslosigkeit mit dem Ausloten maximaler Grenzen in extremen Risikosportarten möglich? Nimmt also ein extremer Risikosportler lieber den wahrscheinlichen Tod in Kauf, als auf eine weitere Steigerung des Risikos zu verzichten (bedingter Vorsatz) oder hofft er aufgrund seiner gefühlt herausragenden Fähigkeiten auf ein Ausbleiben eines tödlichen Ausgangs (bewusste Fahrlässigkeit)? Der singuläre Fight mit dem tödlichen Risiko kann auch auf 2 Idioten erweitert werden. Zwei Fahrer in PS-Boliden rasen aufeinander zu, wer ausweicht hat verloren. Wenn beiden voneinander bewusst ist, dass ihnen jeweils der Sieg wichtiger als das Leben ist, dann ginge es nur um das Unterdrücken eines unterbewussten Ausweichmanövers (bedingter Vorsatz). Oder hofft einer vom anderen doch, dass dieser von der tödlichen Crash-Gefahr stärker beeindruckt ist und früher ausweichen wird als man selbst (bewusste Fahrlässigkeit)?      

OK, es gibt dabei im einfachsten Fall kein Risiko der Tötung eines unbeteiligten Dritten, sondern die Täter riskieren "nur" ihr eigenes Leben. Also noch ein anderes Beispiel: Stellt die zivile Nutzung der Kernkraft wegen des Wissens um deren tödliche Gefahr und der nicht ausschließbaren Fehlbarkeit von Mensch und Technik einen bedingten Vorsatz zur Tötung von Menschen dar oder wird aufgrund einer gefühlten Perfektion im Sicherheitsmanagement auf ein Ausbleiben des GAU's gehofft (bewusste Fahlässigkeit)?

Allen diesen Beispielen ist gemeinsam, dass zumindest im Fall eines tödlichen Ausgangs von Normalen wenig rationales Verständnis für jede dieser Intentionen vorhanden ist. Denn der Rationale hat in der Eigenwahrnehmung entweder die tödliche Gefahr vor Augen und tritt vom riskanten Tun zurück oder er hat die Gefahr tatsächlich nicht erfasst (unbewusste Fahrlässigkeit). Trotz der aus rationaler Sicht absurden Intentionen werden diese Varianten aber strafrechtlich streng unterschieden und auch extrem unterschiedlich bewertet. Ist diese Unterscheidung nur eine Fehlleitung der "Kuschel-Justiz" oder gibt es dafür auch sinnhafte Gründe? Sind entsprechende Gesetze und deren Anwendung deshalb nicht "Im Namen des Volkes", weil der Jurist die Forderungen nach härteren Strafen aus dem Volk gut nachvollziehen kann?   

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Eine Verurteilung wegen Mordes ist nun keine verspätete Therapie. Gesellschaftlich diskutiert werden müssen also auch die Mängel in der Prävention, die offensichtlich eine rücksichtslose Raser-Karriere begünstigt. Das hat weniger mit "Kuschel-Justiz" zu tun, als mit gesellschaftlichem Versagen. Nicht zuletzt: Wenn schon 300-PS-Boliden im Straßenverkehr zulässig sind, warum keine Eignungsprüfung des Halters/Fahrers, strengere Owi-Regeln, Nutzungseinschränkung usw.?  

Das wäre dann ja eine Frage an den Gesetzgeber. Oder wollten Sie das rein Seminar-mäßig nur debattieren?

Was stand den Angeklagten vor Augen? Welche Vorerfahrungen hatten die Angeklagten mit dem tödlichen Risiko, ihrer Fahrtauglichkeit und mit rechtlichen Konsequenzen von Rücksichtslosigkeit? Sind die Raser mit jedem Verkehrsteilnehmer vergleichbar?

Sie waren einschlägig mehrfach schon in Erscheinung getreten mit 21 beziehungsweise 19 Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr.

Ist zumindest psychologisch ein Abgleich von deren Rücksichtslosigkeit mit dem Ausloten maximaler Grenzen in extremen Risikosportarten möglich? Nimmt also ein extremer Risikosportler lieber den wahrscheinlichen Tod in Kauf, als auf eine weitere Steigerung des Risikos zu verzichten (bedingter Vorsatz) oder hofft er aufgrund seiner gefühlt herausragenden Fähigkeiten auf ein Ausbleiben eines tödlichen Ausgangs (bewusste Fahrlässigkeit)?

Beim extremen Risikosportler geht es doch um eine Selbstgefährdung, Sie vergleichen hier gerade Äpfel mit Ananas.

Der singuläre Fight mit dem tödlichen Risiko kann auch auf 2 Idioten erweitert werden. Zwei Fahrer in PS-Boliden rasen aufeinander zu, wer ausweicht hat verloren. Wenn beiden voneinander bewusst ist, dass ihnen jeweils der Sieg wichtiger als das Leben ist, dann ginge es nur um das Unterdrücken eines unterbewussten Ausweichmanövers (bedingter Vorsatz). Oder hofft einer vom anderen doch, dass dieser von der tödlichen Crash-Gefahr stärker beeindruckt ist und früher ausweichen wird als man selbst (bewusste Fahrlässigkeit)?  OK, es gibt dabei im einfachsten Fall kein Risiko der Tötung eines unbeteiligten Dritten, sondern die Täter riskieren "nur" ihr eigenes Leben.  

Hier würden sie sich selber ja schädigen beim Zusammenstoß, i.d.R. weniger unbeteiligte Dritte, also auch kein wirklich guter Vergleich.

Also noch ein anderes Beispiel: Stellt die zivile Nutzung der Kernkraft wegen des Wissens um deren tödliche Gefahr und der nicht ausschließbaren Fehlbarkeit von Mensch und Technik einen bedingten Vorsatz zur Tötung von Menschen dar oder wird aufgrund einer gefühlten Perfektion im Sicherheitsmanagement auf ein Ausbleiben des GAU's gehofft (bewusste Fahlässigkeit)?

Die zivile Nutzung der Kernkraft war vom Gesetzgeber und auch gesamtgesellschaftlich, also staatlich gewollt, und im AtG auch so niedergelegt, wollten Sie den ganzen Staat denn vor einem Strafgericht anklagen? Da wäre doch dann das BVerfG bei einem Verstoß gegen das GG zuständig gewesen, aber kein Strafgericht.

Allen diesen Beispielen ist gemeinsam, dass zumindest im Fall eines tödlichen Ausgangs von Normalen wenig rationales Verständnis für jede dieser Intentionen vorhanden ist. Denn der Rationale hat in der Eigenwahrnehmung entweder die tödliche Gefahr vor Augen und tritt vom riskanten Tun zurück oder er hat die Gefahr tatsächlich nicht erfasst (unbewusste Fahrlässigkeit). Trotz der aus rationaler Sicht absurden Intentionen werden diese Varianten aber strafrechtlich streng unterschieden und auch extrem unterschiedlich bewertet. Ist diese Unterscheidung nur eine Fehlleitung der "Kuschel-Justiz" oder gibt es dafür auch sinnhafte Gründe? Sind entsprechende Gesetze und deren Anwendung deshalb nicht "Im Namen des Volkes", weil der Jurist die Forderungen nach härteren Strafen aus dem Volk gut nachvollziehen kann?  

Diese Beispiele unterliegen nicht alle dem Strafrecht der BRD, da haben Sie nur eine bunte Mixtur zusammengestellt, bedingter Vorsatz oder Fahrlässigkeit aber sind hier Kriterien des Strafrechts.

Auch wäre es m.E. wenig sinnvoll in diesem Zusammenhang, z.B. die Zeugung von Kindern auch noch unter diesen Kriterien des Strafrechts (bedingter Vorsatz oder Fahrlässigkeit) zu kategorisieren.

Auch da könnte ich Ihnen also nicht wirklich mehr folgen.

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Im übrigen kenne ich auch noch aus Gesprächen mit diversen Strafverteidigern den Zweifel am deutschen Strafrecht als Schuldstrafrecht ganz allgemein und auch an Haftstrafen als Sanktionen.

Diese Debatte aber hatten wir ja schon öfters geführt, man könnte diese Täter m.E. aber auch noch als dissoziale Psychopathen ansehen, wie eine Kriminalität solchen Ausmaßes zu ahnden oder zu "behandeln" wäre, darüber gehen die Meinungen eben auseinander, vielleicht aber auch darüber:

Während sich aus dem ZDF-Hahn(e) "Ende der Kuscheljustiz?" von Rechtsexperten gefühltes Wissen und viel Empörung im "Namen des Volkes" ergießt

denn dort wurde ja auch nicht im "Namen des Volkes" gesprochen.

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@Zaungast:

Der Kolumnist verwechselt gelerntes Faktenwissen (Bevölkerungszahl) mit einem (Alltags)Wissen über die Risiken eigenen Handelns.  Die Leute haben eine Fahrerlaubnis erworben, was ein Unfall ist weiß auch ein Sonderschüler und dass es Zusammenhänge zwischen Geschwindigkeit und Größe des BUMMS  bei einer Kollision gibt sowie zwischen Geschwindigkeit und Bremsweg weiß man auch, ohne in Zehlendorf aufs Privatgymnasium gegangen zu sein und anschließend Atomphysik studiert zu haben. Den Sinn einer roten Ampel und das Verhalten an einer solchen lernt man, wenn es nicht die Eltern beigebracht haben, als  ABC-Schüler in der 1. Klasse.

Die Fahrer sind immerhin so schlau, dass sie wissen, wie sie trotz geringen Einkommens an teuere Autos kommen. Wie das geht stand in der ZEIT vom 08.12.2016 ("Ist das Mord?").

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Die deutsche Schriftsprache ist semantisch wirklich nicht eindeutig. In der Mathematik würde man feststellen, dass die Abbildung des tatsächlich Gemeinten (Urmenge) auf das sprachlich Ausgedrückte (Zielmenge) nicht injektiv ist. Mündliche Äußerungen sind oft noch weniger eindeutig als Schriftliches. Kommunizierte Logik lebt von korrekten Bezugnahmen und der Einhaltung von Ableitungsregeln. Kommunizierte Intention braucht sogar unbedingt den Verständniswillen des Empfängers. Es gibt also in der Funktion des Sprachverstehens häufig mehr als eine formal zulässige Deutung des Gemeinten aus dem Gesagten. Ein Protokoll und Rückversichern zur tatsächlichen Intention ermöglicht das Reflektieren und Ausräumen von Missverständnissen, die z.B. in einer Hauptverhandlung auch gravierende Folgen haben können. Offensichtlich wäre eine Absicherung gegen Fehldeutungen die wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Beispiele:
Auf meinen Halbsatz "Trotzdem wird eine Strafrechtsverschärfung durch die Judikative nun offen erklärt ..."
antwortet Gast mit
"... damit hatte "die Judikative" auch noch nichts erklärt"

Man konnte mich semantisch sicherlich auch so verstehen wie es Gast tat. Aber von wem die Erklärung kam, hatte ich eigentlich gar nicht benannt bzw. nicht benennen wollen.

Eine Verkettung solcher semantischen Missverständnisse führt recht schnell auch zu unlogischem Chaos. In der Technikwelt sind daher injektive Abbildungen oder eben klärende Aushandlungsprotokolle für jeden Kommunikationsschritt unerlässlich. Der technische Umgang mit nicht eindeutigen Natursprachen ist daher auch ein sehr komplexes Thema.

Auf einer etwas höheren Ebene gehen die Missverständnisse weiter. So befindet Gast, dass meine Feststellung "Für die subjektiven Tatmerkmale zur konkreten Tat kommt es doch auf die Motive und Persönlichkeit der Täter an und nicht auf die eines durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers." logisch sei. Man könnte dieses "logisch" von Gast wohl auch mit "so klar, dass es nicht erwähnt werden bräuchte" deuten. Redundanz? 

Tatsächlich bezog ich mich damit auf ""Die tödlichen Folgen einer solchen halsbrecherischen Fahrt stehen jedem Verkehrsteilnehmer vor Augen", so der Staatsanwalt."
Nun kann man die Aussage des Staatsanwaltes wieder verschieden interpretieren. Streng semantisch gesehen schließt die Deklaration "jedem" auch die Täter mit ein, so dass rein semantisch die Logik erfüllt wäre. Andererseits ist es vollkommen unlogisch, mit einer unbewiesenen Behauptung zur gesamten Population "jedem Verkehrsteilnehmer" indiziell auf die konkrete Intention bekannter Täter zu schließen, die im gleichen Zusammenhang gerade als rücksichtslose Freaks definiert wurden. Ob Freak dabei nun für Krüppel, Verrückter, Unnormaler, extrem Begeisterter oder Exzessiver steht, ist nur eine Frage der Wertung. Unstreitig definiert es Denjenigen aber so weit außerhalb des Üblichen, dass gerade eine unnormale Persönlichkeit und Motivation attestiert wird. Genau die war aber exklusiv und konkret für die Täter zu erfassen.

Bis dahin also schon ein ziemliches Deutungschaos zu Semantik und Logik. Aber auf einer noch höheren Ebene, nämlich sogar ausschließlich der intentionalen Ebene, bewegt sich das Missverständnis um mein Beispiel zur Kernkraftnutzung. Das Beispiel sollte nach meiner Intention "nur" die Frage der Unterscheidung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz veranschaulichen. Eine Offensichtlichkeit einer Fremdgefährdung durch die Kernkraftnutzung hatte ich still vorausgesetzt, weil es im konkreten Zusammenhang eigentlich auch unwichtig war.

Aber ausschließlich auf diesen hier "unwichtigen" Aspekt bezieht sich die gesamte Reaktion von Gast. Mein möglicherweise unglückliches Beispiel eröffnet damit für Gast ein anderes Thema und meine Intention wird umgangen.

Dieses Deutungschaos auf semantischer, logischer und/oder intentionaler Ebene ist wohl keine Ausnahme und steckt potentiell in jeder menschlichen Kommunikation zwischen Parteien mit gegensätzliche Interessen. Hat eine Partei in dieser Kommunikation die Deutungsmacht, dann bestimmt sie die Tatsachen durch eine ihr günstig erscheinende Auslegung auf einer oder mehrerer dieser Deutungsebenen. Der eigentliche Zweck jeder Kommunikation, nämlich die Verständigung im gegenseitigen Nehmen und Geben, geht dabei schnell verloren.

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Bei der Lösung des Falls dürfte es auch eine Rolle spielen, wenn man "rückblickend" vom Erfolgseitritt (Tod des Opfers) auf eine unterlassene Abwendungshandlung abstellt (Zur Abgrenzung Tun und Unterlassen ist nach hM auf den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit abzustellen (vgl. BGHSt 6,59). 

In diesem Zusammenhang dürfte auch eine ältere BGH- Entscheidung interessant sein:

BGH, 04.02.1986 - 5 StR 776/85 = BGHSt 34, 13 - 14

Amtlicher Leitsatz:
Das Mordmerkmal "mit gemeingefährlichen Mitteln" liegt nicht vor, wenn der Täter eine bereits vorhandene gemeingefährliche Situation nur zur Tat ausnutzt.

M. E. darf dieser Leitsatz - wozu ich unter IV. noch Ausführungen machen werde -allerdings nicht generalisiert werden.

I. Sachverhalt:

Ein Angeklagte rauchte aus seinem Bett liegend und war dabei eingeschlafen. Als er erwachte, stand das Bett in Flammen. Er sprang auf und verließ in Panik das Haus. Auf der Straße stehend und als er sah, daß seine Wohnung zwischenzeitlich brannte, kam ihm in den Sinn, daß sich dort noch zwei Männer befanden.

Obwohl er die ihnen drohende Gefahr erkannte, benachrichtigte er weder Feuerwehr noch Polizei. Möglicherweise hatten Nachbarn die Feuerwehr bereits verständigt. Davon wußte der Angeklagte aber nichts.

Er entfernte sich und ging in eine Gaststätte. Derweil erschien alsbald die Feuerwehr am Brandort. Ein Mann in der Wohnung war erstickt, der andere hatte mit Brandverletzungen aus ihr entkommen können und wurde ins Krankenhaus gebracht.

II. Vorinstanz:

Das Schwurgericht verurteilte den Angeklagten wegen fahrlässiger Brandstiftung und wegen versuchten Mordes in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren. Seine Revision, die das Verfahren beanstandet und Verletzung des sachlichen Strafrechts rügte, hatte Erfolg.

III. Die BGH- Entscheidung:

" 1.

Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen versuchten Mordes nicht. Sie ergeben nicht hinreichend, daß der Angeklagte die tatsächliche Möglichkeit hatte, Polizei oder Feuerwehr zu benachrichtigen, und dieses auch erkannte. Das Schwurgericht äußert sich nicht dazu, wo ein Feuermelder oder ein Telefon zu erreichen war, ob der Notruf den Einwurf von Münzen erforderte und der Angeklagte diese bei sich hatte oder sich verschaffen konnte oder ob er die Feuerwehr oder die Polizei auf andere Weise verständigen konnte und sich dessen auch bewußt war.

2.

Das angenommene Mordmerkmal "mit gemeingefährlichen Mitteln" liegt hier nicht vor. Es erfordert, daß der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat (BGH NJW 1985, 1477, 1478). Die Qualifikation hat ihren Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht (vgl. Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rn. 59). Sie ist darum nicht gegeben, wenn der Täter eine bereits vorhandene gemeingefährliche Situation nur zur Tat ausnutzt (vgl. Eser in Schenke/Schröder StGB 22. Aufl. § 211 Rn. 29). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Gefahr zufällig entstanden oder von einer an dem Tötungsverbrechen unbeteiligten Person verursacht oder - wie hier - vom Täter selbst ohne Tötungsvorsatz herbeigeführt worden ist.

3.

Die Mängel nötigen dazu, das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben, weil das dem Angeklagten vorgeworfene Tötungsverbrechen nicht losgelöst von der vorangegangenen Brandstiftung beurteilt werden kann." BGH a.a.O.

IV. Bewertung:

Hier hatte der BGH im subjektiven Bereich zutreffend darauf abgestellt, daß die Tatrichter nicht hinreichend festgestellt hatten, ob der Angeklagte objektiv die Möglichkeit einer Erfolgsabwendung überhaupt hatte und ob ihm dies subjektiv auch bewußt war.

Der BGH hatte hier also keinen Anlaß zur Klärung der Rechtsfrage, ob ein Mord auch als sog. unechten Unterlassungsdelikt begangen werden kann. Insoweit ist der Leitsatz sicher zutrefend, wenn also - in einem konkreten Fall - keine objektive und vor allem keine subjektive Möglichkeit der Erfolgsabwendung für einen Täter bestanden hat.

Es mag aber durchaus Fälle geben, in denen dies der Fall sein kann.
Nämlich dann, wenn durch ein äußerst gefährliches Vorverhalten ein Täter eine lebensgefährdende Gefahrenlage geschaffen hat, eine "Nahtodsituation" vorliegt und er trotz dieser Garantenstellung und der hieraus resultierenden Garantenpflicht, den Erfolgseintritt (Tod) trotz objektiv und subjektiver Möglichkeit hierzu nicht abwendet, obwohl dies erforderlich und zumutbarer ist.

V. Echtes und unechtes Unterlassungsdelikt:

Während sich echte Unterlassungsdelikte, wie etwa §§ 323 c, 123, 138, 266 StGB oder § 84 GmbHG dadurch auszeichnen, daß sie eine gesetzlich gebotenes Unterlassen unter Strafe stellen, kann fast jede als Begehungsdelikt formulierte Straftat als sog. unechtes Unterlassungsdelikt gem. § 13 StGB auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden.

Der Täter muß also hier eine sog. Garantenstellung haben aus der eine sog. Garantenpflicht, also eine Rechtspflicht zum Tun erwachsen kann.
Die Garantenstellung selbst, kann aus Gesetz, Vertrag, enger Lebensbeziehung, aber auch aus voranangegangenem gefährlichen Tun (sog. Ingerenz) erwachsen.
In einer späteren Entscheidung hat er dies ausdrücklich offengelassen:
"Die Frage, ob ein Mord mit gemeingefährlichen Mitteln durch Unterlassen nicht begangen werden kann (BGHSt 34, 13, 14; ebenso wohl h.M. in der Literatur; vgl. Eser in Schönke/Schröder 26. Aufl. § 211 Rdn. 29; Lackner/Kühl 24. Aufl. § 211 Rdn. 11; Arzt in Festschrift für Roxin, 2001, S. 855, 858; a.A. Jähnke in LK 11. Aufl. § 211 Rdn. 58; Tröndle/Fischer 51. Aufl. § 211 Rdn. 24), kann hier offen bleiben, da der Angeklagte auch von dem dann vorliegenden Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten wäre." BGHSt 48, 147

M. E. wird jetzt bei der Revision im Berliner Fall "Ku'damm-Raser" - Fall eine solche Entscheidung durchaus anstehen.

Ein brauchbares "Handwerkzeug" für die Tatrichter zur sauberen Abgrenzung des bedingten Vorsatz zur bewußten Fahrlässigkeit liefern meines Erachtens auch die Kriterien, die zum Rücktritt beim Versuch durch den BGH "entwickelt" wurden:

In BGH, Urt. v. 27.04.1982 - 1 StR 873/81 etwa hat der BGH in seiner Entscheidung herausgearbeitet und in seinem Leitsatz festgehalten:

a)
Der Täter muß seinen Rücktrittswillen durch Handlungen manifestieren, die auf Vereitelung der Tatvollendung abzielen und objektiv oder wenigstens aus seiner Sicht dazu ausreichen. Die ergriffene Verhinderungsmöglichkeit muß er ausschöpfen. Er darf dem Zufall dort nicht Raum geben, wo er ihn vermeiden kann.

b)
Stellt sich heraus, daß der Erfolg ohne Zutun des Täters nicht eingetreten ist, entfällt zwar das Erfordernis des Gelingens der Erfolgsabwendung; an den Anforderungen, die an das auf Erfolgsvereitelung gerichtete Tun des Täters zu stellen sind, ändert sich nichts.

Beim Berliner  "Ku-damm-Raserfall" ist zwar hinsichtlich des Opfers ein Erfolg eingeterten, sodaß insoweit kein Veruch mehr in Betracht kommt. Gleichwohl sind diese Kriterien für die Unterscheidung des dolus eventualis zur bewußten Fahrlässigkeit brauchbar und hilfreich.

Insbesondere bei der vom Tatrichter vorzunehmenden Gesamtbetrachtung.

So wurde auch, etwa in BGH, Urt. v. 13.01.2015 - 5 StR 435/14 ausgeführt: "Der Tatsache, dass die Angeklagten nicht freiwillig mit der Misshandlung des Nebenklägers aufhörten, kann ein hoher Indizwert für ihre innere Einstellung gegenüber einer möglichen Tötung des Nebenklägers zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2007 - 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640). Das gewollte weitere Tun kann den Schluss nahelegen, dass ihnen die Folgen ihrer Tat bis hin zum möglichen Tod des Nebenklägers gleichgültig waren. Dies würde für die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz genügen und war mithin erörterungsbedürftig." BGH, Urt. v. 13.01.2015 - 5 StR 435/14

Können also real in einer Hauptverhandlung nach § 261 StPO Tatsachen "geschöpft" werden, die in dieser Richtung für den Angeklagten sprechen, scheidet auch im Ergebnis ein dolus eventualis aus. 

Falls nicht, verbleibt es bei den bisher von der Rechtssprechung zur Billigungstheorie beim bedingten Tötungsvorsatz entwickelten Maßstäbe zuletzt in BGH, Beschl. v. 22.12.2016 - 1 StR 571/16 und BGH, Urt. v. 27.09.2019 -  5 StR 84/16 in Zusammenschau mit BGH, Urt. v. 16.08.2005 - 4 StR 168/05 (Mord - mit gemeingefährlichen Mitteln: Einsatz eines KFZ als Tatwerkzeug, konkrete Gefahrbestimmung etc.).

In dubio pro reo wirkt sich jedenfalls immer aus, wenn einzelne der oben beschriebenen tatsächlichen Merkmale, im konkreten Einzelfall eben in der Hauptverhandlung nicht mit der hierzu erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können.

@ Jochen Bauer

Beide Entscheidungen scheinen mir nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Täter sind nicht unbewusst in ein bereits stehenden Straßenrennen hineingestolpert, sondern haben dieses selbst iniitiert. Auch die Vermeidung des Erfolgseintritts sowie der gesamten Situation überhaupt lag in ihrer Hand.

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Die entscheidende vorwerfbare Handlung (Tun/Unterlassen) liegt kurz vor der Kollission.

Da sie nicht genau zu bestimmen sein dürfte, macht es nur Sinn, bei Tötunsdelikten zunächst auf den Schwerpunkt der entscheidenden Tathandlung (Tun beim Begehehungsdelikt und hier auf das Unterlassen beim unechten Unterlassungsdelikt (§§ 211, 212, 13 I StGB), also auf die letzte objektiv und subjektiv möglich und erkennbare Abwendungsmöglichkeit des Täters zur Verhinderung des Erfolgseintritts abzustellen.

  Anhand der ausgelesenen Daten der Autos läßt sich wohl genau bestimmen, wann letztmals eine solche in Form von Abbremsen, Ausweichen, etc. hätte erfolgen müßenum den Erfolgseintritt noch zu verhindern. Erst wenn dieser "kritische" Punkt überschritten ist, hat der T in der "Versuchsterminologie" i.S. des § 22 StGB unmittelbar angesetzt.

Fehlen jetzt feststellbare "Rücktrittsbemühungen" i.S. des § 24 bzw. betreffs des Unterlassungsdelikts erkenn- und festellbare Abwendungshandlungen (um der Garantenpflicht aus der Garantenstellung der Ingerenz zu entsprechen), die erforderlich, möglich und auch zumutbar waren, scheidet eine Fahrlässigkeit nach der Billigungstheorie jedenfalls aus.

Sie scheinen anzunehmen, dass die Tathandlung war, kurz vor dem Zusammenstoß nicht abzubremsen.

Ich persönlich gehe davon aus, dass das Gericht nicht an das Ende, sondern an den Beginn des Rennens anknüpft. Konkreter Tatbeginn dürfte das Anfahren in Renn-Absicht sein. Damit haben wir es auch nicht mit einem Unterlassungsdelikt zu tun, sondern mit aktiver Handlung.

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Die mit vorwerfbarer Schuld begangene Tat straft den Täter; eine "Lebensführungsschuld" gibt es insoweit nicht, ansonsten müßten sie ja auch gleich bei der Geburt eines Täters ansetzen. Sie können zwar beim Beginn des Rennens ansetzen, woran sich dann zunächst Owi- Verstöße anschließen.

Das "Rennen" selbst ist aber ein dynamischer Prozeß. Im Hinblick auf zeiltliche Dauer und dabei unterschiedlich Gefahrendimensionen, bei denen sich dann jauch jeweils Teilakte unterschiedlich nach TB, RW und Schuld unterscheiden lassen, wenn sie statisch einzelne "Stichproben" untersuchen. Hinsichtlich der schuld- und tatangemessenen Bewertung eines Tötungsdelikts kommt man m.E. aber nicht umhin, beim Schwerpunkt der vorwerfbaren Handlung anzusetzen. Und dann sind wir in der Prüfung eines unechten Unterlassungsdelikts mit den vorliegend entscheidenden Fragen, betreffs der subjektiv und objektiven möglichen und erforderlichen, zumutbaren Abwendungsmöglichkeiten.

Je nachdem was hier dann im Einzelfall konkret feststellbar ist oder eben nicht (i.d.p.r) entscheidet dann darüber, ob ein Tatrichter dann mit der erforderlichen Gewißheit von bedingtem Vorsatz oder "nur" von bewußter Fahrlässigkeit ausgehen kann bzw. muß oder nicht. Bsp.:  Wer obwohl er voll schuldfähig, also nicht geisteskrank, nicht unter Alkohol- oder sonstigen Drogend stehend im "entscheidenden Moment" (im brennden Hausfall weggeht, ohne vorher die Feuerwehr zu rufen obwohl er dies sub. und obj. konnte und - was auch wegen der von ihm selbst geschaffenen erhöhten Lebensgefahr für andere erforderlich ist - nicht macht, obwohl er es zumutbar könnte, der vertraut nicht mehr auf einen glücklichen Ausgang, sondern findet sich mit dem dann eingetretenen Erfolg ab.

Ebenso ist es im Rennen, wenn durch Sachverständigengutachten klar auslesbar wäre, daß zum Zeitpunkt tx - unmittelbar vor der Kollision - nicht gehandelt wurde (Bremsen, Ausweichen etc.) obwohl dies noch objektiv und subjektiv einem Täter möglich war. Aufgrund der allein von ihm (respektive Mit-, Nebentäter) geschaffenen extremen Gefahrensituation (die die Garantenstellung entstehen läßt), ist es auch augrund seiner Garantenpflicht dann erforderlich die entsprechenden zumutbaren Abwendungsmaßnahmen durchzuführen. Tut er dies nicht, hat er sich mit dem Erfolgseintritt abgefunden, bzw. diesen billigend in Kauf genommen.

Nur so kann vorliegend trennscharf eine Entscheidung zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit vorgenommen werden. 

Die Idee ist interessant, aber ich frage mich, ob sie mehrheitsfähig ist.

Übetragen auf einen anderen Fall: T schwingt einen Hammer in Richtung des Kopfes des O. Der Hammer ist in Gang gesetzt; weitere Muskelkraft ist nicht erforderlich, um den O zu töten - bloße Trägheit des Hammers wird das erledigen. T könnte den Aufprall aber abwenden, wenn er den Hammer umlenkt, so dass er über den Kopf des O hinweggeht.

Wenn ich Ihren Ansatz richtig verstehe, würden Sie hier ein Unterlassungsdelikt prüfen, konkret ob der T den Hammer nicht hätte umlenken müssen und wie seine Geisteshaltung in diesem Moment war.

Das kann man so machen - aber die aktuelle Strafrechtsdogmatik würde das anders sehen, glaube ich. Ich will hier nicht sagen, dass die aktuelle Strafrechtsdogmatik der einzig richtige Ansatz ist, aber da werden Sie einige Überzeugungsarbeit leisten müssen, fürchte ich.

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